Urteil des LSG Hamburg vom 22.04.2010

LSG Ham: grundsatz der freien beweiswürdigung, verfügung, leistungsfähigkeit, neue beweismittel, krankengeld, aufnehmen, arbeitsvermittlung, erwerbsfähigkeit, wahrscheinlichkeit, bindungswirkung

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 22.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 45 AL 420/04
Landessozialgericht Hamburg L 5 AL 86/06
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. September 2006 wird
zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die
Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 23. Mai 2003 bis einschließlich 7. Oktober 2003.
Der 1949 geborene Kläger war seit 1978 als Betriebshelfer bei der S. Hamburg beschäftigt. Seit 1997 war der Kläger
arbeitsunfähig und bezog nach dem Ablauf der Entgeltfortzahlung Krankengeld. Vom 17. Januar 1999 an bezog der
Kläger Arbeitslosengeld bis 18. April 1999 (Bewilligungsbescheid vom 8. Februar 1999; Anspruchsdauer: 789
Kalendertage). In einem Beratungsvermerk vom 26. Januar 1999 heißt es: "Stellt sich im Rahmen des zu erwartenden
Gutachtens zur Verfügung".
Nach anschließender erneuter Arbeitsunfähigkeit mit Entgeltfortzahlungs- und Krankengeldbezug meldete sich der
Kläger am 2. Oktober 2002 erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Laut Beratungsvermerk vom selben
Tage lag zu diesem Zeitpunkt ein ablehnender Widerspruchsbescheid des Rentenversicherungsträgers vor, der dem
Kläger ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere nervliche
Belastung und außergewöhnlichen Zeitdruck sowie ohne überlaute Arbeitsumgebung bescheinigte. Der Kläger stellte
sich im Rahmen dieses Leistungsvermögens der Arbeitsvermittlung zur Verfügung und bezog Arbeitslosengeld ab 3.
November 2002 bis einschließlich 5. März 2003.
Ab 21. Februar 2003 war der Kläger erneut arbeitsunfähig; die Beklagte hob daher wegen des Ablaufs der
Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) die Bewilligung ab dem 6.
März 2003 mit Bescheid vom selben Datum auf. Der Bescheid erlangte Bestandskraft.
Am 24. März 2003 meldete sich der beschäftigungslose Kläger erneut persönlich arbeitslos und beantragte
Arbeitslosengeld. Im schriftlichen Antragsvordruck ist die Frage "Bei erforderlicher ärztlicher Begutachtung bin ich
bereit, mich im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen" mit "Ja"
angekreuzt. Im Beratungsvermerk vom selben Tage heißt es diesbezüglich "Hat keinen KG-Anspruch, war bereits
ausgesteuert, aber nicht § 125. Verschlechterung, ist au krank geschrieben bis April, kann neA keine Arbeit
aufnehmen. Kopien der Arztberichte an ÄD, Klärung Änderungen zum Vorgutachten, erneute Klärung § 125." In einem
weiteren handschriftlichen Vermerk heißt es: "am 24.3. Wb/Alg-Antrag gestellt und abgegeben. Ist lfd. weiter au
krank. Rentenantrag ist abgelehnt, Klage läuft. Benötigt Ablehnungsbescheid für das Sozialamt".
Mit Bescheid vom 26. März 2003 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab, da der Kläger erklärt
habe, aus gesundheitlichen Gründen keine Arbeit aufnehmen zu wollen. Der Bescheid wurde bestandskräftig;
Sozialhilfe wurde an den Kläger nach dessen Angaben wegen der Höhe der Einkünfte der Ehefrau nicht gezahlt.
Am 12. August 2003 und am 15. August 2003 meldete sich der Kläger aufgrund einer Einladung zum 20. August 2003
telefonisch bei der Beklagten. Hierzu heißt es in den Beratungsvermerken unter anderem: "Will wissen, wie ich ein
Gutachten mit ihm besprechen will, wo er doch gar nicht beim Arzt war. Gutachten liegt vor." Und "teilt telf mit, dass
er lfd au krank ist, keine Leistungen vom AA erhält und deswegen auch nicht kommen wird"
Mit Schreiben vom 1. September 2003 stellte der Kläger einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 6. März
2003 und trug unter Vorlage einer Bescheinigung seiner Krankenkasse vor, es sei nicht zutreffend, dass er, der
Kläger, Anspruch auf Krankengeld gehabt habe, er beantrage daher die Gewährung von Arbeitslosengeld über den 6.
März 2003 hinaus. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 teilte die Beklagte mit, der Bescheid vom 6. März 2003 sei
rechtlich nicht zu beanstanden, es verbleibe bei der getroffenen Entscheidung.
Noch am 8. Oktober 2003 meldete sich der Kläger erneut persönlich arbeitslos, beantragte Arbeitslosengeld und
stellte sich dabei im Rahmen des ärztlichen Gutachtens des arbeitsamtsärztlichen Dienstes der Arbeitsvermittlung
zur Verfügung. Mit Bescheid vom 30. Oktober 2003 wurde dem Kläger daraufhin Arbeitslosengeld ab 8. Oktober 2003
bewilligt.
Gegen den Bescheid vom 8. Oktober 2003 legte der Kläger am 15. Oktober 2003 Widerspruch ein, mit welchem der
geltend gemachte Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen zwischenzeitlichen Krankengeld-Bezuges bis 22. Mai 2003
auf die Zeit vom 23. Mai 2003 bis 7. Oktober 2003 begrenzt wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 8. März 2004 als unbegründet zurück.
Mit seiner Klage vom 17. März 2004 hat der Kläger geltend gemacht, er habe sich bereits im Rahmen seines
Erstantrags vom 12. Januar 1999 im Rahmen seines Restleistungsvermögens zur Verfügung gestellt. Aus der Akte
ergeb sich nicht, wann der Kläger erklärt haben sollte, er könne keine Arbeit aufnehmen. Auch in seinem Antrag habe
der Kläger die betreffende Frage mit Ja beantwortet.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 4. September 2006 die Klage abgewiesen. Die Aufhebung der Bewilligung von
Arbeitslosenhilfe sei zu Recht erfolgt, denn zum Zeitpunkt des Erlasses des zu überprüfenden Bescheides vom 6.
März 2003 sei der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, eine Beschäftigung aufzunehmen
und habe daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden. Die Regelung des § 125 des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB III) finde keine Anwendung, da bei dem Kläger in Folge stationärer Behandlung auch das vom
Rentenversicherungsträger festgestellte Restleistungsvermögen aufgehoben gewesen sei. Darüber hinaus habe ein
etwaiger Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 6. März 2003 wegen des Bezuges von Krankengeld nach § 142 Abs.
1 Nr. 2 SGB III geruht. Ab dem 23. Mai 2003 habe dem Kläger ein erneuter Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits
deshalb nicht zugestanden, weil die persönliche Arbeitslosmeldung infolge der mehr als sechswöchigen
Unterbrechung der Arbeitslosigkeit nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 SGB III erloschen gewesen sei.
Gegen das am 11. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. November 2006 Berufung eingelegt. Er macht
geltend, bei ihm liege ein Fall des § 125 SGB III vor, nach welchem die objektive Verfügbarkeit, auch bei einem
stationären Aufenthalt, ersetzt werde. Darüber hinaus sei ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu prüfen, da er
ja einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt habe und offenkundig falsch beraten worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. September 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober
2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die
Bescheide vom 6. März 2003 und vom 26. März 2003 aufzuheben und dem Kläger Arbeitslosengeld ab 23. Mai 2003
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, die Regelung des § 125 SGB II entfalte eine Sperrwirkung nur im Bezug auf die objektive
Verfügbarkeit und nur bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers. Eine solche – negative – Entscheidung
des Rentenversicherungsträgers habe hier vor Antragstellung bereits vorgelegen, so dass ein Fall des § 125 SGB III
nicht vorgelegen habe. Darüber hinaus habe es dem Kläger an der Bereitschaft zur Aufnahme einer zumutbaren,
seiner Leistungsfähigkeit entsprechenden Beschäftigung gefehlt, weil er sich der Arbeitsvermittlung nicht zur
Verfügung gestellt habe.
Die Beteiligten haben sich nach Anhörung mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin
einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Leistungsakte der Beklagten
Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die die Berichterstatterin mit dem Einverständnis der Beteiligten an Stelle des Senats nach § 155
Abs. 4 in Verbindung mit Absatz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheiden kann, ist statthaft (§§ 143, 144
SGG und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 155 SGG) erhoben.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen
mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG SozR 3-1825 § 2 Nr. 2; BSGE 88,
S. 75) zu verfolgenden Anspruch darauf, dass die bindend gewordenen Bescheide vom 6. März 2003 und vom 26.
März 2003 zurückgenommen werden und ihm Arbeitslosengeld ab 23. Mai 2003 gewährt wird.
Ausgangspunkt der Prüfung ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht
unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ob bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht
unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem zu jenem Zeitpunkt maßgebenden Recht, jedoch aus heutiger
Sicht ("geläuterte Rechtsauffassung", Steinwedel in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, Stand:
Juli 2009, § 44 SGB X Rdnr. 38 m.w.N.).
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass, wenn sich im Rahmen eines Antrages auf Zugunstenbescheid
nichts ergibt, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, sich die Verwaltung ohne jede
Sachprüfung auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung berufen kann. Werden zwar neue Tatsachen oder
Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten
Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die
Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich
nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht
auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Nur in diesem Fall ist der Streitstoff in vollem Umfang erneut zu
prüfen (vgl. BSG, Urteil vom 3.2.1988 - 9/9 a RV 18/86 - in SozR 1300 § 44 Nr. 33).
Unter Zugrundelegung dieser Gesichtspunkte ist das Urteil des Sozialgerichts nicht zu beanstanden.
Gegenstand des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X war zum einen der Bescheid vom 6. März 2003.
Hinsichtlich dieses Bescheides ist festzustellen, dass dieser schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers
rechtlich nicht zu beanstanden ist. Denn der Kläger trägt selbst vor, dass er vom 6. März 2003 bis einschließlich 22.
Mai 2003 Krankengeld erhalten hat. Schon aus diesem Grund war die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld
rechtmäßig, denn gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeit,
für die dem Arbeitslosen ein Anspruch u.a. auf Krankengeld zuerkannt ist.
Gegenstand des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X war darüber hinaus auch der Bescheid vom 26. März
2003, mit welchem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld vom 24. März 2003 abgelehnt hat. Auch
diesen hat die Prozessbevollmächtige des Klägers mit ihrer Widerspruchsbegründung vom 28. Januar 2004
beanstandet und auch hierüber hat die Beklagte – wie sich aus den Gründen der Widerspruchsentscheidung ergibt –
mit entschieden. Indes erweist sich auch der Bescheid vom 26. März 2003 als rechtmäßig.
Bis einschließlich 22. Mai 2003 ruhte ein etwaiger Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits – wie dargelegt – aufgrund
des Bezuges von Krankengeld. Auch Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger ab dem 23. Mai 2003 Arbeitslosengeld
zugestanden hätte, sind hier indes nicht ersichtlich.
Nach § 117 Abs. 1 SGB III (in der hier anwendbaren und in der Folge durchgängig zitierten Fassung des Gesetzes
vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594 ( a.F.)) haben Anspruch auf Arbeitslosengeld Arbeitnehmer, die arbeitslos sind,
sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Nach § 118 Abs. 1 SGB III
a.F. ist ein Arbeitnehmer arbeitslos, wenn er vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und eine
versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht. Gemäß § 119 Abs. 1
Nr. 2 SGB III a.F. sucht eine Beschäftigung, wer den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung
steht; dies trifft nach § 119 Abs. 2 SGB II a.F. auf denjenigen zu, der arbeitsfähig (objektiv verfügbar) und seiner
Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit (subjektiv verfügbar) ist. Arbeitsfähig ist nach § 119 Abs. 3 SGB II a.F.,
wer unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes eine versicherungspflichtige,
mindestens 15 Stunden den wöchentlich umfassende Beschäftigung aufnehmen und ausüben, an Maßnahmen zur
beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilnehmen und Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen
Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf.
Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. hat Anspruch auf Arbeitslosengeld auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos
ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige,
mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die
auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit
üblich sind, wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt
worden ist. Die Feststellung, ob verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt, ist durch § 125 Abs. 1 Satz 2 SGB III a.F. dem
zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vorbehalten, womit zugleich das (gegebenenfalls mit einem
Bescheid nach § 48 SGB X umzusetzende) Ende für die besondere Leistung nach § 125 SGB III markiert ist (BSG,
Urteil vom 30. Januar 2002, B 5 RJ 6/01 R - juris).
Allein diese Merkmale bestimmen den Anwendungsbereich der Nahtlosigkeitsregelung. Ihre Wirkung besteht darin, ein
gesundheitliches Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zum Eintritt des in der Rentenversicherung versicherten
Risikos der verminderten Erwerbsfähigkeit zu fingieren (BSG, Urteil vom 12.6.1992 – B11 RAr 35/91 - BSGE 71, S.
12; BSG, Urteil vom 9.9.1999 – B 11 AL 13/99 R – SozR 3-4100 § 105a Nr. 7; BSG, Urteil vom 10.5.2007 – B 7a AL
30/06 R – SozR 4-4300 § 125 Nr. 2). Diese Fiktion hindert die Arbeitsverwaltung daran, einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld mit der Begründung zu verneinen, der Arbeitslose sei wegen nicht nur vorübergehenden
Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit objektiv nicht verfügbar. Erst nachdem der
Rentenversicherungsträger eine positive Feststellung über das Vorliegen von verminderter Erwerbsfähigkeit getroffen
hat entfällt auch die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung (BSG, Urteil vom 9.9.1999 – B 11 AL 13/99 R – SozR 3-
4100 § 105a Nr. 7; BSG, Urteil vom 10.5.2007 – B 7a AL 30/06 R – SozR 4-4300 § 125 Nr. 2).
Die Sperrwirkung der sogenannten Nahtlosigkeitsregelung entfaltet sich jedoch allein im Rahmen der objektiven
Verfügbarkeit (BSG, Urteil vom 12.6.1992 – B11 RAr 35/91 - BSGE 71, S. 12; BSG, Urteil vom 9.9.1999 – B 11 AL
13/99 R – SozR 3-4100 § 105a Nr. 7; BSG, Urteil vom 10.5.2007 – B 7a AL 30/06 R – SozR 4-4300 § 125 Nr. 2). Da
die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung mithin auf die Beurteilung der objektiven Verfügbarkeit beschränkt ist,
sind die Feststellungen des Rentenversicherungsträgers zum gesundheitlichen Leistungsvermögen für die Beurteilung
der subjektiven Verfügbarkeit (Arbeitsbereitschaft) nicht heranzuziehen. Die fehlende Bereitschaft zur Aufnahme einer
zumutbaren, der Leistungsfähigkeit entsprechenden Beschäftigung ist keine Frage der Nahtlosigkeitsregelung,
sondern liegt im eigenen Verantwortungsbereich des Arbeitslosen (ständige Rechtsprechung des BSG; vgl. BSG,
Urteil vom 1.8.1978 – 7 RAr 49/77 - BSGE 47, S. 40; BSG, Urteil vom 9.12.1982 – 7 RAr 35/82 – juris; BSG, Urteil v.
10.5.2007 – B 7a AL 30/06 R – SozR4-4300 § 125 Nr. 2), so dass sich negative Auswirkungen auf seinen
Arbeitslosengeld-Anspruch ergeben, wenn er sich der Arbeitsvermittlung nur unterhalb seiner tatsächlichen
Leistungsfähigkeit zur Verfügung stellt. Hingegen ist die subjektive Verfügbarkeit zu bejahen, wenn der Arbeitslose
bereit ist, alle seiner objektiven Leistungsfähigkeit entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren
Beschäftigungen aufzunehmen (BSG, Urteil vom 1.8.1978 – 7 RAr 49/77 - BSGE 47, S. 40).
Ausgehend hiervon kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger ab 23. Mai 2003 – nur ab diesem Zeitpunkt
macht der Kläger Arbeitslosengeld geltend – Arbeitslosengeld zustand. Insbesondere kann nicht festgestellt werden,
dass die Beklagte zu Unrecht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausging, indem sie ihrer Entscheidung vom 26.
März 2003 eine fehlende subjektive Verfügbarkeit des Klägers zugrunde legte.
Allerdings dürfte dem Kläger darin zu folgen sein, dass hier weiterhin, also auch über den 5. März 2003 hinaus, die
Gewährung von Arbeitslosengeld nicht mit der Begründung zu versagen war, der Kläger sei wegen vorübergehender
Einschränkungen der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit objektiv nicht verfügbar. Denn eine positive Entscheidung
des Rentenversicherungsträgers lag im Falle des Klägers gerade nicht vor.
Sperrt jedoch die Regelung des § 125 SGB II wie dargelegt lediglich eigene Feststellungen der Arbeitsverwaltung
hinsichtlich der objektiven Verfügbarkeit, so war die Beklagte im Hinblick auf die erneute Antragstellung des Klägers
am 24. März 2003 nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, eine eigene Beurteilung der subjektiven
Verfügbarkeit des Klägers vorzunehmen. Dafür, dass die Beklagte hier zutreffend davon ausging, dass der Kläger
subjektiv davon überzeugt war, keinerlei Beschäftigung mehr nachgehen zu können und dies auch gegenüber der
Beklagten erklärt hat, sprechen eine Vielzahl von Umständen.
Obwohl der Kläger aus vorherigen Arbeitslosemeldungen wusste, welche Art von Erklärung ihm abverlangt werden
würde und dass er nicht gezwungen sein würde, eine konkrete Benennung eines Leistungsvermögen vorzunehmen,
erklärte er, wie sich aus dem Beratungsvermerk vom 24. März 2003 ergibt, keinerlei Arbeit aufnehmen zu können.
Diese Erklärung steht im Einklang mit einem Vermerk vom selben Tage in der Leistungsakte, der Kläger benötige
einen Ablehnungsbescheid für das Sozialamt. Dafür, dass dieser Akteninhalt die Gespräche mit dem Kläger an
diesem Tage sinnentsprechend wiedergibt, spricht auch das nachfolgende Verhalten des Klägers. Unabhängig davon,
dass er den Ablehnungsbescheid in Bestandskraft erwachsen ließ, teilte er im August 2008 auch nochmals
telefonisch gegenüber der Beklagten mit, krank zu sein, keine Leistungen zu erhalten und auch auf die Einladung zum
20. August 2003 nicht erscheinen zu wollen, was er dann auch nicht tat. Aus diesen Umständen kann ohne Weiteres
geschlossen werden, dass eine Arbeitsbereitschaft des Klägers im Sinne einer subjektiven Verfügbarkeit nicht
bestand. Dem stehen die Angaben im Antrag selbst nicht entgegen. An der Ernsthaftigkeit der angekreuzten
Aussagen bestehen im Hinblick auf die dargelegten weitern Umstände erhebliche Zweifel.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass im Verfahren nach § 44 SGB X die Nichterweislichkeit
der Rechtswidrigkeit eines Bescheides zu Lasten desjenigen geht, der die Änderung begehrt. Anders als bei der zu
Grunde liegenden Entscheidung über die Ablehnung von Arbeitslosengeld, bei der die Beklagte im Falle eines
Rechtsstreits den Nachweis hätte führen müssen, dass der Kläger sich für nicht arbeitsbereit erklärt hatte, ist es im
Verfahren nach § 44 SGB X dem Kläger anzulasten, wenn sich die Frage, ob er sich tatsächlich nicht seiner
Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit gezeigt hat, in Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten letztlich nicht
(mehr) abschließend beurteilen lässt.
Zwar ist im Rahmen von § 44 SGB X nach rein objektiven Maßstäben zu beurteilen, ob die behördliche Maßnahme
der Rechtsordnung entspricht. Es finden die allgemeinen Verfahrens- und Beweisregeln Anwendung, die in §§ 20 und
21 SGB X ihren Niederschlag gefunden haben. Dementsprechend gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Der
Leistungsträger ist bei der Würdigung und Abwägung aller für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen und
Tatbestandsmerkmale frei. Absolute Gewissheit ist allerdings nicht erforderlich; es genügt ein so hoher Grad an
Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Dritter noch zweifelt. Daher muss bei § 44 SGB X die Unrichtigkeit mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben sein. Die Entscheidung der Behörde ist vom Gericht nachprüfbar;
der Gesetzgeber hat den Leistungsträgern insofern keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eingeräumt, der
eine gerichtliche Kontrolle nur in Grenzen zulässt (Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: März 2004, § 44
Rdnr. 10).
Ist jedoch bei Berücksichtigung aller Umstände die Unrichtigkeit nicht mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit gegeben, scheidet die Rücknahme der bestandskräftig gewordenen behördlichen Entscheidung
aus (Vogelgesang in: Hauck/Noftz, a.a.O.; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.6.2001 – L 3 AL 23/00 – juris). So
ist es auch hier.
Anhaltspunkte für eine Falschberatung durch die Beklagte sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die
bloße Behauptung, eine solche Falschberatung müsse hier vorgelegen haben, ist nicht geeignet, Ermittlungen "ins
Blaue hinein" zu veranlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.