Urteil des LSG Hamburg vom 05.09.2007

LSG Ham: rente, persönliches erscheinen, berufsunfähigkeit, wartezeit, erlass, hauptsache, erfüllung, verwaltungsakt, arbeitsmarkt, beratung

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 05.09.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 10 RJ 494/04
Landessozialgericht Hamburg L 1 R 159/06
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Der Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er lebte seit 1984 in der Bundesrepublik Deutschland und war hier
zeitweilig in Aushilfstätigkeiten beschäftigt. Zuletzt bezog er Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bis April 1996. Ab
April 1996 war er inhaftiert und befand sich aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung zu einer langjährigen
Freiheitsstrafe in Strafhaft. Im Juli 2002 wurde er aus der Strafhaft heraus in den Iran abgeschoben.
Am 3. April 2001 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 16. Juli 2002 ab, weil
weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Zudem seien zum
Zeitpunkt der Antragstellung am 3. April 2001 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Kläger
legte gegen diesen öffentlich zugestellten Bescheid keinen Widerspruch ein.
Am 14. August 2003 nahm der Kläger mit einem Schreiben aus dem Iran auf seinen Rentenantrag Bezug und bat um
Entscheidung. Die Beklagte behandelte dieses Schreiben als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) und lehnte diesen durch die mit der vorliegenden Klage angefochtenen Bescheide ab, weil
bei Erlass des Bescheides vom 16. Juli 2002 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem fehlerhaften
Sachverhalt ausgegangen worden sei. Gegenüber dem Bescheid vom 16. Juli 2002 ergebe sich medizinisch kein
neues Leistungsbild. Auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien weiterhin nicht erfüllt.
Die hiergegen vor dem Sozialgericht Hamburg erhobene Klage blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat die Klage durch
Urteil vom 21. Juni 2006 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts bis zum Abschluss der ersten Instanz wird Bezug auf
das Urteil des Sozialgerichts genommen.
Das Sozialgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 SGB X verneint und Bezug auf die Begründung in
den angefochtenen Bescheiden der Beklagten und im Beschluss des erkennenden Senats vom 4. Juli 2005 im
Verfahren L 1 B 50/05 ER R genommen. Es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Leistungsfall bereits bis
zum 31. Mai 1998, dem Zeitpunkt, zu dem zuletzt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien,
eingetreten sei. Für einen etwaigen späteren Leistungsfall lägen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht
vor.
Gegen das am 8. August 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. August 2006 Berufung eingelegt. Mit dieser
rügt er unter anderem, der medizinische Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Auch sei er nicht
ausreichend gehört worden, denn zu den vom Sozialgericht herangezogenen medizinischen Unterlagen habe er sich
nicht äußern können. Erneut trägt er vor, dass er aufgrund einer Misshandlung während seiner Inhaftierung in
Deutschland am 5. Mai 1998 eine hirnorganische Verletzung erlitte habe und deshalb Rente begehre.
Der Kläger beantragt nach Lage der Akten,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2003 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter
Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2002 ab 1. April 2001 Rente wegen Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Das Gericht hat dem Kläger die medizinischen Unterlagen aus der Gutachtenakte der Beklagten übersandt und ihm
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Den am 9. Oktober 2006 gestellten Antrag des Klägers, ihm
Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens zu bewilligen, hat der erkennende Senat durch
Beschluss vom 13. Februar 2007 abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt
der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit verhandeln
und entscheiden, weil dem Kläger, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet war, die
Terminsbenachrichtigung über seine von ihm als Empfangsvertreterin bezeichnete Mutter zugegangen und in der
Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 2. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.
März 2004 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Rente unter Aufhebung des dem
entgegenstehenden bestandskräftigen Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 16. Juli 2002.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für
die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig
angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, denn auch eine
erneute Entscheidung über das Rentenbegehren des Klägers muss in der Sache zu demselben Ergebnis führen, wie
sie durch den Bescheid vom 16. Juli 2002 getroffen worden war. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht zu. Der Anspruch richtet sich
nach dem seit 1. Januar 2001 geltenden Recht, denn der Kläger hat die begehrte Rente am 3. April 2001 beantragt (§
300 Abs. 1 und 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI).
Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente
wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nur, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten
fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder
Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Der Kläger hat zwar die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
für eine Rente wegen Erwerbsminderung – in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit – erfüllte er jedoch zuletzt für einen Leistungsfall am
31. Mai 1998. Es lässt sich aber weiterhin nicht feststellen, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein Leistungsfall der
Erwerbsminderung vorlag. Ob sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers zu einem späteren Zeitpunkt
verschlechtert haben, kann offen bleiben. Für einen solchen Zeitpunkt fehlt es an den versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen für die begehrte Rente.
Schon nach dem Vortrag des Klägers kommt als alleiniger Anknüpfungspunkt für den Eintritt eines Leistungsfalls der
Erwerbsminderung nur der Vorfall vom 5. Mai 1998 während seiner Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt B. in
Betracht. Doch vermag sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus den vorliegenden Unterlagen der Eintritt
eines Leistungsfalls aufgrund dieses Vorfalls bis zum 31. Mai 1998 zu ergeben. Den Ausführungen des Sozialgerichts
Hamburg im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (31.1.2005 – S 19 RJ 1254/04 ER) und des erkennenden
Senats im anschließenden Beschwerdeverfahren (4.7.2005 – L 1 B 50/05 ER R), dem mit der Berufung angegriffenen
Urteil des Sozialgerichts Hamburg und auch dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren
ablehnenden Beschluss des erkennenden Senats, in dem ihm die vorstehende Rechtslage bereits erläutert worden
war, hat der Kläger nichts entgegengesetzt, das Zweifel an der Richtigkeit der Ablehnung seines Rentenbegehrens zu
begründen vermöchte.
Auch der vom Kläger verfolgte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI steht ihm nicht zu. Er genießt schon keinen Berufsschutz, denn er war in Deutschland zuletzt in
Aushilfstätigkeiten beschäftigt und daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Dass auf diesem der Kläger
nicht über ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden verfügte, lässt sich nicht feststellen. Auch insoweit
ist auf die Zeit bis zum 31. Mai 1998 abzustellen, denn auch der Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit erfordert die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.