Urteil des LSG Hessen vom 30.11.2006

LSG Hes: verzug, öffentlich, krankenversicherung, anwaltskosten, leistungserbringer, ausschluss, wirtschaftlichkeit, verzinsung, begriff, vertragserfüllung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.11.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 12 KR 1696/04
Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 175/05
Bundessozialgericht B 3 KR 1/07 R
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. August 2005 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 511,33 EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin Anwaltskosten als Verzugsschaden zu erstatten sind.
Die Klägerin betreibt ein zur gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenes Krankenhaus, in dem der bei der
Beklagten versicherte R. in der Zeit vom 17. August bis 23. September 2002 stationär behandelt wurde. Die Klägerin
stellte der Beklagten hierfür am 4. Oktober 2002 insgesamt 12.426,29 EUR in Rechnung. Mit Schreiben vom 18.
November 2002 teilte die Beklagte mit, die Kosten seien bislang nur bis zum 23. August 2002 zugesagt, weshalb
lediglich 1.130,00 EUR gezahlt würden. Hierauf forderte die Klägerin mit Schreiben vom 22. November 2002 die
Beklagte zur Begleichung der Restforderung auf und setzt eine Frist bis zum 16. Dezember 2002. Mit anwaltlichem
Schreiben vom 6. Februar 2003 wurde diese Forderung wiederholt. Am 8. April 2003 beglich die Beklagte hierauf die
Rechnung vollständig.
Mit Schreiben vom 29. April 2003 forderte die Klägerin von der Beklagten die Begleichung ihrer Rechtsanwaltskosten
in Höhe von insgesamt 511,33 EUR als Verzugsschaden. Nachdem eine Zahlung der Beklagten nicht erfolgte, hat die
Klägerin am 16. Oktober 2004 Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. August 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aus dem öffentlich-
rechtlichen Vertragsrecht, welches die Grundlage der Rechtsbeziehungen der Beteiligten bilde, ergebe sich keine
Anspruchsgrundlage. § 10 Abs. 5 des Hessischen Vertrags über die allgemeinen Bedingungen der
Krankenhausbehandlung vom 31. Mai 2002 sehe lediglich Verzugszinsen entsprechend § 288 Abs. 1 BGB vor, was
im Umkehrschluss bedeute, dass die Vertragsparteien die übrigen BGB-Regelungen zum Verzugsschaden nicht
entsprechend angewandt wissen wollten. Die Regelungen des BGB seien nicht voraussetzungslos auf öffentlich-
rechtliche Vertragsverhältnisse übertragbar, vielmehr stelle § 69 SGB V klar, dass die Rechtsbeziehungen zwischen
Krankenkassen und Leistungserbringern zunächst einmal dem öffentlich-rechtlichen Recht zuzuordnen seien. Die
ergänzende Heranziehung der BGB-Vorschriften setzte gemäß § 69 Satz 3 SGB V voraus, dass solches mit den
Vorgaben des SGB V vereinbar sei. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass § 112 SGB V die Entgeltabrechnung im
Bereich der Krankenhausbehandlung ausdrücklich der Regelungsmacht der Vertragsparteien zuweise. Ein Unterlaufen
der speziellen Vorschriften des SGB V durch eine großzügige Anwendung der BGB-Regelungen sei abzulehnen.
Gegen den ihr am 17. August 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. September 2005 Berufung
eingelegt.
Die Klägerin meint, die Beklagte habe sich eindeutig mit der Zahlung der Krankenhausbehandlungskosten in Verzug
befunden. Durch ihr Verhalten habe sie die Beauftragung von Rechtsanwälten zur Beitreibung der offenstehenden
Kosten veranlasst. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ergebe sich gerade aus der Vorschrift des § 10 Abs.
5 des Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung, dass auch eine entsprechende
Anwendung der Verzugsregelungen gewollt sei. Die Auffassung des Sozialgerichts führe dazu, dass es den
Krankenhäusern bei solchen Fallgestaltungen nicht ermöglicht werde, die offenstehende Forderung in der im
allgemeinen Rechtsverkehr üblichen Weise durch außergerichtliches anwaltliches Tätigwerden geltend zu machen.
Dabei liege ein solches Verfahren im Interesse aller Beteiligten, weil es die kostenaufwändige Inanspruchnahme der
Gerichte verhindere.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. August 2005 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, an sie 511,33 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Die Vorschrift des § 69 SGB V enthalte eine
abschließende Regelung über die Beziehungen der gesetzlichen Krankenkassen zu ihren Leistungserbringern. Für
eine ergänzende Heranziehung des BGB sei daher kein Raum. Das gelte insbesondere, sofern Schadensersatz
wegen Verzugs geltend gemacht werden solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich
mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten über die Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124
Abs. 2 SGG).
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nicht
zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten als Verzugsschaden,
obwohl sich die Beklagte im Zeitpunkt der Begleichung der restlichen Krankenhausbehandlungskosten im April 2003 –
was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – im Verzug befand. Denn für die Erstattung solcher Verzugsschäden fehlt
es an einer Anspruchsgrundlage.
Ein unmittelbar auf §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB gestützter Anspruch der Klägerin scheidet aus. Denn die
Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu allen zugelassenen Leistungserbringern richten sich für die Zeit ab dem
Jahr 2000 gemäß § 69 SGB V in der durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl.
I 2226) geltenden Fassung ausschließlich nach öffentlichem Recht. Dies gilt unabhängig davon, ob die
Rechtsbeziehungen zu den einzelnen Gruppen der Leistungserbringer bis dahin als öffentlich-rechtlich oder
zivilrechtlich angesehen wurden (BSG, Urteil vom 23. März 2006, B 3 KR 6/05 R).
Der Anspruch der Klägerin lässt sich auch nicht auf eine analoge Anwendung des § 286 Abs. 1 BGB i.V.m. § 61 Satz
2 SGB V stützen. Gemäß § 69 Satz 2 SGB V werden die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände
zu den Krankenhäusern und ihren Verbänden abschließend im Vierten Kapitel, in den §§ 63, 64 und in dem
Krankenhausfinanzierungsgesetz, dem Krankenhausentgeltgesetz sowie den hiernach erlassenen
Rechtsverordnungen geregelt. Für diese Rechtsbeziehungen gelten im Übrigen die Vorschriften des Bürgerlichen
Gesetzbuches entsprechend, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der
Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind (Satz 3).
Zu der Vorschrift des § 61 Satz 2 SGB X hat der 2. Senat des BSG in einer früheren Entscheidung entschieden, dass
der Verweis auf die Vorschriften des BGB grundsätzlich uneingeschränkt ist, also auch die Geltendmachung von
Anwaltskosten als Verzugsschaden grundsätzlich zulässt (SozR 3-1300 § 61 Nr. 1). Die Geltendmachung eines
Verzugsschadens ist auch – entgegen dem Sozialgericht – durch die Beteiligten vertraglich nicht ausgeschlossen
worden. In § 10 Abs. 5 des Hessischen Vertrages über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung
vom 31. Mai 2002 heißt es lediglich, dass die Krankenkasse Verzugszinsen entsprechend § 288 Abs. 1 BGB
schuldet, wenn Zahlungen nicht innerhalb bestimmter Fristen bei dem Krankenhaus eingehen, wie es vorliegend der
Fall war. Aus dem bloßen Schweigen des Vertragstextes zu der Frage, ob auch andere Verzugsschäden
erstattungsfähig sind, kann jedoch ohne besondere Anhaltspunkte im Vertragswerk nicht darauf geschlossen werden,
dass damit die Geltendmachung derartiger Schäden durch die Vertragsparteien ausgeschlossen werden sollte.
Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Anwaltskosten im Fall des Verzugs ist jedoch durch eine
Systementscheidung des Gesetzgebers ausgeschlossen.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat es in der Vergangenheit stets ausgeschlossen, die
Verzugsvorschriften auf im Sozialversicherungsrecht begründete Zahlungsansprüche anzuwenden, soweit in
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften keine ausdrückliche gesetzliche Regelung darüber enthalten war (BSG,
Urteil vom 23. März 2006, a.a.O., m.w.N.). Zur Begründung ist auf die Solidarhaftung aller Versicherten, auf die
einseitig zu Lasten der Leistungsträger getroffenen Regelungen hinsichtlich der Gerichtsgebühren (§§ 183, 184
Sozialgerichtsgesetz – SGG – jeweils a.F.) sowie auf den Ausschluss der Erstattung außergerichtlicher Kosten an
den Leistungsträger selbst im Falle seines Obsiegens (§ 193 Abs. 4 SGG a.F.) verwiesen worden. Das galt auch im
Bereich des Krankenversicherungsrechts (BSG, Urteil vom 17. Januar 1996, BSGE 77, 219). Erst durch das Urteil
vom 23. März 2006 hat der 3. Senat des BSG diese Rechtsprechung insoweit aufgegeben, als für den Bereich der
Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken und nichtärztlichen
Leistungserbringern nunmehr die entsprechende Anwendung des § 291 BGB über die Pflicht zur Zahlung von
Prozesszinsen bejaht wird. Es hat dazu insbesondere auf die Neufassung des Kostenrechts im sozialgerichtlichen
Verfahren durch das 6. SGG-Änderungsgesetz vom 17. August 2001 abgestellt, welches seit 2. Januar 2002 das
bisherige sozialrechtliche Kostenrecht durch eine an die Verwaltungsgerichtsordnung angenäherte Regelung ersetzt
hat. Ergänzend hat das BSG die entsprechende Anwendung des § 291 BGB mit der wachsenden Bedeutung der
Wirtschaftlichkeit in der Leistungserbringung der gesetzlichen Krankenversicherung begründet, in der die
Leistungserbringer nach kaufmännischen Grundsätzen auf liquide Mittel angewiesen sind und wegen des
Wettbewerbsdrucks auf Zinsen nicht verzichten können.
Die hier dargelegte Rechtsentwicklung zeigt jedoch gleichzeitig die Grenzen der entsprechenden Anwendung der
Vorschriften des BGB über die Haftung im Fall des Verzugs auf. Denn die frühere Rechtsprechung des BSG hat
Ansprüche auf Erstattung von Verzugsschäden nach §§ 288, 286 BGB für den Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung immer abgelehnt (Urteil vom 17. Januar 1996, a.a.O., m.w.N.). Es hat dazu ausgeführt, die in §
61 Satz 2 SGB X vorgesehene entsprechende Anwendung der Vorschriften des BGB finde ihre Grenze an dem
objektivierten Willen des SGB, die Verzinsung abschließend zu regeln, und ermögliche deshalb den Rückgriff auf die
§§ 286, 288 und 291 BGB nicht (vgl. auch BSG, SozR 1300 § 61 Nr. 1).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund käme eine weitergehende Schadensersatzpflicht der Krankenkassen gegenüber
den Leistungserbringern aus Verzug nur in Betracht, wenn sich aus dem maßgebenden Spezialrecht eine
dahingehende gesetzgeberische Systementscheidung ergeben würde. Daran fehlt es aber. Für den Bereich der
Leistungserbringung durch die Krankenhäuser hat der Gesetz- und Verordnungsgeber Vertragsverletzungen der
Krankenkassen bei der Abrechnung erbrachter Leistungen zwar mit Sanktionen versehen. Diese Vorschriften (§ 11
Abs. 3 KHEntgG, § 17 Abs. 1 BPflV) beinhalten jedoch ausschließlich Regelungen über Verzugszinsen bei
verspäteter Zahlung. Weitergehende Schadensersatzansprüche bei Verzug sind hingegen gesetzlich bzw.
verordnungsrechtlich nicht vorgesehen. Hieraus muss jedoch geschlossen werden, dass der Gesetz- bzw.
Verordnungsgeber die Schadensersatzpflicht der Krankenkassen im Fall des Verzugs auf die Verzinsungspflicht
beschränken wollte. Denn die normativen Regelungen in § 11 Abs. 1 Satz 3 KHEntgG und in § 17 Abs. 1 Satz 3
BPflV sind erst entstanden, als die Rechtsprechung des BSG zum grundsätzlichen Ausschluss jeglicher auf Verzug
gründender Schadensersatzansprüche bereits Bestand hatte. Vor diesem Hintergrund hätte es nahegelegen, in den
genannten Vorschriften statt des Begriffs der "Verzugszinsen" den Begriff des Verzugsschadens zu gebrauchen,
wenn der Gesetzgeber die Absicht gehabt hätte, eine umfassende Einstandspflicht der Krankenkassen für den Fall
der verspäteten Vertragserfüllung zu schaffen. Insoweit muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetz- bzw.
Verordnungsgeber weitergehende Ersatzansprüche gerade nicht einräumen wollte.
Angesichts dieser Rechtslage kann es dahinstehen, ob in dem Abrechnungsverhältnis zwischen Krankenkassen und
Krankenhäusern angesichts der auf beiden Seiten vorhandenen Sachkunde die vorgerichtliche Einschaltung von
Rechtsanwälten auf Seiten der Krankenhäuser tatsächlich (im Sinne der Verzugsvorschriften) veranlasst und damit
ein liquidationsfähiger Schaden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.