Urteil des LSG Hamburg vom 23.07.2008

LSG Ham: ddr, zugehörigkeit, verfassungskonforme auslegung, anwartschaft, kreis, industrie, zusage, gleichbehandlungsgebot, wiedervereinigung, härte

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 23.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 42 RA 680/03
Landessozialgericht Hamburg L 6 R 95/06
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Feststellung ihrer Beschäftigungszeiten in der früheren DDR als Zeiten der
Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz.
Die am XX.XXXXXX 1947 in K./Sachsen-Anhalt geborene Klägerin besuchte vom 1. September 1968 bis zum 15.
August 1971 die Ingenieurschule E ... Sie legte dort am 30. Juli 1971 mit Erfolg die staatliche Abschlussprüfung ab,
woraufhin ihr der akademische Grad Diplomingenieurin verliehen wurde. Anschließend war sie vom 16. August 1971
bis zum 28. September 1989 - am folgenden Tage verließ sie die DDR und gelangte über Ungarn in die
Bundesrepublik - als Systemanalytiker, Problemanalytiker und - ab 1. Januar 1989 - als Softwareingenieur beim VEB
M. Kombinat W. beschäftigt, bei dem sie Anfang der sechziger Jahre eine Ausbildung zum Mess- und
Regelungsmechaniker durchlaufen und anschließend bis zum Besuch der Ingenieurschule als Mechaniker gearbeitet
hatte. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1974 trat die Klägerin der freiwilligen Zusatzrentenversicherung bei, und es wurden
entsprechende Beiträge für sie abgeführt. Aufgrund ihrer Ingenieurschulausbildung und der anschließenden
ingenieurtechnischen Tätigkeit im VEB gehörte sie zum Kreis der so genannten technischen Intelligenz, für die in der
DDR mit Wirkung vom 17. August 1950 durch Verordnung vom selben Tage eine zusätzliche Altersversorgung
(AVITech) eingeführt worden war. Die Einbeziehung des einzelnen Beschäftigten in die AVITech erfolgte nicht
automatisch durch Aufnahme der Beschäftigung, sondern durch Zuerkennung (Einzelfallentscheidung/Einzelvertrag)
und Einbeziehungsverfahren (Zustimmung). Eine solche Einbeziehung - d. h. eine förmliche Versorgungszusage zur
AVITech in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben - ist im Falle der Klägerin bis zu ihrer Übersiedlung
in die Bundesrepublik Deutschland im September 1989 unstreitig nicht erfolgt.
Am 25. April 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur
AVITech unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. März 1998 - B 4 RA 27/97 R -
und vom 30. Juni 1998 - B 4 RA 94/97 - sowie B 4 RA 11/97. Aufgrund ihrer ununterbrochenen Tätigkeit im VEB M.
Kombinat W. vom 16. August 1971 bis zum 29. September 1989 würde sie nach der einschlägigen
Versorgungsordnung Anspruch auf Einbeziehung in die AVITech gehabt haben. Sie habe jedoch eine entsprechende
Versorgungszusage nicht erhalten. Nach der Rechtsprechung des BSG sei sie nunmehr hinsichtlich ihrer
Rentenansprüche so zu stellen, als sei ihr in der DDR eine Versorgung gemäß der Altersversorgung der technischen
Intelligenz zugesagt worden. Die Beklagte habe daher die Zeit ab Beginn ihrer Tätigkeit als Ingenieur gemäß § 8 des
Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des
Beitrittsgebiets - Anspruchs- und Anwartschaftsüberleitungsgesetz (AAÜG - in der Fassung des AAÜG-
Änderungsgesetzes vom 11.11.1996 - BGBl. I S. 1674) - als Zeit der Zugehörigkeit zur AVITech festzustellen, die
diesbezüglichen Daten dem Rentenversicherungsträger mitzuteilen und einen entsprechenden Bescheid zu erteilen.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. Mai 2003 ab. Die Voraussetzungen für die begehrte
Feststellung seien nicht erfüllt. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG sei nicht entstanden.
Weder sei der Klägerin in der DDR habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) erteilt worden, noch habe sie
am 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt, die aus
bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Das AAÜG sei nicht
anwendbar (BSG, Urteile vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R, B 4 36/01 R - und vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R;
vgl. hierzu Stoew/Schwitzer, DAngVers 2003, S. 312, Schwitzer/Recktenwald, DAngVers 2004, S. 563).
Im anschließenden Vorverfahren machte die Klägerin geltend, aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit als Ingenieur im
VEB M. Kombinat W. habe sie faktisch eine Anwartschaft auf eine Zusatzversorgung nach der Verwaltungspraxis der
DDR erworben und würde eine solche bei Weiterbestehen der DDR bei Eintritt des Leistungsfalls mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit erhalten haben. Sie müsse ebenso behandelt werden, wie ihr aus ihrer damaligen
Tätigkeit bekannte Ingenieure und Diplom-Ingenieure, die eine gleiche oder ähnliche Funktion wie sie ausgeübt hätten
und deren Zusatzversorgungsanspruch die Beklagte anerkannt habe. Die Gesellschaft für Sanierung und
Strukturentwicklung M. L. habe ihr bestätigt, dass sie ab dem 16. August 1971 wissenschaftlich-technische Arbeiten
als Ingenieur in der Kombinatsleitung geleistet habe, und zwar vom 16. August 1971 bis zum 31. Dezember 1974 und
vom 1. Januar 1981 bis zum 31. Dezember 1983 als Systemanalytiker und vom 1. Januar 1975 bis zum 31.
Dezember 1980 sowie vom 1. Januar 1984 bis zum 31. Dezember 1985 als Problemanalytiker. Ab dem 1. Januar
1986 bis zum illegalen Verlassen der DDR am 29.September 1989 sei sie als Mitarbeiter Prozessprojektierung in der
Kombinatsleitung als Themen leitender Ingenieur tätig gewesen.
Die Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2003 zurück. Die Klägerin habe
bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 dieses
Gesetzes nicht erworben. Sie sei weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen, noch habe sie einen
Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt. Am 30. Juni 1990 habe sie im Beitrittsgebiet keine Beschäftigung
mehr ausgeübt. Sie sei damit nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) oder in einem
gleichgestellten Betrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951
beschäftigt gewesen. Nur die bundesrechtskonforme Anwendung bewirke, dass trotz des Verbotes der
Neueinbeziehung, welches bereits die DDR erlassen habe, auch die Personen bundesrechtliche
Versorgungsanwartschaften haben, die aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage bereits einen Anspruch
auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hatten.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) hat die Klägerin ihr Vorbringen im wesentlichen
wiederholt und zur Bekräftigung darauf hingewiesen, dass eine ehemalige Kollegin, Frau P. S., mit gleicher
Ausbildung und gleicher Tätigkeit in derselben Abteilung desselben Betriebes von der Beklagten eine Zusage für die
Anerkennung ihrer Zugehörigkeit zur Zusatzversorgung erhalten habe.
Die Beklagte hat ihr Vorbringen vertieft und folgendes ausgeführt: Nach den Vorgaben des AAÜG, wie sie vom BSG
konkretisiert worden seien, müsse am Stichtag 30. Juni 1991 eine Versorgungsanwartschaft bestanden haben. Dies
sei jedoch nicht der Fall gewesen, weil sie am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung in einem volkseigenen Betrieb der
Industrie oder des Bauwesens ausgeübt habe, für die ihr bei Eintritt des Leistungsfalles Leistungen aus dem
Zusatzversorgungssystem der AVITech gewährt worden wären. Aus welchen Gründen sie die Beschäftigung
aufgegeben habe, sei für die Anwendung des AAÜG unerheblich.
Das SG hat die Klage durch das Urteil vom 12. Mai 2006 abgewiesen. Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen
für die Anwendung des AAÜG, insbesondere auch nicht in der vom BSG in Erweiterung der verfassungskonformen
Auslegung des § 1 Abs. 1 S. 2 AAÜG formulierten Fassung. Sie habe am Stichtag 30. Juni 1990 keine
ingenieurtechnische Position in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder in einem diesem gleichgestellten Betrieb
(mehr) innegehabt, da sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der DDR gelebt habe. Insofern unterscheide sich ihre
Situation von der ihrer ehemaligen Kollegin S., die noch am Stichtag im M. Kombinat tätig gewesen sei. Etwaige
Härten, die mit dieser Stichtagsregelung verbunden seien, seien auch mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot
hinzunehmen. Insoweit werde auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
verwiesen.
Gegen das ihr am 30. Mai 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Juni 2006 Berufung eingelegt. Die
Entscheidung des SG verletze das Gleichbehandlungsgebot und stelle eine unzumutbare Härte für sie dar. Sie
benachteilige Personen, die den Mut gehabt hätten, unter Einsatz ihres Lebens politische Veränderungen in der DDR
dadurch zu bewirken, dass sie diese illegal verließen und somit dazu beitrugen, politische Verhältnisse in Deutschland
zu schaffen, die eine Wiedervereinigung ermöglichten. Sie habe entsprechend den Festlegungen im AAÜG eine
Anwartschaft auf eine zusätzliche Versorgungsleistung erworben, indem sie die persönliche Voraussetzung
(Berufsbezeichnung als Ingenieur), die sachliche Voraussetzung (Tätigkeit als System- und Problemanalytiker) und
die betriebliche Voraussetzung (Arbeit im VEB M. Kombinat W. für achtzehn Jahre) erfüllt habe. Ihr Fall unterscheide
sich von demjenigen ihrer Kollegin S. nur dadurch, dass sie am Stichtag 30. Juni 1990 nicht mehr im Betrieb
beschäftigt gewesen sei, weil sie im September 1989 über Ungarn die DDR verlassen und damit die Tätigkeit mit
Anwartschaft auf eine Zusatzversorgung unterbrochen habe. Bei einer Rückkehr in die DDR und Aufnahme der
gleichen Tätigkeit wäre diese Anwartschaft wiederbelebt worden. Durch achtzehnjährige Tätigkeit erworbene
Ansprüche könnten nicht durch eine Stichtagsregelung zum Erlöschen gebracht werden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Mai 2006 und den Bescheid vom 14. Mai 2003
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die
Zeit vom 16. August 1971 bis zum 28. September 1989 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der
technischen Intelligenz nach Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte
festzustellen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Mai 2006
zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer
Versorgungszusage nach § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in
volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (ZAVO-TechInt) vom 17. August 1950 (GBl I S. 884) in Verbindung
mit § 1 Abs. 1 S. 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 (GBl I S. 487), der allein nach Lage der
Dinge zur Anwendung des AAÜG auf die Klägerin führen könne, bestehe nicht, weil es an einem nach § 2 Abs. 1 der
Zweiten Durchführungsbestimmung geforderten Angestelltenverhältnis zu einem volkseigenen oder ihn gleich
gestellten Betrieb zum Stichtag 30. Juni 1990 fehle.
Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der in der
Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist
unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der
Zugehörigkeit ihrer Tätigkeit vom 16. August 1971 bis 28. September 1989 zur Altersversorgung der technischen
Intelligenz und der in dieser Zeit erzielten Arbeitsentgelte. Der Senat hält die Erwägungen des SG, die sich auf die -
gefestigte - Rechtsprechung des BSG und auch des BVerfG stützen, für überzeugend. Er macht sie sich zueigen und
nimmt vollen Umfangs auf sie Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren geben keinen Anlass zu einer für sie günstigeren rechtlichen
Beurteilung des Sachverhalts. Sie enthalten keinen Gesichtspunkt, mit dem sich das SG nicht schon
auseinandergesetzt hat. Dies gilt insbesondere für die von der Klägerin unverändert gerügte Verletzung des
Gleichbehandlungsgebots und die ihres Erachtens mit dem Abstellen auf den Stichtag 30. Juni 1990 für sie
verbundene unzumutbare Härte.
Ohne Erfolg beklagt die Klägerin den Verlust vermeintlicher - durch achtzehnjährige Tätigkeit erworbener - Ansprüche
durch die von der Beklagten - nach den Vorgaben des BSG - praktizierte Stichtagsregelung. Schon ihre
Rechtsauffassung, sie habe eine Anwartschaft auf eine zusätzliche Versorgungsleistung erworben, indem sie die
persönliche (Berufsbezeichnung als Ingenieur), sachliche Voraussetzung (Tätigkeit als System- und
Problemanalytiker) und betriebliche (Arbeit im VEB M. Kombinat W. für achtzehn Jahre) Voraussetzung erfüllt habe,
trifft nicht zu. Aufgrund des von ihr geschilderten Sachverhalts gehörte sie zwar zur so genannten technischen
Intelligenz, für die die AVITech bestimmt war. Dieser Umstand allein begründet jedoch keinen Anspruch und keine
Anwartschaft und unterliegt nicht dem Schutz durch das AAÜG. Dieses gilt gemäß dessen § 1 für Ansprüche - d. h.
Leistungsansprüche nach eingetretenem Leistungsfall - und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu
Zusatz- und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Die hiernach gesicherten
Rechtspositionen sollen nach dem Willen des gesamtdeutschen Gesetzgebers erhalten und in die gesetzliche
Rentenversicherung überführt werden. Einer solchen gesicherten Rechtsposition gleichzustellen ist nach dem Willen
des Gesetzgebers auch der – hier nicht vorliegende - Fall, dass die Regelungen der Versorgungssysteme einen
Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen;
insofern soll dieser Verlust als nicht eingetreten gelten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Die Zugehörigkeit der Klägerin zur
technischen Intelligenz ist indes nicht gleichbedeutend mit der Zugehörigkeit zur AVITech und dem Besitz einer
solchen gesicherten Rechtsposition.
Die Einbeziehung des einzelnen Beschäftigten in die AVITech erfolgte nämlich nicht automatisch durch Aufnahme der
Beschäftigung, sondern (erst) durch Zuerkennung (Einzelfallentscheidung/ Einzelvertrag) und Einbeziehungsverfahren
(Zustimmung). Eine solche Einbeziehung - d. h. eine förmliche Versorgungszusage zur AVITech in den volkseigenen
und ihnen gleichgestellten Betrieben - ist bei der Klägerin bis zu ihrer Übersiedlung in die die Bundesrepublik
Deutschland Ende September 1989 unstreitig nicht erfolgt.
Zu Unrecht meint die Klägerin, die Anwendung der Stichtagsregelung führe bei Personen, die wie sie vor dem Stichtag
aus der DDR geflohen sind, zu unzumutbaren Härten. Die von ihr angegriffene Stichtagsregelung (vgl. hierzu Ganske-
Gerhardt, DAngVers 2005, S. 361) dient der Erweiterung des Kreises der durch das AAÜG zu schützenden
Anwartschaften. Werden nämlich vom Wortlaut des § 1 AAÜG nur bestehende Ansprüche und Anwartschaften sowie
vormals begründete, aber in Verlust geratene Anwartschaften erfasst, gebietet nach Auffassung des BSG eine
verfassungskonforme Auslegung dieser Bestimmung, dass Personen, die bereits am 30. Juni 1990 - d. h. noch vor
der Schließung aller Zusatzversorgungssysteme ab dem 1. Juli 1990 durch § 22 Abs. 1 des
Rentenangleichungsgesetzes der DDR vom 28. Juni 1990 (GBl I S. 495; ber. S. 1457) - in ein Versorgungssystem
zwar nicht einbezogen waren, aber nach den zu Bundesrecht gewordenen abstrakt-generellen und zwingenden Regeln
eines Versorgungssystems aus bundesrechtlicher Sicht einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage
gehabt hätten, nicht anders, insbesondere nicht schlechter, behandelt werden dürfen, als diejenigen, die eine solche
Zusage zuvor besessen und rechtmäßig verloren hatten. Das BVerfG hat diese Auslegung ausdrücklich gebilligt.
Hiernach liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung darin, dass das BSG bei der Anwendung seiner
Grundsätze zum Bestehen fiktiver Ansprüche auf Einbeziehung in ein Zusatzversorgungssystem an das In-Kraft-
Treten des Verbots der Neueinbeziehung nach § 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz anknüpft und damit nur
diejenigen Sozialpflichtversicherten nach diesen Grundsätzen behandelt, die am 30. Juni 1990 einen fiktiven
Anspruch hatten (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Oktober 2005 - 1 BvR 1921/04, 1 BvR 203/05, 1 BvR
445/05, 1 BvR 1144/05 -, juris). Die Klägerin hätte am 30. Juni 1990 in der AVITech aus bundesrechtlicher Sicht
keinen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Versorgungszusage gehabt, da sie zu diesem Zeitpunkt
eine Beschäftigung, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen
wäre, tatsächlich nicht (mehr) ausgeübt hat (vgl. Urteile des BSG vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01, B 4 RA 41/01 R,
B 4 RA 3/02 R - ).
Aus welchen Gründen die Klägerin vor diesem Stichtag aus einer solchen Beschäftigung ausgeschieden ist, ist
unerheblich (vgl. BSG, Urteile vom 10., Februar 2005 - B 4 RA 48/04 R juris, vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 4/04 R,
juris). Deshalb ist der Umstand, dass sie nach dem Recht der DDR am 29. September 1989 illegal diesen Staat
verlassen hat, hier unbeachtlich. Auch ist eine Gleichstellung weiterer Personengruppen, die wie die Klägerin vor dem
30. Juni 1990 aus einem von einem Versorgungssystem erfassten Beschäftigungsverhältnis ausschieden und
deshalb nach den zu sekundärem Bundesrecht gewordenen Regelungen der Zusatzversorgungssysteme (hier:
AVITech) die Voraussetzungen für eine (fiktive) Versorgungsanwartschaft Nichteinbezogener nicht erfüllten, aus
verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Der Bundesgesetzgeber durfte an die im Zeitpunkt der
Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme in der DDR und an die gegebene
versorgungsrechtliche Lage der Betroffenen ohne Willkürverstoß anknüpfen und damit u. a. zu Grunde legen, dass nur
derjenige in das Zusatzversorgungssystem der AVITech einbezogen werden durfte, der am 30. Juni 1990 in einem
volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb
beschäftigt war. Art 3 Abs 1 und Abs 3 GG gebietet nicht, von jenen zu sekundärem Bundesrecht gewordenen
Regelungen der Versorgungssysteme sowie den historischen Fakten, aus denen sich etwa die hier vorliegenden
Ungleichheiten ergeben, abzusehen und sie "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler
auszugleichen (vgl. BSG, Urteile vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 4/04 R, SozR 4-8570 § 1 Nr 4, B 4 RA 12/04 R, juris).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht
vorliegen.