Urteil des LSG Hamburg vom 17.04.2008

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Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 17.04.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 4 R 316/06
Landessozialgericht Hamburg L 3 R 18/08
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Januar 2008 wird
zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung der Monatsbeträge der Altersrente des Klägers.
Die Beklagte gewährte dem am XX.XXXXXXXXX 1940 geborenen Kläger mit Bescheid vom 20. Januar 2006
Regelaltersrente ab 1. Januar 2006 in Höhe von 517,13 Euro. In diesem Bescheid wies sie darauf hin, dass die Rente
jeweils am Monatsende ausgezahlt werde. Den gegen den Zeitpunkt der Auszahlung gerichteten Widerspruch wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2006 unter Darlegung der gesetzlichen Regelungen in §§ 118
und 272a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Hamburg mit Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2008 abgewiesen.
Die Beklagte wende die eindeutig formulierte gesetzliche Regelung zum Auszahlungstermin der Renten zutreffend an.
Die Übergangsregelung in § 272a SGB VI sei auf den Kläger nicht anwendbar. Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht
liege nicht vor.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt. Es stelle eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung
dar, wenn ein Teil der Rentner ihre Renten monatlich im Voraus gezahlt bekämen, während andere willkürlich auf eine
nachschüssige Zahlung verwiesen würden. Eine solche Regelung sei nicht damit zu rechtfertigen, dass nicht
genügend Geld vorhanden sei.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 9. Januar 2008 aufzuheben sowie den
Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm die monatlichen Beträge der Altersrente jeweils im Voraus
auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren durch die Berichterstatterin
einverstanden erklärt.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Sie sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte die Berichterstatterin an Stelle des Senats und im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil
sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 und § 155 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3
Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§ 143,
144, 151 SGG) ist unbegründet.
Der Bescheid vom 20. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2006 ist rechtmäßig.
Die Beklagte hat die Regelaltersrente des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher von ihm zurückgelegter
rentenrelevanter Zeiten richtig berechnet. Diese Rente gewährte sie zutreffend ab 1. Januar 2006.
Auch die Auszahlung der jeweiligen Monatsbeträge zum letzten Bankarbeitstag des Monats ist nicht zu beanstanden.
Dies entspricht dem im Falle des Klägers anzuwendenden § 118 Abs. 1 SGB VI in der Fassung des Dritten Gesetzes
zur Änderung des SGB VI und anderer Gesetze vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3019). Die Übergangsregelung
für bestimmte Bestandsrenten gemäß § 272a SGB VI ist hier nicht anwendbar. Zur Vermeidung von Wiederholungen
nimmt das Gericht insoweit auf die Gründe des angegriffenen Gerichtsbescheides sowie zusätzlich die Begründung
im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. Februar 2006 Bezug (§§ 153 Abs. 2, 136 Abs. 3 SGG).
Die ab 1. März 2004 geänderte Regelung zur (nachschüssigen) Auszahlung von Renten verstößt nicht gegen
höherrangiges Recht.
Insbesondere ist kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG))
festzustellen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dadurch ist dem
Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitsgrundsatz ist vielmehr nur dann verletzt, wenn
eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen
beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche
Behandlung rechtfertigen könnten (st. Rspr. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), vgl. z.B. 7.7.92 - 1 BvL 51/86 u. a.,
BVerfGE 87, 1). Das bis zum 29. Februar 2004 geltende Recht sah die Auszahlung aller Renten zum Monatsanfang
vor. Der Gesetzgeber ist mit dem neuen Recht zu einer nachschüssigen Zahlung am Monatsende übergegangen. Zur
Abmilderung des Übergangs ist ein Bestandsschutz in § 272a SGB VI geregelt worden. Das bedeutet, dass die
Altregelung wie die Neuregelung jeweils für sich betrachtet keine unterschiedliche Behandlung der Rentner vorsieht.
Ein Unterschied entsteht erst durch die Übergangsvorschrift, wonach ein Teil der Bestandsrentner noch vom alten
Recht profitieren, während für die Neurentner bereits die ungünstigere Regelung zur Anwendung kommt. Hier ist ein
Stichtag zur Abgrenzung dieser beiden Gruppen von Normadressaten gewählt worden. Zur Regelung bestimmter
Lebenssachverhalte dürfen Stichtage eingeführt werden, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich
bringt (vgl. st Rspr BVerfG 10.10.1978, 2 BvL 10/77, BVerfGE 49, 260). Stichtage unterliegen der
verfassungsrechtlichen Überprüfung nur daraufhin, ob der Gesetzgeber den ihm bei der Stichtagsregelung
zukommenden Gestaltungsfreiraum in sachgerechter Weise genutzt, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht
kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen
Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich
erscheint (vgl. stRspr BVerfG, 5.7.1989, 1 BvL 11/87, 1 BvR 1053/87, 1 BvR 556/88, BVerfGE 80, 297; 7.7.1992, 1
BvL 51/86, 1 BvL 50/87, 1 BvR 873/90, 1 BvR 761/91, BVerfGE 87, 1 und 26.6.07, 1 BvR 2204/00, 1 BvR 1355/03,
SozR 4-2600 § 2 Nr. 10). Hat sich der Gesetzgeber entschieden, aus Gründen der Stabilisierung des Beitragssatzes
der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. zur Gesetzesbegründung auch die Darlegungen im angegriffenen Urteil und
die BT-Drucks. 15/1831), den Auszahlungstermin für Neurentner auf das Monatsende zu legen, ist die Verwendung
eines Stichtags unabdingbar. Es ist der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen, inwieweit er
Übergangsregelungen schafft. Die Regelung in § 272a SGB VI ist jedenfalls schon deswegen sachgerecht, weil von
der Änderung bestimmte Bestandrentner ausgenommen wurden, die schon aufgrund des laufenden Rentenbezugs
sich nur wesentlich schwerer auf einen späteren Auszahlungstermin der Rente umstellen könnten, denn sie müssten
im Umstellungszeitpunkt ihren Lebensunterhalt nach einer Rentenzahlung zum Monatsanfang mit der nächsten
Rentenzahlung zum Ende des Folgemonats sichern, also mit einer Monatsrente eine Zahlungslücke von fast zwei
Monaten überbrücken. Demgegenüber hat der Personenkreis der Neurentner häufig schon während der
Berufsausübung eine Entgeltzahlung zum Monatsende oder wie viele Selbständige (und so auch der Kläger)
unregelmäßige Einnahmeeingänge hinnehmen müssen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint die Wahl
des Stichtags am 1. April 2004 nicht sachwidrig.
Es liegt auch kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Eigentum gemäß Art. 14 GG vor. Wie das Bundessozialgericht
im Urteil vom 27. März 2007 (B 13 R 37/06 R, SozR 4-2600 § 65 Nr. 1) bezüglich der "Renten-Nullrunde 2004", dem
sich das erkennende Gericht anschließt, dargelegt hat, ist nicht jede geringfügige Beeinträchtigung des Eigentums
geschützt. Dabei wird vorliegend unterstellt, dass der Termin der Auszahlung der jeweiligen Rentenbeträge in den
Schutzbereich der Eigentumsgarantie fällt. Inhalt und Schranken des Eigentums werden durch die Gesetze bestimmt
(Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), welche das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten haben. Die Veränderung des
Auszahlungstermins dient der Sicherung der Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Rentenversicherung und stellt sich
hierfür auch als ein erforderliches und geeignetes Mittel dar. Sie ist dem Kläger zumutbar und verhältnismäßig im
engeren Sinne. Denn vorliegend handelt es sich um eine geringfügige Beeinträchtigung seines Rentenanspruchs, die
er dadurch erleidet, dass er über den jeweiligen Rentenbetrag erst zum Monatsende und nicht schon zum
Monatsanfang verfügen kann, wobei ein konkreter finanzieller Nachteil durch die neue Auszahlungsregelung weder
vorgetragen noch sonst ersichtlich ist. Die Beeinträchtigung des Eigentumsschutzes hält sich daher im
Bagatellbereich. Eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG scheidet wegen der
dargelegten Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Regelung ebenfalls aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.