Urteil des LSG Hessen vom 27.06.2000

LSG Hes: eintritt des versicherungsfalles, erwerbsunfähigkeit, regelmässige erwerbstätigkeit, wesentliche veränderung, rotes kreuz, berufliche tätigkeit, berufsunfähigkeit, bandscheibenvorfall

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.06.2000 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 16 J 1139/95
Hessisches Landessozialgericht L 2 RJ 366/98
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1997 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1947 geborene Kläger stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien und ist im März 1969 in die Bundesrepublik
Deutschland gekommen. In seiner Heimat war der Kläger nicht versicherungspflichtig beschäftigt, in der
Bundesrepublik zunächst bis 30. Januar 1970 als Maschinenarbeiter. Danach arbeitete er versicherungspflichtig bei
der Fa. M., hier zunächst vom 4. Februar 1970 bis 28. Februar 1971 als angelernter Revolverdreher mit einer
Bezahlung nach Lohngruppe V des Lohnrahmenvertrages Metall, vom 1. März 1971 bis 31. Juli 1991 als Entgrater mit
einer Bezahlung seit 1. November 1979 nach Lohngruppe VI, und seit 1. August 1991 als Werkzeugausgeber unter
Übernahme der Lohngruppeneinstufung der vorherigen Tätigkeit, obwohl die Tätigkeit nur der Lohngruppe V
entsprochen hat. Das Arbeitsverhältnis wurde am 31. März 1994 beendet. Der Kläger erhielt eine Abfindung in Höhe
von 68.577,- DM. Seit 23. März 1993 war der Kläger laufend arbeitsunfähig. Nach dem Entlassungsbericht vom 9.
Dezember 1993 über eine in der Zeit vom 28. Oktober bis 9. Dezember 1993 in Ox. durchgeführte medizinische Reha-
Maßnahme litt der Kläger an Restbeschwerden nach einer TEP links am 23. Juli 1993 sowie einem
Wirbelsäulensyndrom. Außerdem bestand eine massive Hyperlipidämie. Der Kläger könne vollschichtig leichte
Arbeiten, derzeit überwiegend im Sitzen, ohne längere Anmarschwege, ohne häufiges Bücken, Klettern oder Steigen
und ohne Absturzgefahr verrichten.
Am 7. April 1994 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Dazu
wurde ein Befundbericht des Dr. E. vom 18. April 1994 sowie die Kopie eines Schwerbehindertenausweises vom 4.
Juli 1991 (GdB 50 %, Merkzeichen "G") vorgelegt. Die Beklagte zog den Kurentlassungsbericht aus O. vom 9.
Dezember 1993 sowie die Unterlagen des Klägers vom MDK-O. bei und veranlasste eine orthopädische Begutachtung
durch Dr. St ... Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 20. Juli 1994 beim Kläger folgende
Gesundheitsstörungen:
1. Gang- und Funktionsbehinderung des linken Hüftgelenkes bei Zustand nach Hüft-TEP, versteifender Coxarthrose
bei Verdacht auf alte Epiphysenlösung. 2. Wirbelsäulenbeschwerden bei teilfixierter Fehlhaltung, Fehlstatik der
Wirbelsäule mit Beinverkürzung rechts von 1 cm; Bandscheibenschaden bei L4/L5 und L5/S1 sowie Spondylarthrose.
3. Schulter-Nackenbeschwerden bei Streckfehlhaltung der HWS mit altersüblichen Verschleißerscheinungen. 4.
Leichtere Kniegelenksbeschwerden beidseits links mehr als rechts bei leichteren Verschleißerscheinungen im
Kniescheibengleitlager. 5. Muskelverschmächtigung des linken Beines. 6. Sog. Sensibles Nervus ulnaris Syndrom im
rechten Arm unklarer Ursache ohne Funktionseinbuße.
Der Kläger könne leichte Arbeiten vollschichtig unter Beachtung folgender zusätzlicher qualitativer Einschränkungen
verrichten: überwiegend im Sitzen, gelegentlich im Stehen, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne
Überkopfarbeiten, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Heben und Tragen (zumutbar 5 - 10 kg), ohne Bewegen von
Lasten, in geschlossenen Räumen. Dieser Zustand bestehe seit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 9. Juni 1994. Nach
Anhörung ihres medizinischen Beraters lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 6.
August 1994 ab. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen liege weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vor. Der
Kläger erhob gegen den am 18. August 1994 zur Post aufgelieferten Bescheid am 7. September 1994 Widerspruch,
den er nicht begründete. Die Beklagte holte eine Auskunft des früheren Arbeitgebers, der Fa. M., vom 8. November
1994 ein. Mit Bescheid vom 3. März 1995 wies sie den Widerspruch des Klägers zurück. Selbst wenn dieser aufgrund
der zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Beschäftigung dem oberen Bereich der angelernten Arbeiter zuzuordnen
wäre, liege weder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vor. Mit dem noch vorhandenen Leistungsvermögen könne der
Kläger noch zumutbar als Pförtner oder Warensortierer arbeiten.
Der Kläger erhob dagegen am 21. März 1995 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Er hielt sich für
rentenberechtigt. Während des Verfahrens legte er ein ärztliches Attest des Dr. K., Arzt für Neurochriurgie, vom 7.
November 1996 vor. Die Beklagte verblieb demgegenüber bei ihrer ablehnenden Haltung, für die sie im Laufe des
Verfahrens Stellungnahmen ihres ärztlichen Beraters Dr. H. vom 27. Oktober 1995, 10. Januar 1996, 19. April 1996
und 16. Januar 1997 zur weiteren Begründung vorlegte.
Das Sozialgericht zog Akten des Klägers bei vom Ausländeramt O. und vom Versorgungsamt Frankfurt am Main,
ferner die Untersuchungsmappe vom MDK-O. sowie die Leistungsakte des Klägers vom Arbeitsamt O. mit
arbeitsamtsärztlichen Gutachten der Medizinialdirektorin Dr. St.-M. vom 11. Juli 1994/15. September 1994 und 8.
Januar 1997/30. April 1997. Aus arbeitsamtsärztlicher Sicht bestand vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers
für die Verrichtung leichter Arbeiten unter Beachtung zusätzlicher qualitativer Einschränkungen. Das Sozialgericht
holte Befundberichte ein von den Neurochirurgen Dr. Wx. vom 23. Mai 1995, Dr. R. vom 13. November 1995 (mit
Befundunterlagen) und 5. Februar 1996, der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Bx. vom 30. März 1996 und dem
Orthopäden Dr. E. vom 29. Mai 1996. Weiter erhob das Sozialgericht Beweis durch Einholung eines
neurochirurgischen Fachgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Mx., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik F.,
vom 24. April 1997. Es wurde ein operationswürdiger Bandscheibenvorfall L4/L5 links diagnostiziert, der zu
lumboischialgieformen Beschwerden und zu einer Bewegungseinschränkung führe. Der Kläger könne noch ganztags
leichte Arbeiten als Hausbote, Museumsaufseher, Platzanweiser, Eingangskontrolleur verrichten oder als
Garderobenkraft arbeiten. Es seien Arbeiten in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von Zwangshaltungen
sinnvoll. Überkopfarbeiten seien weniger geeignet. Auch Arbeiten in gebückter Haltung und auf nicht ebenem Boden
seien ungeeignet. Ebenfalls nicht geeignet seien Wechselschichten, Akkordarbeiten oder Fließbandarbeiten unter
Zeitdruck. Die geistigen Fähigkeiten oder Daueraufmerksamkeit seien nicht signifikant beeinträchtigt. Arbeiten auf
Leitern und Gerüsten sollten gemieden werden, ebenso schweres Heben und Tragen. Weniger geeignet seien auch
Arbeiten in Kälte und Nässe. Eine unfallchirurgische bzw. orthopädische Zusatzbegutachtung wegen der
Hüftgelenkssituation werde empfohlen, bei bestehenden Blasenentleerungsstörungen eine urologische Untersuchung.
Anschließend erhob das Sozialgericht auf Antrag des Klägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis durch
Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens des Dr. Kx. vom 20. August 1997. Nach dem Ergebnis des
Gutachtens bedeute der festgestellte Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 links eine erhebliche Herabsetzung der
Belastbarkeit des Achsenskeletts sowohl in vertikaler Richtung als auch bei Vor- und Rückneigung des Rumpfes. Der
Gesundheitsschaden durch den Bandscheibenvorfall sei ein dauerhafter; er bestehe mit leichter Besserung schon seit
drei Jahren. Das weitere erwerbsmindernde Leiden betreffe das linke Hüftgelenk. Dort sei wegen eines unfallbedingten
Verschleißes ein zementloses Kunstgelenk eingesetzt worden. Bei gutem Operations- und sonstigem
Ausheilungsergebnis bestehe eine leicht verminderte Beweglichkeit in alle Richtungen und grundsätzlich nur geringe
Belastbarkeit, um die Lebensdauer des Kunstgelenks nicht zu gefährden. Mit den festgestellten
Gesundheitsstörungen könne der Kläger noch vollschichtig leichte Arbeiten verrichten. Für Tätigkeiten mit geringen
körperlichen Belastungen und nur kurzen Gehwegen mit der Möglichkeit häufiger Sitzpausen bestehe ohne weiteres
Arbeitsfähigkeit. Dazu gehörten auch Arbeiten als Hausbote, Museumsaufseher, Platzanweiser, Eingangskontrolleur
und Garderobenkraft. Tätigkeiten, welche sehr schnelle Reaktionen und kurze, starke Kraftanstrengungen oder
schnelle Laufleistungen erforderten, seien nicht zumutbar, ebensowenig das Besteigen mehrerer Stockwerke in kurzer
Zeit nacheinander. Arbeiten unter Zwangshaltungen des Rumpfes, wie gebückt, verdreht oder über Kopf seien
grundsätzlich nicht möglich. Das Gehen auf unebenen Strecken sei nur für eine geringe Strecke zumutbar. Arbeiten in
Akkord, am Fließband oder unter Zeitdruck seien nur begrenzt möglich, da insbesondere die Schnelligkeit beim Gehen
und Bewegen herabgesetzt sei. Darüber hinaus seien keine Arbeiten zumutbar, die regelmässig schweres Heben und
Tragen erforderten. Zu den zu schonenden Körperteilen ge höre insbesondere das linke Bein im Hinblick auf die
Bedienung von Geräten. Es sollten auch keine Arbeiten verrichtet werden, welche häufige Rumpfneigungen oder
Drehungen erforderten. Bei der schwierigen Rekonstruktion im Verlauf der Gesundheitsstörungen des Klägers lasse
sich ungefähr sagen, dass etwa im Juli 1994 ein ähnlicher Zustand bestanden habe, der sich jedoch durch den
Bandscheibenvorfall L4/5 vorübergehend verschlechtert habe. Seit Februar 1996 seien keine Veränderungen
eingetreten. Die Tatsache, dass der Kläger in den letzten Jahren keine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, habe den
Heilungsverlauf begünstigt, so dass der Wiedereintritt in eine regelmässige Erwerbstätigkeit zu vertreten sei. Der
Kläger befinde sich in einer altersgemäss guten geistigen Verfassung ohne Hinweis auf eine Minderung der
Anpassungs-, Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit. Weitere Gutachten seien nicht erforderlich.
Durch Urteil vom 8. Dezember 1997 wies das Sozialgericht die Klage ab. Es liege weder Berufs- noch
Erwerbsunfähigkeit vor, so dass auch kein entsprechender Rentenanspruch gegeben sei. Der Kläger genieße als
ungelernter Arbeiter im Rahmen des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) VI keinen Berufsschutz, da sein
Erwerbsleben nicht durch bestimmte qualifizierte Tätigkeiten und Leistungen geprägt sei. Dies bestätigten
insbesondere die Arbeitsbescheinigungen in den Leistungsakten des Arbeitsamtes, die von der Beklagten eingeholten
schriftlichen Auskünfte des letzten Arbeitgebers und die beigezogenen Akten des Ausländeramtes. Auf der Grundlage
der Gutachten des Prof. Dr. Mx. vom 24. April 1997 und des Gutachtens des Dr. Kx. vom 20. August 1997 sowie des
Entlassungsberichts aus O. vom 9. Dezember 1993, der Gutachten des Dr. St. (für die LVA) vom 20. Juli 1994, der
Frau Dr. St.-M. (Arbeitsamt O.) vom 11. Juli/15. September 1994 und des Medizinaldirektors A. (MdK O.) vom 8. Juni
1994 sowie der Berichte der Dres. My. und Kollegen vom 5. Februar 1996 und des Dr. E. vom 8. Mai 1996 sei der
Kläger noch in der Lage, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten mit geringen körperlichen Belastungen und nur
kurzen Gehwegen mit der Möglichkeit häufiger Sitzpausen, ohne Zwangshaltungen/Akkord/Zeitdruck, ohne Arbeiten
auf Leitern und Gerüsten sowie mit schwerem Heben und Tragen. Da der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
verwiesen werden könne, sei das Sozialgericht bei dem noch vorhandenen Leistungsvermögen des Klägers nicht
gehalten, eine konkrete zumutbare Verweisungstätigkeit zu benennen. Erwerbslosigkeit falle in den Risikobereich der
Arbeitsverwaltung (Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung) und nicht in den der Rentenversicherung. Der Kläger
könne Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung beantragen.
Gegen das ihm am 17. Februar 1998 zugestellte Urteil richtet sich die vom Kläger am 16. März 1998 eingelegte
Berufung, mit der er sein Rentenbegehren weiterverfolgt. Der Kläger macht weitere Gesundheitsstörungen im
kardiologischen Bereich geltend. Der behandelnde Neurochirurg sehe ihn nicht mehr als leistungsfähig an. Zur
Beurteilung sei die Einholung weiterer Fachgutachten notwendig. Der Kläger bezieht sich auf Arztbriefe der
Orthopädischen Klinik F. vom 17. August 1993 und des Kardiologischen Centrums, Rot-Kreuz-Krankenhaus F., vom
17. Juni 1999.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Dezember 1997 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. August 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März
1995 zu verurteilen, ihm ab 1. Mai 1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise, Rente wegen Berufsunfähigkeit
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bezieht sich auf Stellungnahmen ihres beratenden Arztes Dr. H. vom 21.
Oktober 1998, 8. März 1999 sowie 20. und 27. Mai 1999, 7. September 1999 und 8. Oktober 1999. Weiter überreicht
sie Fotokopien eines ablehnenden Bescheides ihrer Reha-Abteilung vom 30. Juni 1998 sowie der zum Reha-Antrag
vorgelegten ärztlichen Berichte.
Der Senat hat die Akten des Klägers vom Versorgungsamt Frankfurt am Main und vom Arbeitsamt O.
(Leistungsakten) beigezogen. Es wurden Befundberichte eingeholt von der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. Bx. vom
10. Juli 1998 mit Befundunterlagen sowie ein ergänzender Bericht (Eingang: 25. August 1999), dem Arzt für
Neurochirurgie Dr. K. vom 15. September 1998 mit ergänzendem Bericht (Eingang: 11. Mai 1999), dem Arzt für
Neurochirurgie Dr. R. vom 18. Oktober 1998 mit Befundunterlagen. Weiter wurden beigezogen Berichte des K-
Krankenhauses vom 27. März 1998, des Ambulanten Herzzentrum vom 9. Juli 1998 und ein Arztbrief des Radiologen
Dr. P. vom 23. Juni 1999. Nach den Berichten des Kardiologischen Centrums vom 15. September 1999 über dortige
stationäre Untersuchungen in der Zeit vom 7. bis 9. Juli 1999 (EKG, Belastungs-EKG bis 125 Watt,
Echokardiogramm, Farbdoppler-Echokardiogramm, Laborwerte und erneute Kontrastmitteldarstellung der Herz-Kranz-
Gefäße) ergaben die Kontrolluntersuchungen insgesamt ein gutes Langzeitresultat bei insgesamt regelrechtem
Belastungs-EKG von 125 Watt.
Anschließend hat der Senat Beweis durch Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens des Prof. Dr. Tx. vom 18.
Februar 2000 erhoben. Danach wird das Leistungsvermögen des Klägers herabgesetzt durch den Zustand nach
Einbau eines künstlichen, zementfrei verankerten Hüftgelenkes bei guter Funktion, ohne Hinweis für Lockerung und
normaler Belastung des linken Hüftgelenkes, ferner durch ein Lumbalsyndrom/Lumboischialgie links, ohne motorische
neurologische Ausfälle bei Bandscheibenvorfall L4/L5 links. Der Kläger könne weiterhin vollschichtig ganztags eine
leichte körperliche Arbeit ausführen in wechselnder Körperhaltung bzw. im Sitzen. Der Anteil sitzender Arbeiten sollte
50 % (knapp 4 Stunden) betragen. Die Arbeit sollte überwiegend oder zumindest zeitweilig im Sitzen (ca. 50 % der
Arbeitszeit) verrichtet werden. Arbeiten in Zwangshaltung der Wirbelsäule (Überkopfarbeiten, starke Rumpfvorneigung)
seien auszuschließen. Der Einsatz auf Leitern und Gerüsten sei auf Dauer nicht mehr möglich. Die Tätigkeit sollte in
geschlossenen Räumen mit ebener Erde ausgeübt werden. Einschränkungen hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle
bestünden nicht. Das festgestellte Leistungsvermögen bestehe seit April 1994. Eine wesentliche Veränderung des
Gesundheitszustandes sei in Zukunft nicht zu erwarten. Eine Zusatzbegutachtung sei nicht erforderlich.
Auf Anfrage des Senats hat das Landesarbeitsamt Hessen in einer berufskundlichen Auskunft vom 24. Mai 2000 den
Kläger unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen für nicht mehr fähig gehalten, die bisher
ausgeübten Tätigkeiten als Dreher/Werkzeugmacher zu verrichten. Berufsfremd könne er noch arbeiten als
Pförtner/Tagespförtner, Mitarbeiter in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde,
Warenaufmacher/Versandfertigmacher oder Warensortierer. Bei den vorgenannten Verweisungstätigkeiten handele es
sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich sei und die nach einer entsprechenden
Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden könnten. Für die genannten Tätigkeiten seien im allgemeinen
Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von max. 3 Monaten Dauer erforderlich. Die genannten Tätigkeiten stünden
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang zur Verfügung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird Bezug genommen auf den
Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte sowie der beigezogenen Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist sachlich unbegründet.
Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass der Kläger nicht erwerbsunfähig und
auch nicht berufsunfähig ist; demzufolge hat er auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbs-
oder Berufsunfähigkeit.
Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach den §§ 43, 44 SGB VI. Die Vorschriften setzen die Erfüllung der
allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit
Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des
Versicherungsfalles voraus (vgl. §§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 44 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus
muss entweder Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit vorliegen (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 44 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI). Nach
§ 43 Abs. 2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf
weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung
und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach
denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten
entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen
Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hingegen
besteht Erwerbsunfähigkeit bei solchen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit
ausserstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt (§ 44 Abs. 2 SGB VI). Da der
Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit an strengere Voraussetzungen anknüpft als derjenige der Berufsunfähigkeit,
folgt aus der Verneinung von Berufsunfähigkeit ohne weiteres das Fehlen von Erwerbsunfähigkeit.
Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist Ausgangspunkt der bisherige Beruf des Versicherten, von dessen
qualitativem Wert es abhängt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar noch verwiesen werden kann. Dabei ist der
bisherige Beruf in der Regel die zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit. Der Kläger war
auf der Grundlage der Arbeitgeberauskunft vom 8. November 1994 zuletzt seit 1. August 1991 bis zur fortlaufenden
Arbeitsunfähigkeit am 23. Mai 1993 als Werkzeugausgeber versicherungspflichtig beschäftigt, nachdem er zuvor bei
demselben Arbeitgeber 20 Jahre lang als Entgrater gearbeitet hatte. Dass der Kläger die Tätigkeit als Entgrater aus
gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat, hat er nicht vorgetragen und wurde auch in der Arbeitgeberauskunft vom 8.
November 1994 nicht bestätigt. Allerdings hat es sich auch bei dieser Tätigkeit um eine solche gehandelt, zu der er
lediglich angelernt worden war. Nach der berufskundlichen Auskunft des Landesarbeitsamtes Hessen vom 24. Mai
2000 kann der Kläger aber seine bisher ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten.
Auch berufsnahe Tätigkeiten kommen nicht mehr in Betracht.
Nach den vom Senat und vom Sozialgericht getroffenen Feststellungen ist der Gesundheitszustand und das daraus
abzuleitende Leistungsvermögen des Klägers eingeschränkt. Er ist aber noch in der Lage, vollschichtig leichte
Tätigkeiten unter Beachtung zusätzlicher qualitativer Einschränkungen zu verrichten. Die Tätigkeiten sollten in
wechselnder Körperhaltung bzw. im Sitzen ausgeführt werden (bei einem Anteil sitzender Arbeiten von 50 %, knapp 4
Stunden), ohne Zwangshaltung der Wirbelsäule (Überkopfarbeiten, starke Rumpfvorneigung), nicht auf Leitern und
Gerüsten, in geschlossenen Räumen, zu ebener Erde. Für diese Leistungsbeurteilung stützt sich der Senat auf das
fachorthopädische Gutachten des Prof. Dr. Ty. vom 18. Februar 2000, das er für überzeugend hält. Die vom
Sachverständigen diagnostizierten Gesundheitsstörungen entsprechen den Feststellungen in den fachorthopädischen
Gutachten, die im Verwaltungsverfahren von Dr. St. vom 20. Juli 1994 und im sozialgerichtlichen Verfahren von Dr.
Kx. vom 20. August 1997 getroffen wurden. Die Hauptbeschwerden des Klägers liegen auch auf orthopädischem
Fachgebiet. Sein Leistungsvermögen wird durch einen Zustand nach Einbau eines künstlichen, zementfrei
verankerten Hüftgelenkes bei guter Funktion und normaler Belastbarkeit des linken Hüftgelenkes herabgesetzt,
ausserdem durch ein Lumbalsyndrom/Lumboischialgie links ohne motorische neurologische Ausfälle bei
Bandscheibenvorfall L4/L5 links. Daraus leiten sich schlüssig die vom Sachverständigen Prof. Dr. Tx. abgeleiteten
qualitativen Leistungseinschränkungen ab, die einem vollschichtigen Einsatz des Klägers nicht entgegenstehen. Bei
Berücksichtigung der ärztlichen Erfahrung, dass auch längerfristig bestehende Bandscheibenvorfälle sich langsam
zurückentwickeln, ist nach Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. Tx. die Prognose insoweit günstig und - entgegen
der Auffassung des Prof. Dr. Mx. in seinem Gutachten vom 24. April 1997 - keine Operationsbedürftigkeit gegeben.
Die beigezogenen Ergebnisse der kardialen Untersuchungen des Klägers im Rotes-Kreuz-Krankenhaus (EKG,
Belastungs-EKG bis 125 Watt, Echokardiogramm, Farbdoppler-Echokardiogramm, Laborwerte und
Kontrastmitteldarstellung der Herzkranzgefäße, zuletzt am 8. Juli 1999) ergaben insgesamt ein gutes Langzeitresultat,
wie Dr. H. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 8. Oktober 1999 bestätigt hat. Das Belastungs-EKG war
mit 125 Watt regelrecht. Die funktionelle apparative Untersuchung wurde vom Kläger beschwerdefrei absolviert. Auf
der Grundlage dieser Feststellungen besteht für den Senat kein Anlass, eine weitere internistisch/kardiologische
Begutachtung des Klägers durchführen zu lassen. Auch der Sachverständige Prof. Dr. Tx. hat auf ausdrückliches
Befragen des Senats in seinem Gutachten vom 18. Februar 2000 keine weitere Zusatzbegutachtung für erforderlich
gehalten. Der Senat sieht denn auch mit dem zuletzt eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Tx. das
Leistungsvermögen des Klägers als geklärt an.
Aber auch wenn der Kläger mit dem vorhandenen Leistungsvermögen seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben
oder nicht mehr berufsnah eingesetzt werden kann, liegt damit noch keine Berufsunfähigkeit i.S.v. § 43 Abs. 2 SGB
VI vor, denn für einen Rentenanspruch wegen Berufsunfähigkeit ist entscheidend, ob ein Versicherter mit dem noch
vorhandenen Leistungsvermögen einen zumutbaren Verweisungsberuf ausüben kann. So räumt das Gesetz dem
Versicherten einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. weitergehend auch Erwerbsunfähigkeit nicht
schon dann ein, wenn er seinen - versicherungspflichtig ausgeübten - "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr ausüben kann. Vielmehr wird von einem Versicherten erwartet, dass er - immer bezogen auf
seinen "bisherigen Beruf" - einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt und sich vor Inanspruchnahme der
Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden gibt. Erst wer sich nicht in dieser Weise auf einen anderen
Beruf verweisen lassen muss, ist berufsunfähig i.S.d. Gesetzes. Zugemutet werden i.S.v. § 43 Abs. 2 SGB VI einem
Versicherten alle von ihm - nach seinen gesundheitlichen Kräften und beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten -
ausführbaren, auch berufsfremden Tätigkeiten, die nach der im Gesetz angeführten Kennzeichnung wie Ausbildung
und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufs im Betrieb, d.h. nach ihrer beruflichen Qualität
zumutbar sind. Dazu hat das Bundessozialgericht (BSG) ein Mehrstufenschema aufgestellt (vgl. z.B. BSG in SozR
2000, § 1246 Nrn. 126 und 132), das berufliche Tätigkeit nach ihrer Leistungsqualität - nicht nach der Entlohnung oder
nach Prestige - in hierarchisch geordnete Gruppen aufgliedert (Vorarbeiter, Facharbeiter, angelernter Arbeiter,
ungelernter Arbeiter). Die Einstufung hat auch Bedeutung für die Frage der Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit.
Bei der vom Kläger zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Werkzeugausgebers hat es sich um keine Facharbeitertätigkeit
gehandelt. Auf der Grundlage der Arbeitgeberauskunft vom 8. November 1994 waren lediglich Grundkenntnisse der
Werkzeuge und ihrer Einsetzbarkeit erforderlich. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Kläger die zwischen
dem 1. März 1971 und 31. Juli 1991 ausgeübte Tätigkeit als Entgrater gesundheitsbedingt hat aufgeben müssen,
ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Auch bei der Entgratung von Bohrungen, Kanten und Flächen hat es sich
um keine Facharbeitertätigkeit gehandelt. Nach der Arbeitgeberauskunft genügte zur Ausübung eine ca. zweiwöchige
Einweisung durch einen Mitarbeiter in die Entgratungstechnik. Auf der Grundlage der Arbeitgeberauskunft vom 8.
November 1994 und des übersandten Lohnrahmentarifvertrages war die Einstufung des Klägers in die Lohngruppe V
tarifvertraglich sachgerecht. Diese Lohngruppe umfasst Spezialarbeiten, die eine Ausbildung in einem Anlernberuf
oder ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordern. Damit ist der Kläger der Gruppe der oberen Angelernten
i.S.d. vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas zuzuordnen. Die Aufstockung der Bezahlung des
Klägers nach Lohngruppe VI seit 1. November 1979 als Entgrater und danach auch als Werkzeugausgeber steht
erkennbar in keinem Zusammenhang mit einer Änderung der Qualität der vom Kläger verrichteten Arbeit. Eine höhere
Entlohnung, die nicht nach qualitativen Gesichtspunkten, sondern lediglich nach Zeitablauf oder Bewährung erfolgt, ist
rentenrechtlich unerheblich (vgl. auch BSG, Urteil vom 26. Mai 1988; Az.: 5/5b RJ 26/87).
Als angelernter Arbeiter (im oberen Bereich) muss sich der Kläger zumutbar auf die vom Landesarbeitsamt Hessen in
der berufskundlichen Auskunft vom 24. Mai 2000 benannten Tätigkeiten verweisen lassen, da ein Versicherter im
Vergleich zu seinem bisherigen Beruf grundsätzlich auf die nächst niedrigere Stufe verwiesen werden kann (vgl. z.B.
BSG, Urteil vom 26. Januar 2000 m.w.N.). Auf die Frage, ob die vom Landesarbeitsamt benannten Tätigkeiten auch
auf der Ebene der oberen Angelernten anzusiedeln sind, kommt es deshalb nicht an. Die für ihre Verrichtung
erforderliche Einweisungszeit bis zu 3 Monaten ist Indiz, dass es sich zumindest um angelernte Arbeiten im unteren
Bereich handelt, auf die der Kläger sich zumutbar verweisen lassen muss.
Für eine fehlende Anpassungs-, Umstellungs- und Konzentrationsfähigkeit gibt es keine Anhaltspunkte. Bei der
Untersuchung durch Dr. Kx. gab es keine entsprechenden Hinweise. Der Kläger befand sich in einer altersgemäss
guten geistigen Verfassung. Schließlich ist der Kläger, trotz der vom Versorgungsamt bescheinigten eingeschränkten
Wegefähigkeit, durchaus noch in der Lage, für ihn in Betracht kommende Arbeitsplätze zu erreichen, wie zuletzt von
Prof. Dr. Tx. gutachtlich festgestellt wurde. Damit bleibt der Kläger dem Risiko der Arbeitslosenversicherung
zugeordnet, denn die Arbeitsvermittlung ist Aufgabe der Arbeitsverwaltung und fällt nicht in den Risikobereich der
Rentenversicherung.
Die Berufung des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
fehlt.