Urteil des LSG Hessen vom 28.04.2010

LSG Hes: gesellschaft mit beschränkter haftung, bestattungskosten, angemessene frist, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, juristische person, unbestimmter rechtsbegriff, psychiatrie, verwirkung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.04.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 12 SO 194/06
Hessisches Landessozialgericht L 6 SO 135/08
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2008 aufgehoben. Die
Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben in beiden Instanzen einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger beansprucht im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft die Übernahme von Bestattungskosten durch
den örtlichen Sozialhilfeträger.
Im "Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit seelischer Behinderung des Zentrums für soziale Psychiatrie MG." in R-
Stadt verstarb am 4. Oktober 2002 die am xx. xxxx 1909 geborene OL., die bis 1957 im Gebiet der Beklagten zuletzt
von fürsorgerechtlichen Leistungen der Beklagten lebte und danach durchgängig in psychiatrischen Krankenhäusern
und Pflegeheimen des Klägers untergebracht war.
Der Kläger veranlasste die Beerdigung, wodurch Kosten in Höhe von 1.556,07 EUR anfielen.
Der Kläger betrieb das genannte Heim seinerzeit als Eigenbetrieb. Am 10. Juli 2007 wurde der Eigenbetrieb aus dem
Vermögen des Klägers in eine neu gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung "Zentrum für Soziale
Psychiatrie MG. gGmbH" ausgegliedert. Nach dem ebenfalls am 10. Juli 2007 notariell beurkundeten Spaltungsplan
wurden u. a. alle dem Eigenbetrieb wirtschaftlich zuzuordnenden Forderungen, Rechte und sonstige
Vertragsverhältnisse ausgegliedert. Ursprünglich war der Kläger Alleingesellschafter. Später übertrug der Kläger seine
Anteile auf Holding-Gesellschaften, aktuell die "S. GmbH (Holding)", deren Gesellschafter wiederum der Kläger ist.
Das Heim wird nunmehr von der "S. gGmbH" betrieben, wobei es sich nach den unwidersprochen gebliebenen
Angaben des Klägers um eine Umfirmierung der "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" handelt.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2004 und 24. September 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage von
Rechnungen die Erstattung der verauslagten Kosten.
Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. März 2005 ab. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf § 25
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) ausgeführt, dass die Kostenerstattung nicht in
angemessener Frist beantragt worden sei. Die Rechnungen für die Bestattung seien vom Kläger am 31. Oktober 2002
angewiesen worden, nunmehr werde fast ein Jahr und sieben Monate später die Kostenübernahme beantragt.
Hiergegen legte der Kläger am 14. März 2005 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass sich der Anspruch aus § 15
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. § 74 SGB XII ergebe. Dieser Anspruch müsse nicht innerhalb einer
angemessenen Frist beantragt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2006 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Die Beklagte vertiefte ihre Begründung zu § 25 SGB XII. Auch nach § 18 SGB XII sei die
rechtzeitige Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe über die Voraussetzungen der Leistung erforderlich.
Am 24. Mai 2006 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht in Wiesbaden erhoben. Mit Beschluss vom 21.
November 2006 ist der Rechtsstreit an das Sozialgericht Kassel verwiesen worden. Der Kläger hat die Rechtsansicht
vertreten, dass § 5 BSHG bzw. § 18 SGB XII nicht anwendbar seien. Der Kläger sei daher nicht zu einer früheren
Antragstellung verpflichtet gewesen. Der Anspruch sei auch nicht verwirkt. Es lägen keine die Verwirkung
auslösenden Umstände vor, denn die Beklagte habe nicht in Folge eines bestimmten Verhaltens des Klägers darauf
vertrauen können, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde. Die Untätigkeit des Klägers habe allein darauf beruht,
dass die hier maßgebliche Rechtslage überhaupt erst mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.
Januar 2004 – 5 C 2/03 – geklärt worden sei, wonach Anspruchsgrundlage allein § 15 BSHG gewesen sei. Der Kläger
hat eine schriftliche Ermächtigung des Geschäftsführers der "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" vom 23.
Oktober 2007 vorgelegt, wonach der Kläger ermächtigt sei, die Forderung in gewillkürter Prozessstandschaft geltend
zu machen. Die Beklagte hat sich auf Verwirkung berufen. Das Sozialhilferecht gehe bei Ansprüchen von einer
Notlage des Anspruchstellers aus und sei daher auf eine zügige Abwicklung gerichtet. § 74 SGB XII sehe zwar selbst
keine Frist für die Antragstellung vor. Aus dem Rechtsgedanken des § 25 SGB XII sei aber ersichtlich, dass der
Sozialhilfeträger nicht lange Zeit im Unklaren über mögliche Ansprüche gegen ihn gelassen werden solle. Auch wenn
eine angemessene Frist je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedlich zu bemessen sein werde, sei die
Geltendmachung nach 19 Monaten nicht mehr fristgemäß. Auch Erstattungsansprüche seien nach § 111 Zehntes
Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) spätestens 12 Monate nach
Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden sei, geltend zu machen. Das Sozialgericht Kassel hat
die Beklagte mit Urteil vom 3. September 2008, der Beklagten zugestellt am 31. Oktober 2008, verurteilt, der Zentrum
für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH für die Bestattung der Frau OL. 1.556,07 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24. Mai 2006 zu
zahlen. Die Klage sei zulässig. Gegen die Zulässigkeit der Fortführung des Rechtsstreits in gewillkürter
Prozessstandschaft bestünden keine rechtlichen Bedenken, da die Klägerin alleinige Gesellschafterin der "Zentrum
für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" sei. Die Klage sei begründet. Anspruchsgrundlage sei § 15 BSHG bzw. seit 1.
Januar 2005 § 74 SGB XII. Die einen anderen Sachzusammenhang regelnden §§ 18, 25 SGB XII kämen nicht zur
Anwendung. Das Sozialgericht Kassel hat im Übrigen Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des vom
Kläger zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts und auf das Vorbringen des Klägers zum Fehlen einer
Verwirkung.
Die Berufung der Beklagten ist am 28. November 2008 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt
eingegangen.
Die Berufungsklägerin und Beklagte trägt vor, dass im Zusammenhang mit dem Begriff der Zumutbarkeit der
Zeitablauf zwischen Bestattung und Antrag der Kostenübernahme von Bedeutung sei. Dies gelte auch dann, wenn
das Gesetz selbst keine Frist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Kostenübernahme festlege. Werde aber die
Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist beantragt, seien nach der Rechtsprechung des
Landessozialgerichts Schleswig, Beschluss vom 21. Juli 2008 – L 9 SO 10/07 PKH - regelmäßig Zweifel an der
Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt. Angesichts des Ausnahmecharakters der in § 15 BSHG bzw. § 74 SGB XII
konzipierten speziellen Kostenübernahmeanordnung führe der Zeitraum von 19 Monaten dazu, dass nicht mehr von
einer Antragstellung binnen angemessener Frist gesprochen werden könne. In der Begleichung der Bestattungskosten
am 31. Oktober 2002 selbst sei eine Leistungsbewilligung nach § 15 BSHG durch den Kläger als überörtlichen
Sozialhilfeträger zu sehen. Das Klagebegehren sei daher ein Erstattungsbegehren nach § 102 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Der Anspruch unterliege daher der
Ausschlussfrist von zwölf Monaten nach § 111 SGB X.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2008 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Berufungsbeklagte und Kläger ist der Rechtsauffassung, dass der Auffassung der Beklagten entgegen stehe,
dass nach § 74 SGB XII die Geltendmachung des Anspruchs nicht ausdrücklich innerhalb angemessener Frist zu
erfolgen habe. Die Einführung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Frist führe dazu, dass die geltende Verjährungsfrist
unterlaufen werde. Nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts komme im Rahmen der Zumutbarkeit der
Frage besondere Bedeutung zu, ob ein Träger Bestattungskosten refinanzieren könne. In der bei der Unterbringung
der Verstorbenen zuletzt angewendeten Pflegesatzvereinbarung sei die Refinanzierung von Bestattungskosten nicht
berücksichtigt worden. Die finanzielle Situation eines Heimträgers sei infolgedessen mit der Situation eines
Krankenhausträgers vergleichbar. Ein Rückgriff auf die Verbandsumlage sei nach §§ 10 ff. Hessisches
Eigenbetriebsgesetz nicht möglich. Haushaltsrechtliche Erwägungen könnten für eine Pflicht zur Geltendmachung
binnen angemessener Frist nicht angeführt werden, da Regelungen des Haushaltsrechts keine anspruchsvernichtende
oder –begrenzende Wirkung hätten. Im Sozialhilferecht seien Mittel für die Erfüllung von in der Vergangenheit
begründenden Ansprüchen bereitzustellen.
Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten übersandten
Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 28. April 2010 gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Erstattung der
Bestattungskosten verurteilt.
Zwar ist die Klage zulässig. Ihr steht nicht die fehlende Prozessführungsbefugnis entgegen, da neben dem rechtlichen
Interesse des Klägers an der Rechtsdurchsetzung nunmehr zu Gunsten der "S. gGmbH" auch prozessökonomische
Erwägungen das Vorgehen im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft rechtfertigen. Zum Zeitpunkt der
Klageerhebung war die Klägerin nämlich noch selbst Betreiberin des Heimes, in dem die Verstorbene zuletzt wohnte.
Da bei der hier statthaften Kombination einer Anfechtungs- und unechten Leistungsklage grundlegende Bedenken
gegen eine Verpflichtung im Über-Unterordnungs-Verhältnis zu Gunsten Dritter nicht durchgreifen, weil das Gericht
ohne die Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsaktes "durchentscheiden" kann, sieht es der Senat als
hinreichend an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Rechtsnachfolge durch die "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG.
gGmbH" alleiniger Gesellschafter derselben und zu diesem Zeitpunkt der Rechtsstreit schon anhängig war; insoweit
kann man es als Nebenpflicht aus dem vom Kläger angeführten Spaltungsplan ansehen, noch selbst für die
gerichtliche Klärung zu sorgen, ob ein übergegangener Anspruch tatsächlich bestand. Der Senat lässt ausdrücklich
offen, ob ein Interesse des Klägers an der Geltendmachung der Forderung zugunsten der Gesellschaft auch dann
noch für eine gewillkürte Prozessstandschaft hinreichend ist, wenn er künftig von Anfang an nicht Anspruchsinhaber
sein kann und eine rechtliche Beziehung zur Trägergesellschaft nur noch mittelbar über die "S. GmbH (Holding)"
bestehen kann.
Die Klage ist indes unbegründet. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs kommt allein § 15 BSHG in
Betracht. Hiernach sind vom zuständigen Sozialhilfeträger die Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem
hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Ist vor dem 1. Januar 2005 ein Anspruch
nach § 15 BSHG entstanden, so wurde durch das Inkrafttreten von § 74 SGB XII nach den allgemeinen Grundsätzen
des intertemporalen Verwaltungsrechts dieser weder vernichtet noch ersetzt. Nach diesen Grundsätzen ist bei der
Beurteilung eines Anspruches grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Entstehung abzustellen (vgl. IS., SGb 1993,
593ff.; BSG, Urteil vom 27. August 2008 - B 11 AL 11/07 R – juris). Ein Rechtssatz ist nämlich grundsätzlich nur auf
solche Sachverhalte anwendbar, die zeitlich nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden, so dass sich die
Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht
beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in
Kraft getretenes Recht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Das bloße Außerkrafttreten des § 15 BSHG steht der
späteren Geltendmachung eines bereits entstandenen Anspruchs nicht entgegen, da mit dem Inkrafttreten des SGB
XII die Anspruchsüberleitung ungeregelt blieb. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird § 15 BSHG auch nicht
durch die Erstattungsregelungen der §§ 102ff. SGB X verdrängt. Davon kann bereits deshalb nicht ausgegangen
werden, da vorliegend eine "In-Sich-Leistungsbewilligung" in Gestalt der Erstattung der Bestattungskosten nach § 15
BSHG durch den Kläger in seiner Funktion als überörtlicher Sozialhilfeträger an sich selbst als Heimträger weder
erkennbar noch rechtlich möglich ist.
Die Voraussetzungen des § 15 BSHG liegen nicht vor.
Der Kläger war nach §§ 10, 12 Abs. 3 des Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetzes (HFBG) i.d.F. des
Gesetzes v. 22. Dezember 1964 (GVBl. I 225) zur Bestattung und damit ordnungsrechtlich zur Kostentragung
verpflichtet. Die ordnungsrechtliche Bestattungs- und Kostentragungspflicht steht der Geltendmachung des
Anspruches nach § 15 BSHG ebenso wenig entgegen wie die Eigenschaft des Klägers als Körperschaft des
Öffentlichen Rechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – juris, m.w.N. auch zur Gegenauffassung).
Dem Kläger ist es auch zumutbar, die Bestattungskosten zu tragen.
Der Begriff der Zumutbarkeit gemäß § 15 BSHG ist ein der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegender unbestimmter
Rechtsbegriff, der eine umfassende Interessenabwägung erfordert. Er ist nach Maßgabe der Umstände des
Einzelfalles ausfüllungsbedürftig; dabei können auch Maßstäbe und Umstände eine Rolle spielen, die als solche im
Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, denen aber vor dem Hintergrund des Zwecks des § 15 BSHG
Rechnung getragen werden muss (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – juris; ebenso BSG, Urteil vom
29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R – juris, zu § 74 SGB XII). In die Abwägung fließen mit hohem Gewicht
subjektive Momente aus der Sphäre des Kostenverpflichteten, insbesondere die persönliche Nähe zum Verstorbenen,
objektive Gesichtspunkte aus seiner Sphäre wie auch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein (vgl. Schellhorn in:
Schellhorn u.a., SGB XII, 17. Aufl., § 74 Rdnr. 10). Begrenzend wirken der Nachranggrundsatz, der Normzweck, ohne
Verzögerung eine würdige Bestattung der mittellosen Person sicherzustellen, wie auch sonstige öffentliche
Interessen, die anerkanntermaßen bei dem Vollzug des Sozialhilferechts zu berücksichtigen sind. Trifft die
Kostentragungspflicht eine juristische Person, kann das Kriterium der besonderen personalen Nähe und
zwischenmenschlichen Beziehung versagen; es rücken die Verpflichtungen und Aufgaben der juristischen Person
gegenüber dem Verstorbenen in den Vordergrund (BVerwG a.a.O.).
In Anwendung dieser Grundsätze spricht mit maßgeblichem Gewicht für die Zumutbarkeit die Nähe des Klägers zur
Aufgabe der Tragung von Bestattungskosten als Sozialhilfeleistung. Der Kläger nahm zum Zeitpunkt des Anfalls der
Bestattungskosten nämlich nicht nur die Aufgabe des Heimträgers wahr, sondern zugleich die Aufgabe des
überörtlichen Trägers der Sozialhilfe (§ 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum BSHG). Der Kläger ist eine
Körperschaft des Öffentlichen Rechts, der kraft Gesetzes sowohl die Trägerschaft der Vorgängereinrichtungen des
Heimes, in dem die Verstorbene zuletzt gelebt hat (vgl. § 25 des Gesetz über die Mittelstufe der Verwaltung und den
Landeswohlfahrtsverband Hessen vom 7. Mai 1953 i.V.m. Anlage 2 c)) als auch die Aufgabe als überörtlicher Träger
der Sozialhilfe übertragen wurde. Beide Aufgaben sind kraft Gesetzes zugewiesene öffentliche Aufgaben ein und
derselben Körperschaft. Insoweit ist die vorliegende Konstellation grundsätzlich anders gelagert, als in dem vom
Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall, in dem der Körperschaft einer Universität keinerlei Sachnähe zur
Finanzierung von Bestattungskosten mittelloser Personen zuerkannt werden konnte. Auch wenn das
Bundesverwaltungsgericht davon ausging, dass das Kriterium der personalen Nähe bei Einrichtungen regelmäßig
"versage", so vermag der Senat die Augen nicht davor zu verschließen, dass die Verstorbene fast 45 Jahre ihres
Lebens in Einrichtungen des Klägers verbracht hat. Jedenfalls kann nicht davon gesprochen werden, dass den Kläger
die Bestattungspflicht nach § 12 Abs. 3 HFBG gleichsam zufällig oder bei Gelegenheit traf. Der Senat verkennt dabei
nicht, dass die Aufgabenwahrnehmung der Heimträgerschaft in einem Eigenbetrieb von der Aufgabenwahrnehmung
als überörtlicher Sozialhilfeträger zu trennen ist und die Zuständigkeit nach dem BSHG allein bei der Beklagten lag.
Soweit bei der Prüfung der Zumutbarkeit dem Kriterium der "Nähe" nach einhelliger Ansicht eine herausgehobene
Bedeutung zukommt, ist damit aber eine personale Nähe oder Sachnähe gemeint, die nach dem Normzweck der
Bestimmung von Risiko- und Verantwortungssphären dient. Genauso wie eine natürliche Person insoweit als Einheit
betrachtet wird, gebietet Art. 3 Abs. 1 GG eine ebensolche Betrachtungsweise bei einer juristischen Person. Lediglich
die Facetten, die eine Nähe oder Ferne ausmachen, sind bei einer juristischen Person andere als bei einer natürlichen.
So ist z.B. Gebietskörperschaften als Verpflichteten nach § 12 Abs. 4 HFBG bereits wegen der "Nähe" zu ihren
Einwohnern die Tragung der Kosten grundsätzlich zumutbar (VG Gießen, Urteil vom 14. Dezember 1999 - 4 E 23/96 –
juris). Die Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Refinanzierungsmöglichkeiten können nur begrenzt auf
die Situation des Klägers übertragen werden. Bei der Ermittlung der Pflegesätze nach dem Sozialgesetzbuch Elftes
Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) wird grundsätzlich von einer marktwirtschaftlichen
Wettbewerbssituation ausgegangen, die Sicherstellung einer ausreichenden und wirtschaftlichen Versorgung der
Versicherten wird in erster Linie von einem funktionierenden Wettbewerb unter den Pflegeeinrichtungen erwartet (vgl.
zum Folgenden LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. April 2009 - L 27 P 7/08 - juris). Pflegesätze sind die Entgelte
der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger für die voll- oder teilstationären Pflegeleistungen des Pflegeheims sowie für
medizinische Behandlungspflege und soziale Betreuung (§ 84 Abs. 1 SGB XI). Die Pflegesätze müssen
leistungsgerecht sein (§ 84 Abs. 2 S. 1 SGB XI) und es einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung
ermöglichen, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen (§ 84 Abs. 2 S. 4 SGB XI). Das Pflegeheim darf Gewinne
erzielen, es muss aber auch das Verlustrisiko tragen (§ 84 Abs. 2 Satz 5 SGB XI). Die gerichtliche Prüfdichte bei
Überprüfung der Pflegesätze bzw. der Schiedsstellenvereinbarung ist reduziert; der Ermittlung des Marktpreises
kommt Gewicht zu (vgl. LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). Die Pflegesatzgestaltung nach dem SGB XI ist mithin
erheblich flexibler und marktorientierter als beispielsweise das DRG-System der Krankenhausvergütung, in dem von
vornherein kein Platz für die Berücksichtigung der Beerdigungskosten wäre. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass
der Kläger Abgabenbegünstigter ist. Nach § 20 Abs. 2 des Gesetzes über die Mittelstufe der Verwaltung und den
Landeswohlfahrtsverband Hessen erhebt der Landeswohlfahrtsverband eine Verbandsumlage, soweit die Einnahmen
und Erträge nicht ausreichen; die Umlage zielt auf den Haushaltsausgleich. Auch insoweit ist die Refinanzierung von
Bestattungskosten für den Kläger einfacher sicherzustellen als einem gewöhnlichen Krankenhausträger. Unbeachtlich
ist insoweit der Einwand des Klägers, dass die Verbandsumlage nicht der Finanzierung der in einem Eigenbetrieb
anfallenden Erstattungskosten dient. Der Eigenbetrieb ist zwar als Sondervermögen des Klägers zu verwalten (§ 10
Abs. 1 Hessisches Eigenbetriebsgesetz), es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein Verlustausgleich auch aus
Mitteln der Verbandsumlage erfolgen kann.
Weitere Umstände, die zugunsten des Klägers für eine Unzumutbarkeit der Kostentragung sprechen könnten, sind
weder vorgetragen noch ersichtlich.
Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch die von der Beklagten angeführte verzögerte
Geltendmachung des Anspruches im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen
ist. Zwar existiert kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Antragstellung binnen angemessener Frist. Die
Berücksichtigung des Zeitablaufs folgt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht bereits aus der Anwendung
des Verwirkungsgedankens über § 242 BGB analog. Dem schlichten Zuwarten durch den Kläger, aus welchem
Grunde auch immer, fehlt nämlich das für die Verwirkung erforderlich Umstandsmoment. Ob der Kostenverpflichtete
die Erstattung zeitnah geltend macht, ist aber ein im Rahmen der Gesamtabwägung der Zumutbarkeitsprüfung zu
berücksichtigender und zu gewichtender Umstand. Insoweit gibt es keine abstrakt festzulegende Frist. Wird aber die
Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt, sind
regelmäßig Zweifel an der Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt (im Ergebnis ebenso: LSG Schleswig, Beschluss
vom 21. Juli 2008 – L 9 SO 10/07 PKH; Mergler/Zink, § 74 SGB XII Rdnr. 26; Schellhorn in: Schellhorn u.a., SGB XII,
17. Aufl., § 74 Rdnr. 4, jeweils mit unterschiedlicher Begründung). Dies folgt aus dem Zweck der Regelung. Kann ein
Verpflichteter über längere Zeit sogar nach Veranlassung und Finanzierung der Bestattung ohne "gefühlte"
wirtschaftliche Belastung in Vorlage treten, so liegt die Kostenübernahme nicht im öffentlichen Interesse. Der Zweck
des § 15 BSHG besteht nämlich gerade darin, die Würde des Begräbnisses nicht durch wirtschaftliche Probleme des
Verpflichteten zu gefährden, d.h. die Beerdigung insbesondere nicht aus wirtschaftlichen Gründen zu verzögern. Da
die Bedürftigkeit des Verpflichteten nicht Voraussetzung des Anspruches ist, kommt es insoweit auf das Zeitmoment
im Rahmen der Zumutbarkeit an.
Die Kostenentscheidung folgt für das erstinstanzliche Urteil wie für die Entscheidung über die Berufung aus § 193
SGG. Die beanspruchte Leistung nach § 15 BSHG ist eine Sozialleistung im Sinne des § 11 SGB I, der Kläger klagt
daher als Leistungsempfänger im Sinne des § 183 SGG, so dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts die
Gerichtskostenpflicht nach § 197a SGG ausscheidet (vgl. auch BSG, Beschluss vom 11. Juni 2008 – B 8 SO 45/07
B – juris, zum Nothelferanspruch nach § 25 SGB XII).
Die Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Insbesondere die genannte Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – juris) hat noch nicht zu einer
abschließenden Klärung der Rechtsfrage geführt, wann gerade aufgrund der Aufgabennähe einer juristischen Person
des Öffentlichen Rechts die Tragung der Bestattungskosten zumutbar ist.