Urteil des LSG Hamburg vom 19.04.2006

LSG Ham: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, beendigung des dienstverhältnisses, bfa, behandelnder arzt, zeichner, erwerbsunfähigkeit, psychiatrie, rente, neurologie

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 19.04.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 32 KR 619/01
Landessozialgericht Hamburg L 1 KR 134/04
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. September 2004 wird
zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 18. Oktober 1996 bis 30. September 1997.
Der XXXXX 1936 geborene, bei der Beklagten freiwillig krankenversicherte Kläger war, als ihm der Internist Dr. G. am
11. März 1996 Arbeitsunfähigkeit attestierte, bei der D. P. AG als Konstrukteur (technischer Zeichner) im
Maschinenbau beschäftigt. Seine zunächst anhaltende Arbeitsunfähigkeit wurde mit dem Vorliegen einer Polyarthrose
(bis 24. März 1996), eines vegetativen bzw. nervösen Erschöpfungszustandes (11. März bis 30. September 1996) und
eines Hals- und Brustwirbelsäulensyndroms (3. Juni bis 29. September 1996) begründet
(Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen Dr. G. vom 19. August 1996 und Internist Dr. B. vom 16. September 1996).
Der Kläger erhielt bis zum 8. September 1996 Entgeltfortzahlung. Nachdem Dr. P. vom Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung (MDK) - Gutachten vom 30. September 1996 - ihn ab 1. Oktober 1996 hinsichtlich einer Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für arbeitsfähig erachtet hatte, teilte die Beklagte dem Kläger dies durch Bescheid
(ohne Rechtsbehelfsbelehrung) vom 30. September 1996 mit und bat zugleich um Übersendung der vom
behandelnden Arzt ausgefertigten "Ärztlichen Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit", damit sie das Krankengeld
überweisen könne. Falls sein behandelnder Arzt mit der Feststellung des MDK nicht einverstanden sein sollte, habe
er die Möglichkeit, ein Zweitgutachten zu beantragen. Falls der Kläger selbst Sachargumente gegen die Feststellung
des MDK vortragen wolle, so möge er dies tun. Sie, die Beklagte, werde dann gegebenenfalls weiteres veranlassen.
Die Beklagte gewährte dem Kläger dann am 8. Oktober 1996 Krankengeld für die Zeit vom 9. bis zum 30. September
1996.
Ausweislich ihres Vermerks vom 8. Oktober 1996 teilte Dr. G., der dem Kläger an diesem Tage auf dem ausgestellten
Zahlschein weitere Arbeitsunfähigkeit attestierte, der Beklagten an diesem Tage fernmündlich mit, dass er der MDK-
Feststellung (Ende der Arbeitsunfähigkeit mit dem 30. September 1996) nicht widerspreche. Auch Dr. B., dem die
Beklagte das Gutachten des MDK vom 30. September 1996 zugeleitet hatte, widersprach nicht. Am 17. Oktober 1996
erschien der Kläger bei der Beklagten und beschwerte sich über die Begutachtung vom 30. September 1996 und
deren Ergebnis. Die Beklagte bedeutete ihm, dass aufgrund des MDK-Gutachtens Krankengeld nur bis zum 30.
September 1996 habe gewährt werden können. Außerdem wurde der Kläger - wie schon unter dem 30. September
1996 - auf die ihm gegen diese Entscheidung zustehenden Verfahrensmöglichkeiten hingewiesen. Nach dem über das
Gespräch vom 17. Oktober 1996 gefertigten Vermerk der Beklagten wollte der Kläger, dass alle Angelegenheiten
schriftlich mit ihm geklärt würden. Die Beklagte übersandte ihm unter dem 21. Oktober 1996 eine Aufstellung über die
Höhe seines Krankengeldes, die er von ihr bei dieser Vorsprache erbeten hatte. Nach dem 8. Oktober 1996 wünschte
der Kläger die weitere Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von Dr. G. nicht mehr (Attest Dr. G. vom
17. Dezember 1998).
Im Februar 1996 hatte der Kläger der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) mitgeteilt, dass er ein
Vorruhestandsangebot der D. P. AG in Anspruch nehmen wolle, im Juni 1996 hatte er bei der BfA die Gewährung von
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit beantragt. Nachdem die Postbetriebsärztin Dr. H. bei ihm am
30. Mai 1996 Dienstunfähigkeit festgestellt und die D. P. AG ihm dies unter dem 14. Juni 1996 mitgeteilt hatte, schied
der Kläger mit Ablauf des 30. September 1996 aus dem Dienst der D. P. AG aus. Ab 1. Oktober 1996 bezog er von
der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) eine Versorgungsrente, deren Zahlung nur erfolgen konnte,
wenn das Krankengeld wegfiel (Schreiben der VAP an den Kläger vom 2. September 1996). Der Kläger war auch
danach bei der Beklagten freiwillig krankenversichert.
Die BfA holte im Rentenverfahren von Dr. G. den Befundbericht vom 24. Juli 1996, die Gutachten des Arztes
Neurologie und Psychiatrie Dr. H1 vom 26. August 1996 (Untersuchung: 19. August 1996) und des Dr. B1 vom 18.
Oktober 1996 (Untersuchungen: 30. September und 8. Oktober 1996) sowie den Befundbericht des Internisten Dr. K.
vom 14. Oktober 1997 ein. Sie lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 17. Dezember 1996 ab. Seinen
diesbezüglichen Widerspruch begründete der Kläger insbesondere mit dem vom Versorgungsamt mit Bescheid vom
10. Oktober 1996 festgestellten Grad der Behinderung von 40 (Teilverlust des Magens und Verdauungsstörung;
psychoorganische Fehlsteuerung; Hauterkrankung; Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden) und mit nach
postdienstrechtlichen Vorschriften bestehender Dienstunfähigkeit. Nach Einholung des Gutachtens des Orthopäden
Dr. S. vom 11. Dezember 1997 wies die BfA den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. März 1998).
Während des hiergegen vom Kläger vor dem Sozialgericht Darmstadt betriebenen Klageverfahrens (S 6 J 718/98)
wurde bei ihm durch eine Biopsieuntersuchung am 23. April 1998 (Bericht des Dr. M. vom 24. April 1998) ein sehr
kleines Anastomosencarcinom am im Jahre 1962 Billroth II-resezierten Magen festgestellt. Nachdem es deshalb im
Universitätsklinikum H2/Saar im Mai 1998 zur Restgastrektomie mit Ösophagojejunostomie nach Y-Roux gekommen
war, gewährte die BfA dem Kläger ab 1. Mai 1998 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 29. Mai 1998).
Das Sozialgericht Darmstadt wies die vom Kläger auf Rentengewährung für die Zeit vom 1. Juli 1996 bis 30. April
1998 beschränkte Klage durch Urteil vom 9. November 1999 ab. Er habe eine Tätigkeit als Konstrukteur im
Maschinenbau vor dem 1. Mai 1998 noch vollschichtig verrichten können. Es handle sich hierbei um eine körperlich
leichte Arbeit, die überwiegend im Stehen oder Sitzen (je nach Einstellmöglichkeit von Zeichenbrett/Zeichenanlage)
und in häufiger Zwangshaltung verrichtet werde. Auf das Gutachten des Internisten Dr. S1 vom 5. Mai 1999 wird
Bezug genommen. Der Kläger nahm seine Berufung (L 13 RA 218/00) am 29. März 2001 zurück. Seit dem 1. Februar
2001 erhält er von der BfA Regelaltersrente (Bescheid vom 8. November 2000).
Am 25. September 1998 rief der Kläger bei der Beklagten an und bat um Aufklärung, warum das Krankengeld zum 30.
September 1996 eingestellt worden sei. Die Beklagte teilte ihm mit, dass der MDK aufgrund der Untersuchung am 30.
September 1996 seine Arbeitsfähigkeit für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ab 1. Oktober 1996
festgestellt habe. Eine erneute Überprüfung sei ihr, der Beklagten, nicht mehr möglich. Hiergegen verwahrte sich der
Kläger und bat um Überprüfung seines Krankengeldanspruchs. Dieser habe s. E. für 78 Wochen bestanden. Die
Beklagte beschied den Kläger unter dem 28. Oktober 1998 dahin, dass Krankengeld über den 30. September 1996
hinaus nicht gewährt werden könne, weil der Bescheid vom 30. September 1996 bestandskräftig geworden sei. Selbst
wenn der Kläger vor Ablauf eines Jahres Widerspruch erhoben hätte, könnte eine andere Entscheidung nicht getroffen
werden. Ein Einspruch der Ärzte des Klägers sei nicht erfolgt. Die Feststellung der Betriebsärztin der D. P. AG vom
30. Mai 1996 sei nicht mit der Feststellung von Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen.
Gegen diesen Bescheid, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, wandte sich der Kläger am 1. Dezember 1998
(Schreiben vom 27. November 1998) und beantragte die Rücknahme des Bescheides vom 30. September 1996. Er
legte das Attest Dr. G.’s, bei dem er nach dem 8. Oktober 1996 noch am 14. November und 2. Dezember 1996 sowie
28. Januar 1997 – nach eigenen Angaben auch am 17. Oktober 1996 und 6. Mai 1998 - in Behandlung war, vom 17.
Dezember 1998 vor, nach welchem ab dem 11. März 1996 von durchgehender Arbeitsunfähigkeit auszugehen sei. Die
Diagnosen "psychovegetative Erschöpfung, Polyarthrose, Wirbelsäulensyndrom" hätten auch nach Oktober 1996
weiter bestanden. Unter Berücksichtigung des im Frühjahr 1998 festgestellten Anastomosenkarzinoms bei Zustand
nach Magenresektion sei spätestens seit 1997 von einer relevanten Krebsdiagnose auszugehen.
Die Beklagte setzte dem Kläger mit Schreiben vom 5. Februar 1999 ihre Sicht der Angelegenheit noch einmal
auseinander. Das Fortbestehen der Diagnosen, welche die Arbeitsunfähigkeit vom 11. März bis 30. September 1996
begründet hätten, über den 30. September 1996 hinaus sei nicht mit dem Fortbestand von Arbeitsunfähigkeit
gleichzusetzen. Die im Frühjahr 1998 festgestellte Erkrankung (bzw. Wiedererkrankung) des Magens
(Anastomosenkarzinom) habe damals gegebenenfalls Arbeitsunfähigkeit ausgelöst. Es bestehe aber kein Anhalt
dafür, dass Arbeitsunfähigkeit schon vor Feststellung dieser Karzinomerkrankung eingetreten sei. Dennoch erklärte
sich die Beklagte bereit, dem Kläger "aus verfahrensrechtlichen Gründen" Krankengeld bis zum 17. Oktober 1996 zu
zahlen, weil er an diesem Tage ausführlich auf die Einstellung der Krankengeldzahlung wegen des Endes der
Arbeitsunfähigkeit zum 30. September 1996 und die Möglichkeit des Einspruchs durch ihn selbst oder seinen Arzt
hingewiesen worden sei.
Nachdem die Beklagte von Dr. K. die Berichte vom 23. Februar und 15. März 1999 (Behandlungsbeginn: 24. Juni
1997) eingeholt und Unterlagen des Universitätsklinikums H2/Saar, der BfA, der Kassenärztlichen Vereinigung
Hessen (Behandlungen am 8. Oktober, 4. November und 2. Dezember 1996, 28. Januar 1997 und 6. Mai 1998) sowie
das postbetriebsärztliche Gutachten vom 30. Mai 1996 beigezogen hatte, zahlte sie dem Kläger das für die Zeit vom
1. bis 17. Oktober 1996 zugesagte Krankengeld, lehnte aber eine weitere Zahlung ab (Bescheid vom 3. November
1999). Sie verblieb trotz der Einwände des Klägers (Schreiben vom 8. November 1999) bei ihrer Auffassung
(Schreiben vom 24. November 1999) und wies den Widerspruch durch in Frankreich zugestellten
Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2001 zurück. Hiergegen richtet sich die am 20. Juni 2001 erhobene Klage.
Das Sozialgericht hat von Dr. G. den Bericht vom 28. Juni 2002, von Dr. K. den Bericht vom 14. Oktober 2002
(Behandlungen u. a. 24. und 30. 06., 08. und 15. 07. 1997) und von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie K1 den
Bericht von 26. Juni 2002 (einmalige Untersuchung am 23. 04. 1996) eingeholt. Sodann hat es von dem Arzt für
Neurologie und Psychiatrie Dr. L. das Gutachten nach Aktenlage vom 21. Januar 2004 über die Arbeitsfähigkeit des
Klägers (als Konstrukteur) im streitigen Zeitraum eingeholt. Dr. L. hat auf seinem Fachgebiet im genannten Zeitraum
lediglich einen blanden ausgeprägten reaktiv depressiven Verstimmungszustand ohne Krankheitswert diagnostiziert.
Es spreche nichts dafür, dass der Kläger nicht habe als Konstrukteur arbeiten können.
Hiergegen hat der Kläger eingewandt, der von den Ärzten K1, Dr. G. und Dr. P. (MDK) 1996 festgestellte
Erschöpfungszustand sei von Dr. L. nicht berücksichtigt worden. Die Karzinomentstehung habe den
Erschöpfungszustand hervorgerufen. Im Übrigen habe er schon bei der Untersuchung durch Dr. H1 über
Magenschmerzen und Verdauungsbeschwerden geklagt. Das seien Hinweise auf eine bereits vorhandene
Krebserkrankung gewesen. Auch habe Dr. P. ihn nur für den allgemeinen Arbeitsmarkt, nicht aber als Konstrukteur,
für arbeitsfähig gehalten.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 2. September 2004 abgewiesen. Der Kläger sei vom 17. Oktober
1996 bis 30. September 1997 nicht arbeitsunfähig als Konstrukteur gewesen. Durch einen - gegebenen - Zustand der
Erschöpfung sei Arbeitsunfähigkeit nicht eingetreten.
Gegen das ihm am 18. November 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Dezember 2004 Berufung eingelegt.
Er wiederholt seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. September 2004 und die Bescheide der Beklagten vom 28. Oktober
1998 und 3. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2001 abzuändern und die
Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme des Bescheides vom 30. September 1996 für die Zeit vom 18. Oktober
1996 bis 30. September 1997 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Prozessakten und der in der Niederschrift aufgeführten Akten und Unterlagen Bezug
genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 151
Sozialgerichtsgesetz ( SGG )).
Das Rechtsmittel ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 18. Oktober 1996 bis 30. September 1997.
Versicherte haben nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) u. a. Anspruch auf Krankengeld,
wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne
zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens
achtundsiebzig Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Tritt
während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, so wird die Leistungsdauer nicht verlängert § 48 Abs. 1
SGB V). Der Anspruch auf Krankengeld entsteht, soweit hier von Bedeutung, von dem Tag an, der auf den Tag der
ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (§ 46 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Er ruht, solange die Arbeitsunfähigkeit
der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der
Arbeitsunfähigkeit erfolgt (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V).
Vorliegend geht es nicht um die Beurteilung eines Krankengeldanspruches im originären Verwaltungsverfahren,
sondern um die Beurteilung eines Krankengeldanspruchs in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 Abs. 1 Zehntes
Buch Sozilagesetzbuch (SGB X). Die Beklagte hat nämlich mit Bescheid vom 30. September 1996 hinsichtlich der
Krankengeldzahlung vom 9. bis 30. September 1996 eine Erstentscheidung über eine auf den 30. September 1996
begrenzte Gewährung von Krankengeld (und über die Ablehnung der Krankengeldzahlung über diesen Tag hinaus)
getroffen. Der Bescheid vom 30. September 1996 ist bestandskräftig geworden. Der Kläger hat, als er am 17. Oktober
1996 in der Geschäftsstelle der Beklagten vorsprach und das Ergebnis der MDK-Begutachtung vom 30. September
1996 "beklagte", Widerspruch gegen die Begrenzung des inzwischen an ihn ausgezahlten Krankengeldes auf den 30.
September 1996 bzw. gegen den Bescheid dieses Datums nicht erhoben, insbesondere einen Widerspruch iSd § 84
Abs. 1 Satz 1 SGG zur Niederschrift nicht eingereicht. Er hat, als ihn die Beklagte am 17. Oktober 1996 darauf
hinwies, dass ein Widerspruch gegen die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit möglich sei und Krankengeld auf Grund des
MDK-Gutachtens nur bis zum 30. September 1996 gewährt werden könne, nicht erklärt, dass er Widerspruch erheben
wolle, obwohl dazu aus seiner Sicht Anlass bestanden hätte. Er hat sich vielmehr anschließend fast zwei Jahre lang
nicht mehr an die Beklagte gewandt. Als er sich am 25. September 1998 bei ihr meldete, war die Jahresfrist des § 66
Abs. 2 Satz 1 SGG verstrichen. Im Übrigen geht der Kläger, wie sein Klagantrag zeigt, selbst von der Bestandskraft
des Bescheides vom 30. September 1996 aus.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von
einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu
Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung
für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des
Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1
SGB X). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Kläger keinen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom
18. Oktober 1996 bis 30. September 1997 hat. Deshalb ist es im Ergebnis auch ohne Bewandnis, ob es sich
vorliegend um ein Überprüfungsverfahren iSd § 44 Abs. 1 SGB X oder um ein Erstfeststellungsverfahren handelt.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw. ärztliche Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers liegen für die
Zeit vom 18. Oktober 1996 bis 30. September 1997 nicht vor. Die weitere Ausstellung von
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über den 8. Oktober 1996 hinaus hat der Kläger nach den Angaben Dr. G. selbst
nicht gewünscht. Die Einschätzung Dr. G. im Attest vom 17. Dezember 1998 ist nicht mit der Feststellung von
Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen. Vielmehr hat Dr. G. im Schreiben an die Kassenärztliche Vereinigung Hessen
ausdrücklich erklärt, dass es sich hierbei nicht um ein Arbeitsunfähigkeitsattest handele.
Ergeben sich daher schon im Hinblick auf § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V und - wegen der erst im September 1998 erfolgten
Meldung einer behaupteten, über den 1. Oktober 1996 hinausgehenden Arbeitsunfähigkeit - auch im Hinblick auf § 49
Abs. 1 Nr. 5 SGB V erhebliche Zweifel, dass der geltend gemachte Krankengeldanspruch besteht, so bestehen
Zweifel zusätzlich im Hinblick auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. November 2005 (B 1 KR 30/04
R). Darin hat das BSG zwar ausgeführt, ein Versicherter könne sich auf den Mangel einer falschen Beurteilung seiner
Arbeitsfähigkeit auch zu einem späteren Zeitpunkt noch berufen, wenn er 1) alles in seiner Macht Stehende und ihm
Zumutbare getan habe, um seine Ansprüche zu wahren, er 2) daran aber durch eine von der Krankenkasse zu
vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde (z. B. durch die Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des
Vertragsarztes und des MDK) und er 3) seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich nach Erlangung der
Kenntnis von dem Fehler geltend gemacht habe. Dann könne ein Versicherter sich auf den Mangel der MDK-
Untersuchung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt berufen und könne unter diesen engen Voraussetzungen die
Unrichtigkeit der ärztlichen Beurteilung gegebenenfalls auch durch die nachträgliche Einschätzung eines anderen
ärztlichen Gutachtens nachgewiesen werden und der Versicherte ausnahmsweise rückwirkend Krankengeld
beanspruchen.
Der Senat kann im Ergebnis dahingestellt lassen, ob der Kläger alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare
getan hat, um seine Ansprüche zu wahren. Davon dürfte allerdings kaum die Rede sein. Denn der Kläger hat sich
lange Zeit damit begnügt, Versorgungsrente von der VAP zu erhalten. Diese hätte er nicht erhalten, wenn er über den
30. September 1996 hinaus weiter Krankengeld bezogen hätte. Auch hat der Kläger, weil er über den 8. Oktober 1996
von Dr. G. keine weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und von ihm auch nicht die Beantragung eines
Zweitgutachtens erbeten und auch von Dr. K. - Behandlung ab 24. Juni 1997 - eine solche nicht begehrt (oder
erhalten) hat, insoweit nicht alles in seiner Macht Stehende zu Wahrung des Krankengeldanspruchs getan. Dafür hatte
er auch keinen Anlass, weil er seit Juni 1996 Ansprüche auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw.
Berufsunfähigkeit gegenüber der BfA verfolgte. Erst nachdem sich - weil die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst ab
1. Mai 1998 gewährt wurde - eine Versicherungslücke vom 1. (18.) Oktober 1996 bis 30. April 1998 aufgetan hatte und
diese Lücke durch die Versorgungsrente der VAP nicht geschlossen werden konnte, hat sich der Kläger im
September 1998 darauf besonnen, den Krankengeldanspruch für die Zeit ab 1. Oktober 1996 (erneut) geltend zu
machen. Medizinische Unterlagen, die erkennen lassen, dass die medizinische Beurteilung des MDK vom 30.
September 1996 falsch war, hat er nicht vorgelegt. Vielmehr hat er lediglich seine Kritik am Gutachten des MDK vom
30. September 1996, die er bereits am 17. Oktober 1996 geäußert hatte, wiederholt. Im Ergebnis kommt es indes
nicht darauf an, ob der Kläger iSd Rechtsprechung des BSG alles in seiner Macht stehende und ihm Zumutbare getan
hat, um seine Ansprüche zu wahren. Denn es ist nicht zu erkennen, dass beim Kläger über den 1. (17.) Oktober 1996
hinaus weiter Arbeitsunfähigkeit bestand.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H1 hat im Gutachten vom 26. August 1996 ausgeführt, dass der Kläger
weiterhin als Konstrukteur arbeiten könne, soweit er nicht - wie angeblich an seinem bis zum 30. September 1996
innegehabten Arbeitsplatz - schikaniert und hinausgeekelt werde. Beim Kläger, bei dem eine neurologische
Erkrankung nicht vorliege (Ausschluss einer radikulären Symptomatik am rechten Arm und eines
Carpaltunnelsyndroms), handle es sich um eine dysphorische Verstimmung im Sinne einer Erlebnisreaktion auf eine
Unzufriedenheit und Gereiztheit in Folge beruflicher Schwierigkeiten. Dieser Verstimmung komme Krankheitswert
nicht zu. Da wegen der Aufgabe der letzten Tätigkeit als Konstrukteur zum 30. September 1996 auch das behauptete
mobbing am letzten Arbeitsplatz keine Bedeutung mehr entfalte, scheide bei Aufnahme einer neuen Tätigkeit als
Konstrukteur das bisherige mobbing oder ein Überforderungssyndrom aufgrund der betriebsinternen
Arbeitsbedingungen - wie es Dr. S1 (Gutachten vom 5. Mai 1999) unter Hinweis auf den Bericht Dr. K1’s vom 24. April
1996 ausgedrückt hat - als Ursache für weitere erlebnisreaktive Verstimmungen bzw. Unzufriedenheiten zudem aus.
Dr. B1, der den Kläger am 30. September und 8. Oktober 1996 untersucht hat, hat zwar, weil die letzte Gastroskopie
einige Jahre zurück lag, zum Ausschluss eines Malignoms eine Kontrolluntersuchung empfohlen. Eine wesentliche
Beeinträchtigung hat zum Untersuchungszeitpunkt aber nicht bestanden. Vielmehr hat Dr. B1 in seinem Gutachten
eine vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers als Konstrukteur ebenfalls bejaht. Dies hat auch Dr. S. hinsichtlich
einer Tätigkeit als Konstrukteur und technischer Zeichner im Gutachten vom 11. Dezember 1997 getan. Er hat ein
vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Gegenständen
bis 15 kg, ohne Überkopfarbeiten, in wechselnder Körperhaltung, ohne überwiegende Zwangshaltung des Rumpfes
oder hockende Tätigkeit für gegeben erachtet. Die Beweglichkeit der Schultern des Klägers war nicht eingeschränkt,
eine Funktionseinschränkung der Kniegelenke lag nicht vor. Auch Dr. S1 hat im Gutachten vom 5. Mai 1999 auf
Grund der aktenkundigen Befunde für die Zeit vom 1. Juli 1996 bis 30. April 1998 die vollschichtige Verrichtung
leichter körperlicher Arbeiten im Gehen oder Stehen oder Sitzen unter Vermeidung von Akkord-, Fließband-, Schicht-
und Nachtarbeit sowie von Arbeiten unter besonderem Stress oder Zeitdruck für möglich erachtet. Mit diesem
Leistungsvermögen war eine Arbeit als technischer Zeichner bzw. Konstrukteur vereinbar. Der Kläger hat im Termin
des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. November 1999 erklärt, zuletzt bei der D. P. AG nicht als Zeichner, sondern als
Konstrukteur für Maschinenbau gearbeitet zu haben. Dessen manuelle Tätigkeiten (das Zeichnen) entsprächen denen
eines technischen Zeichners. Bei seiner Tätigkeit hätten aber die geistigen Konstruktionsarbeiten im Vordergrund
gestanden und den überwiegenden Teil der Arbeit ausgemacht. Seit der CAD-Anwendung im Jahre 1994 habe er seine
Tätigkeit im Sitzen ausgeübt. Insgesamt liegt deshalb weder auf neurologisch-psychiatrischem oder orthopädischem
Fachgebiet noch auf internistischem Fachgebiet ein Nachweis einer Erkrankung vor, die über den 17. Oktober 1996
hinaus bis 30. September 1997 Arbeitsunfähigkeit als Konstrukteur begründet hat. Vielmehr folgt der Senat der
Begründung auf Seite 4 des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. November 1999 (S 6 RA 718/98), wo näher
ausgeführt worden ist, dass der Kläger vor dem 1. Mai 1998 noch vollschichtig seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als
Konstrukteur (Maschinenbau) verrichten konnte. Eine Konzentrationsschwäche oder allgemeine Abgeschlagenheit, die
der Verrichtung des bisherigen Berufs als Konstrukteur entgegengestanden hätte, ist nicht nachgewiesen. Das hat Dr.
L. unter Auswertung der spärlichen und unbedeutenden psychopathologischen Befunde im Gutachten nach Aktenlage
vom 21. Januar 2004 überzeugend klargestellt. All dies schließt das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit im streitigen
Zeitraum aus.
Dass der Kläger von Seiten der D. P. AG für dienstunfähig auf Grund postbetriebsärztlicher Feststellung der Dr. H.,
für welche eine Befunderhebung nicht ersichtlich ist, erklärt worden ist, liefert demgegenüber keinen überzeugenden
Beleg für seine Arbeitsunfähigkeit als Konstrukteur (Technischer Zeichner) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Den
eigentlichen Hintergrund für diese Feststellung hat das Angebot einer Versorgungsrente abgegeben, für welche es der
Feststellung der Dienstunfähigkeit und der Beendigung des Dienstverhältnisses bedurfte.
Dass das im April 1998 diagnostizierte Krebsleiden im streitigen Zeitraum bereits Arbeitsunfähigkeit begründet hat, ist
nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Es steht nicht einmal fest, dass der
Anastomosentumor damals bereits vorgelegen hat. Keiner der beteiligten sachverständigen Ärzte hat dies behauptet.
Dr. M. hat vielmehr in seinem Bericht vom 24. April 1998 ausgeführt, dass zwischen der früheren Billroth II-
Magenresektion und der Entwicklung des Carcinoms ein "langjähriges Intervall" zu Grunde zu legen ist. Soweit Dr. G.
im Attest vom 17. Dezember 1998 ausführt, dass die Diagnose Anastomosen-Carcinom "spätestens 1997 relevant"
gewesen sei, stellt dies eine bloße Vermutung dar. Im Übrigen müsste ein dadurch bewirkte Leistungshindernis bis
zum 30. September 1997 eingetreten sein. Auch dies steht nicht fest.
Nach alledem lässt sich eine über den 1. /17. Oktober 1996 hinausgehende und bis zum 30. September 1997
andauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht feststellen. Der Senat sieht keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen.
Der Kläger trägt insoweit die Feststellungslast.
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür
fehlen.