Urteil des LSG Hamburg vom 24.11.2009

LSG Ham: anspruch auf bewilligung, vollmacht, gespräch, reparatur, kopie, akte, beratung, besuch, wartezeit, hauptsache

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 24.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 62 AS 624/05
Landessozialgericht Hamburg L 5 AS 10/06
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 20. Februar 2006 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Arbeitslosengeld II für die Zeit vor dem 24. Januar
2005 hat.
Der 1950 geborene Kläger bezog zuletzt Arbeitslosenhilfe bis zum 31. Dezember 2004 (Änderungsbescheid vom 26.
Oktober 2004).
Ausweislich eines Beratungsvermerks, der sich in der Verwaltungsakte der Beklagten befindet, sprach der Kläger am
17. August 2004 bei der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen eines Termins zur Abgabe eines Antrages auf
Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vor. In dem Vermerk heißt es, der
Kläger erwäge verfassungsrechtliche Schritte und gebe daher den Antrag nicht ab.
Der Kläger behauptet, er habe einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB II am 28. Oktober 2004 gestellt. Dies ist streitig.
Am 24. Januar 2005 sprach der Kläger erneut bei der Beklagten vor und beantragte die Bewilligung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. In der Verwaltungsakte der Beklagten befindet sich eine
Antragskopie, die unter dem 28. Oktober 2004 vom Kläger unterzeichnet wurde.
Mit Bescheid vom 7. April 2005 bewilligte die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II ab dem 24. Januar 2005.
Hiergegen erhob der Kläger am 2. Mai 2005 Widerspruch und führte zur Begründung aus, er habe bereits am 28.
Oktober 2004 einen Antrag auf Arbeitslosengeld II im Arbeitsamt in Hamburg-E., E1-Weg, Zimmer XXX gestellt und
benannte J. als Zeugen. Zudem sei er sei in der Zeit vom 16. Dezember 2004 bis zum 16. Januar 2005 arbeitsunfähig
krank gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung
hieß es, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II seien nur auf Antrag und nicht für Zeiten
vor Antragstellung zu erbringen (§ 37 SGB II). Ein Leistungsantrag vor dem 24. Januar 2004 sei nicht nachgewiesen.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte im Namen des Klägers am 5. Juli 2005 Klage erhoben. Trotz Aufforderung
des Sozialgerichts ist die Klage weder begründet worden noch wurde eine Vollmacht zur Akte gereicht. Das
Sozialgericht hat die Vollmacht erfolglos mit der Klageingangsverfügung vom 7. Juli 2005 und mit
Erinnerungsschreiben vom 22. August 2005 und 7. Oktober 2005 angefordert.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 10. November 2005 sind die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid
angehört und darauf hingewiesen worden, dass die Klage mangels wirksamer Bevollmächtigung unzulässig ist.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. Februar 2006 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Zur Begründung
hieß es, die Klage sei mangels Vorlage einer schriftlichen Prozessvollmacht unzulässig.
Gegen den am 22. Februar 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 22.
März 2006 Berufung eingelegt und eine Vollmacht zur Akte gereicht. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat
am 15. März 2007 wurde die Berufung nicht begründet. Im Rahmen dieser Verhandlung erklärte der Kläger, er habe
am 24. Januar 2005 bei der Beklagten persönlich vorgesprochen und neue Antragsformulare ausgefüllt. Er könne sich
jedoch nicht mehr genau erinnern. Dass dieses Antragsformular das Datum vom 28. Oktober 2004 trage sei kein
Widerspruch, denn er habe damit dokumentieren wollen, dass er den Antrag schon am 28. Oktober 2004 gestellt
habe. Er hat beantragt, den Zeugen J. als Zeugen zu hören. In der mündlichen Verhandlung am 25. September 2009
hat er erklärt, er könne nach all der Zeit nicht mehr genau sagen, wann er den Antrag abgegeben habe, es müsse aber
der Tag gewesen sein, an dem er den Antrag auch unterschrieben habe. Er habe den zu Hause ausgefüllten Antrag
zusammen mit dem Zeugen J. nach der Reparatur seiner Terrassentür im Amt abgegeben. Am 24. Januar 2005 habe
er eine Kopie seines Antrages vom 28. Oktober 2004 bei der Beklagten abgegeben.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hamburg vom 20.
Februar 2006 und unter Änderung des Bescheides vom 7. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.
Juni 2005 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld II auch für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 23. Januar 2005,
hilfsweise bis zum 16. Januar 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Ermittlungen des Gerichts zur Besetzung des Zimmers XXX im Dienstgebäude der Agentur für Arbeit im E1-Weg
am 28. Oktober 2004 sind erfolglos geblieben. In der mündlichen Verhandlung am 24. November 2009 hat das Gericht
Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen J ...
Mit Beschluss vom 21. Januar 2009 hat der Senat die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 SGG (Sozialgerichtsgesetz)
dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, des Inhaltes der Bescheide und des Vorbringens
der Beteiligten sowie der Aussage des Zeugen wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Prozessakte und das
Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen und ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und
entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss vom 21.
Januar 2009 die Berufung der Berichterstatterin übertragen hat, die nach § 153 Abs. 5 SGG zusammen mit den
ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet.
Allerdings konnte der Mangel der fehlenden Prozessvollmacht durch deren Vorlage im Berufungsverfahren geheilt
werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 23. Januar 1986 – 11 a RA 34/85,
SozR 1500 § 73 Nr. 5; Urteil vom 13. Dezember 2000 – B 6 KA 29/00 R, SozR 3-1500 § 73 Nr. 9) scheidet eine
Heilung nur dann aus, wenn die Vorinstanz den Bevollmächtigten unter Fristsetzung zur Vorlage einer
Prozessvollmacht aufgefordert hat. Nur dann müsse sich dem Bevollmächtigten aufdrängen, dass das Fehlen der
Prozessvollmacht möglicherweise im nachfolgenden Rechtsmittelverfahren nicht mehr geheilt werden kann. Unter
Anwendung dieses Maßstabs war eine Heilung im vorliegenden Verfahren möglich. Sie erfolgte durch Vorlage der
Vollmacht am 22. März 2006.
Der Bescheid der Beklagten vom 7. April 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2005 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 23. Januar 2005.
Gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor der
Antragstellung erbracht. Nachgewiesen ist lediglich eine Antragstellung am 24. Januar 2005. Eine Antragstellung
davor, insbesondere am 28. Oktober 2004, kann nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 SGG) nicht
festgestellt werden.
Der Kläger hat selbst in der mündlichen Verhandlung am 25. September 2009 angegeben, er könne nicht mehr mit
Sicherheit sagen, wann er den Antrag abgegeben habe. Es müsse jedoch der Tag gewesen sein, an dem er den
Antrag unterschrieben habe. Warum es dieser Tag sein muss, hat der Kläger nicht erklärt und ist für das Gericht auch
nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Angaben des Klägers zu den Umständen der
Antragsabgebe widersprüchlich sind. Denn er gab an, er habe den Antrag persönlich abgeben und nicht in den
Briefkasten einwerfen wollen, weil er persönlich mit einer Beraterin sprechen wollte. Andererseits gab er an, der Antrag
sei bereits vollständig ausgefüllt gewesen, so dass er keiner Beratung mehr bedurft habe. Auch seine Angaben zur
Antragstellung am 24. Januar 2005 sind widersprüchlich. Während er einerseits angab, er habe am 24. Januar 2005
einen neuen Antragsvordruck ausgefüllt, hat er andererseits erklärt, er habe eine Kopie des Antrages vom 28. Oktober
2005 abgegeben. Das Vorbringen des Klägers war daher insgesamt nicht geeignet das Gericht davon zu überzeugen,
dass er vor dem 24. Januar 2005 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt hat.
Auch die Aussage des Zeugen J. ist nicht geeignet, die notwendige Überzeugung von einer Antragstellung vor dem
24. Januar 2005 zu begründen. Zwar hat der Zeuge die Angaben des Klägers, er sei mit diesem nach der Reparatur
einer Terrassentür auf dem Amt gewesen, bestätigt. Übereinstimmend haben er und der Kläger jedoch angegeben,
dass er nicht persönlich zugegen war, als der Kläger den Antrag im Dienstzimmer XXX abgegeben haben will. Er
wartete vielmehr auf dem Flur. Ob der Kläger daher den Antrag, wie von ihm behauptet, bei dieser Vorsprache
abgegeben hat, konnte der Zeuge daher nicht bestätigen. Zudem konnte der Zeuge nicht mehr erinnern, wann er mit
dem Kläger auf dem Amt gewesen ist. Auf Nachfrage konnte er sich nicht daran erinnern, ob der Besuch des
Arbeitsamtes im August, September oder Oktober gewesen ist. Zwar gab er an, er habe sich anlässlich des
geschilderten Treffens mit dem Kläger zu einer Bootmesse in Hamburg eine Woche später verabredet, welche Messe
es gewesen ist, konnte er jedoch nicht sagen. Tatsächlich hat die Bootsmesse "H." in der Zeit vom 23. Oktober 2004
bis zum 31. Oktober 2004 in Hamburg stattgefunden, allerdings war sie zu dem Zeitpunkt, an dem der Zeuge nach
seinen Angaben mit dem Kläger die Messe besuchen wollte, schon beendet, denn der Antrag wurde am 28. Oktober
2004 unterschrieben und der Zeuge will die Messe eine Woche später besucht haben. Dass der Antrag zurückdatiert
war, hat der Kläger nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Die Erinnerung des Zeugen kann sich daher
genauso gut auf die persönliche Vorsprache des Klägers bei der Agentur für Arbeit im August 2004 oder einen
anderen Termin beziehen. Hätte der Zeuge den Kläger zu dessen Vorsprache im August 2004 begleitet, würde dazu
passen, dass er nach seiner Erinnerung eine längere Zeit, zwischen 10 – 20 Minuten, auf den Kläger auf dem Flur des
Amtes gewartet haben will, während dieser im Dienstzimmer gewesen sein soll. Der Kläger hat in der mündlichen
Verhandlung am 25. September 2009 jedoch erklärt, er habe den Antrag am 28. Oktober 20054 ohne weiteres
Gespräch mit einem Mitarbeiter des Arbeitsamtes abgegeben. Er dürfte daher nur sehr kurze Zeit im Dienstzimmer
gewesen sein. Im Rahmen seiner Vorsprache am 17. August 2004 hat er dagegen nach dem Aktenvermerk eines
Mitarbeiters der Bundesagentur für Arbeit seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das SGB II vorgetragen und
ihm wurde zu einer Antragsabgabe bis zum 18. Oktober 2004 geraten. Hierbei könnte es also zu einem längeren
Gespräch gekommen sein, das die vom Zeugen beschriebene Wartezeit von 10 bis 20 Minuten verursacht haben
könnte.
Nach alledem ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger vor dem 24. Januar 2005 einen Antrag auf
Leistungen nach dem SGB II gestellt hat. Da der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen trägt und keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten für das Gericht ersichtlich sind, hat er
den Nachteil zu tragen, dass eine Antragstellung vor dem 24. Januar 2005 nicht mehr nachgewiesen werden kann. Ein
Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II besteht daher für die Zeit vor der nachgewiesenen Antragstellung
am 24. Januar 2005 nicht.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger im Dezember 2004 und Januar 2005 krankgeschrieben
war. Zwar hat er unter Umständen einen Anspruch auf Krankengeld gehabt, diesen kann er jedoch nicht mit Erfolg
gegenüber der Beklagten geltend machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.