Urteil des LSG Hamburg vom 15.12.2004

LSG Ham: fibromyalgie, psychovegetatives syndrom, erwerbsunfähigkeit, anhaltende somatoforme schmerzstörung, reaktive depression, ulcus duodeni, klimakterische beschwerden, diagnose, neurologie

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 15.12.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg 4 J 1421/96
Landessozialgericht Hamburg L 1 RJ 28/99
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. November 1998 wird
zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Klägerin ab 1. März 1994 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zusteht.
Die 1949 geborene Klägerin absolvierte von 1965 bis 1968 eine dreieinhalbjährige Ausbildung zur Verkäuferin in einem
Textilhaus, erlangte aber keinen Abschluss. Als Verkäuferin war sie nur noch kurz tätig. Später war sie als
Altenpflegehelferin (August 1989 bis Dezember 1992) und als hauswirtschaftliche Mitarbeiterin (April bis Juni 1993)
versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr Versicherungsverlauf weist – soweit hier von Bedeutung - unbelegte Zeiten vom
20. Juni 1983 bis 26. August 1986, vom 1. November 1986 bis 31. Juli 1989 und vom 1. Januar bis 12. Februar 1993
auf. Nach Pflichtbeiträgen vom 13. Februar 1993 bis 6. Mai 1995 wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung und
des Bezuges von Kranken- und Arbeitslosengeld ist der Versicherungsverlauf ab 7. Mai 1995 erneut unbelegt. Die
Klägerin war seitdem nicht arbeitslos gemeldet.
Am 22. Februar 1994 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Im Juni/Juli 1994
wurde sie wegen gynäkologischer Leiden stationär im Allgemeinen Krankenhaus B. behandelt (Adnektomie rechts,
Tubektomie links). Vom 4. bis 12. Juli 1995 weilte sie zu einem Heilverfahren in St. A., aus welchem sie als
arbeitsfähig für leichte und mittelschwere Frauenarbeiten entlassen wurde (Diagnosen: ausgeprägtes
psychovegetatives sowie klimakterisches Syndrom). Die Beklagte lehnte den Rentenantrag aufgrund des nach
Untersuchung der Klägerin erstatteten Gutachtens der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. von M. vom 19.
Dezember 1995 ab. Bei der Klägerin liege ein weitgehend abgeklungener Versagens- und Erschöpfungszustand vor,
der einer vollschichtigen Verrichtung leichter bis mittelschwerer körperlicher sowie einfacher geistiger Arbeiten mit
geringer Verantwortung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegenstehe (Bescheid vom 18. Januar 1996). Im
anschließenden Vorverfahren wies die Klägerin auf vegetative Erschöpfungszustände, Magenbeschwerden,
Schwindel, Übelkeit, Schlafstörungen, Kreislaufbeschwerden, Schweißausbrüche, Probleme beim längeren Sitzen
(Notwendigkeit des Hinlegens), Venenbeschwerden und Kopfschmerzen hin. Im April 1996 wurde sie im M.-
Krankenhaus wegen eines dezenten Innenohrabfalls rechts (Ausschluss vestibulärer Schwindel), im Mai 1996 wegen
eines psychovegetativen Erschöpfungszustandstands im Krankenhaus M1 (Diagnosen: diffuse allgemeine körperliche
Beschwerden, differentialdiagnostisch psychosomatisches Beschwerdebild) behandelt.
Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung der Stellungnahmen des Nervenarztes Dr. K. vom 11. März 1996
und der Ärztin für Psychiatrie, Neurologie und Sozialmedizin B1 vom 15. Juli 1996 zurück (Widerspruchsbescheid
vom 7. Oktober 1996).
Mit der am 16. Oktober 1996 erhobenen Klage hat die Klägerin die gleichen Leiden und Beschwerden wie im
Vorverfahren vorgetragen.
Das Sozialgericht hat den Arbeitgeberbericht über die Tätigkeit der Klägerin als Altenpflegehelferin von August 1989
bis Dezember 1992 (zuletzt Lohngruppe Kr 2, Bewährungsaufstieg), Befundberichte der Allgemeinärzte R1 (seit Mai
1996, Diagnose: reaktive Depression mit erheblicher Somatisierung) und Dr. Dr. K1, der Frauenärztin Dr. S. (Therapie:
Hormonbehandlung) und der Internistin K2 (Klagen über multiple Beschwerden, Erschöpfungszustände, allgemeine
Müdigkeit, Vertigo mit Übelkeit, Knochenschmerzen, Magenbeschwerden, psychovegetative Störungen, Diagnosen:
psychophysische Erschöpfungszustände, rezidivierende Gastritis, hypotone Herz- und Kreislaufstörungen, Tinnitus)
eingeholt. Sodann ist die Klägerin auf Veranlassung des Sozialgerichts am 24. April 1997 von dem Arzt für Neurologie
und Psychiatrie Dr. R. untersucht worden (Gutachten vom 29. April 1997), bei dem sie angegeben hat, nicht mit
öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können und unter Schlafstörungen, morgendlichen Schweißausbrüchen,
Magenbeschwerden sowie unter Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindelgefühlen, Ängsten und Herzjagen zu
leiden. Dr. R. hat keinen Anhalt für eine nachhaltige Depression, eine produktive Symptomatik oder ein
hirnorganisches Psychosyndrom gefunden. Es bestehe ein deutliches Erschöpfungssyndrom mit einer depressiven
Entwicklung mit Versagenssymptomatik bei Hinweisen auf eine neurotische Entwicklung bei einfacher
Persönlichkeitsstruktur. Die Prognose sei bedenklich. Ein psychotherapeutisches Heilverfahren mit
verhaltenstherapeutischer Behandlung sei dringend erforderlich. Bis zu diesem Heilverfahren dürfte die Klägerin mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgrund ihrer geschilderten Angstsymptome nicht in der Lage sein, den
Weg zur und von der Arbeit mit Bussen und Bahnen - wohl aber mit einem PKW, für den die Klägerin allerdings keine
Fahrerlaubnis besitzt - zu bewältigen. Als Verkäuferin könne sie kaum mehr eingesetzt werden, eine Tätigkeit ohne
Publikumsverkehr sei anzuraten. Im Übrigen sei sie aus nervenärztlicher Sicht in der Lage, leichte körperliche
Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung - nicht unter Zeitdruck, nicht im Akkord oder in Schicht-
und Nachtarbeit – zu ebener Erde und ohne Publikumsverkehr vollschichtig zu verrichten. Die Wegefähigkeit dürfte
durch ein Heilverfahren wesentlich gebessert werden können.
Nachdem sich die Klägerin vom 20. Mai bis 12. Juni 1997 auf Kosten der Deutschen Angestelltenkrankenkasse in der
Psychosomatischen Klinik Bad N/S. aufgehalten hatte, wo sich bei ihrer Untersuchung zwar ein leichter Klopfschmerz
im LWS-Bereich, orientierend am Bewegungsapparat aber keine Auffälligkeit ergab (Entlassungsbericht vom 14. Juli
1997, Diagnose: Erschöpfungsdepression mit funktionellen Beschwerden, euthyreote Struma Grad I), hat die aus dem
Heilverfahren als arbeitsfähig entlassene Klägerin das Attest der sie seit dem 5. Juni 1998 behandelnden
Allgemeinärztin Dr. B2 vom 9. Juli 1998 vorgelegt, nach welchem sie seit etwa fünfzehn Jahren an Fibromyalgie
(chronisches Erschöpfungssyndrom = CFS) leide und aufgrund der Krankheitsfolgen nicht arbeitsfähig sei. Die
Klägerin hat außerdem den Bericht des Internisten und Rheumatologen Dr. T. vom 11. September 1998 vorgelegt,
welcher sie am 4. September 1998 erstmals behandelt und die Diagnose "Fibromyalgie-Syndrom, CFS?" gestellt
hatte. Nach diesem Bericht, der u. a. Feststellungen zu "klassischen Tender- und Triggerpoints" trifft, hatte die
Klägerin angegeben, seit vielen Jahren Schmerzen im tiefen Kreuz und schmerzhafte Verspannungen im Schulter-
Nackenbereich mit Kopfschmerzen, seit längerem auch Schmerzen in den Kniegelenken, Ellenbogen und Hüften zu
verspüren.
Bei Dr. R., der sie auf Anordnung des Sozialgerichts am 3. November 1998 erneut untersucht hat (Gutachten vom 3.
November 1998), hat die Klägerin geäußert, dauernd Knochenschmerzen und Schmerzen am ganzen Körper zu haben
und morgens "nicht hochzukommen, total fertig und auch steif zu sein". Im Termin vom 12. November 1998 hat Dr. R.
ausgeführt, dass sich zwar nach wie vor Hinweise für eine schwere neurotische Entwicklung mit Regressionstendenz
zeigten, die Klägerin aus nervenärztlicher Sicht aber in der Lage sei, noch leichte Tätigkeiten zu ebener Erde - ohne
besonderen Stress, Schicht-, Akkord- oder Nachtarbeit - im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen und ohne
Heben und Tragen von schweren Lasten vollschichtig zu verrichten. Sie sei auch in der Lage, vier Mal am Tag 500
Meter innerhalb von jeweils fünfzehn Minuten zurückzulegen, und könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen.
Hinweise auf ein CFS-Syndrom ergäben sich nicht. Das Fibromyalgiesyndrom sei im Bericht Dr. T. bereits relativiert
worden. Hemmungen gegenüber einer zumutbaren Tätigkeit könne die - umstellungsfähige - Klägerin aus eigenem
Antrieb überwinden.
Daraufhin hat das Sozialgericht die Klage durch Urteil vom 12. November 1998, auf dessen Inhalt Bezug genommen
wird, abgewiesen und u. a. ausgeführt, dass das Vorliegen eines Fibromyalgiesyndroms bei der Klägerin nicht
überwiegend wahrscheinlich sei.
Gegen das ihr am 11. Februar 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26. Februar 1999 Berufung eingelegt. Das
Sozialgericht habe das Attest Dr. B2 vom 24. Juli 1998 und den Bericht Dr. T. vom 11. September 1998 nicht
hinreichend gewürdigt. Sie sei seit geraumer Zeit aufgrund eines Fibromyalgie-Syndroms erwerbsunfähig, wie sich
auch aus der von ihrem Ehemann zu ihrem Krankheitsverlauf ab 1991 abgegebenen Erklärung vom 7. Dezember 2004
ergebe.
Vom 28. Oktober bis 13. November 1999 ist die Klägerin auf Veranlassung des praktischen Arztes Dr. H. stationär im
Seehospital S1 behandelt worden (Diagnosen: Fibromyalgiesyndrom, klimakterische Beschwerden, Hyperkalzurie).
Dort habe sich – wie der Entlassungsbericht vom 30. November 1999 ausführt - das Vollbild einer Fibromyalgie mit
jahrelanger Schmerzanamnese und typischen Tenderpoints (16 von 18 positiv) mit negativen Kontrolldruckpunkten
geboten und seien vegetative Beschwerden von Seiten des Magens und des Urogenitaltraktes, die Neigung zur
Obstipation sowie die Erschöpfung und schlechte Schlafqualität ebenfalls im Rahmen des Fibromyalgiesyndroms
gesehen worden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. November 1998 und den Bescheid der
Beklagten vom 18. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 1996 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. März 1994 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, hilfsweise
ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. S2 einzuholen sowie die Dres. K1, K2 und R1 zu den von der
Klägerin seinerzeit geklagten Beschwerden als Zeugen zu hören und Dr. T. zur Erläuterung seines Gutachtens in die
mündliche Verhandlung zu laden.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend, legt medizinische Literatur zur Fibromyalgie vor und meint, das Leiden
der Klägerin sei korrekterweise unter der übergreifenden Diagnose "anhaltende somatoforme Schmerzstörung"
einzuordnen. Letztlich sei aber entscheidend, ob und in welcher Weise die Klägerin durch ihr Leiden gehindert werde,
Erwerbstätigkeiten zu verrichten. Ein Fibromyalgiesyndrom bedinge keineswegs zwangsläufig Erwerbsunfähigkeit. Da
wesentliche krankhafte Veränderungen und Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates fehlten und eine
rheumatologische Leistungseinschränkung nicht vorliege, könne eine Leistungseinschränkung allenfalls psychiatrisch
begründet werden. Von psychiatrischer Seite habe Dr. R. ein aufgehobenes Leistungsvermögen aber gerade nicht
bestätigt. Die Klägerin könne weiterhin leichte Arbeiten ohne überhöhten Zeitdruck und ohne Zwangshaltungen
vollschichtig verrichten.
Das Berufungsgericht hat von Dr. T. und Dr. B2 die Befundberichte vom 17. Dezember 1998/2. Dezember 1999 sowie
vom 10. Dezember 1999/28. Januar 2004 eingeholt und die Klägerin darauf hingewiesen, dass für einen nach dem 30.
Juni 1997 eingetretenen Leistungsfall die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen.
Auf ihren Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Klägerin am 27. Juni 2001 von Dr. T. untersucht
worden (Gutachten vom 20. Juli 2001). Dr. T. hat ein Fibromyalgie-Syndrom diagnostiziert, den Verdacht auf CFS
erhoben und eine entzündlich-rheumatische Systemerkrankung ausgeschlossen. Die Klägerin sei seit 1992 nicht mehr
in der Lage, regelmäßige Arbeiten zu verrichten, die mit leichter körperlicher Arbeit, auch höherer geistiger Art,
gehobener Verantwortung, überwiegendem Stehen und Gehen, Tragen und Heben von Lasten über 10 kg,
Zwangshaltungen, Zeitdruck, Akkord, Schicht- und Nachtarbeit, äußeren Witterungseinflüssen, Dämpfen, Geräuschen
sowie Klettern auf Leitern und Gerüsten verbunden seien. Gesundheitlich zumutbare Arbeiten könne sie regelmäßig
nicht mehr halbschichtig – weniger als drei Stunden täglich - verrichten. Sie könne zu Fuß 500 Meter zurücklegen,
abhängig vom Krankheitszustand auch weniger, und sei grundsätzlich in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu
benutzen. Die Einschränkungen bestünden seit 1992, weil damals eine erhebliche Progredienz eingetreten sei.
In dem vom Berufungsgericht eingeholten Gutachten nach Aktenlage vom 11. März 2002 hat der Arzt für Neurologie
und Psychiatrie Dr. B3 ausgeführt, es fänden sich für den Zeitraum Februar 1994 bis Juni 1997 nur spärliche
Anknüpfungstatsachen, die es gestatteten, einen Einblick in die damalige gesundheitliche Verfassung der Klägerin zu
gewinnen. Für den genannten Zeitraum könne zwar von kürzeren und auch längeren Phasen der Arbeitsunfähigkeit
ausgegangen, ein über die gesamte Zeitdauer fortbestehendes aufgehobenes berufliches Leistungsvermögen im
Sinne einer durchgehenden Erwerbsunfähigkeit aber nicht angenommen werden. Die in den Gutachten der Dr. von M.
und des Dr. R. sowie im Entlassungsbericht aus Bad N/S. getroffenen medizinischen Feststellungen seien
überzeugend. Die Klägerin sei zwischen Februar 1994 und Juni 1997 objektiv nicht unfähig gewesen, eine
Erwerbstätigkeit auszuführen. Sie habe ihre Hemmungen gegenüber einer zumutbaren Arbeitsleistung aus eigener
Willenskraft überwinden können.
Die Klägerin hat daraufhin den ihre Tochter B4 (geb. 1972) betreffenden Bericht des Dr. T. vom 15. Juli 2003, der bei
dieser ebenfalls ein Fibromyalgie-Syndrom diagnostiziert hat, vorgelegt, sich mit Schreiben vom 7. Dezember 2003
und 16. April 2004 persönlich an das Gericht gewandt und das nicht unterzeichnete Schreiben der Ärztin K2 vom März
2004 vorgelegt, wonach die Klägerin schon während der Behandlungszeit 1995/1996 über multiple Knochenschmerzen
geklagt habe und nicht auszuschließen sei, dass sie bereits damals unter Fibromyalgie gelitten habe. Nach dem
weiter vorgelegten Attest des die Klägerin seit Juli 1998 behandelnden Arztes Dr. H. vom 6. April 2004, nach welchem
Parästhesien, Myalgien und Dysästhesien im Extremitäten-, Schulter-Nacken- und Rückenbereich bei Fibromyalgie-
Syndrom vorliegen, sei vom Bestehen dieser Erkrankungen bei der Klägerin - aufgrund der durch sie erfolgten
glaubhaften Schilderung des Beschwerdebildes in der Anamnese - schon seit 1994 auszugehen.
Das Gericht hat sodann den Chirurgen Dr. P. zum Termin am 15. Dezember 2004 geladen und ihm anheim gestellt,
die Klägerin zu untersuchen. Zu der von Dr. P. auf den 24. November 2004 anberaumten Untersuchung ist die
Klägerin nicht erschienen, weil sie in den kommenden 14 Tagen nicht in der Lage sei, an einem Untersuchungstermin
teilzunehmen (Attest Dr. H. vom 23. November 2004). In seinem sodann nach Aktenlage erstatteten chirurgischen
Gutachten vom 25. November 2004 hat Dr. P. ausgeführt, angesichts des Beweisthemas wäre eine persönliche
Inaugenscheinnahme der Klägerin zwar nützlich, aber nicht unbedingt erforderlich gewesen. Ihre Erwerbsfähigkeit sei
wegen der bei ihr für die Zeit von Februar 1994 bis Juni 1997 festzustellenden Krankheiten und Behinderungen nicht
aufgehoben gewesen. Zwar habe im Rahmen der Erkrankungen mehrfach Arbeitsunfähigkeit bestanden. Grundsätzlich
sei die Klägerin aber in der Lage gewesen, leichte Tätigkeiten aller Art, ohne Stress und ohne Akkord, nicht nachts
und ohne Publikumsverkehr, einfachen geistigen Zuschnitts und in geringer Verantwortung vollschichtig
durchzuführen. Sie sei auch wegefähig gewesen. Im fraglichen Zeitraum seien weder ein Schmerz noch eine
Funktionsstörung am Haltungs- und Bewegungsapparat der Klägerin dokumentiert. Dies wäre jedoch zu verlangen,
wolle man die unter vegetative Beschwerden aufgelisteten Erscheinungen als frühe Symptome einer Fibromyalgie, zu
der die Klägerin aus dem Internet gewonnenes Informationsmaterial vorgelegt hat, ansehen. Ergänzend wird auf den
Inhalt der Prozessakten und der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten und Unterlagen Bezug genommen,
die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte über den Rechtsstreit entscheiden, obwohl die Klägerin nach dem Attest des Dr. H. vom 13.
Dezember 2004 aus Krankheitsgründen nicht in der Lage war, an der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember
2004 teilzunehmen. Denn der im Termin vertretende Unterbevollmächtigte der Klägerin - die mit Schreiben vom 13.
Dezember 2004 am 14. Dezember 2004 persönlich noch die Aufhebung des Termins beantragt hatte - hat im Termin
einen Terminaufhebungsantrag nicht gestellt, so dass das Gericht die Anordnung des persönlichen Erscheinens der
Klägerin aufheben und in der Sache entscheiden durfte.
Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist
unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 18. Januar und 7. Oktober
1996 sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, weil sie vom
Rentenantragsmonat Februar 1994 bis zum 30. Juni 1997 nicht erwerbsunfähig (oder berufsunfähig) war und für
spätere Leistungsfälle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
Nach § 44 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bei Rentenantragstellung geltenden Fassung
haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie
erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeitragszeiten
haben und vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Diese Voraussetzungen sind
nicht erfüllt.
Die Klägerin hat zwar die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren zurückgelegt. Da sie aber wegen nicht mehr zu
schließender Lücken im Versicherungsverlauf zwischen dem 1. Januar 1984 und dem 31. Dezember 1992 nicht unter
den Versichertenkreis des § 241 Abs. 2 SGB VI (a. F.) fällt und ihr Versicherungsverlauf seit Mai 1995 gänzlich
unbelegt ist, kann sie die Voraussetzung von drei Jahren Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt
einer Erwerbsunfähigkeit (Berufsunfähigkeit) nur für vor dem 1. Juli 1997 eingetretene Leistungsfälle erfüllen. Ein
Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit (oder Berufsunfähigkeit) ist bei der Klägerin vor dem 1. Juli 1997 jedoch nicht
eingetreten.
Erwerbsunfähig sind u. a. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande
sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu
erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a. F.). Erwerbsunfähig
ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI in der hier schon anwendbaren Fassung des 2. SGB VI-
Änderungsgesetzes vom 2. Mai 1996).
Unter Zugrundelegung dieser gesetzlichen Vorschriften war die Klägerin vor dem 1. Juli 1997 nicht erwerbsunfähig
(und auch nicht berufsunfähig). Das ergibt sich aus den von der Beklagten eingeholten Verwaltungsgutachten, den
vom Sozialgericht eingeholten Gutachten Dr. R. und seinen Terminausführungen, dem Gutachten Dr. B3 sowie dem
Gutachten und den Terminausführungen Dr. P ... Soweit Dr. T. zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, folgt ihm
der Senat nicht.
Bei ihrer ersten Untersuchung durch die Nervenärztin Dr. von M. am 23. Juni 1994, als die Klägerin im Wesentlichen
über Durchschlafstörungen klagte, fanden sich ihre großen Gelenke und ihre Wirbelsäule gut beweglich und stand eine
vegetative Erschöpfungsdepression, wohl nach jahrelanger Überforderung, im Vordergrund, die mit einer körpernahen
Symptomatik, u. a. mit Weinen, Grübeln und Antriebsschwäche, einherging. Im abgebrochenen Heilverfahren in St. A.
klagte sie im Juli 1995 über Herzklopfen, Schwitzen, häufiges Wasserlassen und Antriebsarmut. Hinweise auf ein
organpathologisches Geschehen ergaben sich nicht. Auch dort fand sich eine freie Beweglichkeit in allen Gelenken
und an der Wirbelsäule kein Klopfschmerz. Es bestand ein ausgeprägtes psychovegetatives Syndrom in familiärer
Belastungssituation – damals lag die Mutter der Klägerin im Sterben – ; dem klimakterischen Syndrom kam keine
relevante rentenmedizinische Bedeutung zu. Sogar mittelschwere Frauenarbeiten wurden der Klägerin für zumutbar
erachtet. Bei ihrer zweiten Vorstellung bei Dr. von M. am 18. Dezember 1995 klagte die Klägerin über eine nervliche
Angeschlagenheit, verstärkte Schweißneigung, Magenbeschwerden, Unruhezustände, Schlafstörungen und über ein
häufiges Gefühl körperlicher Angeschlagenheit und Schwäche und teilte – wie schon früher – mit, dass sie bei gutem
Wetter manchmal Rad fahre. Dr. von M. konstatierte auf ihrem Fachgebiet eine Besserung gegenüber der
Untersuchung vom Juni 1994, so dass ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche
Arbeiten angenommen werden könne. Der Allgemeinarzt Dr. W. diagnostizierte aufgrund einer einmaligen
Untersuchung der Klägerin am 7. März 1996 ein psychovegetatives Syndrom (bei Erschöpfung und
Unterschenkelödemen), die weiter vorgesehene Diagnostik hatte die Klägerin abgebrochen (Befundbericht vom 9. Mai
1996). Die Internistin K2 diagnostizierte nach ihrem Befundbericht vom 18. Juni 1996 "rezidivierende Gastritis,
Verdacht auf ulcus duodeni, hypotone Herz-Kreislaufstörung, Innenohr-Durchblutungsstörungen,
Erschöpfungszustände, neurovegetative Dystonie", ohne dass sich aus diesen Berichten – wie die Ärztin für
Psychiatrie, Neurologie und Sozialmedizin B1 in ihrer Stellungnahme vom 15. Juli 1996 zu Recht festgestellt hat –
neue Gesichtspunkte für die Leistungseinschätzung ergaben. Auch für die anschließende Zeit bis zum 30. Juni 1997
ergibt sich kein Anhalt für eine entscheidende quantitative oder qualitative Leistungsminderung. Soweit Dr. R. im
Gutachten vom 29. April 1997 eine (vorübergehende) Leistungsminderung insoweit als gegeben erachtet hat, als die
Klägerin nicht wegefähig sei, kann dahingestellt bleiben, ob diese Einschätzung, der Dr. B3 nicht gefolgt ist, zutrifft.
Denn bereits im Entlassungsbericht aus Bad N/S. vom 14. Juli 1997 und dann auch im zweiten Gutachten Dr. R. vom
3. November 1998 war von einer psychiatrisch bedingten Wegeunfähigkeit nicht mehr die Rede, so dass das
Sozialgericht die Voraussetzungen für eine Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund im Jahre 1997 etwa
gegebener Wegeunfähigkeit zu Recht verneint hat. Nach alledem kann, insbesondere auch im Hinblick auf die
Ausführungen Dr. B3 und Dr. P., nicht festgestellt werden, dass die Klägerin vor dem 1. Juli 1997 erwerbsunfähig
(oder berufsunfähig) war. Die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Klägerin war vielmehr bis zum hier
entscheidungserheblichen "Stichtag" in der Lage, zumindest noch leichte körperliche Frauenarbeiten mit den vom
Sozialgericht aufgezeigten Einschränkungen, die weder spezifisch noch vielfältig waren, vollschichtig zu verrichten.
Insoweit wird auf die Ausführungen der Vorinstanz Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Dr. P. hat diese
Leistungseinschätzung im Wesentlichen bestätigt. Nach seinen Ausführungen war die Klägerin seit Antragstellung bis
zum 30. Juni 1997 durch einen (1997 schon abgeklungenen) Versagens- und Erschöpfungszustand, rezidivierende
Magenschleimhautentzündungen mit diskreter Hiatushernie ohne Refluxschaden, eine Vergrößerung des rechten
Schilddrüsenlappens ohne Funktionsstörung, einen Tinnitus, ein vorzeitiges Klimakterium, eine Hyperlipidämie, eine
vorübergehende Entzündung des Eileiters und Eierstocks sowie durch zahlreiche vegetative Beschwerden, wie
Kopfschmerzen, Kreislaufbeschwerden und Schweißausbrüche - abgesehen von Zeiten vorübergehender
Arbeitsunfähigkeit - nicht an der Ausübung vollschichtiger leichter Arbeiten gehindert. Diese Ausführungen hält der
Senat für überzeugend.
Die für die Zeit bis zum Juni 1998 vorliegenden Unterlagen bieten keinen überzeugenden Anhalt für die Annahme,
dass bei der Klägerin damals schon eine Fibromyalgie eines Ausmaßes vorgelegen hat, welche ihr
Leistungsvermögen aufhob oder das vom Sozialgericht festgestellte (vollschichtige) Leistungsvermögen entscheidend
verminderte. Soweit Dr. B2 unter dem 9. Juli 1998 von einer seit 15 Jahren bei der Klägerin bestehenden Fibromyalgie
spricht, überzeugt diese Aussage bereits deshalb nicht, weil sie die Klägerin erstmals im Juni 1998 behandelt hat.
Soweit Dr. T. im Bericht vom 11. September 1998 angesichts am 4. September 1998 - bei freien peripheren Gelenken
und freier Wirbelsäule - festgestellter "klassischer Tender- und Triggerpoints" an verschiedenen anderen Gelenken und
Körperpartien ein Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert, geht er bei seiner Diagnose von langjährigen Schmerzen im
tiefen Kreuz und schmerzhaften Verspannungen im Schulter-Nackenbereich, in den Kniegelenken, Ellenbogen und
Hüften der Klägerin aus, über welche sie nach den über die Jahre 1994-1997 vorhandenen Unterlagen niemals zuvor
geklagt hatte. Insbesondere sind starke Schmerzen in den Sehnen, Muskeln und Bändern der Klägerin –
Leitsymptome der Fibromyalgie - für diese Jahre nicht dokumentiert. Sie gehen auch nicht aus der Erklärung des
Ehemannes der Klägerin vom 7. Dezember 2004 hervor, in der zwar von u. a. von Gelenkschmerzen und
Gelenksteifigkeit die Rede ist, die aber bis zum 30. Juni 1997 auch nicht aktenkundig geworden sind. Dass Gericht
vermag nach alledem – ohne dass es darauf ankommt, ob eine Fibromyalgie damals schon vorlag – nicht davon
auszugehen, dass von den genannten Körperstellen bzw. der Fibromyalgie bereits relevante
Leistungseinschränkungen ausgingen. So leidet auch das Gutachten Dr. T. daran, dass er - Seite 5 – bei der Klägerin
eine seit 1992 gegebene Beschwerde- und Schmerzentwicklung unterstellt, für die die dokumentierte Anamnese
nichts hergibt. Zudem hält er einerseits zwar der Klägerin Trage- und Hebebelastungen von bis zu 10 kg für zumutbar,
schließt aber andererseits selbst die halbschichtige Verrichtung leichter körperlicher Arbeiten aus. Dies überzeugt
ebenfalls nicht. So hat denn Dr. R., dem das Krankheitsbild Fibromyalgie durchaus geläufig war, im Termin des
Sozialgerichts vom 12. November 1998 – gerade auch im Hinblick auf den Bericht Dr. T. – noch ein vollschichtiges
Leistungsvermögen der Klägerin bejaht. Das hält der Senat für nachvollziehbar und überzeugend.
Da sowohl Dr. R. als auch Dr. B3 und Dr. P. das Vorliegen einer Fibromyalgie grundsätzlich nicht in Abrede gestellt
haben, bleiben ihre Gutachten – auch wenn ihre Leistungsbeurteilung anders als diejenige Dr. T. ausgefallen ist –
durchaus verwertbar. Insoweit liegt ein anderer Fall vor als derjenige, der dem Bundessozialgericht bei seiner
Entscheidung vom 9. April 2003 unterbreitet war (B 5 RJ 36/02 R, SGb 2003, 341; rv 2004, 116). Insbesondere ist
vorliegend nicht durch eine später gestellte fachspezifische Diagnose (Fibromyalgie) die Verwertbarkeit des
neurologisch-psychiatrischen Gutachtens vom 3. November 1998 in Frage gestellt, denn Dr. R. hat dieses Gutachten
bereits in Kenntnis der von Dr. T. im September 1998 gestellten Diagnose erstattet.
Der Senat sieht keinen Anlass, den hilfsweise gestellten Anträgen der Klägerin nachzukommen. Die Vernehmung Dr.
T. zur Erläuterung seines Gutachtens ist nicht notwendig, weil der Senat keinen Erläuterungsbedarf und die Klägerin
weder Einwendungen gegen das Gutachten erhoben, die Begutachtung betreffende Anträge gestellt noch
Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten angebracht hat (§ 411 Abs. 4 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)
iVm § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG). Eine Anhörung der Ärzte K2 sowie Dres. K1 und R1 ist nicht notwendig, weil von
diesen Ärzten im Gerichtsverfahren bereits Befundberichte eingeholt worden sind, die über die von der Klägerin
seinerzeit geklagten Beschwerden ausführlich Auskunft geben, wie das Gericht der Klägerin mit der Terminladung
mitgeteilt hat. Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG von Dr. S2 war abzulehnen, weil bereits ein
Gutachten gemäß § 109 SGG eingeholt worden ist und besondere Umstände, welche die Einholung eines weiteren
Gutachtens rechtfertigen, weder vorgetragen noch ersichtlich sind.
Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür
fehlen.