Urteil des LSG Hessen vom 26.03.1992

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.03.1992 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 11/30/12 V 3797/89
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 934/91
Bundessozialgericht B 9 RV 5/96
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 1991 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der im Jahre 1933 geborene Kläger besitzt die jugoslawische Staatsangehörigkeit; er lebt in Bosnien-Herzegowina.
Nach eigenem Vortrag wurde er am 25. Dezember 1945 bei der Explosion einer Handgranate schwer verletzt. Der
Kläger hatte diese Handgranate gefunden und mit ihr herumgespielt. Da während des Zweiten Weltkrieges deutsche
Militäreinheiten in der Nähe des Fundortes stationiert gewesen waren, vermutet der Kläger, daß es sich bei dem
Explosionskörper um Kriegsmaterial handelte, das von den Deutschen zurückgelassen worden war. Bei der Explosion
verlor der Kläger das linke Auge; ferner wurde er von Splittern am ganzen Körper verletzt, vor allem an den Beinen.
Im Juni 1989 wandte sich der Kläger an den Beklagten und beantragte Versorgung nach dem BVG. Zur Begründung
seines Begehrens legte er unter anderem Fotografien vor, die das Ausmaß der heute vorliegenden
Gesundheitsstörungen dokumentieren. Der Beklagte lehnte jedoch mit Bescheid vom 25. Juli 1989 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. September 1989 eine Versorgung nach dem BVG ab, weil die Explosion zu einem
Zeitpunkt erfolgt sei, als deutsche Militäreinheiten jugoslawisches Gebiet nicht mehr besetzt hielten.
Gegen den ablehnenden Bescheid hat der Kläger beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Im Laufe des
erstinstanzlichen Verfahrens hat er verschiedene medizinische Unterlagen vorgelegt und das schädigende Ereignis
nochmals ausführlich beschrieben. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 7. Februar 1991 die Klage
abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht vor allem darauf abgestellt, daß ein schädigendes Ereignis
nicht nachgewiesen sei; der Kläger habe an der Aufklärung des Sachverhaltes auch nicht in der gebotenen Weise
mitgewirkt. Außerdem sei der Kläger aufgrund der vorliegenden Schädigungsfolgen jedenfalls nicht als
Schwerbeschädigter (Minderung der Erwerbsfähigkeit 50 v.H.) anzusehen. Unter Berücksichtigung der Richtlinien des
Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa (Stand
1988) lägen die Voraussetzungen für eine Teilversorgung nicht vor.
Mit der – fristgerecht eingelegten – Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Im Berufungsverfahren hat er
einen Befundbericht des Dr. S. D. vom Regionalen Medizinischen Zentrum "Dr. S. M.”, M., vom 27. August 1991
sowie eine Zeugenerklärung vorgelegt. – Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, daß ihm Versorgung nach dem
BVG zustehe.
Er beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Februar 1991 und den Bescheid
des Beklagten vom 25. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1989 aufzuheben
und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Anerkennung der Schädigungsfolgen Beschädigtenrente im gesetzlichen
Umfang zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält den angefochtenen Bescheid nach wie vor für rechtmäßig. Durch das erstinstanzliche Urteil sieht er
sich in seiner Auffassung bestätigt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Ergänzend wird auf den wesentlichen Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen, der zum
Gegenstand der geheimen Beratung gemacht worden ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, denn die Beteiligten haben
sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liegen unbedenklich vor.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Deshalb hat das Sozialgericht die
Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger begehrt Versorgung nach dem BVG. Er gehört jedoch nicht zu den Personen, denen ein Anspruch nach
dem BVG zusteht.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung von Schädigungsfolgen ist § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgung der
Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG): Wer durch eine militärische oder militärähnliche
Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder
durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach dieser
Vorschrift wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.
Aus den §§ 7, 8, 64 Abs. 1 und 64 e BVG in Verbindung mit § 1 der Verordnung zur Auslandsversorgung nach § 64 e
BVG (Auslandsversorgungsverordnung) ergibt sich, daß Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit Wohnsitz oder
gewöhnlichem Aufenthalt in Albanien, Bulgarien, Jugoslawien, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn und
der Sowjetunion zu dem berechtigten Personenkreis gehören, aber nach den sonstigen gesetzlichen Bestimmungen
nur eine sogenannte Teilversorgung erhalten. Andere Kriegsopfer, die in den genannten Gebieten wohnen oder sich
dort aufhalten und deren Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichem
Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht oder in Deutschland oder in einem zur
Zeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten
ist, erhalten aufgrund einer generell erteilten Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in
gleichem Umfang Teilversorgung (§ 7 Abs. 1 Nr. 3, §§ 8, 64 Abs. 2 Satz 2 BVG in Verbindung mit Nr. 3 Buchstabe b,
5 der Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa des BMA vom 7. Dezember 1990 –
Richtlinien Ost 1990). Diese eingeschränkte Versorgung setzt voraus, daß Schädigungsfolgen im Sinne des BVG
vorliegen und diese – gegebenenfalls unter Einbeziehung eines besonderen beruflichen Betroffenseins – die
Erwerbsfähigkeit wenigstens um 25 v.H. mindern (§§ 30, 31 BVG). Insoweit gelten die allgemeinen Vorschriften.
Trotz der vom Kläger zwischenzeitlich vorgelegten Zeugenerklärung hat der erkennende Senat wie das
erstinstanzliche Gericht Zweifel daran, ob sich das schädigende Ereignis überhaupt so zugetragen hat, wie es der
Kläger schildert. Der Senat brauchte jedoch den Sachverhalt nicht weiter aufzuklären. Selbst wenn man davon
ausgeht, daß der Kläger am 25. Dezember 1945 beim Schafehüten eine Handgranate fand, die dann beim
Herumspielen explodierte, stünde ihm kein Anspruch auf Versorgung nach dem BVG zu. Er gehört nämlich nicht zu
dem anspruchsberechtigten Personenkreis.
Nach § 7 Abs. 1 BVG wird das Gesetz angewendet auf Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit Wohnsitz oder
gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes, ferner auf Deutsche und deutsche Volkszugehörige mit
Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland und schließlich auf Ausländer, die ihren Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes (also in der Bundesrepublik Deutschland) haben und
weitere, im Gesetz näher geregelte Voraussetzungen erfüllen. – Zu diesem Personenkreis nach § 7 BVG gehört der
Kläger jedenfalls nicht.
Die Ausnahmeregelung des § 8 BVG sieht vor, daß in anderen als den in § 7 bezeichneten, besonders begründeten
Fällen mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Versorgung gewährt werden kann,
außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes jedoch nach Maßgabe der §§ 64 bis 64 f BVG. Die allgemeine
Einbeziehung einer Kriegsopfergruppe in den Anwendungsbereich des Gesetzes bedarf auch der Zustimmung des
Bundesministers für Finanzen (§ 8 Satz 2 BVG). Nach Nr. 3 b der oben zitierten "Richtlinien Ost 1990” liegt die
Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für eine Teilversorgung für "andere Kriegsopfer” vor,
die die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG mit Ausnahme des Wohnsitzes erfüllen. § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG
setzt – neben dem hier nicht mehr beachtlichen Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland – voraus, daß die
geltend gemachte Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichen Dienst
für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht oder in Deutschland oder in einem zur Zeit der
Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist. Die
vom Kläger behauptete Schädigung steht nicht mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht in
ursächlichem Zusammenhang; sie hängt auch nicht mit einem militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation
zusammen und sie ist auch nicht in Deutschland eingetreten. Da der Kläger vorträgt, er habe sich erst im Dezember
1945 verletzt, steht schließlich auch fest, daß die Schädigung nicht in einem zum Zeitpunkt der Schädigung von der
deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist. Im Dezember 1945 –
nach Kriegsende – war Jugoslawien nämlich nicht mehr von der deutschen Wehrmacht besetzt.
Nach alledem gehört der Kläger weder zu dem nach § 7 BVG berechtigten Personenkreis noch gehört er zu den
Personen, für die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eine allgemeine Zustimmung im Sinne des § 8
BVG getroffen hat.
Ein Anspruch des Klägers könnte sich daher nur noch dann ergeben, wenn der Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung in seinem konkreten Fall eine Einzelzustimmung zur Versorgung nach dem BVG erteilen könnte.
Voraussetzung wäre, daß ein "anderer, besonders begründeter Fall” im Sinne des § 8 BVG vorliegt. Ein solcher Fall
liegt aber hier nicht vor. Eine Zustimmung nach §§ 8, 64 Abs. 2 Satz 2 BVG kommt nämlich nur in Betracht, wenn für
den streitigen Tatbestand die Bundesrepublik Deutschland in vergleichbarer Weise verantwortlich ist wie für diejenigen
Tatbestände, für die die Gewährung einer Versorgung ausdrücklich im BVG geregelt ist. Das BVG sieht im Regelfall
keine Ansprüche für Ausländer im Ausland vor. Ausnahmsweise kann ihnen Versorgung gewährt werden, wenn die
Schädigungstatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG vorliegen. Darüber hinaus mag es eine begrenzte Anzahl weiterer,
besonders begründeter Fälle geben, in denen eine Versorgung über § 8 BVG in Betracht zu ziehen ist. Es würde aber
juristischer Methodik widersprechen, wenn die Ausnahmeregelungen des BVG so extensiv ausgelegt würden, daß
danach grundsätzlich jeder Versorgung beanspruchen könnte, der im Zusammenhang mit deutschen militärischen
Maßnahmen verletzt wird, einerlei zu welchem Zeitpunkt diese geschieht. Es stünde überdies mit Sinn und Zweck
des BVG nicht in Einklang, wenn über den Weg der Ausnahmeregelungen auch alle diejenigen entschädigt würden,
die infolge der Kampftätigkeit der ehemaligen deutschen Wehrmacht oder durch liegengebliebene deutsche Munition
eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Allgemeine oder individuelle Reparationsforderungen lassen sich aus
dem BVG nicht herleiten. Der erkennende Senat lehnt damit – im Anschluß an seine Urteile vom 16. Januar 1992 (L-
5/V-552/91) und vom 20. Februar 1992 (L-5/V-323/91) – die Auffassung des Sozialgerichts Frankfurt am Main ab,
wonach § 8 BVG auch für alle Schädigungsfälle von Ausländern im Ausland anzuwenden ist, die nach Kriegsende in
nicht mehr von der deutschen Wehrmacht besetztem Gebiet eingetreten sind und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit
von 50 v.H. verursacht haben (vgl. Urteil des SG Frankfurt am Main vom 5. Oktober 1990 – S-30/V-3424/89).
Der Senat verkennt nicht, daß der Kläger ein schweres Schicksal erlitten hat und daß dafür möglicherweise
liegengebliebene Munition der deutschen Wehrmacht mitursächlich war. Aus dem BVG lassen sich daraus jedoch
keine Ansprüche herleiten.
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Versorgung von Ausländern, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs
durch liegengebliebene Munition verletzt worden sind, noch nicht höchstrichterlich geklärt ist.