Urteil des LSG Hessen vom 21.06.2007

LSG Hes: gleichheit im unrecht, chemotherapie, verfügung, stadt, empfehlung, krankenversicherung, versorgung, wirtschaftlichkeit, onkologie, mammakarzinom

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.06.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 30 KR 1175/03
Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 119/05
Bundessozialgericht B 1 KR 23/07 R
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. März 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine laserinduzierte interstitielle Thermotherapie (LITT).
Bei der 1951 geborenen Klägerin wurde 2002 ein primär hepatisch (in die Leber) metastasierendes Mama-Karzinom
links festgestellt. Dieser Tumor wurde am 15. Juli 2002 in der Frauenklinik der Städtischen Klinik in H.-Stadt operativ
entfernt. Im Anschluss daran (zwischen August und November 2002) erfolgten weitere stationäre Aufenthalte der
Klägerin in der Universitätsklinik A-Stadt, bei denen eine intraarterielle Chemoembolisation der Lebermetastasen
durchgeführt wurde.
Am 21. November 2002 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten eine von ihr beabsichtigten LITT zur
Zerstörung der Lebermetastasen unter Vorlage einer befürwortenden ärztlichen Bescheinigung des Direktors des
Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums A-Stadt Prof. Dr. C ... Die
Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 22. November 2002 ab und wies den Widerspruch der Klägerin vom 3.
Dezember 2002 mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2003 zurück. Die beantragte LITT habe bisher keinen
Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden. Nach einem Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung (MDK) sei die Wirksamkeit der LITT bisher nicht nachgewiesen.
Die Klägerin hat am 1. April 2003 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und die Erstattung der Kosten
der vom 10. bis 12. Dezember 2002 durch Prof. Dr. C. ambulant durchgeführten LITT-Behandlung in Höhe von
4.752,93 EUR begehrt. Sie hat geltend gemacht, die LITT sei die einzige Behandlungsmöglichkeit gewesen. Es
handele sich nicht um irgendeine Außenseitermethode, sondern um ein inzwischen von vielen Hochschulen und
Kliniken durchgeführtes Verfahren, das mit großem Erfolg angewandt werde. Die Nichtanerkennung dieser Methode
durch den Gemeinsamen Bundesausschuss stelle ein Systemversagen dar.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 21. März 2005 die Klage abgewiesen. Nach § 135 Abs. 1 Satz 1
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) dürften neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der
vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss der
Ärzte und Krankenkassen in entsprechenden Richtlinien eine Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen
und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch
im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden – nach dem jeweiligen Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse der jeweiligen Therapierichtung abgegeben habe. Eine solche positive Empfehlung
durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen liege in Bezug auf die LITT nicht vor. Im Falle einer
solchen fehlenden positiven Empfehlung komme ein Kostenerstattungsanspruch nur im Fall des "Systemversagens"
in Betracht, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode darauf
zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung
notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden sei. Nur
ausnahmsweise, wenn ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlaufs der Erkrankung oder wegen
unzureichender wissenschaftlicher Kenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stoße, dürfe darauf abgestellt werden,
ob sich die neue Behandlungsmethode in der medizinischen Praxis durchgesetzt habe. Hierzu werden vorausgesetzt,
dass die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken belegt
sei. Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand sei die LITT ein experimentelles Verfahren, dass
ausschließlich im Rahmen kontrollierter, prospektiver Studien eingesetzt werden solle. Das ergebe sich aus einem
Bericht der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vom 18. Januar 2002. Der Hinweis der
Klägerin, die bei ihr durchgeführte LITT sei erfolgreich gewesen, seit demgegenüber nicht beachtlich, weil es nicht auf
die Wirksamkeit der Methode im Einzelfall, sondern auf den Nachweis ihrer generellen Wirksamkeit ankomme
(Hinweis auf BSG, Urteil vom 19. Februar 2002, B 1 KR 16/00 R). Auf die Praxis anderer Krankenkassen, die nach
dem Vortrag der Klägerin die Kosten für eine LITT im Rahmen von Einzelfallentscheidungen übernommen hätten,
könne sich die Klägerin nicht berufen, da es keine "Gleichheit im Unrecht" gebe.
Gegen das am 15. Juni 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. Juli 2005 Berufung eingelegt.
Die Klägerin meint, das Sozialgericht verneine zu Unrecht ein sogenanntes Systemversagen. Die Behandlung habe
sich seit Jahren durchgesetzt. Bei ihr sei die LITT auch die einzige in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeit
gewesen, da schulmedizinische Behandlungen ausgeschöpft gewesen seien. Zwar sei theoretisch eine systemische
Chemotherapie in Betracht gekommen, jedoch habe der Direktor der Frauenklinik der Städtischen Kliniken A-Stadt
Prof. Dr. D. in einer Stellungnahme vom 25. November 2002 darauf hingewiesen, dass Plattenephitelkarzinome nur
äußerst eingeschränkt auf eine Chemotherapie ansprächen. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98) seien die Krankenkassen bei schweren Erkrankungen, für die es eine
schulmedizinische Behandlung nicht gebe, zur Übernahme der Behandlungskosten auch für sogenannte
Außenseitermethoden verpflichtet. Auf eine Behandlungsmethode wie die systemische Chemotherapie, deren
Stellenwert als medizinischer Standard bei ihrer Erkrankung auch nach den Feststellungen des MDK nicht gesichert
sei, brauche sie sich in einem solchen Fall nicht verweisen zu lassen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. März 2005 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 22. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2003 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten der LITTBehandlung in Höhe von 4.752,93 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass der Gemeinsame Bundesausschuss am 18. Oktober 2005 beschlossen habe, die LITT in
die Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinie) als
Behandlung aufzunehmen, die nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden
dürfe. Wie sich aus einem Grundsatzgutachten des MDK vom 5. Februar 2003 ergebe, fehle es dem Verfahren am
notwendigen Wirksamkeitsnachweis. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005
ergebe sich für den Fall der Klägerin nichts anderes, weil die dort genannten Voraussetzungen für eine
Kostenübernahme bei alternativen Behandlungsmethoden nicht erfüllt seien. Bei der Klägerin hätten
schulmedizinische Behandlungsmöglichkeiten, z.B. eine Chemotherapie, bestanden. Ein weiterer wesentlicher
Gesichtspunkt sei, dass die LITT nach den Feststellungen des Gemeinsamen Bundesausschuss erhebliche Risiken
für die Patienten mit sich bringe, schwerwiegende bis hin zu tödlichen Komplikationen zu erleiden. Jedenfalls in den
Fällen, in denen eine aus dem Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossene alternative
Behandlungsmethode schwerwiegende Risiken für die Patienten mit sich bringen, müsse es bei der Schutzfunktion
der Prüfung und Entscheidung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss endgültig verbleiben.
Auf entsprechende Aufforderung des Senats hat die Beklagte eine Stellungnahme des MDK zu der Frage eingeholt,
ob bei der Klägerin eine lebensbedrohliche Erkrankung vorlag und ob die vertragsärztlichen Behandlungsmöglichkeiten
zum Zeitpunkt der Durchführung der LITT ausgeschöpft waren. Der MDK N. - Kompetenzzentrum Onkologie – hat
hierauf unter dem 15. März 2007 ein Gutachten vorgelegt, welches zu dem Ergebnis kommt, dass bei der Klägerin
zwar eine lebensbedrohliche Erkrankung vorgelegen habe, die vertragsärztlichen Behandlungsmöglichkeiten jedoch
nicht ausgeschöpft gewesen seien. Der Klägerin habe die ihr von Prof. Dr. D. (Städtische Kliniken A-Stadt) im
September 2002 angebotene systemische Chemotherapie zur Verfügung gestanden. Es könne davon ausgegangen
werden, dass diese Therapie auch nach der Durchführung der intraarteriellen Chemoembolisationen grundsätzlich
möglich gewesen sei. Die von Prof. C. als neue Behandlungsmethode eingesetzte LITT sei aufgrund fehlender
evidenzbasierter Grundlagen und aufgrund der Voraussetzungen im Hinblick auf die Patientensicherheit als nicht
vertretbar anzusehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main
vom 21. März 2005 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die im
Dezember 2002 durchgeführte LITT. Denn die Voraussetzungen eines derartigen Kostenerstattungsanspruchs nach §
13 Abs. 3 Satz 1 SGB V liegen, wie das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat, nicht vor.
Bei der LITT handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz
1 SGB V, für welche die gesetzlichen Krankenkassen nur dann leistungspflichtig sind, wenn der Gemeinsame
Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den
diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Denn diese Richtlinien sind nicht nur für die
zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer von Bedeutung, sondern legen auch den Umfang
der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich fest
(Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 7. November 2006, B 1 KR 24/06 R m.w.N. – ständige Rechtsprechung –).
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005, auf den die Klägerin zur Begründung
ihrer Berufung hinweist, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Wie das BSG (a.a.O.) darlegt, ist es auch unter
Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche
Krankenversicherung den Versicherten Leistungen (nur) nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs und nur
unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellt. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von
Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit
verfügbar ist. Auch ist es dem Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen verwehrt, zur Sicherung der Qualität der
Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der
Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit ein Verfahren vorzusehen, in dem neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen
sowie ihre medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um die Anwendung dieser Methode zu Lasten der Krankenkassen auf
eine fachlich-medizinisch zuverlässige Grundlage zu stellen. Ebenso wenig ergeben sich aus der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts ernsthafte Zweifel an der hinreichenden demokratischen Legitimation des Gemeinsamen
Bundesausschusses zum Erlass derartiger normkonkretisierender untergesetzlicher Richtlinien, welche den
Behandlungsanspruch der Versicherten in Bezug auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden konkretisieren.
Bei der LITT handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode im Sinne von § 92 Abs. 2 i.m. § 135 SGB V, die
ambulant nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen ist, wenn bereits zum Zeitpunkt der
Behandlung eine positive Empfehlung des Bundesausschusses vorliegt. Das ist nicht der Fall. Im Dezember 2002
lagen weder eine solche Stellungnahme des Bundesausschusses vor noch war die Methode sonst in der
medizinischen Wissenschaft allgemein als wirksam anerkannt (BSG, a.a.O.). Ebenso wenig sind bei der Klägerin die
Voraussetzungen erfüllt, bei denen der Kostenerstattungsanspruch sich aus den Grundsätzen des sogenannten
Systemversagens ergibt; denn das Verfahren vor dem Bundesausschuss ist antragsabhängig und in Bezug auf die
LITT wurde ein entsprechender Antrag beim Bundesausschuss erstmals im März 2004 gestellt. Es gibt keine
Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung in Bezug auf die LITT hintertrieben, verhindert oder in einer den
Krankenkassen oder dem Bundesausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte
(BSG, a.a.O.).
Ein Kostenstellungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts, wonach in Fällen einer notstandsähnlichen (Krankheits-)Situation ausnahmsweise ein
Anspruch bestehen kann, neue ärztlicher Behandlungsmethoden zur Verfügung gestellt zu bekommen, die der
zuständige Gemeinsame Bundesausschuss noch nicht anerkannt hat. Hierfür müssen nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und der dies konkretisierenden Rechtsprechung des BSG drei Voraussetzungen
kumulativ erfüllt sein:
- Es muss sich um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufene Erkrankung handeln; - eine allgemein
anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung steht nicht zur Verfügung; - bezüglich der beim
Versicherten ärztlich angewandten Behandlungsmethode muss ferner eine auf Indizien gestützte, nicht ganz
fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigsten auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
bestehen (BSG, a.a.O., Rdnr. 21).
Im Fall der Klägerin lag zwar eine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Die vertragsärztlichen
Behandlungsmöglichkeiten waren jedoch, wie das Kompetenzzentrum Onkologie des MDK N. in seinem Gutachten
vom 15. März 2007 darlegt, im Zeitpunkt der Durchführung der LITT nicht ausgeschöpft. Vielmehr stand zum
damaligen Zeitpunkt die – der Klägerin von der Frauenklinik der Städtischen Kliniken A-Stadt auch angebotene –
systemische Chemotherapie als vertragsärztliche Leistung zur Verfügung. Wie Dr. Z./Prof. Dr. H. darlegen, lassen
sich aus den vorliegenden Behandlungsunterlagen keine Gründe entnehmen, die auch nach Durchführung der
intraarteriellen Chemoembolisationen einer systemischen Chemotherapie entgegengestanden hätten. Diese
therapeutische Möglichkeit sah auch der behandelnde Arzt Prof. Dr. D. in einem Arztbrief an die behandelnde Ärztin
der Klägerin vom 18. September 2002. Zwar sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf die
therapeutische Wirkung einer systemischen Chemotherapie bei dem seltenen Krankheitsbild eines
Plattenepithelkarzinoms, wie es bei der Klägerin vorlag, gering und gründen sich lediglich auf wissenschaftliche
Erkenntnisse aus Einzelfallberichten und systematischen Auswertungen von Patientinnendaten, so dass der
Stellenwert systemischer Chemotherapien bei dieser Erkrankung nicht als Standard abgesichert ist. Jedoch weisen
nach den Ausführungen von Dr. Z./Prof. Dr. H. die vorliegenden Erkenntnisse darauf hin, dass in geprüften und
geeigneten Einzelfällen mit potentiell aggressiven Verläufen systemische Chemotherapien indiziert sein können.
Demgegenüber ist der Stellenwert von lokal ablativen Methoden – wie der LITT – zur Behandlung von
Lebermetastasen weder in diesen Einzelfällen berichtet noch in anderen systematischen Studienprüfungen zur
Behandlung des Leberkarzinoms evaluiert.
Vor diesem wissenschaftlichen Hintergrund sind die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme der LITT aber auch
unter Beachtung der Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art.2 Abs.1 Grundgesetz (GG) nicht erfüllt. Auch
wenn die systemische Chemotherapie aufgrund der Seltenheit des bei der Klägerin vorliegenden Krankheitsbildes und
dem damit verbundenen Fehlen von prospektiv geprüften aussagefähigen Studien keine als Standard anerkannte
Behandlungsmethode darstellt, so war sie doch eine in Betracht kommende und grundsätzlich indizierte
Behandlungsmethode, welche die Klägerin jedoch zugunsten der LITT-Behandlung abgelehnt hat. In Bezug auf diese
Behandlungsmethode gibt es nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. Z/Prof. Dr. H jedoch nicht einmal im
Ansatz Anhaltspunkte, dass der Einsatz einer LITT bevorzugt vor einer bzw. anstelle einer systemischen
Chemotherapie beim Mammakarzinom dem medizinischen Standard genügt oder Ansätze für eine nicht ganz fern
liegende Aussicht auf Erfolg verspricht (Seite 7 des Gutachtens). Auch unter Beachtung der Rechtsprechung des
BVerfG besteht zur Überzeugung des Senats jedoch keine Kostenübernahmepflicht für alternative
Behandlungsmethoden, deren therapeutischer Nutzen noch weniger valide belegt ist als der einer ansonsten in
Betracht kommenden schulmedizinischen Behandlungsmethode. Dann kann aber die Kostenübernahme für eine neue,
bisher weitgehend unerforschte Behandlungsmethode nicht mit dem Argument verlangt werden, auch die
schulmedizinische Behandlungsmethode habe nach strengen wissenschaftlichen Kriterien (im Sinne evidenzbasierter
Medizin) den Wirksamkeitsnachweis bisher nicht erbracht. Die für die Leistungspflicht der Krankenkassen in Bezug
auf neue Behandlungsmethoden formulierte Voraussetzung, dass "eine allgemein anerkannte, medizinischem
Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht", ist also nicht bereits dann erfüllt, wenn auch in
Bezug auf eine in Betracht kommende Standardtherapie kein vollständiger Wirksamkeitsnachweis vorliegt, sondern
erst dann, wenn die neue Behandlungsmethode das letzte seriös in Betracht kommende Mittel ist (dahingehend auch
BSG a.a.O., Amtlicher Umdruck Seite 12). Das war vorliegend nicht der Fall.
Angesichts dessen bedarf es nicht mehr der Feststellung, ob die LITT den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend
durchgeführt und ausreichend dokumentiert worden ist (BSG, a.a.O., Rdnr. 34), woran angesichts der Ausführungen
von Dr. Z./ Prof. Dr. H. (Seite 10 unten des Gutachtens) erhebliche Zweifel angebracht sind. Denn wie dort ausgeführt
ist die systematische Erprobung neuer Behandlungsmethoden, wie hier die Behandlung von Lebermetastasen beim
Mammakarzinom mittels LITT, an eine von einer Ethikkommission genehmigtes Prüfprotokoll, den Abschluss einer
Probandenversicherung und das ausdrückliche Einverständnis der Patienten zur Teilnahme an der Studie nach
entsprechender Aufklärung gebunden, wovon im Fall der LITT-Behandlung durch Prof. Dr. C. nicht auszugehen ist.
Ebenso wenig bedarf es einer weiteren Aufklärung der Frage, ob die Klägerin wegen einer möglichen mangelhaften
Aufklärung durch den behandelnden Arzt überhaupt einem Vergütungsanspruch ausgesetzt ist (BSG, a.a.O., Rdnr.
35).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage, ob bei lebensbedrohlichen Erkrankungen neue
Behandlungsmethoden bereits dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen fallen, wenn eine
schulmedizinische Behandlungsmethode zwar zur Verfügung steht, deren Wirksamkeit jedoch (ebenfalls) nicht
evidenzbasiert nachgewiesen ist, grundsätzliche Bedeutung beimisst.