Urteil des LSG Hamburg vom 16.08.2006
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Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 16.08.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 22 KR 1225/03
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 81/05
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist ein Anspruch auf Krankengeld für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, für den der Kläger
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog.
Der 1947 geborene Kläger erkrankte Anfang 1996 an einem Lungenkarzinom und bezog von der Beklagten während
der dadurch eingetretenen Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bis zur Erschöpfung der Höchstanspruchsdauer am 28. Juli
1997. Mit Bescheid vom 1. August 1997 bewilligte die Beigeladene dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1.
März 1996.
Diesen Bescheid hob die Beigeladene nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 17. Februar 1999 für die
Zeiträume vom 29. Juli 1997 bis 30. September 1997 und vom 4. Mai 1998 bis 31. August 1998 wegen
Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze auf, nachdem der Kläger am 29. Juli 1997 seine Tätigkeit wieder
aufgenommen hatte, seit dem 15. September 1997 wegen einer Gürtelrose arbeitsunfähig gewesen war,
Entgeltfortzahlung von seinem Arbeitgeber bis zum 26. Oktober 1997 erhalten und am 2. Mai 1998 seine Tätigkeit
erneut wieder aufgenommen hatte. Die entstandene Überzahlung wurde zurückgefordert. Eine Aufhebung für den
Zeitraum vom 1. Oktober 1997 bis 3. Mai 1998 erfolgte nicht.
Im Oktober/November 2002 wandte sich der Kläger mit dem Hinweis an die Beklagte, dass ihm aufgefallen sei, dass
in seinem rentenrechtlichen Versicherungsverlauf die Zeit vom 27. Oktober 1997 bis 1. Mai 1998 fehle. Er sei damals
arbeitsunfähig gewesen und beantrage nunmehr Krankengeld für die Zeit vom 27. Oktober 1997 bis 30. April 1998.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. November 2002 zunächst mit der Begründung ab, dass für den
maßgeblichen Zeitraum keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht worden seien.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte nach Ermittlungen bei der Beigeladenen mit Widerspruchsbescheid
vom 3. Juli 2003, dem Kläger bekannt gegeben am 11. Juli 2003, unter Hinweis auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fünftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zurück, wonach kein Anspruch auf Krankengeld während der Zeit bestehe, für die
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen werde. Der Kläger habe im fraglichen Zeitraum Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit bezogen, weil der Rentenbescheid insoweit nicht zurückgenommen worden sei.
Mit der am 7. August 2003 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er nach Wiederaufnahme der Tätigkeit
am 29. Juli 1997 Krankenversicherungsbeiträge nach der Versicherungsklasse mit Krankengeldanspruch entrichtet
habe, so dass ihm für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit wegen der Gürtelrose ein Krankengeldanspruch zustehe. Die
Arbeitsunfähigkeit ab 15. September 1997 sei während seiner Beschäftigung und nicht während des Bezugs einer
Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit eingetreten, weil er die für die Zeit bis zum 30. September 1997 gezahlte
Erwerbsunfähigkeitsrente erstatten müsse. Die für den Zeitraum vom 27. Oktober 1997 bis 30. April 1998 bezogene
Erwerbsunfähigkeitsrente werde er selbstverständlich zurückzahlen, sobald das ihm zustehende Krankengeld gezahlt
worden sei.
Die Beklagte hat erwidert, dass unabhängig davon, ob der Kläger mit Krankengeldanspruch versichert gewesen sei,
der Zahlung von Krankengeld im fraglichen Zeitraum der Bezug der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entgegenstehe.
Die Beigeladene hat bekräftigt, dass während der Zeit vom 1. Oktober 1997 bis 3. Mai 1998 die volle Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit an den Kläger geleistet worden und eine Aufhebung des Rentenbescheides vom 1. August 1997
für diese Zeit nicht erfolgt sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. Juni 2005, dem Kläger zugestellt am 2. September 2005,
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Krankengeldanspruch gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V
in der noch anzuwendenden Fassung vom 10. Mai 1995 ausgeschlossen sei, weil der Kläger für diesen Zeitraum
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als andere Entgeltersatzleistung bezogen habe. Die Rechtsfolgen dieser Vorschrift
bestehen fort, solange der die andere Entgeltersatzleistung bewilligende Bescheid aufrechterhalten werde,
gleichgültig, ob die Leistung zu Recht oder zu Unrecht bewilligt worden sei und ob die Entscheidung nachträglich
wieder aufgehoben werden könne. Nur wenn der die andere Entgeltersatzleistung bewilligende Bescheid wieder
aufgehoben werde, träten die Rechtsfolgen des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V nicht ein. Der Umstand, dass der
Kläger bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 15. September 1997 mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen
sei, vermöge hieran nichts zu ändern.
Mit seiner am 5. Oktober 2005 eingelegten Berufung, bezüglich deren Frist der Senat mit Beschluss vom 24. April
2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewährt hat, wiederholt
der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Vor- und Klageverfahren. Ergänzend behauptet er, dass er der
Beigeladenen auf deren Bescheid vom 1. August 1997 mit Schreiben vom 18. August 1997 (in Kopie vorgelegt, Blatt
103 der Prozessakte) mitgeteilt habe, dass er nicht mehr berufsunfähig sei. Er habe gebeten, die angekündigte
Zahlung zurückzuziehen, und zugleich die Rentenberechnung hinterfragt. Der Kläger meint (wohl), dass er mit diesem
Schreiben seinen Rentenantrag mit der Folge zurückgenommen habe, dass diese von ihm zurückzuzahlen sei,
nachdem die Beklagte ihm das Krankengeld für den strittigen Zeitraum ausgezahlt habe. Das rechtliche Hindernis
"Rentenbezug" für die Krankengeldzahlung sei weggefallen. Nach Zahlung des Krankengelds erwartet er von der
Beigeladenen eine erhöhende Berücksichtigung bei seinen Rentenanwartschaften.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Juni 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2002
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die
Zeit vom 27. Oktober 1997 bis 30. April 1998 Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug.
Die Beigeladene hält ebenfalls das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend, stellt jedoch keinen Antrag.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt
der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und
entscheiden, weil in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und - nach Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand - fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht
in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 27. Oktober 1997 bis
30. April 1998, weil er in diesem Zeitraum Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V in
der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung vom 10. Mai 1995).
Wie bereits das Sozialgericht, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird,
zutreffend festgestellt hat, ist unerheblich, ob die Rente zu Recht oder zu Unrecht gewährt wurde.
Auch der Hinweis des Klägers auf sein Schreiben vom 18. August 1997 vermag zu keiner anderen Beurteilung zu
führen. Zum einen handelt es sich hierbei nicht um die Rücknahme des Rentenantrags, sondern um eine Information
über die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit mit der Bitte, für die Zukunft nicht die angekündigten Leistungen zu
erbringen. Die Bewilligung für die Vergangenheit (ab 1. März 1996) wird nicht in Frage gestellt. Zum anderen würde
selbst eine Antragsrücknahme nach Erlass des Rentenbescheids und vor Eintritt der Bindungswirkung (vgl. hierzu:
Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Auflage 2003, § 115 Rz. 20 f.) die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und
die Rückzahlung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfordern, um die Anwendbarkeit des § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB V auszuschließen. An einer solchen Aufhebung und Rückzahlung fehlt es. Schließlich steht ein Zugang des
Schreibens vom 18. August 1997 bei der Beigeladenen nicht fest. Deren Aktenbestandteile betreffend Zeiten vor März
1998 sind unauffindbar. Eine Reaktion seitens der Beigeladenen ist offensichtlich nicht erfolgt; eine solche wird weder
vom Kläger vorgetragen noch gibt es Hinweise hierauf im späteren dokumentierten Verwaltungsverfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht
vorliegen.