Urteil des LSG Hamburg vom 31.05.2010

LSG Ham: erwerbsfähigkeit, feststellungsklage, abklärung, klageart, öffentlich, subjektiv, hauptsache, eigenschaft, form, ergänzung

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 31.05.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 57 AS 484/06
Landessozialgericht Hamburg L 5 AS 21/08
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Februar 2008 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Abklärung seiner Erwerbsfähigkeit.
Der 1969 geborene Kläger bezog bis 31. Dezember 2004 Sozialhilfe. Am 22. November 2004 beantragte er Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 1. Januar 2005. Mit
Bescheid vom 24. November 2004 wurde dem erwerbsfähigen, hilfebedürftigen, allein lebenden Kläger
Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer Regelleistung in Höhe von 345 EUR sowie Kosten der Unterkunft in
Höhe von 407,29 EUR für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 bewilligt. Hiergegen erhob der Kläger
Widerspruch mit der folgenden Begründung: "Seit wann bin ich erwerbsfähig?" Außerdem monierte er, er sei in die
falsche Krankenkasse eingestuft.
Am 2. Dezember 2004 erging ein Änderungsbescheid, mit welchem das Bestehen einer Krankenversicherung bei der
AOK S. statt bei der AOK H. festgestellt wurde; andere Änderungen enthält der Bescheid nicht. Den Widerspruch des
Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2006 mit der Begründung zurück, der Kläger
sei durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten beeinträchtigt, da ihm Leistungen in gesetzlicher
Höhe bewilligt worden seien.
Die am 7. März 2006 erhobene Klage blieb unbegründet.
Das Sozialgericht Hamburg hat mit Gerichtsbescheid vom 19. Februar 2008 die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, eine Rechtswidrigkeit der Bescheide sei nicht ersichtlich, es gebe keine Anhaltspunkte für
eine fehlerhafte Berechnung. Die Feststellung der Erwerbsfähigkeit obliege der Beklagte; diese sei auch bis zur
endgültigen Feststellung der Erwerbsfähigkeit zur Leistung verpflichtet. Eine Feststellungsklage hinsichtlich des
Bestehens bzw. Nichtbestehens von Erwerbsfähigkeit sei unzulässig.
Der Kläger hat gegen den ihm am 22. Februar 2008 zugestellten Gerichtsbescheid am 10. März 2008 Berufung
eingelegt. Zur Begründung führt er aus: "Ich habe eine Frage gestellt, die bisher nicht beantwortet wurde." Der Kläger
hat in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2010 ausgeführt, er sei keineswegs der Auffassung, nicht
erwerbsfähig zu sein. Er halte sich vielmehr für erwerbsfähig und wolle auch Leistungen von der Beklagten erhalten.
Er wolle aber einmal festgestellt haben, dass er erwerbsfähig sei.
Der Kläger beantragt,
die Abklärung seiner Erwerbsfähigkeit.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Durch Beschluss vom 10. November 2009 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Leistungsakte der Beklagten Bezug
genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des
Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und
entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss vom 10.
November 2009 die Berufung dem Berichterstatter übertragen hat, der nach § 153 Abs. 5 SGG zusammen mit den
ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Der Beschluss ist den Beteiligten am 17. November 2009 zugestellt worden.
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben.
Sie ist jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unzulässig.
Das Rechtsschutzbegehren des Klägers richtet sich allein auf die Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit durch das
Gericht. Die hierfür allein in Betracht kommende Klageart ist die Feststellungsklage nach § 55 SGG. Gemäß § 55
Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses
begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Schon nach seinem
eigenen Vorbringen begehrt der Kläger nicht die Feststellung eines aktuellen Rechtsverhältnisses. Als solches werden
die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt
betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm u.a. für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander ergeben (BVerwG,
Urteil vom 23. Januar 1992, BVerwGE 89, S. 327, 329).
Zwar besteht grundsätzlich ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten insoweit, als ein solches durch die
Antragstellung des Klägers auf Arbeitslosengeld II begründet worden ist und auch die darauf beruhende
Leistungsgewährung eine subjektiv-rechtliche Ausformung erhalten hat. Daraus folgt jedoch nicht, dass im
vorliegenden Fall bereits das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses streitig ist. Rechtsverhältnisse
sind durch subjektive Rechte und Pflichten gekennzeichnet (BVerwG, a.a.O., S. 330; ferner BVerwG, Urteil vom 8.
Dezember 1995, BVerwGE 100, S. 83, 90). Um ein Rechtsverhältnis geht es daher nur, wenn es um die Feststellung
von Rechten und Pflichten geht. Solche Rechtsverhältnisse setzen stets einen konkreten Sachverhalt voraus (BSG,
Urteil vom 25. August 1999 - B 6 KA 34/98 R - SozR 3-2500 § 85 Nr. 32).
Die vom Kläger begehrte Feststellung zielt nicht auf die Feststellung von Rechten und Pflichten aus dem oben
skizzierten Rechtsverhältnis; er macht nicht geltend, dass insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der
Erwerbsfähigkeit seine Position gegenwärtig und unmittelbar beeinträchtigt sein könnte. Im Übrigen benennt er keinen
Sachverhalt, der Anlass geben könnte, die von ihm aufgeworfene Frage im Wege der Feststellungsklage zu klären. Er
hat nicht andeutungsweise dargelegt, dass aktuell irgendein Sachverhalt gegeben sein könnte, der Feststellungen zu
seiner Erwerbsfähigkeit notwendig machen könnte. Ohne Darlegung eines solchen konkreten Sachverhaltes begehrt
der Kläger aber nicht die Feststellung von Rechten und Pflichten aus einem Rechtsverhältnis, vielmehr läuft sein
Begehren auf die gewünschte Beantwortung einer allgemeinen Frage zu einer Eigenschaft seiner Person hinaus, die
ein Feststellungsinteresse nicht begründet.
Die Frage der Erwerbsfähigkeit wird darüber hinaus bereits – worauf der Kläger auch hingewiesen worden ist - im
Rahmen des Leistungsbescheides der Beklagten inzident beantwortet. Für eine zusätzliche formelle Feststellung der
Erwerbsfähigkeit des Klägers fehlt schon daher das erforderliche Feststellungsinteresse.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.