Urteil des LSG Hessen vom 20.08.1980

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Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.08.1980 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 9 Kr 17/79
Hessisches Landessozialgericht L 8 Kr 1085/79
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 1979 sowie die
Bescheide der Beklagten vom 9. Januar 1979 und 25. Januar 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15. Februar 1979 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den bereits vereinnahmten Betrag von 3.571,16
DM wieder auszuzahlen und ab 1. Juli 1979 in Höhe von 1.785,58 DM und ab 1. August 1979 in Höhe von 3.571,16
DM mit 4 v.H. zu verzinsen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte vom Kläger nach dem Gesetz über die Fortzahlung des
Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle (LFZG) geleistete Erstattungsbeträge, in Höhe von 3.571,16 DM zurückfordern
kann.
Der Kläger ist Inhaber eines Unternehmens für Kanalreinigung und Grubenentleerung. Seit 16. Februar 1977 ist sein
Sohn, P. S. (S.) bei ihm als Kraftfahrer beschäftigt. Der Kläger meldete ihn mit Schreiben vom 18. Februar 1977 als
einzigen Arbeitnehmer bei der Beklagten an. Mit Bescheid vom 7. April 1977 und weiteren Bescheiden zu Beginn der
folgenden Kalenderjahre stellte die Beklagte fest, daß der Kläger am Lohnausgleichsverfahren nach § 1 Abs. 2 LFZG
teilnehme. Der Kläger beantragte für S. Erstattung nach § 10 Abs. 1 LFZG für nachfolgende Zeiten:
25.03. - 01.04. 1977 14.03. 1978 18.07. - 20.07. 1977 31.03. 1978 01.12. - 02.12. 1977 16.05. - 31.05. 1978 08.12. -
09.12. 1977 07.07. - 14.07. 1978 12.12. - 13.12. 1977 19.09. - 22.09. 1978 22.12. - 30.12. 1977 04.10. - 05.10. 1978
07.02. - 09.02. 1978 10.10. 1978 02.03. - 1978 16.10. - 20.10. 1978 08.03. 1978 26.10. - 27.10. 1978.
Gegen die Forderungen wurde mit den vom Kläger zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagebeträgen
nach § 14 LFZG aufgerechnet. Nur für die Zeit vom 25. März bis 1. April 1977 und 16. Oktober bis 21. Oktober 1978
lagen der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Wegen des Fehlens weiterer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der häufig nur für einzelne Tage beantragten Erstattung führte die Beklagte
am 1. Dezember 1978 und 9. Januar 1979 beim Kläger Betriebsprüfungen durch. Nachdem weitere
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht vorgelegt werden konnten, belastete sie das Beitragskonto des Klägers
durch Beitragsrechnung vom 9. Januar 1979 mit zuviel verrechneten Erstattungsbeträgen in Höhe von 3.571,16 DM
und forderte einen Betrag in dieser Höhe vom Kläger mit der Begründung zurück, daß für die Zeiten ohne ärztliche
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das Arbeitsentgelt nicht nach dem LFZG, sondern freiwillig fortgezahlt worden sei,
und deshalb ein Erstattungsanspruch nach § 10 LFZG nicht bestanden habe (Bescheid vom 25. Januar 1979;
Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1979).
Die am 22. Februar 1979 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main durch Urteil vom 1. Juni 1979
abgewiesen, weil der Erstattungsanspruch der Beklagten aus § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFZG begründet sei. Ohne Nachweis
der Arbeitsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung gemäß § 3 LFZG habe ein Anspruch des S. auf Fortzahlung
des Lohnes im Krankheitsfalle nach § 1 LFZG nicht bestanden. Die Verpflichtung zur Vorlage einer ärztlichen
Bescheinigung sei auch in jedem Falle der Arbeitsunfähigkeit und unabhängig von deren Dauer, also auch bei einer
Arbeitsunfähigkeit von unter drei Tagen, gegeben. Der Kläger habe dies als Arbeitgeber und Betriebsinhaber wissen
oder sich zumindest darüber informieren müssen.
Gegen das am 6. August 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 4. September 1979 Berufung eingelegt. Er räumt
ein, daß die Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegenüber dem Arbeitgeber auch bei
einer Arbeitsunfähigkeit von weniger als drei Tagen bestehe. Da § 3 LFZG ausschließlich den Interessen und dem
Schutz des Arbeitgebers diene, könne auf die Vorlage der Bescheinigung jedoch verzichtet werden. In seinem Falle
habe für einen solchen Verzicht auch ein sachgerechter Grund bestanden, da er sich als Vater aus eigener
Anschauung über die Krankheit des S., die in starken Kreislaufstörungen bestanden habe, habe informieren können
und nicht auf den Nachweis durch einen Arzt angewiesen gewesen sei. Die Nichtvorlage der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bringe den Lohnfortzahlungsanspruch nicht zum Erlöschen, sondern begründe
lediglich ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 Nr. 1 LFZG. An die Entscheidung des Arbeitgebers, von diesem
Leistungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch zu machen, sei die Ausgleichskasse gebunden. Außerdem habe es
nur eines einzigen Hinweises der Beklagten bedurft, daß sie einen solchen Nachweis verlange, und die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wären vorgelegt worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. Juni 1979 sowie die Bescheide der
Beklagten vom 9. und 25. Januar 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1979 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, ihm den bereits vereinnahmten Betrag von 3.571,16 DM auszuzahlen und im
gesetzlichen Umfang zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Anspruch des Arbeiters auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach
§ 1 LFZG und damit die Erstattungsberechtigung des Arbeitgebers nach § 10 Abs. 1 LFZG werde erst durch die
Vorlage der ärztlichen Bescheinigung ausgelöst. Die Vorschrift des § 5 LFZG berechtige den Arbeitgeber nicht, auf die
Vorlage der ärztlichen Bescheinigung gänzlich zu verzichten. Die Bindungswirkung für den Erstattungsanspruch nach
§ 10 LFZG trete demnach nur bei einem zeitweilig ausgeübten Leistungsverweigerungsrecht ein. Bei völligem Verzicht
auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde das Arbeitsentgelt hingegen auf freiwilliger Basis, nicht aber nach § 1
LFZG fortgezahlt. Eine andere Auslegung müsse dazu führen, daß Erstattungsbeträge auch dann zu zahlen seien,
wenn der Arbeiter nicht wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der Arbeit fern bleibe. Bei wiederholter
Arbeitsverhinderung ohne ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit habe die Ausgleichskasse ggf. Erstattungsbeträge
über die in § 1 LFZG vorgeschriebene Höchstdauer von sechs Wochen hinaus zu zahlen. Es bestehe nach dem
Gesetz auch keine Verpflichtung der Ausgleichskasse, den Arbeitgeber oder Arbeitnehmer auf die Nachweispflicht
des § 3 LFZG hinzuweisen. Beim Kläger habe dazu außerdem kein Anlaß bestanden, weil er versichert habe, daß das
Bruttoentgelt nach § 1 LFZG gezahlt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen
Akteninhalt, insbesondere auf den der Kassenakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) eingelegte und gemäß §§ 143, 144 Abs. 2
SGG statthafte Berufung ist zulässig.
Sie ist auch begründet. Das SG hat die zulässige Klage, für die der Rechtsweg zu den Gerichten der
Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist (§ 51 Abs. 3 SGG), zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf
Rückzahlung von Erstattungsbeträgen in Höhe von 3.571,16 DM. Die von ihr geltend gemachten Voraussetzungen der
allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFZG liegen nicht vor. Danach hat der Träger der
gesetzlichen Krankenversicherung Erstattungsbeträge zurückzuverlangen, soweit der Arbeitgeber diese gefordert hat,
obwohl er wußte oder wissen mußte, daß ein Anspruch nach § 1 oder § 7 nicht besteht. Eine Rückzahlung kommt
mithin nur dann und insoweit in Betracht, als die Erstattung zu Unrecht erfolgte. Die Erstattung für die streitigen
Zeiträume steht jedoch im Einklang mit dem Gesetz. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG hängt die
Berechtigung des Klägers auf Ausgleich seiner Aufwendungen nicht davon ab, daß ihm als Arbeitgeber die
Arbeitsunfähigkeit des S. durch ärztliche Bescheinigung gemäß § 3 Abs. 1 LFZG nachgewiesen wurde. § 10 LFZG,
der den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers regelt, ist dafür nichts zu entnehmen. Nach Abs. 1 der Vorschrift ist
Arbeitgebern, die in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen, 80 v.H. des für den in § 1 Abs. 1 und 2
und den in § 7 Abs. 1 bezeichneten Zeitraum an den Arbeiter fortgezahlten Arbeitsentgeltes und der darauf
entfallenden Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten. Gemäß § 10 Abs. 4 LFZG ist die Erstattung zu gewähren,
sobald der Arbeitgeber Arbeitsentgelt nach § 1 Abs. 1 und 2 oder § 7 Abs. 1 an den Arbeiter gezahlt hat. Im
schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit (zu Drucksache V/4285 I B zu § 10, S. 4) heißt es dazu, daß es für
den Anspruch auf Erstattung nur darauf ankomme, daß der Arbeitgeber an den erkrankten Arbeiter den Lohn
fortgezahlt hat, nicht aber auch darauf, daß die Arbeitsunfähigkeit nach Maßgabe des § 3 LFZG nachgewiesen worden
ist. Diese Vorstellung des Gesetzgebers, daß der Träger des Ausgleichsverfahrens den Erstattungsanspruch nicht
von der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit an den Arbeitgeber oder von der
Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes an den Träger der gesetzlichen
Krankenversicherung abhängig machen kann, hat durch die bloße Verweisung auf § 1 Abs. 1 und 2 in § 10 LFZG ohne
Einbeziehung des § 3 einen eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Niederschlag gefunden. Denn § 1 Abs. 1 und 2
LFZG bestimmt die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung,
zu denen der Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch ärztliche Bescheinigung nicht gehört. Nach § 1 Abs. 1 LFZG hat
der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber Anspruch auf Lohnfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er
nach Beginn der Beschäftigung "durch Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung” an seiner Arbeitsleistung verhindert ist.
Das von der Beklagten angenommene Erfordernis einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ist danach in § 1
Abs. 1 LFZG weder ausdrücklich noch durch Hinweis auf § 3 LFZG als Voraussetzung für den Anspruch des
Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung und damit aber nicht als Voraussetzung des Anspruchs
des Arbeitgebers auf Erstattung normiert (so auch Kehrmann-Pelikan, Komm. z. LFZG, 2. Aufl., 1973, Randnr. 9 zu §
10; Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. völlig neugestaltete und
erweiterte Aufl., Anm. III 1 b zu § 10; Becher, LFZG, 1971, Randnr. 13 zu § 10).
Für die Auffassung der Beklagten, daß Ansprüche des Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung und Ansprüche des
Arbeitgebers auf Erstattung erst durch die ärztliche Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ausgelöst
werden und ohne diese entfallen, findet sich auch in den übrigen Vorschriften des LFZG keine Stütze. Es ist nirgends
bestimmt bzw. definiert, daß krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 LFZG die ärztliche
bescheinigte Arbeitsunfähigkeit ist und auch nicht, daß sie allein durch eine solche Bescheinigung unter Beweis
gestellt werden kann. Die in § 3 Abs. 1 LFZG niedergelegte Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber vor
Ablauf des dritten Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über die
Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer einzureichen, kann nicht als materiell-rechtliche
Anspruchsvoraussetzung in die Vorschrift des § 1 Abs. 1 LFZG hineininterpretiert werden (so u.a. auch
Bundesarbeitsgericht – BAG – in AP Nr. 1 zu § 3 LFZG). § 3 Abs. 1 LFZG hat sowohl nach seinem Wortlaut wie auch
nach seinem Sinn und Zweck und den an die Verletzung der Nachweispflicht geknüpften Folgen bloßen
Ordnungscharakter und betrifft allein die Durchsetzung des nach § 1 Abs. 1 LFZG begründeten Anspruchs (vgl.
Kehrmann-Pelikan, a.a.O., Randnr. 1 zu § 3; Schmatz-Fischwasser, a.a.O., Anm. I zu § 3; Brill in WzS 1980, S. 69,
71). Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung soll eine frühzeitige und zuverlässige Information des Arbeitgebers über die
Tatsache und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ermöglichen, damit er die infolge des Fehlens des Arbeiters
notwendigen betrieblichen Anordnungen entsprechend dem Inhalt des Attestes treffen kann (vgl. Schmatz-
Fischwasser, a.a.O., Anm. I zu § 3; BAG in AP Nr. 1 zu § 3 LFZG). Demgemäß besteht die Nachweispflicht auch für
diejenigen Arbeiter, die keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung haben. Wird die Fortzahlung des Entgeltes verlangt, so
hat die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in bezug auf diesen Anspruch grundsätzlich nur die Funktion,
dem Arbeitgeber die Feststellung seiner Lohnfortzahlungspflicht und dem Arbeitnehmer den Beweis seiner –
anspruchsbegründenden – Behauptung zu erleichtern, durch Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 LFZG an der
Arbeitsleistung gehindert zu sein. Sie füllt hingegen weder für die Arbeitsvertragsparteien noch die Beklagte und die
Gerichte den Begriff der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 LFZG, der mit dem der
Reichsversicherungsordnung (RVO) identisch ist, verbindlich aus. Der Arbeitgeber kann z.B. Umstände darlegen und
beweisen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, so daß der Arbeitnehmer ggf.
versuchen muß, den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit auf andere Weise – durch Zeugen etc. – zu führen (vgl. BAG in
AP Nrn. 2 und 3 zu § 3 LFZG – Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 3. überarbeitete Auflage, 1977, S. 479). Insoweit gilt
im wesentlichen nichts anderes als im Krankenversicherungsrecht, wo der ärztlichen Bescheinigung für die
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gleichfalls nur die Bedeutung eines ärztlichen Gutachtens zukommt (vgl. Urteil des
Senats vom 9. Juli 1980 – L-8/Kr-1111/79 –). Anders als der Anspruch auf Krankengeld ist der Anspruch des
Arbeitnehmers auf Lohnfortzahlung hinsichtlich seines Beginns vom Gesetzgeber jedoch nicht von dem Zeitpunkt
ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit und damit auch nicht von der ärztlichen Feststellung und Bescheinigung als
solcher abhängig gemacht worden. Eine dem § 182 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) vergleichbare
Vorschrift enthält das Lohnfortzahlungsgesetz nicht. Entsprechend dem Charakter der Nachweispflicht des § 3 Abs. 1
LFZG als einer unselbständigen und vom Arbeitgeber auch nicht einklagbaren Nebenpflicht des Arbeitnehmers ist
dem Arbeitgeber in § 5 S. 1 Nr. 1 LFZG als "Sanktion” für eine verspätete oder gar nicht vorgelegte
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vielmehr nur ein Leistungsverweigerungsrecht eingeräumt, das schon begrifflich und
seinem Wesen nach das Bestehen eines Lohnfortzahlungsanspruchs des Arbeitnehmers voraussetzt: Der Arbeitgeber
ist (lediglich) berechtigt, die Fortzahlung des Entgelts zu verweigern, also die Durchsetzung des gegen ihn erhobenen
Anspruchs trotz materiell-rechtlich uneingeschränkt bestehender Verpflichtung zu hindern, solange der Arbeitnehmer
die von ihm vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht beibringt. Wenn der Arbeitnehmer die Verletzung der
Verpflichtung des § 3 LFZG nicht zu vertreten hat, hat der Arbeitgeber – trotz fehlender ärztlicher Bescheinigung –
kraft Gesetzes nicht einmal das Recht der Leistungsverweigerung (§ 5 S. 2 LFZG). Entsprechendes gilt nach dem
Grundsatz von Treu und Glauben, wenn der Arbeitgeber sich von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers aus
eigener Kenntnis offensichtlich überzeugt hat (Kehrmann-Pelikan, a.a.O., Randnr. 2 zu § 5; Schaub a.a.O., S. 479;
Landesarbeitsgericht – LAG – Frankfurt am Main in BB 1972, S. 838) oder auf den Nachweis der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 3 LFZG und damit zugleich auf das Leistungsverweigerungsrecht verzichtet
hat (Schmatz-Fischwasser, a.a.O., Anm. I zu § 3). Auch daraus wird deutlich, daß die Vorlage der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 LFZG keine anspruchsbegründende und allein
die Nichtvorlage der Bescheinigung keine anspruchsvernichtende Wirkung hat.
Welche nachteiligen Auswirkungen ein Verzicht des Arbeitgebers auf die Vorlage der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 3 Abs. 1 LFZG und auf ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 S. 1 Nr. 1
LFZG für den Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 LFZG und den davon abhängigen Erstattungsanspruch
des Arbeitgebers nach § 10 LFZG haben könnte, wird nach alledem ebenfalls nicht ersichtlich. Selbst wenn der
Arbeitgeber von einem ihm den Umständen nach tatsächlich zustehenden Leistungsverweigerungsrecht keinen
Gebrauch macht, kann kein Zweifel daran bestehen, daß die von ihm erbrachten Leistungen der Erfüllung des
Anspruchs des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 LFZG dienen und nicht aus irgendwelchen anderen Gründen "freiwillig”
gewährt werden, sofern der Arbeitgeber deshalb zahlt, weil er die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 LFZG als gegeben
ansieht. Eine spezielle Vorschrift, die dem Arbeitgeber die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts zur Erhaltung
seines Erstattungsanspruchs vorschreibt, gibt es nicht Ebensowenig hat die Beklagte im Rahmen des
Lohnfortzahlungsgesetzes ein eigenständiges Recht darauf, daß die ärztliche Bescheinigung dem Arbeitgeber
vorgelegt wird (vgl. auch Becher, a.a.O., Randnr. 15 zu § 3). Ohne besondere gesetzliche Regelung können die
Pflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Anspruch des Arbeitnehmers auf
Lohnfortzahlung für das öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Ausgleichskasse aber nicht
erweitert, die Recht und Befugnisse nicht eingeschränkt werden. Daß der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer
sowohl auf die Erfüllung der Nachweispflicht nach § 3 Abs. 1 LFZG wie auch auf das Leistungsverweigerungsrecht
nach § 5 S. 1 Nr. 1 Lohnfortzahlungsgesetz verzichten kann, bedarf jedoch keiner näheren Begründung. Die rechtlich
anerkannte Befugnis dazu folgt bereits aus dem Wesen des "Leistungsverweigerungsrechts”, ganz abgesehen davon,
daß die Vorschriften des LFZG grundsätzlich nur zum Nachteil des Arbeitnehmers durch Tarifvertrag,
Betriebsvereinbarung, Einzelarbeitsvertrag und Einzelabrede nicht abdingbar sind (vgl. § 9 LFZG). An die
Entscheidung des Arbeitgebers, auf die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 3 Abs. 1 LFZG und
(oder) das Leistungsverweigerungsrecht nach § 5 S. 1 Nr. 1 LFZG zu verzichten, ist die Ausgleichskasse daher in
jedem Fall gebunden (so im Ergebnis auch Kehrmann-Pelikan, a.a.O., Randnrn. 1 zu § 3 und 9 zu § 10; Schmatz-
Fischwasser, a.a.O., Anm. I zu § 3 und II 1 b zu § 10; Gemeinsames Rundschreiben der Bundesverbände der
Krankenkassen, DOK 1969, S. 827, 838). Dadurch werden auch nicht etwa gesetzlich geschützte Interessen Dritter –
hier der Ausgleichskasse und der Krankenkasse – entscheidend berührt. Ein unmittelbares Eigeninteresse der
Krankenkasse, ihrer Verpflichtung aus § 369 b RVO zur Kontrolle der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
nachkommen zu können, besteht während der Dauer der Lohnfortzahlung nicht, wie auch aus § 369 b Abs. 3 RVO zu
ersehen ist. Die Mittel zur Durchführung des Ausgleichsverfahrens werden von den Arbeitgebern selbst aufgebracht (§
14 LFZG). Die 20-prozentige Beteiligung des Arbeitgebers an den Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall ist grundsätzlich als ein ausreichendes Korrektiv dafür anzusehen, daß der einzelne Arbeitgeber keine
unberechtigten Ansprüche des Arbeitnehmers erfüllt (vgl. auch Schmatz-Fischwasser, a.a.O., Anm. III 1 b zu § 10).
Zudem bedeutet der Verzicht auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht, daß für den Lohnfortzahlungsanspruch
des Arbeitnehmers und den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers auf das Vorliegen krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit abgesehen wird: Es muß ein Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 LFZG wegen
Arbeitsunfähigkeit bestehen, den der Arbeitgeber erfüllt. Deshalb geht auch der Einwand der Beklagten fehl, daß ohne
die Verpflichtung zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Grundsatz des § 1 Abs. 1 LFZG aufgehoben
wird; der Grundsatz des § 1 Abs. 1 LFZG verlangt die ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht.
Ist nach alledem der Rückforderungsanspruch nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFZG nur dann gegeben, wenn die
Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und 2 LFZG nicht vorlagen, so kann er im Falle des Klägers nach Lage der Dinge
nicht bejaht werden. Soweit die Beklagte mit ihren Ausführungen u.a. auch die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit
des S. im Sinne von § 1 Abs. 1 LFZG infrage stellen und nicht nur das Fehlen der ärztlichen Bescheinigung
beanstanden wollte, fehlt es an einem entsprechenden Tatsachenvortrag, aus dem sich begründete Zweifel ergeben
könnten. Die für die Betriebsprüfung maßgeblichen Gründe, nämlich das Fehlen von – nicht erforderlichen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und die vermehrte Geltendmachung der Erstattung für einzelne Tage, reichen
dazu nicht aus. Mit Rücksicht darauf, daß S. laut Krankheitsbogen u.a. vor Beginn seiner Beschäftigung beim Kläger
fast ausschließlich wegen Hypertonie für relativ kurze Zeiträume arbeitsunfähig geschrieben war, erscheint es im
Gegenteil überzeugend, daß S., wie der Kläger vorträgt, häufig wegen Kreislaufstörungen an der Ausübung seiner
Tätigkeit als Kraftfahrer gehindert war. Es besteht auch kein Anlaß zu der Annahme, daß der Kläger aufgrund seiner
familiären Bindung zu S. mit diesem zum Nachteil der Ausgleichskasse ungerechtfertigter weise Lohnfortzahlung
vereinbart hat. Ausgehend davon macht aber gerade die Tatsache, daß es sich bei S. um den Sohn des Klägers
gehandelt hat, dessen Versicherung glaubhaft, daß er sich der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des S.
hinreichend vergewissert hat. Unter diesen Umständen kann dem Kläger nicht nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFZG
vorgehalten werden, daß Ansprüche des S. nach § 1 Abs. 1 LFZG nicht bestanden und erst recht nicht, daß er dies
gewußt habe oder hätte wissen müssen (vgl. dazu auch Schmatz-Fischwasser, a.a.O., Anm. III 1 b zu § 10).
Danach mußte die Berufung des Klägers Erfolg haben, weil die Rückforderung der Beklagten nicht berechtigt ist. Den
trotz der auf schiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage (§§ 86 Abs. 2, 97 Abs. 1 Nr. 2 SGG) am 9. Mai 1979
und am 29. Juni 1979 in Teilbeträgen von je 1.785,58 DM vereinnahmten Rückforderungsbetrag hat sie infolgedessen
wieder auszuzahlen und ab 1. Juli 1979 in Höhe von 1.785,58 DM und ab 1. August 1979 in Höhe von 3.571,16 DM
bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen (Art. II § 23 Abs. 2, § 44 Abs. 1
Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – SGB I entsprechend).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, die über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Nr. 1
SGG.