Urteil des LSG Hamburg vom 23.05.2006

LSG Ham: körperliche untersuchung, rente, persönliche anhörung, gutachter, erwerbsunfähigkeit, psychiater, depression, familie, erwerbsfähigkeit, sicherheit

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 23.05.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 16 RJ 206/01
Landessozialgericht Hamburg L 3 R 158/05
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. voller Erwerbsminderung über
den 30. Juni 2000 hinaus.
Die am XX.XXXX 1948 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie bezog vom 1. März 1996 bis zum 30.
Juni 1998, verlängert bis zum 30. Juni 2000, eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit. Die Gewährung erfolgte trotz
Zweifeln am Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung und basierte im Wesentlichen auf der Begutachtung durch
die Dres. L. und W., die eine ambulante Exploration für ausreichend und die von der Beklagten in Erwägung gezogene
stationäre Beobachtung nicht für erforderlich hielten.
Im Rahmen der beantragten Weiterbewilligung dieser Rente ließ die Beklagte die Klägerin durch den Internisten Dr. J.
begutachten, der im Gutachten vom 18. Oktober 2000 starke Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin während seiner 70-
minütigen Untersuchung attestierte und zu dem Ergebnis kam, die Klägerin täusche eine psychische Erkrankung vor.
Bereits bei der Erstbegutachtung 1998 sei auffällig gewesen, dass der Hausarzt Dr. H. die laut Aussage der
Familienangehörigen seit drei Jahren bestehende massive Verhaltensauffälligkeit, die ihm eine Befragung oder
körperliche Untersuchung im Rahmen einer Begutachtung unmöglich gemacht habe, nicht bemerkt und der Klägerin
1998 krankengymnastische Übungsbehandlungen verordnet habe. Mit dem demonstrierten Verhalten in der
Untersuchungssituation lasse sich ebenfalls nicht in Übereinstimmung bringen, dass der behandelnde Orthopäde Dr.
W1 und die behandelnde Frauenärztin Dr. F. auch jetzt gegenüber dem Gutachter ein völlig unauffälliges Verhalten der
Klägerin beschrieben hätten. Bei ihnen hätten sich niemals Kontaktschwierigkeiten ergeben, die Klägerin habe sich
auf Deutsch ausreichend verständigen können und auch immer wieder die Praxen allein aufgesucht. Daraufhin lehnte
die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 2000 die Weitergewährung der Rente ab und wies den dagegen
gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2001 zurück.
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Neurologe/Psychiater Dr. R. die Klägerin untersucht und im Gutachten vom 5.
November 2001 ausgeführt, die Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin ließen sich weder einem psychiatrischen
Krankheitsbild noch einer neurotischen Entwicklung zuordnen. Zur sozialmedizinischen Einschätzung sei eine
stationäre Begutachtung erforderlich.
Nach dreitägiger stationärer Beobachtung hat die Assistenzärztin Dr. M. im Gutachten von 27. Juni 2002 dargelegt,
bei der Klägerin bestünden eine schwere Depression ohne psychotische Symptome, eine Somatisierungsstörung, eine
Essstörung und der Verdacht eines hirnorganischen amnestischen Psychosyndroms. Lediglich gegenüber einer
türkisch sprechenden Krankenschwester auf der Station sei die Klägerin mitteilsam gewesen, ansonsten habe sie
sich völlig zurückgezogen. Eine Simulation der Symptomatik sei aufgrund des langen Krankheitszeitraums sowie der
übereinstimmenden Angaben der Klägerin, ihrer Schwiegertochter, des Ehemanns und des behandelnden
Neurologen/Psychiaters Dr. A. höchst unwahrscheinlich. Zu einer willentlichen Beeinflussung sei die Klägerin aufgrund
mangelnder kognitiver Leistungsfähigkeit vermutlich nicht in der Lage. Eine Absprache zwischen den
Familienmitgliedern setze ein hohes Kommunikationsniveau und intellektuelle Kompetenzen voraus, die in der Familie
nicht angenommen werden könnten. Die Erwerbsfähigkeit sei auf Dauer aufgehoben.
Der Neurologe/Psychiater Dr. R. ist im weiteren Gutachten 20. Dezember 2002 zu dem Ergebnis gekommen, die
Klägerin gestalte eine Krankheitssymptomatik bewusstseinsnah aus. Anders könnten die Widersprüche, die immer
wieder bei den Untersuchungen aufgetreten seien, nicht erklärt werden. So zeige die Klägerin jetzt insbesondere nicht
mehr die bei einer früheren Untersuchung beobachteten regressiven Tendenzen. Dem Gutachten von Dr. M. könne
nicht gefolgt werden, weil dieses sich mit den Widersprüchen im Verhalten der Klägerin – auch während des
stationären Aufenthaltes im Hinblick auf die türkisch sprechende Krankenschwester - und der Vorgeschichte nicht
auseinandersetze.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. Januar 2003 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, weil sie nicht erwerbsunfähig sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Entscheidung des Sozialgerichts sei nicht zutreffend. Sie
sei erwerbsunfähig. Es sei den Gutachten von Dr. L. aus dem Jahre 1998 und der Gutachterin Dr. M. zu folgen. Dr. J.
sei schon aufgrund seiner Fachrichtung nicht zur Beurteilung einer psychiatrischen Erkrankung in der Lage. Der
Gutachter Dr. R., der bei seiner Untersuchung den Dolmetscher Dr. O. hinzugezogen habe, hätte eine Anamnese
schon deswegen nicht sicher erheben können, weil sie, die Klägerin, sich gegenüber Männern nicht öffne. Zu Recht
sei in den für sie positiven Gutachten den Aussagen ihrer Familienmitglieder gefolgt worden. In der psychiatrischen
Begutachtung sei die Fremdanamnese von entscheidender Bedeutung.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. Januar 2003 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 25. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2001 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. voller Erwerbsminderung über den 30. Juni
2000 hinaus zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält ihre Bescheide sowie die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin mitgeteilt, sie sei nur bei dem Neurologen/Psychiater Dr. A. in Behandlung.
Nach Einholung eines aktualisierten Befundberichtes dieses Arztes hat die Klägerin in der Anhörungsfrist für eine in
Erwägung gezogene Zurückweisung der Berufung durch Beschluss die Erstellung eines Gutachtens gemäß § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Neurologen/Psychiater/Psychotherapeuten Dr. L. beantragt. Dieser ist (unter
Mitarbeit von Dr. S.) nach Untersuchung der Klägerin im Gutachten vom 13. September 2004 zu dem Ergebnis
gekommen, die Klägerin sei zu einer Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage. Es liege ein tiefgreifend ausgeprägter,
vitalisierter depressiver Verstimmungszustand mit psychosomatischen Wechselbeziehungen und teils hysterischer
Ausgestaltung auf dem Boden einer andauernden Persönlichkeitsänderung vor. Die Zweifel einiger vorhergehender
Gutachter ließen sich dadurch erklären, dass sich diese aufgrund der teils hysterischen Ausgestaltung von der
Klägerin getäuscht fühlten. Es handele sich dabei allerdings um unbewusste Inszenierungen. Das Krankheitsbild der
Klägerin sei nicht willentlich beeinflussbar und nicht bewusstseinsnah herbeigeführt. Es sei aufgrund rudimentärer
Deutschkenntnisse auch denkbar, dass sich die Klägerin mit Orthopäden oder Gynäkologen verständigt habe.
Psychoseähnliche Verhaltensauffälligkeiten passten zum Krankheitsbild.
Zu dem Gutachten hat die Beklagte unter Einschaltung ihres amtsärztlichen Dienstes dahingehend Stellung
genommen, dass die sozialmedizinische Beurteilung nicht hinreichend begründet worden sei und das Gutachten sich
in weiten Bereichen vor dem Hintergrund der umfangreichen Vorbefunde und Vorbegutachtungen als nicht plausibel
darstelle. Die extremen Verhaltensauffälligkeiten, die offenbar aktuell nicht mehr vorlägen, weil die Klägerin sogar zu
einem geordneten Report in der Lage und einer körperlichen Untersuchung zugänglich sei, ließen sich durch die
diagnostizierte Erkrankung nicht erklären. Es sei problematisch, wenn trotz eines Eigeninteresses wesentlich auf die
Schilderungen des Ehemanns abgestellt werde. Ein adäquater Befund sei jedenfalls nicht erhoben worden. Auch
könnten die Widersprüche zum Verhalten in den früheren Begutachtungen nicht mit der Bemerkung hinweggewischt
werden, die Gutachter hätten sich getäuscht gefühlt. Vielmehr bestätige das Verhalten der Klägerin in der erneuten
Begutachtungssituation, dass sie bei früheren Untersuchungen die Gutachter getäuscht habe. Dann könne aber die
Erkrankung nicht als willentlich unbeeinflussbar eingestuft werden. Auch wenn sich nicht ausschließen lasse, dass
bei der Klägerin eine Depression bestehe, fehle es an objektiven Befundtatsachen, die eine Einschätzung
ermöglichten.
Nach erneuter Anhörung zu einer in Erwägung gezogenen Zurückweisung der Berufung durch Beschluss hat die
Klägerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die persönliche Anhörung von Dr. L. beantragt. Die
Beklagte hat mitgeteilt, aus ihrer Sicht bestünden keine Bedenken gegen eine Entscheidung durch Beschluss.
Den Beschluss vom 1. Februar 2005, mit dem die Berufung zurückgewiesen worden ist, hat das Bundessozialgericht
auf Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin mit Beschluss vom 20. Juli 2005 aufgehoben und die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Eine Entscheidung durch
Beschluss habe – nachdem die Klägerin die Vernehmung des Sachverständigen Dr. L. beantragt hatte – zumindest
nicht ohne eine erneute Anhörung ergehen dürfen.
Die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren präzisierten zusätzlichen Fragen der Klägerin hat Dr. L. schriftlich
beantwortet (Stellungnahme vom 31.1.06). Er ist weiterhin bei seiner Auffassung geblieben, bei der Klägerin sei seit
1994 krankheitsbedingt die Leistungsfähigkeit aufgehoben. Er sei überzeugt von der Richtigkeit seiner Einschätzung
und habe auch keine Zweifel an den fremdanamnestischen Angaben zum Krankheitsverlauf durch den Ehemann. Ihm
sei es durch die Gestaltung der Untersuchungssituation gelungen, einen Zugang zur Klägerin zu finden. Dadurch sei
auch die körperliche Untersuchung möglich geworden.
Hierzu hat die Beklagte die gutachtliche Stellungnahme der Neurologin/Psychiaterin Dr. M1 vom 4. April 2006
vorgelegt, wonach der Einschätzung von Dr. L. nicht zu folgen sei. Es sei weiterhin nicht ausgeschlossen, dass die
Krankheitsdarstellung durch die Klägerin willentlich gesteuert werde. Auch die passende Fremdanamnese dazu
schließe eine willentliche Darstellung nicht aus. Es sei schon erstaunlich, dass die Klägerin, die sich in der
Vergangenheit in Anwesenheit eines männlichen Dolmetschers nicht habe öffnen können, sich nun von einem
männlichen Gutachter körperlich untersuchen lasse.
Zu den daraufhin gestellten weiteren Fragen der Klägerseite hat der Sachverständige Dr. L. unter dem 9. Mai 2006
Stellung genommen.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozessakten S 16 RJ 206/91 = L 1 RJ 39/03, B 13 RJ
58/05 B, L 3 R 158/05 sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und
Entscheidung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin (vgl. §§ 143,
144, 151 SGG) ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Rente.
Auf den Rechtsstreit sind die Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) anzuwenden (§ 300
Abs. 1 SGB VI).
Gemäß § 44 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur
Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie u.a. erwerbsunfähig sind.
Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen,
das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt (§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine
Tätigkeit vollschichtig ausüben kann (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit besteht nicht, denn die Klägerin ist nicht
erwerbsunfähig. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass eine vollschichtige leichte
Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließende wesentliche Einschränkung des Leistungsvermögens
vorliegt.
Die zuletzt im Befundbericht des die Klägerin früher behandelnden Orthopäden Dr. W1 vom 12. Oktober 2000
beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet führen nicht zu einer relevanten
Beschränkung des Leistungsvermögens. Der Senat folgt insoweit den Darlegungen im Gutachten von Dr. J ... Für die
Richtigkeit seiner Beurteilung spricht auch, dass die Klägerin nach ihrem Vortrag nicht mehr in orthopädischer
Behandlung ist. Außerdem nennt keiner der späteren Gutachter Anhaltspunkte für wesentliche Einschränkungen auf
einem anderen als dem neurologisch/psychiatrischen Fachgebiet.
Eine wesentliche Leistungseinschränkung lässt sich auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet gleichfalls nicht
feststellen. Der Senat folgt hier der Einschätzung der Dres. R. und J ...
Dr. J. hat überzeugend dargelegt, dass die ihm gegenüber gezeigten massiven Verhaltensauffälligkeiten, die sowohl
eine körperliche Untersuchung als auch ein Gespräch mit der Klägerin unmöglich machten, nicht mit den
Schilderungen des seinerzeit noch regelmäßig und aktuell die Klägerin behandelnden Orthopäden Dr. W1 und der
Gynäkologin Dr. F. vereinbar seien, welche beide ohne Kommunikationsschwierigkeiten die Klägerin haben behandeln
können, keinerlei auffälliges Verhalten bemerkt haben und welche die Klägerin auch ohne Begleitung aufsuchen
konnte. Zu dem Bild, wie es sich vor allem aus den fremdanamnestischen Schilderungen ergibt, passten derartige
Fähigkeiten ebenfalls nicht, denn die Klägerin werde in ihnen als eine völlig unselbständige Frau dargestellt, die auch
zu Hause so gut wie gar nicht spreche, viel mit den 1- bis 4-jährigen Enkelkindern spiele und so verwirrt und hilflos
sei, dass sie manchmal nicht richtig trinken könne und die Enkelkinder ihr dies zeigen müssten.
Dr. R. schließt aus den vorhandenen Widersprüchlichkeiten nachvollziehbar auf eine willensgesteuerte Darstellung
von Krankheitssymptomen. Es kann hier unentschieden bleiben, ob eine bewusste Vorspiegelung oder gar eine
Betrugsabsicht vorliegt. Die angestrebte Rente ist bereits deswegen abzulehnen, weil die Gesamtumstände das
Fehlen einer relevanten Erkrankung gut möglich erscheinen lassen und deswegen das Vorliegen einer objektiven
Leistungseinschränkung nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Dabei spricht
für das Fehlen einer schweren psychischen Grunderkrankung ebenfalls, dass die massiven Verhaltensauffälligkeiten
der Klägerin, wie Dr. J. sie noch beobachtet hat, in dem Gutachten von Dr. R. nur noch ansatzweise, in dem
Gutachten von Dr. M. und dem neusten Gutachten von Dr. L. gar nicht mehr beschrieben werden.
Wie die Beklagte in ihren Stellungnahmen zum Gutachten und den weiteren Stellungnahmen von Dr. L. zu Recht
darlegt, schließt die Nichtfeststellbarkeit einer krankheitswerten Ursache von Verhaltensauffälligkeiten nicht das
Vorliegen einer psychischen Erkrankung aus.
Für eine im Gutachten Dr. M. und dem Gutachten Dr. L. diagnostizierte schwere Depression und
Somatisierungsstörung bzw. einen tiefgreifend ausgeprägten, vitalisierten depressiven Verstimmungszustand mit
psychosomatischen Wechselbeziehungen und teilweise hysterischer Ausgestaltung auf dem Boden einer
andauernden Persönlichkeitsänderung fehlt es jedoch an einem objektivierbaren Befund. Wegen der
Widersprüchlichkeiten des Verhaltens der Klägerin und der Darstellungen durch die Angehörigen zu den
Beobachtungen des behandelnden Orthopäden und der Gynäkologin reicht es nicht, dass ein Gutachten, welches sich
allein auf die Beobachtung der Klägerin und die Aussagen der Angehörigen sowie des behandelnden
Neurologen/Psychiaters Dr. A. stützt, zu dem Ergebnis kommt, das Leistungsvermögen der Klägerin sei aufgehoben.
Es müssen vielmehr darüber hinaus auch objektivierbare Gesichtspunkte diese Einschätzung stützen. Der Senat folgt
deswegen den Gutachten von Dr. M. und von Dr. L. nicht. Dr. M. führt für die Richtigkeit ihrer Beobachtungen lediglich
an, dass die Klägerin intellektuell nicht in der Lage sei, sich zu verstellen und auch die Familie die geschilderten
Beobachtungen nicht abgesprochen haben könne. Dabei setzt sich Dr. M. nicht damit auseinander, warum die
Klägerin bei früheren Begutachtungen aus gesundheitlichen Gründen weder körperlich untersuchbar noch im Gespräch
befragbar gewesen ist. Die von ihr gutachterlich festgestellten Erkrankungen allein lassen das Verhalten der Klägerin
nicht plausibel erscheinen. Auch die Herkunft der Klägerin aus einfachen Verhältnissen bedeutet nicht, dass sie zu
einem Vortäuschen einer Erkrankung nicht in der Lage wäre. Ebenso wenig überzeugt es, wenn die Gutachterin aus
kurzen Gesprächen mit den Angehörigen der Klägerin, die nicht in deren Muttersprache geführt wurden, eine
Einschätzung der fehlenden Kommunikationsfähigkeiten und der geringen intellektuellen Fähigkeiten in der Familie
ableitet. Des Weiteren findet sich im Gutachten keine Auseinandersetzung mit der von der Klägerin gegenüber der
türkisch sprechenden Krankenschwester gezeigten, von der Kontaktaufnahme zu sonstigen Personen auf der
Krankenhausstation abweichenden mitteilsamen Gesprächsneigung. Nach Auffassung des Senats spricht - mit Dr. R.
- eine solche Gesprächigkeit in der Muttersprache wie auch das Fehlen regressiver Tendenzen in seiner
nachfolgenden Untersuchung eher gegen das Vorliegen einer schweren Depression. Die Darlegungen im Gutachten
und den ergänzenden Stellungnahmen von Dr. L. überzeugen ebenfalls nicht. Er behauptet lediglich, dass im
Gegensatz zur Einschätzung von Dr. R. die psychoseähnlichen Verhaltensauffälligkeiten zum Krankheitsbild passten,
es sich um unbewusste Inszenierungen handele und das Krankheitsbild nicht willentlich beeinflussbar oder
bewusstseinsnah herbeiführbar sei. Eine überzeugende Begründung für seine Einschätzung nennt Dr. L. nicht, er
beschreibt auch keine objektivierbaren Gesichtspunkte.
Da die Klägerin im Berufungsverfahren angibt, bei keinem anderen Arzt als dem Neurologen/Psychiater Dr. A. in
Behandlung zu sein, der jedoch (infolge des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen ihn wegen
Betruges zu Lasten der Landesversicherungsanstalt) inzwischen seit Jahren nicht mehr in Hamburg praktiziert und
deswegen die Klägerin auch schon seit längerem nicht mehr behandelt haben kann, sieht der Senat keine Möglichkeit
zur weiteren Sachverhaltsaufklärung.
Eine relevante Leistungseinschränkung und damit auch ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen kann folglich
nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, so dass auch ein
Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ausscheidet. Gemäß § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001
geltenden Fassung haben Versicherte u.a. Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, wenn sie wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs (teilweise Erwerbsminderung gemäß Abs. 1) bzw. drei (volle
Erwerbsminderung gemäß Abs. 2) Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den
üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann;
dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs. 3). Da bei der Klägerin eine Einschränkung des
vollschichtigen Leistungsvermögens nicht festgestellt werden kann, ist eine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht ausgeschlossen. Auch eine solche Rente steht ihr daher nicht zu.
Eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ist ausweislich der gestellten Anträge nicht im Streit. Da die Klägerin, die zuletzt
als Wäschereihilfe in einem ungelernten Bereich beruflich tätig war, zumutbar auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu
verweisen wäre, der ihr nach den obigen Ausführungen offen steht, würde auch kein Anspruch auf eine solche Rente
bestehen.
Dem Antrag auf eine weitere neurologisch-psychiatrische Begutachtung hat der Senat nicht stattgegeben. Eine
nochmalige Begutachtung erscheint nicht erforderlich. Eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der
Klägerin – welche sich nach den Feststellungen der Sachverständigen, insbesondere auch des Dr. L., nach 1994 nicht
verändert hatte - seit der letzten Untersuchung im Rahmen einer Begutachtung (September 2004) ist nach Aktenlage
nicht ersichtlich. Auch hat die Klägerin eine Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse nicht vorgetragen. Der
Eindruck, den der Senat im Verhandlungstermin von der Klägerin, die mit Hilfe der Dolmetscherin ersichtlich
ausreichend in der Lage war, der Verhandlung zu folgen, sich interessiert zeigte und adäquat auf das
Handlungsgeschehen reagierte, gewinnen konnte, hat ebenfalls keinen Anhalt für eine mögliche Verschlechterung der
psychischen oder körperlichen Verfassung gegeben. Zu einer Beweiserhebung ins Blaue hinein sieht sich der Senat
auch dann nicht verpflichtet, wenn ein Beteiligter diese beantragt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.