Urteil des LSG Hessen vom 12.03.1986

LSG Hes: abstrakte normenkontrolle, verwaltungsakt, ermächtigung, öffentlichrechtliche streitigkeit, juristische person, behörde, diplom, nichtigkeit, rechtswidrigkeit, rechtsschein

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.03.1986 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt
Hessisches Landessozialgericht L 3 U 1228/81
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 1981 insofern
abgeändert, als der Bescheid der Beklagten zu 1. vom 8. März 1979 aufgehoben wird. Im übrigen wird die Berufung
zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vor allem darüber, ob dem Kläger eine Ermächtigung zur Vornahme von arbeitsmedizinischen
und arbeitspsychologischen Vorsorgeuntersuchungen zu erteilen ist.
Der im Jahre 1944 geborene Kläger ist Diplom-Psychologe und Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher
Psychologen (BDP). Er besitzt außerdem die Erlaubnis, die Heilkunde auszuüben, ohne als Arzt bestallt zu sein. Im
Oktober 1977 wandte er sich erstmals an den Beklagten zu 2) und beantragte die Ermächtigung zur Vornahme von
arbeitsmedizinischen und arbeitspsychologischen Vorsorgeuntersuchungen. Der Beklagte zu 2) antwortete mit
Schreiben vom 25. Oktober 1977, bei Vorsorgeuntersuchungen nach den berufsgenossenschaftlichen Grundsätzen
handele es sich ausschließlich um ärztliche Untersuchungen; für eine Ermächtigung kämen also nur Ärzte mit
arbeitsmedizinischen Erfahrungen in Betracht. Für die Ermächtigung, arbeitspsychologische Untersuchungen
durchzuführen, sei der Beklagte zu 2) nicht zuständig. Im Oktober 1978 legte der Kläger gegen dieses formlose
Schreiben "Widerspruch” ein, der von dem Beklagten zu 2) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit
an den Beklagten zu 1) weitergeleitet wurde. Unter Bezugnahme auf § 56 der Unfallverhütungsvorschriften
"Allgemeine Vorschriften” (VBG 1) teilte der Beklagte zu 1) daraufhin dem Kläger mit, die Ermächtigung zur Vornahme
arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen sei daran gebunden, daß der Antragsteller zur Ausübung des ärztlichen
Berufes berechtigt sei; dieser Nachweis sei noch nicht erbracht. Nach Vervollständigung seiner Unterlagen erhalte er
weitere Nachricht (Schreiben vom 12. Dezember 1978). Danach wandte sich der Kläger, zugleich im Namen des BDP,
mit Schreiben vom 19. Februar 1979 an den Beklagten zu 1) und bat erneut, seinem Antrag auf Ermächtigung
stattzugeben und die spezifischen Tätigkeiten der Betriebspsychologen nach § 3 des Gesetzes über Betriebsärzte,
Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (ASiG; auch BetriebsärzteG genannt) auf den
Einsatz eines Betriebsarztes nach § 4 ASiG anzurechnen. Der Beklagte zu 1) teilte daraufhin mit Schreiben vom 8.
März 1979 dem Kläger mit, sein Antrag sei unbegründet. Die Beratungstätigkeit eines Betriebspsychologen in
arbeitspsychologischen Fragen sei nicht an die Voraussetzung einer Ermächtigung gebunden; einer Ermächtigung
bedürfe es nur zur Vornahme arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen; diese dürfe jedoch, wie § 56 der
Unfallverhütungsvorschrift "Allgemeine Vorschriften” (VBG 1) in Verbindung mit § 708 Abs. 1 Nr. 3 RVO zum
Ausdruck bringe, nur Ärzten erteilt werden, die zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigt seien. Der weitere
Antrag auf Anrechnung der Einsatzzeit eines Betriebspsychologen auf die Einsatzzeit eines Betriebsarztes sei
ebenfalls unbegründet, weil die Unfallverhütungsvorschrift "Betriebsärzte” (VBG 123) eine solche Anrechnung nicht
zulasse. – Auf entsprechende Nachfrage des Klägers, ob es sich bei diesem Schreiben um einen anfechtbaren
Verwaltungsakt handele, teilte der Beklagte mit Schreiben vom 11. April 1979 ergänzend mit, daß man "der Annahme
eines Verwaltungsaktes” zuneige; ein Vorverfahren könne nicht durchgeführt werden.
Gegen das Schreiben vom 8. März 1979, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, hat der Kläger gegen den
Beklagten zu 1) am 11. März 1980 Klage erhoben. Mit Schriftsatz vom 6. August 1980 hat der Kläger seine Klage
zusätzlich gegen die Beklagten zu 2), 3) und 4) gerichtet und unter anderem verfassungsrechtliche Bedenken gegen §
2 Abs. 3 der Unfallverhütungsvorschrift "Betriebsärzte” (VBG 123) geltend gemacht.
Das angerufene Sozialgericht Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 5. August 1981 als unzulässig
abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 3. September 1981 zugestellt worden. Auf die Urteilsgründe wird Bezug
genommen.
Am 5. Oktober 1981 (einem Montag) ist die Berufung des Klägers eingegangen. Zur Zulässigkeit seiner Klage trägt er
unter anderem vor, es handele sich vorliegend um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit und das Schreiben des
Beklagten zu 1) vom 8. März 1979 sei als Verwaltungsakt zu qualifizieren. Sein Antrag auf Feststellung der
Unwirksamkeit des § 2 Abs. 3 der Unfallverhütungsvorschriften (UVV) – VBG 123 und des § 56 UVV – VBG 1 sei
auch keine Bitte um abstrakte Normenkontrolle, sondern um "Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses, etwa um
einen Zwischenfeststellungsantrag”. Bei den VBG handele es sich nicht um gesetzliche Bestimmungen, sondern um
autonome Rechtsnormen, die von vornherein nur insofern wirksam seien, als sie nicht in Rechte Dritter eingreifen
würden. Bei verfassungskonformer Auslegung der hier einschlägigen Vorschriften seien die Diplom-Psychologen wie
Betriebsärzte zu behandeln. Im übrigen regt der Kläger an, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 1981 aufzuheben und
festzustellen,
1) - daß die in § 2 Abs. 3 der Unfallverhütungsvorschrift 1.5 Betriebsärzte (VBG 123) vom 1. April 1975 vorgesehene
Anrechnungsmöglichkeit der Einsatzzeit bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen von ermächtigten anderen
Ärzten auch für arbeitspsychologische Vorsorgeuntersuchungen (insbesondere im Sinne von § 3 ASiG) von Diplom-
Psychologen gilt,
2) daß arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen gem. §§ 56, 50 der Allgemeinen Vorschriften (VBG 1) auch von
Diplom-Psychologen vorgenommen werden dürfen,
3) hilfsweise festzustellen, daß § 2 Abs. 3 der VBG 123 und § 56 VBG 1 unwirksam sind;
- unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten zu 1) vom 8. März 1979 die Beklagten zu verurteilen, ihm die
Ermächtigung zur Vornahme arbeitspsychologischer Vorsorgeuntersuchungen, die gem. § 2 Abs. 3 VBG 123 vom 1.
April 1975, §§ 56, 50 der Allgemeinen Vorschriften (VBG 1) und gemäß § 3 ASiG auf die Tätigkeitszeiten von
Betriebsärzten anrechnungsfähig sind, zu erteilen;
- hilfsweise, die beanstandete Klausel in der VBG 123 für nichtig zu erklären.
Die Beklagten zu 1) bis 4) beantragen übereinstimmend, die Berufung zurückzuweisen.
Sie sind der Ansicht, hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) sei der Rechtsweg nicht gegeben; das Schreiben vom 8.
März 1979 sei auch kein Verwaltungsakt. Das, was der Kläger in Wahrheit angreife, seien die Regelungen des ASiG.
Die begehrte Gleichstellung von Betriebspsychologen und Betriebsärzten fände dort keine Grundlage. Der Auffassung,
daß bei verfassungskonformer Auslegung Diplom-Psychologen wie Betriebsärzte zu behandeln seien, könnte nicht
gefolgt werden. – Die Beklagten zu 1) und 2) seien für die Ermächtigungen von Ärzten zur Durchführung
arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen nicht zuständig; die Beklagten zu 3) und 4) hätten mit dieser Aufgabe
andere Berufsgenossenschaften beauftragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den wesentlichen Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten zu 1) bis 4)
und der Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Berufung liegen vor.
Die Berufung ist auch teilweise begründet. Die Klage des Klägers hätte vom Sozialgericht nicht insgesamt als
unzulässig abgewiesen werden dürfen. Sie ist nämlich zum Teil zulässig und in dem zulässigen Umfang auch
teilweise begründet. Entsprechend war das Urteil der ersten Instanz abzuändern.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist für den gesamten vorliegenden Rechtsstreit der Rechtsweg zu den
Sozialgerichten gegeben. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ist der Verwaltungsrechtsweg in
allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch
Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine solche ausdrückliche Zuweisung findet
sich in § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach Absatz 1 dieser Vorschrift entscheiden die Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit unter anderem über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung
(die anderen Alternativen des Absatzes 1 und die Absätze 2 bis 4 des § 51 SGG interessieren hier nicht). Ob eine
Streitigkeit öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur vorliegt, ist nach der Art des Klagegegenstandes zu
entscheiden. Der Rechtsweg hängt insofern davon ab, welcher Natur das Rechtsverhältnis ist, aus dem der
Klageanspruch hergeleitet wird (Gemeinsamer Senat in BSGE 37, 292 ff.; BSGE 25, 235, 237). Entscheidend ist
dabei regelmäßig, ob im Vordergrund der Beurteilung der Rechtsbeziehungen die Anwendung öffentlichrechtlicher
Rechtsvorschriften (hier: des Sozialversicherungsrechts) steht oder ob vorrangig Vorschriften des bürgerlichen Rechts
heranzuziehen sind. Der vorliegende Fall regelt sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO),
des ASiG und nach bestimmten Unfallverhütungsvorschriften. Schon deshalb ist hier die öffentlich-rechtliche Natur
des Rechtsstreits zu bejahen. Darüber hinaus ergibt sich die öffentlich-rechtliche Natur auch aus den im Schrifttum
entwickelten und von der Rechtsprechung anerkannten Abgrenzungstheorien. Nach der sogenannten
Subjektionstheorie, die eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit beim Vorliegen eines Über- und
Unterordnungsverhältnisses bejaht, ist ein Rechtsstreit, der auf die Aufhebung oder den Erlaß eines Verwaltungsakts
gerichtet ist, immer eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (BSG SozR, Nr. 31 zu § 51 SGG). Dies trifft im vorliegenden
Fall für den Antrag zu 2) des Klägers zu. Die mit den Anträgen zu 1) und 3) erhobenen Ansprüche sind nach der –
neben der Subjektionstheorie stehenden – Sonderrechtstheorie ebenfalls als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren. Nach
der Sonderrechtstheorie ist entscheidend, ob die Rechtsnormen, denen der Sachverhalt unterworfen ist, für jedermann
gelten, oder ob es sich um Sonderrechte des Staates handelt oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben (Wolff-
Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 22; BSG SozR, Nr. 61 zu § 51 SGG). Im vorliegenden Fall sind alle Beklagten,
auch die Beklagten zu 1) und 2), als Träger öffentlicher Aufgaben angesprochen, nämlich hinsichtlich der Erteilung
von Ermächtigungen zur Vornahme bestimmter Vorsorgeuntersuchungen. Die Vorschriften der RVO und des ASiG
sowie die Unfallverhütungsvorschriften, die hier im Streit stehen, gehören zum öffentlichen Recht der
Sozialversicherung und damit zu einem besonderen Rechtsgebiet, das nicht für jedermann gilt. – Nach alledem liegt
insgesamt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, für die der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist.
Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht die Klageanträge zu 1 a), b) und c) und 3) als unzulässig abgewiesen.
Mit den Anträgen zu 1 a) und 1 b) begehrt der Kläger im Grunde nichts anderes als die Feststellung, daß § 2 Abs. 3
der VBG 123 und §§ 56, 50 der VBG 1 in einem bestimmten Sinne auszulegen sind; die Anträge zu 1 c) und 3)
betreffen die Feststellung der Unwirksamkeit oder Nichtigkeit dieser Vorschriften. Zutreffend hat der Kläger selbst die
Unfallverhütungsvorschriften als autonome Rechtsnormen (der einzelnen Berufsgenossenschaften, nicht des
Hauptverbandes – Beklagter zu 1) – oder des Landesverbandes – Beklagter zu 2) –) bezeichnet (vgl. Hessisches LSG
in Breithaupt 1970, 838 ff.; Lauterbach-Watermann, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 a zu § 708 RVO). Es handelt
sich bei ihnen um abstrakte Regelungen für eine Vielzahl von denkbaren Anwendungsfällen; ein bestimmter
Personenkreis wird durch sie nicht angesprochen. Damit zielen die Anträge des Klägers zu 1 a), b) und c) sowie 3)
allesamt auf unmittelbaren Rechtsschutz gegen die betreffenden Rechtsnormen ab. Im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren wird ein derartiges Begehren als abstrakte Normenkontrolle bezeichnet (vgl. § 47 der
Verwaltungsgerichtsordnung); im sozialgerichtlichen Verfahren gibt es diese Form des Rechtsschutzes jedoch nicht
(vgl. HLSG in Breithaupt 1970, 838; Peters-Sautter-Wolff, Komm, zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Anm. 7 b zu § 51
SGG; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Anm. 7 zu § 53 SGG; BSG SozR, Nr. 121 zu § 54 SGG). Da der
individuelle Rechtsschutz des Bürgers gegen den Staat im Sinne des Artikels 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) im
Bereich der durch die Sozialgerichtsbarkeit abgedeckten Rechtsgebiete (§ 51 SGG) in der Regel durch das im SGG
zur Verfügung gestellte Klagesystem (insbesondere Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage und Feststellungsklage;
§§ 54, 55 SGG) sichergestellt werden kann, bestehen gegen das Fehlen eines Normenkontrollverfahrens im SGG
keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch das Begehren des Klägers kann – vom Klagesystem her gesehen –
mit den ausdrücklich im SGG vorgesehenen Klagearten verfolgt werden. Dies zeigt schon der teilweise zulässige
Antrag zu 2) des Klägers, wenngleich auch dieser Antrag materiellrechtlich an anderen Umständen scheitert (s.
unten).
Die Anträge zu 1 a), b) und c) sowie 3) waren somit als unzulässig abzuweisen, denn die Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit können die begehrten Feststellungen über die Auslegung, Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der
betreffenden Rechtsnormen nicht aussprechen.
Bei dem Antrag zu 2) handelt es sich um eine sogenannte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im
Sinne des § 54 Abs. 1 SGG. Danach kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung
sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden.
Auch der Antrag zu 2) ist unzulässig, soweit er sich gegen die Beklagten zu 2), 3) und 4) richtet. Gegen den
Beklagten zu 2) ist der Antrag schon deshalb unzulässig, weil der Beklagte zu 2) nicht fähig ist, an einem
sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein. Nach dem insofern einschlägigen § 70 Nrn. 1 und 2 SGG sind nur
natürliche und juristische Personen und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen beteiligtenfähig. Der Beklagte zu 2)
stellt aber als Landesverband nur eine regionale Untergliederung des privatrechtlich organisierten Hauptverbandes dar
(vgl. § 11 Abs. 2 der Satzung des Beklagten zu 1)). Er ist von diesem gebildet worden und nimmt dessen Aufgaben
wahr; für den sachlichen und regionalen Zuständigkeitsbereich des Beklagten zu 2) vertritt dieser den Hauptverband
(Beklagter zu 1)) gerichtlich und außergerichtlich (vgl. § 11 Abs. 7 der Satzung des Hauptverbandes). Aus alledem
folgt, daß der Beklagte zu 2) als Teil des Beklagten zu 1) weder eine eigene juristische Person ist noch eine
nichtrechtsfähige Personenvereinigung.
Gegen die Beklagten zu 3) und 4) ist der Antrag zu 2) des Klägers unzulässig, weil diese Beklagten mit dem
Klagegegenstand vor Klageerhebung nicht befaßt waren. Das SGG geht wie die anderen öffentlich-rechtlichen
Verfahrensgesetze davon aus, daß sich die Verwaltung im Regelfall nach entsprechender Anrufung durch den Bürger
selbst kontrollieren kann. Deshalb ist nach § 78 Abs. 1 und 2 SGG vor Erhebung einer Anfechtungs- oder
Verpflichtungsklage die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes
beziehungsweise die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Macht schon
das Fehlen eines Vorverfahrens (Widerspruchsverfahrens) in der Regel eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage
unzulässig, so ist erst recht eine solche Klage unzulässig, wenn die beklagte Verwaltungsstelle noch überhaupt nicht
auf verwaltungsmäßiger Ebene angesprochen worden ist und demzufolge auch noch keinen Verwaltungsakt erlassen
(oder ablehnen) konnte. Zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 3) und 4) hat deshalb vor der mit Schriftsatz vom
6. August 1980 erfolgten Klageerweiterung noch keine Streitigkeit im Sinne des § 51 SGG bestanden, die erst die
Zulässigkeit des Rechtswegs eröffnet. Ohne jegliches vorheriges Verwaltungsverfahren fehlt es auch an einer
Beschwer des Klägers im Sinne des § 54 Abs. 1 und 2 SGG und damit ferner an einem Rechtsschutzbedürfnis. Die
Tatsache, daß sich eine beklagte Verwaltungsstelle, die sich vorher mit der Sache noch nicht befaßt hat, im
gerichtlichen Verfahren auf das Begehren des Klägers in ablehnendem Sinne einläßt, rechtfertigt noch nicht die
Zulässigkeit der Klage aus prozeßökonomischen Gründen. Denn die Gerichte dürfen in den öffentlich-rechtlichen
Rechtsgebieten grundsätzlich erst dann in Anspruch genommen werden, wenn jemand in seinen Rechten verletzt ist
oder zumindest eine solche Verletzung droht. Die Verzichtbarkeit einer Verwaltungsentscheidung wird deshalb in
Rechtsprechung und Literatur vorwiegend auch nur hinsichtlich des in Ausnahmefällen verzichtbaren
Widerspruchsbescheides erörtert, nicht jedoch im Hinblick auf das dem Vorverfahren vorausgehende
Verwaltungsverfahren und den dieses Verfahren abschließenden Verwaltungsakt. Die Beklagten zu 3) und 4) waren –
wie die 32 anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften, die hier nicht verklagt werden – an dem vorgerichtlichen
Verfahren überhaupt nicht beteiligt.
Der Antrag zu 2) ist demnach nur zulässig, soweit er sich gegen den Beklagten zu 1) richtet. Insofern sind auch die
besonderen Prozeßvoraussetzungen für die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegeben. Zunächst
setzt eine solche. Klage das Vorliegen eines Verwaltungsaktes voraus. Nach § 31 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB 10) ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme,
die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare
Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Das angefochtene Schreiben vom 8. März 1979 war eine Maßnahme auf
dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalles mit beabsichtigter Rechtswirkung nach außen.
Denn damit sollte der Antrag des Klägers auf Erteilung einer Ermächtigung zur Vornahme arbeitsmedizinischer und
arbeitspsychologischer Vorsorgeuntersuchung abgelehnt werden. Allerdings handelt es sich bei dem Beklagten zu 1)
nicht um eine Behörde im engeren Sinne. Nach § 1 Abs. 2 SGB 10 ist Behörde im Sinne dieses Gesetzbuchs jede
Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Ob der Beklagte zu 1) befugt war, im vorliegenden Fall
Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, und ob er tatsächlich solche Aufgaben wahrgenommen hat,
kann für die Prüfung der Zulässigkeit der Klage dahingestellt bleiben. Denn für die Zulässigkeit der Klage vor den
Sozialgerichten genügt es, wenn eine Stelle, die auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts tätig ist, den
Rechtsschein setzt, daß sie bestimmte Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Der Beklagte zu 1) nimmt
teilweise Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und erläßt trotz seiner privatrechtlichen Organisationsform in
bestimmten Fällen auch Verwaltungsakte (vgl. das Beispiel in BSGE 43, 282, 283). Im vorliegenden Fall hat er
gegenüber dem Kläger jedenfalls den Anschein erweckt, als sei er zuständig für die begehrte Erteilung von
Ermächtigungen zur Vornahme von Vorsorgeuntersuchungen. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Schreiben des
Beklagten zu 1) vom 11. April 1979, wonach er das Schreiben vom 8. März 1979 selbst als Verwaltungsakt qualifiziert
(" teilen wir mit, daß wir der Annahme eines Verwaltungsakts zuneigen.”). Wer in dieser Weise wie eine Behörde
auftritt, muß sich auf eine Klage hin auch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens der Überprüfung seines Handelns
unterziehen. Der Rechtsschutz des Klägers bliebe unvollkommen, wenn das als Verwaltungsakt bezeichnete
Schreiben, das zudem von allen gewerblichen Berufsgenossenschaften beachtet werden würde, nicht auf seine
Rechtmäßigkeit hin überprüft werden könnte.
Die Klagefrist ist auch gewahrt. Das Schreiben vom 8. März 1979 enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung. Deshalb gilt
nicht die Klagefrist des § 87 SGG, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG, die mit der Klageerhebung am 11.
März 1980 eingehalten ist. Dabei ist die normale Postzustellungsfrist (vgl. § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes)
von drei Tagen berücksichtigt.
Eines Vorverfahrens nach § 78 SGG, das auch während des gerichtlichen Verfahrens noch hätte nachgeholt werden
können, bedurfte es unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht, weil der Beklagte zu 1) – wie
noch ausgeführt werden wird – für die Durchführung des hier angestrebten Verwaltungsverfahrens nicht zuständig ist.
Beim Beklagten zu 1) gibt es im übrigen keine Widerspruchsstelle, so daß auch ein Widerspruch
höchstwahrscheinlich keine andere Entscheidung herbeiführen könnte.
Nach alledem ist die Klage nur insofern zulässig, als mit ihr der Antrag zu 2) gegen den Beklagten zu 1) verfolgt wird.
Sie ist auch begründet, soweit der Kläger die Aufhebung des als Verwaltungsakt bezeichneten Schreibens vom 8.
März 1979 begehrt. Für die verwaltungsmäßige Entscheidung über die vom Kläger gestellten Anträge war der
Beklagte zu 1) – das räumt er selbst ein – nicht zuständig. Weder die RVO, noch das ASiG, noch die
Unfallverhütungsvorschriften der einzelnen Berufsgenossenschaften enthalten Vorschriften, die eine Zuständigkeit
des Beklagten zu 1) zum Erlaß von Verwaltungsakten in diesem Bereich begründen. Der Beklagte zu 1) konnte somit
nicht als "Behörde” im Sinne des § 31 SGB 10 handeln; ein "echter” Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB 10 liegt
folglich nicht vor. Im Rahmen der Erörterung zur Zulässigkeit der Klage wurde jedoch bereits darauf hingewiesen, daß
von dem Schreiben vom 8. März 1979 gleichwohl der Rechtsschein eines Verwaltungsaktes ausgeht: ein Antrag des
Klägers wurde damit endgültig erledigt, diese Erledigung erfolgte von einer Organisation, die in der gesetzlichen
Unfallversicherung trotz ihres privatrechtlichen Charakters eine richtungweisende Stellung einnimmt, schließlich wurde
in einem ergänzenden Schreiben das Vorliegen eines Verwaltungsaktes "angenommen”. Hinsichtlich der
Auswirkungen einer in dieser Form geäußerten "Rechtsansicht” dürfen die tatsächlichen Gegebenheiten nicht außer
Betracht bleiben: jede gewerbliche Berufsgenossenschaft hätte voraussichtlich das umstrittene Schreiben beachtet
und befolgt. Der Kläger hat deshalb ein berechtigtes Interesse daran, daß der ihn belastende, von einer unzuständigen
Stelle stammende Bescheid beseitigt wird. Allerdings bewirkt die Unzuständigkeit des Beklagten zu 1) nur die
Rechtswidrigkeit und nicht auch die Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides. Denn nach § 40 Abs. 1 SGB 10 ist
ein Verwaltungsakt nur dann nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet – dieses Merkmal
könnte noch bejaht werden – und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig
ist – an dieser Offenkundigkeit fehlt es hier. Ein mit dem Sozialrecht nicht besondere vertrauter Bürger durfte vielmehr
annehmen, der Beklagte zu 1) als Dachverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften sei zuständig, denn er hat
sich wie eine zuständige Stelle aufgeführt.
Wenn nach § 40 Abs. 5 SGB 10 und § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG die Nichtigkeit eines offenkundig fehlerhaften
Verwaltungsaktes jederzeit festgestellt werden kann, muß erst recht die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes,
dessen Fehlerhaftigkeit nicht offenkundig ist, festgestellt werden können. Dies geschieht in aller Regel im Rahmen der
Aufhebung des betreffenden Verwaltungsaktes. Liegt ein "echter” Verwaltungsakt nicht vor, weil er nicht von einer
Behörde erlassen worden ist, muß in gleicher Weise diese Rechtswidrigkeit durch eine "Aufhebung” im Sinne der §§
54, 131 SGG beseitigt werden können. Diese Vorschriften können daher für den im Gesetz nicht geregelten Fall, daß
ein Verwaltungsakt nicht vorliegt, aber ein entsprechender Rechtsschein gesetzt wurde, analog angewandt werden.
Insoweit war das Urteil der ersten Instanz entsprechend abzuändern.
Hingegen kann der Beklagte zu 1) wegen seiner Unzuständigkeit nicht dazu verurteilt werden, dem Kläger die
begehrte Ermächtigung zu erteilen. Die Verpflichtungsklage, die neben der auf Aufhebung des Bescheides gerichteten
Anfechtungsklage in dem Antrag zu 2) mit enthalten ist, war schon deshalb als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG; die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision folgt aus
§ 160 SGG.