Urteil des LSG Hamburg vom 07.02.2007

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Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 07.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 21 KR 212/06
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 33/06
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Höhe der Vergütung für Leistungen der häuslichen Krankenpflege.
Die Klägerin betreibt einen privaten Pflegedienst und erbrachte u. a. Leistungen der häuslichen Krankenpflege für
Mitglieder der Beklagten. Diese weigerte sich in einer Reihe von Fällen, in denen das An- und Ausziehen von
Kompressionsstrümpfen verordnet, dies als Pflegeleistung erbracht und von der Klägerin hierfür ein zweimaliger
Einsatz in Rechnung gestellt worden war, den zweiten Einsatz zu vergüten. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Darstellungen in der Klageschrift vom 16. Oktober 2002 sowie in den Schriftsätzen der Klägerin vom 8. Dezember
2003 (Blatt 72 ff. der Gerichtsakte), 16. November 2004 (Blatt 92 ff. der Gerichtsakte) und 13. März 2006 (Blatt 110 ff.
der Gerichtsakte) Bezug genommen. Zur Begründung der vorgenommenen Kürzungen berief sich die Beklagte jeweils
darauf, dass die Position Nr. 2263 ("Kompressionsstrümpfe/-hose, An und Aus") der Anlage 2 zu dem u. a. zwischen
der Klägerin und der Beklagten in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis 31. Dezember 2002 geltenden Vertrag über die
Durchführung häuslicher Krankenpflege gemäß § 132a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) (im
Folgenden: HKP-Vertrag) in Höhe von 14,95 DM bzw. 7,64 EUR nur einmal pro Tag abgerechnet werden könne. Diese
umfasse sowohl das An- als auch das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe.
Mit ihrer am 17. Oktober 2002 erhobenen Klage hat die Klägerin Zahlung auch des Kürzungsbetrages verlangt und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der vertraglichen Regelung die Position Nr. 2263 zweimal täglich
anfalle, nämlich einmal beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe und dann noch einmal beim Ausziehen. Eine
solche Auslegung entspreche dem übereinstimmenden Willen der vertragsschließenden Personen vom Zentralverband
Hamburger Pflegedienste e. V. und den Ersatzkassenverbänden. Nach Kündigung des bis zum 31. Dezember 1995
geltenden HKP-Vertrags seien die Hamburger Pflegedienste und die Ersatzkassen übereingekommen, dass ab April
1996 die Leistungen des An- und des Ausziehens von Kompressionsstrümpfen je Besuch mit einem Betrag in Höhe
von 16,25 DM zuzüglich der Wegepauschale zu vergüten seien. Im Rahmen der Verhandlungen für den ab 1. Januar
1999 geltenden HKP-Vertrag sei man davon ausgegangen, dass diese Regelung bei einer Kürzung der Leistung des
An- und des Ausziehens von Kompressionsstrümpfen um je 1,30 DM beibehalten werden solle. Entsprechend habe
die Beklagte - wie sämtliche anderen Ersatzkassen auch - zunächst die beantragte Vergütung vorgenommen und dies
erst im Laufe des Jahres 2000 nach Inkrafttreten der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege vom 16. Februar 2000 dahingehend geändert, dass
die Position Nr. 2263 nur noch einmal pro Tag vergütet worden sei. Die Beklagte müsse sich jedoch an der
vertraglichen Regelung festhalten lassen.
Die Beklagte hat den von der Klägerin behaupteten übereinstimmenden Willen der vertragsschließenden Personen
bestritten und unter Vorlage von Schriftverkehr und Aktenvermerken aus dem Zeitraum der Verhandlungen für den
HKP-Vertrag ausgeführt, dass die Hamburger Pflegedienste eine Regelung angestrebt hätten, wonach das An- oder
Ausziehen mit einem Betrag von 14,95 DM hätte vergütet werden sollen. Dieser im Gegensatz zur erfolgten "Und"-
Verknüpfung stehende Formulierungswunsch sei nicht in den Vertrag aufgenommen worden. Es wäre auch
widersinnig, wenn gerade diese Position eine nahezu hundertprozentige Erhöhung erfahren hätte. Bis zum 31.
Dezember 1998 habe lediglich für das Anlegen von Kompressionsstrümpfen ein Vergütungsanspruch bestanden, das
Ausziehen sei nicht vergütungsfähig gewesen. Im Übrigen sei das Ausziehen von Kompressionsstrümpfen deutlich
weniger aufwändig als das Anziehen, so dass nicht nachvollziehbar wäre, warum beide Leistungen jeweils mit 14,95
DM hätten vergütet werden sollen. Die Regelung in dem seit 1. Januar 2003 geltenden Vertrag, wonach das Anziehen
von Kompressionsstrümpfen mit 5,00 EUR und das Ausziehen mit 3,00 EUR vergütet werde, zeige, dass in dem
Zeitraum davor nicht eine insgesamt fast doppelt so hohe Vergütung wie seither vereinbart gewesen sein könne. Dass
die Beklagte vorübergehend die zweimalige Abrechnung der Position 2263 ohne Beanstandung gelassen habe, beruhe
darauf, dass dies übersehen worden sei. Sie gehe generell davon aus, dass Abrechnungen vertragskonform erfolgen.
Anders wären die zahlreichen Abrechnungen mit entsprechenden Zahlungsfristen gar nicht zu bewältigen. Intensive
Abrechnungsprüfungen erfolgten nur in einer gewissen Anzahl stichprobenartig. Im Rahmen einer derartigen Prüfung
sei aufgefallen, dass die strittige Gebührenziffer in der Vergangenheit nicht vertragskonform abgerechnet worden sei.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. März 2006 abgewiesen und sich dabei der nicht veröffentlichten,
aber den Beteiligten bekannten, erfolglos mit der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG 25. Juli 2005 - B 3 KR 15/05 B)
angegriffenen Entscheidung des erkennenden Senats vom 9. Februar 2005 - L 1 KR 116/04 zu derselben Streitfrage
angeschlossen. Die Regelung unter Position Nr. 2263 sei eindeutig in dem Sinne, dass An- und Ausziehen der
Kompressionsstrümpfe eine Leistung sei, die nur einmal mit 14,95 DM zu vergüten sei. Den Anträgen der Klägerin, für
ihre Behauptungen, insbesondere hinsichtlich der angeblich übereinstimmenden Vorstellungen der handelnden
Personen bei den Vertragsverhandlungen, Beweis durch Einvernahme von näher bezeichneten Zeugen aus dem
Vorstand des Zentralverbandes Hamburger Pflegedienste e.V. und von den Ersatzkassenverbänden zu erheben, sei
nicht nachzugehen gewesen, weil es hierauf in Anbetracht des maßgeblichen klaren Wortlauts der streitigen
Vergütungsregelung, die von ihrer wirtschaftlichen Seite durch die Nachfolgeregelung bestätigt werde, nicht ankomme.
Auch daraus, dass die Beklagte zunächst Abrechnungen nicht beanstandet habe, sei es, weil sie einen anderen
Rechtsstandpunkt eingenommen habe, sei es, weil sie die Abrechnung gegen den Wortlaut in Ermangelung
regelmäßiger Prüfungen nicht erkannt habe, könne die Klägerin keinen Anspruch auf eine weitere Vergütung herleiten.
Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 17. Juli 2006 zugestellte Urteil am 2. August 2006
Berufung eingelegt, mit der sie ihr Zahlungsbegehren unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens weiter verfolgt.
Sie hält an ihrer Rechtsauffassung und ihren Behauptungen fest und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 29. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie einen
Betrag in Höhe von 1.114,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 24. Juni 2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und nimmt darüber hinaus Bezug auf eine weitere Entscheidung des
erkennenden Senats vom 17. November 2004 - L 1 KR 165/03sowie eine solche des Landessozialgerichts Hessen
vom 3. März 2005 - L 1 KR 380/03, beide nicht veröffentlicht. Sie nimmt ferner Bezug auf die den Beteiligten
bekannte Entscheidung des Senats vom 15. November 2006 - L 1 KR 31/06.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der
Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG)
eingelegte Berufung, über die der Senat nach §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im
Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet. Das
Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren
Vergütung für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen im Rahmen der für Mitglieder der Beklagten
erbrachten häuslichen Krankenpflege.
Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch ist § 8 des HKP-Vertrags in Verbindung mit Position Nr. 2263 der
dortigen Anlage 2 ("Kompressionsstrümpfe/-hose, An und Aus ... 14,95 DM"). Mit dem Sozialgericht und entgegen der
Auffassung der Klägerin hält der erkennende Senat diese Regelung nach ihrem Wortlaut und ihrer systematischen
Stellung in mittlerweile ständiger Rechtsprechung für eindeutig.
Die Vergütung von einmalig 14,95 DM umfasst sowohl das An- als auch das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe.
Anderenfalls hätte die Formulierung lauten müssen "An oder Aus" bzw. "jeweils 14,95 DM".
Dass auch den an den Vertragsverhandlungen beteiligten Personen diese inhaltlichen Unterschiede je nach Wortwahl
bewusst waren, ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Vermerk über das
Gespräch mit den Pflegeverbänden vom 17. August 1998 (Blatt 32 ff., 33 der Verwaltungsakte) sowie dem
Vertragsentwurf der Pflegeverbände als Anlage zum Schreiben vom 6. Oktober 1998, dortige Position 2200 (Blatt 16
ff., 26 der Verwaltungsakte).
Eine Vergleichbarkeit der Position Nr. 2263 der Höhe der Vergütung nach mit den anderen Position des HKP-
Vertrages besteht nur dann, wenn man diese Position im Sinne der Auffassung der Beklagten versteht. Die Vergütung
in Höhe von 14,95 DM ist die höchste im HKP-Vertrag vorgesehene und wird unter anderem erbracht für das
Absaugen, die Bedienung und Überwachung des Beatmungsgeräts, die Decubitusbehandlung/-versorgung, das
Verabreichen von Sondennahrung, die Stomaversorgung, das Anlegen und Wechseln von Verbänden, wobei hier
ausdrücklich in den Erläuterungen klar gestellt wird, dass das Entfernen und Anlegen von Verbänden zusammen als
nur eine Leistung vergütet wird. Etwas geringer vergütet werden unter anderem die Katheterisierung der Harnblase,
Wechsel und Überwachung einer Magensonde und mit etwa der Hälfte die Gabe von Injektionen, Einreibungen,
Injektionen, Spülungen oder auch die Blutzuckermessung. Die Grundpflege wird mit 20,60 DM vergütet. In dem
vorgenannten Gefüge würde die Position Nr. 2263 bei einer Auslegung dahingehend, dass für morgendliches Anziehen
und abendliches Ausziehen von Kompressionstrümpfen insgesamt 29,90 DM anfielen, der Höhe nach
unverhältnismäßig erscheinen, unabhängig davon, dass eine Gleichbewertung von aufwändigem Anziehen einerseits
und deutlich weniger aufwändigem Ausziehen andererseits nicht nachvollziehbar erschiene.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es angesichts der Eindeutigkeit der Auslegung nach Wortlaut und
systematischer Stellung weder auf die Vorstellungen der in den Vertragsverhandlungen auftretenden Personen an
noch auf die weiteren von ihr schriftsätzlich unter Beweis gestellten Tatsachen. Vergütungsregelungen sind stets eng
nach ihrem Wortlaut, ergänzend auch noch nach dem systematischem Zusammenhang, auszulegen; Bewertungen
und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (BSG 13. Dezember 2001 - B 3 KR 1/01 R, SozR 3-5565 § 14 Nr. 2,
sowie 21.02.2002 - B 3 KR 30/01 R, Breith 2002, 601; LSG Hessen, a.a.O.). Nur dann können sie ihren Zweck
erfüllen, der in der routinemäßigen Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen besteht. Ein dem Wortlaut
entgegenstehender Wille der Vertragsschließenden ist gemessen hieran nur dann zu berücksichtigen, wenn dieser
Wille übereinstimmend und auch entsprechend dokumentiert ist, sei es in einer Protokollnotiz zu der vertraglichen
Regelung oder in dem zur Überwindung von Meinungsverschiedenheiten vereinbarten Verfahren der Vertragsparteien
(LSG Hessen 29.06.2006 - L 1 KR 7/05, n.v.). Hieran fehlt es vorliegend. Die Änderung des HKP-Vertrags mit Wirkung
ab 1. Januar 2003 hinsichtlich der strittigen Position dahingehend, dass nunmehr das Anziehen von
Kompressionstrümpfen mit 5,00 EUR und das Ausziehen mit 3,00 EUR vergütet und beides getrennt aufgeführt wird,
spricht vielmehr dafür, dass ein Auslegungsstreit bestand und im Sinne der Beklagten geregelt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Als
unterlegene Berufungsführerin hat die Klägerin die Gerichtskosten und die zur zweckentsprechenden
Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beklagten zu tragen (§ 162 Abs. 1 VwGO).
Der Senat hat die Revision gegen diese Entscheidung nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des §
160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.