Urteil des LSG Hamburg vom 20.06.2006

LSG Ham: ddr, verbrennung, bandruptur, erwerbsfähigkeit, gesundheitsschaden, minderung, freizeit, psychose, anerkennung, gesundheitszustand

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 20.06.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 31 VS 4/03
Landessozialgericht Hamburg L 4 VS 1/05
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 29. März 2005 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte gegenüber dem Kläger Wehrdienstbeschädigungen anzuerkennen und ihm
Dienstbeschädigtenausgleich zu zahlen hat.
Der am XX.XXXXXX 1968 geborene Kläger leistete vom 3. November 1987 bis 30. Januar 1990 Wehrdienst bei der
Nationalen Volksarmee der DDR. Nach vorliegenden medizinischen Unterlagen aus dieser Zeit litt der Kläger schon
damals an einer psychischen Gesundheitsstörung; eine Eintragung vom 3. November 1988 in die Behandlungskarte
spricht von einem reaktiv-depressiven Verstimmungszustand. In einem Gutachten der Gutachterkommission des
Lazaretts N. vom 11. November 1988 wurde die Anerkennung dieser Erkrankung als Dienstbeschädigung verneint und
der Kläger als weiter diensttauglich – jedoch nicht in Vorgesetztenfunktionen – angesehen. In dem Gutachten heißt
es, dass er auch bereits vor dem Wehrdienst Kontaktprobleme gehabt habe. Eine Eintragung in die Behandlungskarte
vom 24. November 1988 führt an, der Kläger habe angegeben, früher an einem Morbus Scheuermann gelitten zu
haben, und dass er jetzt bei Belastung Beschwerden an der Lendenwirbelsäule empfinde. Als Diagnose ist ein
Zustand nach Morbus Scheuermann mit Belastungsinsuffizienz bezeichnet.
Am 4. Februar 1989 knickte der Kläger bei einem organisierten Fußballspiel mit dem Fuß um und erlitt eine laterale
Bandruptur, die seinerzeit als Schädigungsfolge eines Dienstunfalls anerkannt wurde. Im April 1989 wurde
ärztlicherseits die volle Funktion des Sprunggelenks festgestellt.
Der Kläger, der laut ärztlicher Einschätzung seit 1990 an einer endogenen Psychose bei familiärer Vorbelastung leiden
soll, steht seit 2001 u.a. wegen der Vermögenssorge unter gesetzlicher Betreuung. Die psychische Erkrankung wurde
vom Versorgungsamt der Freien und Hansestadt Hamburg zunächst mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80
anerkannt (Bescheid vom 14. Dezember 2001). Mittlerweile beträgt der GdB wegen der psychischen Krankheit sowie
wegen eines Leberschadens 50 (Bescheid des Versorgungsamts vom 9. Februar 2006).
Am 15. April 2002 meldete sich der Kläger bei der Beklagten, bat um Nachforschungen zu medizinischen Unterlagen
während seines Wehrdienstes und stellte einen Antrag auf nachträgliche Anerkennung seiner
Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigungen und rückwirkende Zahlung eines Dienstbeschädigtenausgleichs.
In dem entsprechenden Fragebogen gab der Kläger einen Kreuzbandriss vom 8. November 1988 und die
Fußverletzung aus dem Jahr 1989 an, außerdem eine Verbrennung am Gesäß sowie eine psychische und eine
Wirbelsäulenerkrankung. Der Kreuzbandriss habe sich in der Freizeit ereignet, ob es sich bei der Verbrennung am
Gesäß um eine Dienstbeschädigung gehandelt habe, sei fraglich. Wegen der psychischen und der
Wirbelsäulenerkrankung sei eine Dienstbeschädigungsliste nicht angelegt worden. An Fuß und Gesäß seien keine
Schädigungsfolgen zurückgeblieben.
Die Beklagte führte Ermittlungen durch und lehnte mit Bescheid vom 26. März 2003 den Antrag des Klägers ab: Es
bestehe kein Anspruch auf Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleiches. Ein solcher sei abzulehnen, weil die
Erkrankung "reaktiv-depressiver Verstimmungszustand" als Dienstbeschädigung ausgeschlossen worden sei und die
infolge des Unfalls im Februar 1989 erlittene laterale Bandruptur keine Minderung der Erwerbsfähigkeit bedinge.
Gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet
(Dienstbeschädigungsausgleichsgesetz – DBAG –) werde Dienstbeschädigtenausgleich bei einem Körper- oder
Gesundheitsschaden geleistet, der nach den Regelungen der Sonderversorgungssysteme zu einem Anspruch auf eine
Dienstbeschädigungsrente geführt habe oder führen würde. Dabei gelte der Grad des Körper- oder
Gesundheitsschadens als Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Voraussetzung für die Zahlung einer
Dienstbeschädigungsteilrente gemäß Abschnitt I/4/423 der Ordnung Nr. 005/9/003 über die Soziale Versorgung der
Angehörigen der NVA (Versorgungsordnung – VSO –) vom 1. September 1982 sei ein dienstbeschädigungsbedingter
Körper- oder Gesundheitsschaden in Höhe von mindestens 20 %. Dem ärztlichen Gutachten der
Gutachterärztekommission des Lazaretts N. vom 9. Dezember 1988 sei zu entnehmen, dass die Erkrankung "reaktiv-
depressiver Verstimmungszustand" als Dienstbeschädigung ausgeschlossen worden sei. Das Bundessozialgericht
habe entschieden, dass nach Art. 19 Sätze 1 und 3 des Einigungsvertrages Verwaltungsakte der DDR grundsätzlich
wirksam blieben. Sie könnten nur aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen oder mit den Regelungen des
Einigungsvertrages unvereinbar seien. Unberührt blieben auch die Vorschriften über die Bestandskraft von
Verwaltungsakten. Die Wirksamkeit von Verwaltungsakten der DDR-Behörden sei die Regel, die Möglichkeit der
Aufhebung stelle eine an enge Voraussetzungen gebundene Ausnahme dar. Daraus ergebe sich, dass regelmäßig –
und so auch hier – eine Aufhebung nicht stattfinde. Aus dem Unfall vom 4. Februar 1989 hätten sich keine
Folgeschäden ergeben.
Der Kläger erhob Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2003 zurückgewiesen wurde.
Am 16. Juli 2003 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Er
hat geltend gemacht, die Beklagte habe die ihr vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht ausreichend
berücksichtigt. Er wolle betonen, dass er vor der Armeezeit niemals krank gewesen sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat nochmals ausgeführt, die ablehnende Entscheidung der DDR-
Behörden bezüglich des reaktiv-depressiven Verstimmungszustandes bleibe wirksam. Es komme im Ergebnis nicht
darauf an, ob solche Verwaltungsentscheidungen rechtmäßig gewesen seien oder dem DDR-Recht widersprochen
hätten. Die Entscheidung, dass hier keine Diensterkrankung vorgelegen habe, sei daher nach wie vor von Bedeutung.
Mit Gerichtsbescheid vom 29. März 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf die
Verwaltungsentscheidung Bezug genommen.
Der Gerichtsbescheid ist dem Betreuer des Klägers am 1. Juli 2005 zugestellt worden. Am 14. Juli 2005 hat der
Kläger Berufung eingelegt.
Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger aus, er sei davon überzeugt, dass die Akten der Beklagten, was
seinen Gesundheitszustand angehe, frisiert seien. Da keine mündliche Verhandlung stattgefunden habe, sei ihm nicht
die Möglichkeit gegeben worden, seine Sicht der Dinge darzulegen, geschweige denn zu beweisen. Er betone
nochmals, dass er früher gesund gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 29. März 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.
März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, zu Gunsten des Klägers einen Kreuzbandriss vom 8. November 1988 sowie eine weitere Erkrankung des
Fußes aus dem Jahr 1989, eine Verbrennung am Gesäß vom 31. März 1989, eine psychische Erkrankung im Jahr
1989 und eine Erkrankung der Wirbelsäule als Dienstbeschädigungen anzuerkennen und ihm
Dienstbeschädigtenausgleich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Die Sachakten der Beklagten, die den Kläger betreffenden Schwerbehinderten- und seine Rentenakten haben
vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird
wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte in der Sache entscheiden, obwohl für die Beklagte in der mündlichen Verhandlung niemand
erschienen ist, denn die Beklagte war ordnungsgemäß geladen worden.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen,
dass der Kläger die Berufung persönlich eingelegt hat, zumal sein Betreuer die Durchführung des Berufungsverfahrens
ausdrücklich billigt (vgl. Schriftsatz vom 15. November 2005).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger nach den von der Beklagten
herangezogenen einschlägigen Vorschriften Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich wegen erlittener
Gesundheitsschäden während seines Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee haben könnte.
Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 DBAG haben Anspruch auf einen Dienstbeschädigungsausgleich vom 1. Januar 1997 an
Personen, die am 31. Dezember 1996 Ansprüche auf Dienstbeschädigungsrenten aus einem der
Sonderversorgungssysteme nach Anlage 2, Nr. 1 bis 3 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes nach
dem bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Recht hatten oder aufgrund der Regelungen nach dem Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetz oder nach den Sonderversorgungssystemen wegen des Zusammentreffens mit
anderen Leistungen oder wegen der Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr hatten. Dazu
gehört die Sonderversorgung der Angehörigen der Nationalen Volksarmee der DDR (Anlage 2, Nr. 1 AAÜG).
Was die vom Kläger geltend gemachte psychische Erkrankung angeht, hat es die Beklagte zu Recht unter Hinweis
auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 23. März 1999, BSGE Bd. 84, S.22; siehe auch Urteil
vom 11. Mai 1995, BSGE Bd. 76, S.124) abgelehnt, die Angelegenheit wieder aufzugreifen und eine neue sachliche
Entscheidung zu treffen. Auf die bindende Wirkung der Entscheidung der DDR-Behörden gemäß Art. 19
Einigungsvertrag ist zu verweisen (Bundessozialgericht, a.a.O.). Im Übrigen ergäbe sich hier nichts für eine
wehrdienstbedingte Gesundheitsschädigung des Klägers. Vielmehr spricht alles dafür, dass die heute als Psychose
erkannte Störung endogener Natur ist (vgl. z.B. Befundbericht des Nervenarztes Dr. F. vom 5. August 1997).
Was den Dienst bedingten Sportunfall vom 4. Februar 1989 betrifft, steht fest, dass die dabei erlittene Bandruptur
folgenlos verheilt ist. Entsprechendes gilt für die Verbrennung am Gesäß, deren Zusammenhang mit dem Dienst vom
Kläger selbst zudem bezweifelt wird. Der Kreuzbandriss vom November 1988 fand nach Angaben des Klägers in der
Freizeit statt und stellt schon deswegen keine Dienstbeschädigung dar. Schließlich gibt es keinen Anhalt dafür, dass
das Wirbelsäulenleiden des Klägers im Zusammenhang mit dem Wehrdienst zu sehen sei. Er hatte nach seinen
Angaben bereits früher an einem Morbus Scheuermann gelitten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.