Urteil des LSG Hessen vom 15.03.2010

LSG Hes: befreiung von der versicherungspflicht, mitgliedschaft, höchstpersönliches recht, tod, krankenversicherung, krankenkasse, arbeitsförderung, rechtswidrigkeit, verwaltungsakt

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.03.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 12 KR 248/07
Hessisches Landessozialgericht L 1 KR 47/08
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten hat.
Der im Februar 1959 geborene A. (im Folgenden: der Versicherte) war seit dem 1. Januar 2005 wegen Bezugs von
Arbeitslosengeld II bei der Beklagten pflichtversichert. Die Gewährung des Arbeitslosengelds II erfolgte durch die
Arbeitsförderung Landkreis Kassel.
Unter dem 25. August 2005, dem 11. November 2005 sowie dem 17. November 2005 machte die Beklagte gegenüber
der Arbeitsförderung Stadt B. Zweifel an der Erwerbsfähigkeit des zwischenzeitlich an Mundhöhlenkrebs erkrankten
Versicherten geltend. Der Versicherte sei aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug abzumelden.
Mit Bescheid vom 12. Dezember 2005 lehnte die Arbeitsförderung Landkreis Kassel die Weitergewährung von
Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 1. Januar 2006 ab.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2005 gewährte der Kläger dem Versicherten ab dem 1. Januar 2006 laufende Hilfe
zum Lebensunterhalt nach Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Unter dem gleichen Datum teilte er dem
Versicherten mit, dass dessen Antrag auf Leistungsgewährung über den 31. Dezember 2005 hinaus noch nicht
abschließend beurteilt werden könne. Es fehle u.a. noch an der Vorlage eines Nachweises der freiwilligen
Mitgliedschaft bei der Beklagten. Daraufhin beantragte der Versicherte am 5. Januar 2006 bei der Beklagten die
freiwillige Weiterversicherung. Im weiteren Verlauf legte der Versicherte der Beklagten ein Schreiben des Klägers vom
16. Januar 2006 vor. Darin hatte der Kläger den Versicherten unter Fristsetzung bis zum 26. Januar 2006 aufgefordert,
umgehend einen Nachweis über seine freiwillige Mitgliedschaft in einer Krankenkasse vorzulegen. Sollte aufgrund
einer verspäteten Antragstellung eine freiwillige Mitgliedschaft nicht mehr möglich sein, würden die entstehenden
Kosten der Krankenbehandlung von dem Versicherten zurückgefordert werden.
Daraufhin teilte die Beklagte der Arbeitsförderung Stadt B. unter dem 9. Februar 2006 mit, dass die freiwillige
Weiterversicherung nicht möglich sei, da der Versicherte unrechtmäßig Arbeitslosengeld II bezogen habe. Eine
Durchschrift dieses Schreibens habe der Versicherte erhalten.
Am 27. Februar 2006 erhob der Kläger Widerspruch gegen das Schreiben vom 9. Februar 2006. Er wies darauf hin,
dass dieses fälschlich an die Arbeitsförderung Stadt B. gesandt worden sei. Der Kläger sei gemäß § 95 SGB XII
berechtigt, Widerspruch einzulegen, weil er dem Versicherten im Bedarfsfall Hilfe zur Gesundheit nach dem SGB XII
gewähre und gegenüber der Beklagten erstattungsberechtigt sei. Dem Versicherten sei Arbeitslosengeld II zu Recht
gewährt worden. Zwar liege seit dem 15. August 2005 bei dem Versicherten dauernde Arbeitsunfähigkeit vor. Hieraus
folge jedoch nicht, dass ab diesem Zeitpunkt auch Erwerbsunfähigkeit bestanden habe. Im Übrigen sei allein der
tatsächliche Bezug von Arbeitslosengeld II Voraussetzung für die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Eine eigenständige Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit stehe der Beklagten nicht zu.
Mit Bescheid vom 6. April 2006 lehnte die Beklagte – jetzt förmlich – gegenüber dem Versicherten die Durchführung
der freiwilligen Krankenversicherung ab dem 1. Januar 2006 ab. Der Versicherte erhob gegen diesen Bescheid keinen
Widerspruch. Stattdessen legte der Kläger am 21. April 2006 unter Berufung auf § 95 SGB XII Widerspruch gegen
diesen Bescheid ein.
Hierauf teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass § 95 SGB XII nicht zur Anwendung komme. Denn es gehe vorliegend
nicht um die Feststellung einer Sozialleistung, sondern um einen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung. Sie
verwies auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Dezember 1991 (B 12 RK 24/90). Zudem entfalte der
Bescheid vom 6. April 2006 Tatbestandswirkung für den Kläger. Bei entsprechender Bevollmächtigung seitens des
Versicherten könne der Kläger allerdings für diesen innerhalb der Jahresfrist des § 66 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
Widerspruch erheben.
Unter dem 8. Mai 2006 machte der Kläger gegenüber der Beklagten aufgrund der getätigten Aufwendungen der
Krankenhilfe einen nicht näher konkretisierten Erstattungsanspruch geltend. Ferner verwies er darauf, dass der
Versicherte die freiwillige Mitgliedschaft persönlich beantragt habe. Daher sei das von der Beklagten zitierte Urteil des
Bundessozialgerichts vom 19. Dezember 1991 nicht einschlägig.
Am 30. Juni 2006 legte der Kläger unter Vorlage einer Vollmacht des Versicherten Widerspruch gegen den Bescheid
vom 6. April 2006 ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. August 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen
des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor, da der Versicherte zumindest ab dem
12. Dezember 2005 zu Unrecht Arbeitslosengeld II bezogen habe. Gegen diesen Bescheid wurde kein Rechtsmittel
eingelegt.
Am xx. xxx. 2006 verstarb der Versicherte.
Mit Schreiben vom 4. September 2006 teilte der Kläger der Beklagten unter Verweis auf den Beschluss des
Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Juli 2006 (L 8 KR 109/06 ER) mit, dass ein Arbeitslosengeld-II-Bezug
immer als Vorversicherungszeit gelte. Den Krankenkassen stehe kein eigenständiges Prüfungsrecht darüber zu, ob
Arbeitslosengeld II zu Recht gewährt worden sei. Nach Auffassung des Klägers sei der Bescheid daher gemäß § 44
Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückzunehmen. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob der
Widerspruchsbescheid überhaupt Bestand habe, da er erst nach dem Tod des Versicherten zugestellt worden sei.
Eine Anfechtung des Bescheids werde er, der Kläger, nicht vornehmen, da die Bevollmächtigung durch den
Versicherten nicht über dessen Tod hinaus reiche. Auch berufe er sich nicht weiter auf ein eigenes Widerspruchsrecht
aus § 95 SGB XII. Allerdings stehe dem Kläger ein Kostenanspruch gemäß § 104 SGB X zu. Die Beklagte solle
diesen dem Grunde nach anerkennen und die rechtswidrigen Bescheide zurücknehmen.
Hierauf erwiderte die Beklagte, dass eine gefestigte Rechtsprechung innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit zur
maßgeblichen Rechtsfrage nicht bestehe und eine Entscheidung des Bundessozialgerichts abzuwarten sei. Jedenfalls
sei der Bescheid nicht offensichtlich rechtswidrig. Darüber hinaus sei der Kläger nicht dazu befugt, einen
entsprechenden Rücknahmeantrag zu stellen. Es handele sich um ein höchstpersönliches Recht. Der Bescheid habe
Tatbestandswirkung gegenüber dem Kläger.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2007 bezifferte der Kläger den geltend gemachten Erstattungsanspruch auf 7.696,51 EUR.
Am 8. August 2007 hat der Kläger beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zur
Erstattung der Kosten für die Krankenhilfeaufwendungen des Versicherten in der Zeit vom 1. Januar bis 21. August
2006 in Höhe von 7.721,66 EUR an den Kläger zu verurteilen. Hinsichtlich der zunächst ebenfalls geltend gemachten
Prozesszinsen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht keinen Antrag gestellt. Mit Urteil
vom 9. Januar 2008 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe das Bestehen einer
freiwilligen Mitgliedschaft abgelehnt. Diese Statusentscheidung müsse sich der Kläger unabhängig von deren
Rechtmäßigkeit zurechnen lassen. Der Kläger sei zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten auch noch
zustellungsbevollmächtigt gewesen. Mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides sei das Feststellungsverfahren
abgeschlossen gewesen. Darüber hinaus sei der Versicherte durch seine Beitrittserklärung auch nicht freiwilliges
Mitglied der Beklagten geworden. Aufgrund der Erwerbsunfähigkeit des Versicherten ab Mitte November 2005 hätten
die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht vorgelegen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 29. Januar 2008 zugestellte Urteil am 12. Februar 2008 Berufung eingelegt. Der
Widerspruchsbescheid sei dem Kläger erst nach dem Tod des Versicherten zugegangen. Der Status eines Toten
könne jedoch nicht festgestellt werden. Die Beklagte hätte das Verfahren einstellen müssen. Daher liege keine
rechtskräftige Statusentscheidung vor. Zudem müsse die Beklagte den Widerspruchsbescheid wegen
Rechtswidrigkeit gemäß § 44 SGB X von Amts wegen zurücknehmen. Hieran ändere auch der Tod des Berechtigten
nichts. Sollte eine Rücknahme nicht erfolgen, sei die Rechtswidrigkeit des Bescheides bzw. die Tatsache, dass diese
Statusfeststellung aufgrund ihrer materiellen Rechtswidrigkeit keine Bindungswirkung entfalte, im vorliegenden
Verfahren inzident festzustellen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, an ihn 7.711,74 EUR zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Nach Kenntnisnahme der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Juni 2008 (B 12 KR 29/07 R) hat die
Beklagte eingeräumt, dass die mit Bescheid vom 6. April 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.
August 2006 erfolgte Ablehnung einer freiwilligen Versicherung rechtswidrig gewesen sei. Dennoch stehe dem Kläger
kein Erstattungsanspruch zu. Denn ebenso wie die Beklagte in Bezug auf die Vorversicherungszeiten für einen
freiwilligen Beitritt nach Auffassung des Bundessozialgerichts Arbeitslosengeld-II-Bescheide ohne Rücksicht auf
deren objektive Rechtmäßigkeit akzeptieren müsse, gelte dies für den Kläger hinsichtlich des von der Beklagten
erlassenen Ablehnungsbescheides. Statusentscheidungen – wie hier die negative Feststellung des Beitrittrechts –
entfalteten auch für andere Rechtsträger und ohne Rücksicht auf ihre Rechtmäßigkeit Tatbestandswirkung. Hieran
ändere der Tod des Versicherten nichts. Wegen des höchstpersönlichen Rechts einer freiwilligen Versicherung sehe
die Beklagte auch keine Veranlassung, den Statusbescheid nunmehr wegen der sich jetzt herausgestellten
materiellen Rechtswidrigkeit aufzuheben, um zu Gunsten des Klägers die Voraussetzungen für den
Erstattungsanspruch zu schaffen. Wegen des höchstpersönlichen Charakters einer freiwilligen Krankenversicherung
könne sich der Kläger vorliegend nicht auf § 44 SGB X berufen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gegenstand der Beratung gewesen ist,
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt
haben, § 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige Berufung, die auf einen Erstattungsanspruch in Höhe von 7.711,74 EUR beschränkt ist und hinsichtlich
des Differenzbetrages eine teilweise Klagerücknahme beinhaltet, ist unbegründet.
Der Kläger hat - wie das Sozialgericht Kassel zutreffend entschieden hat - keinen Anspruch auf Erstattung der geltend
gemachten Kosten für die Krankenbehandlung des Versicherten ab dem 1. Januar 2006 gemäß § 104 SGB X.
Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des §
103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen
Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des
anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (§ 104 SGB X).
Die Beklagte war nicht vorrangig leistungspflichtig hinsichtlich der streitigen Krankenbehandlung ab dem 1. Januar
2006. Denn der Versicherte war nur bis zum 31. Dezember 2005 bei der Beklagten versichert. Eine anschließende
freiwillige Weiterversicherung hat die Beklagte mit Bescheid vom 6. April 2006 bestandskräftig abgelehnt. Soweit der
Kläger einwendet, dass ihm der Widerspruchsbescheid erst nach dem Tod des Versicherten zugegangen sei, ist dies
unerheblich. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf verwiesen, dass gemäß § 13 Abs. 2 SGB X die Vollmacht
gegenüber dem Kläger nicht durch den Tod des Versicherten aufgehoben worden ist. Darüber hinaus ist die Status
feststellende Entscheidung bereits mit dem Bescheid vom 6. April 2006 getroffen worden. Mit Widerspruchsbescheid
vom 21. August 2006 ist lediglich der Widerspruch gegen diesen Bescheid zurückgewiesen worden. Damit hat der
Bescheid vom 6. April 2006 Bestandskraft erlangt (§ 39 Abs. 2 SGB X).
Diesen Bescheid hat die Beklagte nach Kenntnisnahme der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Juni
2008 (B 12 KR 29/07 R) zwar im Berufungsverfahren als nicht rechtmäßig erklärt. Sie hat den Bescheid aber nicht
zurückgenommen. Er ist auch nicht gemäß § 40 SGB X nichtig.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte auch nicht gemäß § 44 SGB X verpflichtet, diesen Bescheid
wegen Rechtswidrigkeit zurückzunehmen. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, bei dessen Erlass das
Recht unrichtig angewandt worden ist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu
Unrecht erhoben worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit
zurückzunehmen. Es ist bereits fraglich, ob der Kläger sich auf § 44 Abs. 1 SGB X berufen kann, da Adressat des
Status feststellenden Bescheides der Versicherte und nicht der Kläger ist. Schließlich wäre selbst bei einer
Aufhebung des angegriffenen Bescheids keineswegs positiv über die Mitgliedschaft des Versicherten bei der
Beklagten in der Zeit ab dem 1. Januar 2006 entschieden. Eine Neubescheidung kann der Kläger aber nicht
beantragen. Darüber hinaus ist der maßgebliche Bescheid kein Verwaltungsakt im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB X.
Diese Vorschrift ist eine Spezialregelung für Verwaltungsakte über die Gewährung von sozialrechtlichen Leistungen.
Sie ist nicht auf jeden Verwaltungsakt anwendbar, der im weitesten Sinne mit Leistungen und Berechtigungen
zusammenhängt. Vielmehr muss ein solcher Bescheid eines Leistungsträgers unmittelbar Leistungen regeln, die
Sozialleistungen i.S. der §§ 3 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind (BSG, Urteil vom 29. Mai 1991 - 9a/9
RVs 11/89 = BSGE 69, 14; Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 44 Rdnr. 11). Gemäß § 11 Satz 1 SGB I sind
dies Dienst-, Sach- und Geldleistungen. Danach ist ein Bescheid, mit welchem die freiwillige Mitgliedschaft in der
gesetzlichen Krankenkasse abgelehnt wird, kein Verwaltungsakt im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB X. Denn damit wird -
wie bei einer Befreiung von der Versicherungspflicht (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1999 - B 12 KR 12/99 R = SozR
3-2500 § 8 Nr. 4) oder der Feststellung des Grads der Behinderung nach § 69 SGB IX (BSG, Urteil vom 29. Mai 1991,
a.a.O. m.w.N.) - nicht unmittelbar eine Sozialleistung geregelt.
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, den Bescheid gemäß § 44 Abs. 2 SGB X zurückzunehmen. Nach dieser
Vorschrift kann ein rechtswidriger Bescheid für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Rücknahme für die
Vergangenheit ist bei einem feststellenden Bescheid wie dem vorliegenden, mit dem ein Antrag auf freiwillige
Mitgliedschaft bestandskräftig abgelehnt worden ist, ausgeschlossen. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass die
Beurteilung von Versicherungsverhältnissen rückwirkend grundsätzlich nicht geändert werden soll. So hat das
Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung die rückwirkende Begründung einer Mitgliedschaft in der
Krankenversicherung der Rentner abgelehnt, wenn die Aufhebung einer die Mitgliedschaft ablehnenden bindenden
Entscheidung im Streit war oder früher eine beantragte Mitgliedschaft des Rentenantragstellers wegen Versagung der
Rente geendet hatte. Denn Sachleistungen der Krankenversicherung können ohnehin nachträglich nicht erbracht
werden und Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit werden damit vermieden (vgl. Urteil vom 8. Dezember
1999, a.a.O., m.w.N.). Diesen Gründen kommt besondere Bedeutung zu, wenn der Betroffene - wie vorliegend -
zwischenzeitlich verstorben ist.
Den bestandskräftigen Bescheid kann die Beklagte dem Kläger im Erstattungsstreitverfahren wirksam
entgegenhalten. Mit diesem Bescheid ist über das Nichtbestehen einer Mitgliedschaft und somit über den
sozialversicherungsrechtlichen Status einer Person entschieden worden. Eine derartige Entscheidung hat erheblich
weitergehende Auswirkungen als etwa eine Einzelentscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung von
Leistungen. Von ihr hängen auf Dauer sowohl die Leistungsansprüche wie auch die Beitragsverpflichtungen in der
gesetzlichen Krankenversicherung ab. Es ist zwar nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, dass andere Behörden
außerhalb dieses Sozialversicherungsträgers den krankenversicherungsrechtlichen Status einer Person nicht anders
beurteilen dürfen, als die Krankenkasse mit einem bindend gewordenen Bescheid festgestellt hat. Eine solche
Tatbestandswirkung ergibt sich aber aus dem Sinn und Zweck einer Statusentscheidung als einer auf Dauer
angelegten eindeutigen Festlegung eines Rechtsverhältnisses, das seinerseits die Grundlage für eine Vielzahl von
Rechten und Pflichten bildet. Es wäre widersinnig, wenn die Krankenkasse - als der wegen seiner Sachnähe am
besten für die Statusentscheidung geeignete Träger - an ihre Entscheidung gebunden wäre, Träger außerhalb der
gesetzlichen Krankenversicherung hingegen nicht. Hat eine Krankenkasse eine Mitgliedschaft durch
bestandskräftigen Bescheid verneint, so ist diese Entscheidung deshalb, solange sie nicht aufgehoben ist, von allen
betroffenen Leistungsträgern als verbindlich hinzunehmen. Auch wenn sie sich als rechtswidrig erweist, kann ein
Erstattungsanspruch nicht entstehen, weil wegen der die materielle Rechtslage überlagernden Tatbestandswirkung
des Statusbescheides auch im Verhältnis zu dem die Erstattung begehrenden Leistungsträger bindend feststeht, dass
eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht in Betracht kommt. Aus diesen Gründen können Dritte einen solchen
Status feststellenden Bescheid auch nicht anfechten (BSG, Urteil vom 6. Februar 1992 – 12 RK 15/90 = SozR 3-1500
§ 54 Nr. 15; Urteil vom 17. Juni 1999 - B 12 KR 27/98 R = SozR 3-2200 § 310 Nr. 2; Urteil vom 17. Juni 1999 - B 12
KR 11/99 R = SozR 3-5910 § 91a Nr. 6; Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 1/96 = SozR 3-1300 § 111 Nr. 5; Urteil
vom 26. Juli 1979 - 8b RK 5/78 = SozR 2200 § 176c Nr. 3; keine Tatbestandswirkung dagegen bei rechtskräftigem
Bescheid über nachrangige Leistungspflicht, vgl. BSG, Urteil vom 28. September 1993 - 11 Rar 7/93 - und bei
offenkundig rechtsfehlerhaftem Bescheid über Leistungsansprüche, s. Hessisches LSG, Urteil vom 25. Juni 2009 - L
8 KR 201/07 - sowie Kater, in: Kassler Kommentar, § 10 SGB X, Rdnr. 54 ff. m.w.N.).
Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 86 SGB X verpflichtet, den Kläger hinsichtlich seines geltend gemachten
Erstattungsanspruchs so zu behandeln, als sei der Versicherte bei ihr Mitglied geworden. Nach dieser Vorschrift sind
die Leistungsträger, ihre Verbände und die im Sozialgesetzbuch (SGB) genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen
verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem SGB eng zusammenzuarbeiten. Inwieweit diese Verpflichtung
umfasst, bei widerstreitenden gegenseitigen Interessen auch die Belange des anderen Leistungsträgers angemessen
zu berücksichtigen und bindende Bescheide zu überprüfen, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls verpflichtet § 86
SGB X nicht dazu, einen bestandskräftigen Statusbescheid zu überprüfen, bei Fehlerhaftigkeit aufzuheben oder in
einem Erstattungsstreit nicht einzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 6. Februar 1992 - a.a.0.; LSG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 30. August 2000 - L 17 U 157/98 - juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.