Urteil des LSG Hamburg vom 28.09.2005

LSG Ham: soziale sicherheit, zeitliche bemessung, aufwand, versorgung, altersrente, versicherungspflicht, beitragszeit, wohnung, anmerkung, körperpflege

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 28.09.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 10 RA 390/03
Landessozialgericht Hamburg L 3 R 202/05
Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. September 2005 (S 10 RA 390/03) wird geändert: Die Beklagte wird
verurteilt, bei ihren rentenrechtlichen Entscheidungen gegenüber der Klägerin eine Versicherungspflicht als nicht
erwerbsmäßig tätige Pflegeperson für die Zeit vom 4. Juni 1999 bis 31. März 2001 zugrunde zu legen. Die Bescheide
der Beklagten vom 25. Juni 2001, 14. August 2002 und 27. Mai 2003 (Widerspruchsbescheid) werden aufgehoben,
soweit sie entgegenstehen. Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Hintergrund des Rechtsstreites ist die Frage, ob die Klägerin aufgrund einer Tätigkeit als nicht erwerbsmäßig tätige
Pflegeperson im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 1 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung –
(SGBVI) eine höhere Altersrente soll beanspruchen können.
Die Beklagte bewilligte der im XXXXX 1941 geborenen Klägerin mit Rentenbescheid vom 25. September 2001
Altersrente für Frauen, beginnend am 1. Oktober 2001. Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, es sei
nicht berücksichtigt worden, dass sie in der Zeit vom 4. Juni 1999 bis Ende März 2001 ihre Mutter, die im Jahre 1915
geborene E. B., gepflegt habe, für welche damals die Pflegestufe I anerkannt gewesen sei. Diesen Widerspruch
beschied die Beklagte zunächst nicht.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2002 teilte die beigeladene Pflegekasse der Beklagten mit, dass sie für die Klägerin keine
Beiträge zur Rentenversicherung zahlen werde, da der Umfang von deren Pflegetätigkeit unter 14 Stunden in der
Woche gelegen habe (§ 19 Satz 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI). Mit
Bescheid vom 14. August 2002 teilte die Beklagte daraufhin der Klägerin mit, ihrem Antrag auf Anerkennung von
Zeiten der Pflege vom 4. Juni 1999 bis 31. März 2001 könne nicht entsprochen werden, da
Rentenversicherungspflicht gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI nicht bestanden habe. Die Pflege der Mutter habe
weniger als 14 Stunden wöchentlich umfasst; ein höherer Pflegeaufwand als der vom medizinischen Dienst der Kasse
im Rahmen der Prüfung nach § 18 SGB XI ermittelte könne nicht berücksichtigt werden. In der Folgezeit gab es
Korrespondenz zwischen der Klägerin und der Beklagten, in welcher die Klägerin geltend machte, ihre Mutter mehr als
14 Stunden wöchentlich gepflegt zu haben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2003 wies die Beklagte – so ausdrücklich – den Widerspruch der Klägerin
gegen den Bescheid vom 14. August 2002 zurück: Die Voraussetzungen der Versicherungspflicht lägen nicht vor, weil
nach den Feststellungen der Pflegekasse der von der Klägerin ausgeübte Umfang der Pflegetätigkeit unter 14
Stunden in der Woche gelegen habe. Der Pflegekasse obliege die Feststellung der maßgebenden
Tatbestandsvoraussetzungen zum zeitlichen Umfang der Pflegetätigkeit (§ 19 Satz 2, § 44 Abs. 1 Satz 3 SGB XI).
Der Widerspruchsbescheid ist der Klägerin nach ihren unwidersprochenen Angaben am 2. Juni 2003 zugegangen. Am
2. Juli 2003 hat sie vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihre Mutter sei durch Bescheid der Beigeladenen vom
10. August 1999 in die Pflegestufe I eingeordnet worden. Zwar habe der medizinische Dienst der Krankenversicherung
in seinem Gutachten vom 19. Juli 1999 einen wöchentlichen Pflegebedarf von weniger als 14 Stunden errechnet. Das
Gutachten gebe den von ihr, der Klägerin, für die Pflege der Mutter aufzubringenden Aufwand jedoch nicht zutreffend
wieder. Tatsächlich habe der Aufwand 14 Wochenstunden ganz erheblich überschritten; bereits im Juni 2000 habe ein
Pflegedienst die Pflegestufe I als nicht mehr ausreichend bezeichnet. Sie habe ihre Mutter seit 1997 gepflegt, ab 1.
Juli 1999 sei sie dreimal täglich in deren Wohnung gewesen. Ihre Tätigkeit habe am Morgen damit begonnen, die
beiden Kohleöfen anzuheizen (das Haus sei feucht und zugig gewesen und habe daher auch im Hochsommer beheizt
werden müssen). Anschließend habe sie Tee gekocht und der Mutter das Frühstück bereitet sowie das Wasser für die
Morgentoilette aufgesetzt (ein Warmwasseranschluss sei nicht vorhanden gewesen). Sodann habe sie ihrer
kälteempfindlichen Mutter aus dem Bett helfen müssen, sie zur Toilette geführt, sie gewaschen, gekämmt und ihr die
Zähne geputzt. All dies sei durch Einschränkungen der Beweglichkeit der Knie- und Hüftgelenke der Mutter erschwert
gewesen. Ähnlich habe es sich mit dem Ankleiden verhalten. Wegen der Gelenksteifigkeit der Mutter sei dies
manchmal nur mit großer Mühe möglich gewesen. Mittags habe sie die Mutter aufgesucht, eingekauft, gespült, die
Wohnung aufgeräumt und gereinigt, die Fenster geputzt und die Wäsche in Ordnung gebracht. Manchmal sei sie auch
mit der Mutter ein wenig spazieren oder zum Friseur gegangen. Andere Termine wie Arzt- oder Behördenbesuche
habe sie nur mit der zusätzlichen Hilfe ihres Ehemannes wahrnehmen können. Dieser habe auch geholfen, die Mutter
zweimal wöchentlich zu baden. Auch dies habe länger gedauert, weil das Badewasser in einem Kohleboiler habe
erwärmt werden müssen. Abends habe sie etwa eine Stunde benötigt, bis sie die Mutter ins Bett gebracht habe. Sie
habe das Abendbrot bereitet und die Mutter ausgezogen, wobei meist eine Wäsche erforderlich gewesen sei, da sie
zunehmend inkontinent geworden sei.
Das Sozialgericht hat die Sachakten der Beilgeladenen beigezogen, Befundberichte der die Mutter behandelnden
Ärzte eingeholt und den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 28. September 2005 Bezug genommen.
Mit Urteil vom 28. September 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt
es, die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, der Klägerin eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung einer
Beitragszeit für die Pflege ihrer Mutter vom 4. Juni 1999 bis 31. März 2001 zu gewähren. Eine rentenrechtliche Zeit im
Sinne einer Beitragszeit (§ 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) liege nicht vor. Die Mutter der Klägerin habe
in der streitigen Zeit zwar einen Anspruch auf Leistungen aus der Sozialen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I
gehabt. Die Klägerin habe sie jedoch nicht wenigstens 14 Stunden wöchentlich in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt.
Aus dem Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen vom 19. Juli 1999 ergebe sich, dass im
Durchschnitt eine Grundpflege von 46 Minuten täglich und eine hauswirtschaftliche Versorgung von 45 Minuten täglich
angenommen worden sei, das ergebe nur 10 Stunden und 37 Minuten in der Woche. Den Angaben der Klägerin, dass
der Pflegeaufwand mehr als 14 Stunden betragen habe, sei nicht zu folgen. Der Ehemann der Klägerin habe keine
präzisen Angaben zum tatsächlichen Pflegeaufwand machen können. Es sei zwar denkbar, dass sich nach der
Begutachtung der Betreuungs¬aufwand für die Mutter gesteigert habe. Eine solche Überlegung reiche jedoch nicht
aus, um den Beweis einer Pflege von mehr als 14 Stunden zu erbringen. Die Kammer verkenne nicht, dass die
Klägerin und ihr Ehemann einen erheblichen Zeitaufwand für die Betreuung der im Jahre 1915 geborenen Mutter
geleistet hätten. Auch sei anzunehmen, dass aufgrund der besonderen wohnlichen Situation und des Alters die zu
leistende Betreuung eine erhebliche Belastung für die Klägerin und ihren Ehemann gewesen sei. Gleichwohl könne ein
Pflegeaufwand von wenigstens 14 Stunden wöchentlich nicht festgestellt werden. Aus dem Gutachten zur
Feststellung der Pflegebedürftigkeit mit einer Untersuchung am 19. Juli 1999 ergebe sich, dass zwar mit der
Ganzkörperwäsche eine vollständige Übernahme durch die Pflegeperson notwendig gewesen sei, andere Bereiche der
Körperpflege wie Zahnpflege oder Kämmen hätten jedoch nur der Überwachung bzw. teilweisen Übernahme bedurft.
Eine mundgerechte Zubereitung der Nahrung sei nicht für erforderlich gehalten worden. Auch beim An- und Auskleiden
habe nur einmal täglich eine teilweise Übernahme angesetzt werden müssen. Sollte sich später daran etwas verändert
haben, so sei dies nicht durch ein weiteres Pflegegutachten dokumentiert. Ein Überprüfungsantrag sei nicht gestellt
worden, obwohl bei einem Hausbesuch die Familienpflege die Vermutung geäußert habe, die Pflegestufe I sei nicht
mehr ausreichend. In einem Bericht des Allgemeinen Krankenhauses W. betreffend die Zeit vom 11. April bis 27. April
2001 heiße es darüber hinaus, dass die Mutter in der Körperpflege weitgehend selbständig sei; ein Pflegedienst solle
mehrmals täglich die häusliche Grundpflege leisten und die Medikamentengabe überwachen. Allenfalls daraus lasse
sich entnehmen, dass seitdem eine Betreuung der Mutter in bisherigem Umfang nicht mehr ausreichend gewesen sei.
Um den Zeitraum ab April 2001 gehe es jedoch nicht. Da die Tatsache einer über 14 Stunden hinausgehenden Pflege
nicht erwiesen sei, trage die Klägerin die Folgen der Beweislosigkeit.
Das Urteil des Sozialgerichts ist der Klägerin am 11. November 2005 zugestellt worden. Am 7. Dezember 2005 hat sie
Berufung eingelegt.
Die Klägerin macht geltend, das Sozialgericht habe Widersprüche im Pflegegutachten nicht berücksichtigt und den
Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Dass die Pflegekasse nach den Feststellungen des Pflegedienstes vom 9.
Juni 2000 untätig geblieben sei, dürfe sich nicht zu ihrem, der Klägerin, Nachteil auswirken. Tatsächlich habe der
Umfang des Pflegebedarfs der Pflegestufe II entsprochen. Die Pflege der Mutter sei nur gesichert gewesen, weil sie,
die Klägerin, weit mehr als 14 Stunden wöchentlich aufgewandt habe. Das Sozialgericht habe außerdem nicht
berücksichtigt, dass ihre Beweisnot Folge mangelnder Aufklärung sei. Sie habe nicht gewusst, dass der Umfang ihres
Pflegeaufwandes Einfluss auf die Höhe ihrer Rente haben könne. Deshalb habe für sie kein Anlass bestanden, ihren
tatsächlichen Aufwand zu dokumentieren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 25. September 2001 zu ändern sowie den
Bescheid der Beklagten vom 14. August 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2003
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung einer
Beitragszeit für Pflege vom 4. Juni 1999 bis 31. März 2001 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und führt aus, für die zeitliche Bemessung der Pflege
würden nur die Zeiten berücksichtigt, die zur tatsächlichen Pflege erforderlich seien, auch wenn aufgrund der
wohnlichen Situation der Mutter und aufgrund ihres Alters darüber hinausgehende Zeit benötigt worden sei. Nach den
Feststellungen der Pflegekasse habe der von der Klägerin ausgeübte Umfang der Pflegetätigkeit unter 14 Stunden in
der Woche betragen. Die Prüfung des erforderlichen Aufwandes obliege grundsätzlich der Pflegekasse. Die Klägerin
erfülle damit nicht die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen.
Die Beigeladene führt aus, bei der Klägerin habe der Zeitaufwand für Hilfen bei den gewöhnlichen und regelmäßig
wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens deutlich unter 14 Stunden gelegen. Ein zeitlicher Mehraufwand
für "ergänzende" Pflege könne nicht angerechnet werden.
Der Senat hat die Schwester der Klägerin namens C. Z. zum Umfang der Pflegebedürftigkeit der verstorbenen Mutter
als Zeugin vernommen. Diese hat ausgeführt, die Klägerin habe in der fraglichen Zeit die Mutter durchgehend
umfänglich gepflegt und dabei erheblich mehr Zeit aufgewendet als in dem Gutachten des medizinischen Dienstes
angegeben. Wegen der Aussage der Zeugin im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10. Oktober 2007
verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren einverstanden
erklärt.
Die die Mutter der Klägerin betreffenden Sachakten der Beigeladenen und die die Klägerin betreffenden Akten der
Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des
Sachverhaltes ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet gemäß § 155 Abs. 4, Abs. 3, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der
Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung.
Die Berufung der Klägerin ist nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes form- und fristgerecht eingelegt
worden und daher zulässig. Sie ist auch im Wesentlichen begründet. Das Sozialgericht hätte die Klage nicht abweisen
dürfen.
Die form- und fristgerecht eingereichte Klage ist, auch soweit sie sich gegen den teilweise belastenden
Rentenbescheid vom 25. September 2001 richtet, im Lichte des § 78 SGG zulässig. Zwar erwähnt der
Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 27. Mai 2003 diesen Bescheid nicht ausdrücklich, ihm kann jedoch
entnommen werden, dass die Beklagte auch den Widerspruch der Klägerin gegen den Rentenbescheid von September
2001 als unbegründet ansieht.
Die Klage ist in dem ihr im Tenor gegebenen Sinne auch begründet. Die Klägerin erfüllt für die fragliche Zeit die
Voraussetzungen für eine Rentenversicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI. Dementsprechend wäre die
Beigeladene verpflichtet gewesen, gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zur sozialen Sicherung der Klägerin
Rentenbeiträge auf der Basis des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XI, § 166 Abs. 2 SGB VI an die Beklagte abzuführen. Dies
ist im Verfahren gegen die beklagte Rentenversicherung zu klären (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 22.3.2001,
SozR 3-2600 § 3 Nr. 3; Urteil vom 23.9.2003, SozR 4-2600 § 3 Nr. 1).
Die Mutter der Klägerin war in der fraglichen Zeit pflegebedürftig im Sinne von § 14 SGB XI. Das ist zwischen den
Beteiligten nicht streitig. Die Klägerin hat die Mutter seinerzeit nicht erwerbsmäßig in ihrer häuslichen Umgebung
gepflegt. Neben der Pflege ging sie keiner Erwerbstätigkeit von mehr als 30 Wochenstunden nach (vgl. § 44 Abs. 1
Satz 1 SGB XI).
Der Pflegeaufwand der Klägerin betrug im Sinne von § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI wenig¬stens 14 Stunden wöchentlich.
Sie kann daher gemäß § 19 Satz 2 SGB XI Leistungen zur sozialen Sicherung beanspruchen. Der Senat ist bei einer
Bewertung es Akteninhaltes und aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin
tatsächlich wesentlich mehr als 14 Stunden wöchentlich die Pflege ihrer Mutter aufgebracht hat. Das Gutachten des
medizinischen Dienstes vom 19. Juli 1999 geht zwar für diesen Zeitpunkt von einem wesentlich geringeren Erfordernis
aus. Das ist jedoch nicht überzeugend. Es mag sein, dass damals mit der Routine und Ausbildung eines
professionellen Pflegedienstes die sogenannte Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung der Mutter in 10
Stunden und 37 Minuten wöchentlich abzuwickeln gewesen wäre. Das ist jedoch nicht der Maßstab, der für die in
solchen Dingen nicht ausgebildete Klägerin anzuwenden ist. Für sie ist nach der Beweisaufnahme klar, dass sie
schon für die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung der Mutter mehr als im Durchschnitt 2 Stunden täglich
zugebracht hat. So hat der Ehemann als Zeuge zwar keine zeitlich detaillierten Angaben machen können, den
Aufwand aber eindrucksvoll dadurch umschrieben, dass die Klägerin in dieser Zeit mehr bei ihrer Mutter als zu Hause
gewesen sei und dass sie eigentlich "kein eigenes Leben mehr gehabt" hätten. Die Zeugin Z. hat, ersichtlich ohne
Übertreibung, die Situation im Hause der Mutter geschildert und dabei die Tätigkeit der Klägerin so beschrieben, dass
sie bereits morgens mehr als eine Stunde mit der Pflege der Mutter zubrachte, häufig auch über Mittag wieder hinfuhr,
um ihr bei den Ver¬richtungen des täglichen Lebens, wie erforderlich, zu helfen und auch abends nochmals
mindestens 2 Stunden dort zubrachte, um die Mutter zu verpflegen, zu Bett zu bringen und den Haushalt zu richten.
Damit ist in der fraglichen Zeit ein durch die Klägerin erbrachter Pflegeaufwand von mehr als 14 Stunden wöchentlich
erwiesen, zumal die Richtigkeit der Einordnung der Mutter in die Pflegestufe I im Jahre 2000 durch einen
pro¬fessionellen Pflegedienst in Zweifel gezogen wurde, da diese nicht mehr ausreiche.
Es kommt hinzu, dass – so die Auffassung des Senates – bei der für die Rentenversicherungspflicht von
Pflegepersonen vorausgesetzten Pflege von wöchentlich mindestens 14 Stunden nicht nur (wie bei der Zuordnung zu
bestimmten Pflegestufen) der Zeitaufwand für Hilfen bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden
Verrichtungen des täglichen Lebens im Sinne von § 14 Abs. 1 und 4 SGB XI (Grundpflege und hauswirtschaftliche
Versorgung) zu berücksichtigen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil, vom 19.2.1998, BSGE Bd. 82 S. 27), sondern
auch der Zeitaufwand für die von der Klägerin ebenfalls geleistete "ergänzende" Pflege und Betreuung im Sinne des §
4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI. Denn § 19 SGB XI begrenzt den Begriff der Pflege nicht durch eine Bezugnahme auf die in §
14 Abs. 4 abschließend genannten Verrichtungen des täglichen Lebens. Es liegt deshalb und wegen der in der
Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 12/5262 S. 101, linke Spalte) zum Ausdruck gekommenen Zielvorstellung –
nämlich zur häuslichen Pflege durch Verbesserung der sozialen Absicherung der Pflegeperson zu motivieren – nahe,
den Begriff der Pflege hier in einem ganzheitlichen Sinne aufzufassen und bei der Ermittlung der Mindeststundenzahl
auch die Zeit mitzurechnen, die für die ergänzende Pflege benötigt wird, das heißt auch den zeitlichen Aufwand der
Pflegeleistungen, die nicht aus Mitteln der Pflege¬versicherung finanziert werden (Wilde in: Hauck/Noftz, SGB XI, §
19 Rdnr. 16; Leitherer in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 4, Pflegeversicherungsrecht, § 19
Rdnr. 36; Udsching, SGB XI, 2. Auflage, § 19 Rdnr. 14; Gallon in: LPK-SGB XI, § 19 Rdnr. 10). Der Senat folgt daher
nicht der Auffassung, dass bei der für die Rentenversicherungspflicht von Pflegepersonen vorausgesetzten Pflege
von wöchentlich mindestens 14 Stunden (§ 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI, § 19 Satz 2 SGB XI) nur der Zeitaufwand für
Hilfen bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens im Sinne des § 14
Abs. 1 und 4 SGB XI, also für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung, anzusetzen sei (vgl.
Landessozialgericht Niedersachsen, Urteil vom 12.2.2002, L 3 P 7/01; Bundessozialgericht, Urteil vom 23.9.2003,
a.a.O., nebst Anmerkung Wahl in: Juris Praxisreport 11/2004, Anmerkung 4; siehe auch Bernhard Müller in: Soziale
Sicherheit in der Landwirtschaft, 1998, S. 256, 273; Behr et al. PlegeV-Kommentar, § 19 SGB XI Rdnr. 29).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.