Urteil des LSG Hamburg vom 21.05.2007
LSG Ham: aufschiebende wirkung, überwiegendes interesse, wesentlicher nachteil, interessenabwägung, deckung, aufrechnung, behandlung, darlehen, schulbesuch, anfechtungsklage
Landessozialgericht Hamburg
Beschluss vom 21.05.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 52 AS 2587/06 ER
Landessozialgericht Hamburg L 5 B 111/07 ER AS
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 22. Februar 2007 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die am 14. März 2007 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg
vom 22. Februar 2007, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat
(§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet, da
das Sozialgericht zu Recht die Gewährung von Eilrechtsschutz abgelehnt hat.
Gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen
Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder
teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. November 2006, mit dem die durch Bescheid vom
7. November 2006 bewilligten Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2006 bis 28. Februar 2007 monatlich um 10
Prozent abgesenkt wurden, hat gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch –
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) keine aufschiebende Wirkung. Voraussetzung für die Anordnung der
aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ist, dass das Interesse des einzelnen an der aufschiebenden Wirkung
gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug eines Bescheides überwiegt. Ist der angefochtene Verwaltungsakt
offensichtlich rechtswidrig, überwiegt in der Regel das Interesse des einzelnen. Ist die Klage dagegen aussichtslos,
wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht absehbar, bleibt es bei einer
allgemeinen Interessenabwägung, bei der alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b Rn. 12c; Krodel NZS 2001, S. 449 ff., 454).
Der angefochtene Bescheid vom 13. November 2006 ist jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Das Sozialgericht
hat mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 153 SGG),
dargelegt, dass das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Versäumung der Meldetermine im Rahmen des
Eilverfahrens nicht hinreichend festgestellt werden kann. Aus dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren ergibt sich
insoweit keine abweichende Beurteilung. Es mag zwar nicht auszuschließen sein, dass die Erkrankung der
Antragstellerin zwar einem regelmäßigen Schulbesuch nicht entgegen steht, sie aber dennoch an einer regelmäßigen
Leerung ihres Briefkastens hindert. Abschließend wird diese Frage jedoch nur aufgrund weiterer medizinischer
Ermittlungen zu beantworten sein, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen. Die Bescheinigung des
behandelnden Allgemeinmediziners Dr. I. vom 7. November 2006 reicht insoweit als Nachweis nicht aus, zumal sie
keine medizinische Begründung für die Feststellung enthält, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Angststörung ihren
Briefkasten nicht regelmäßig überprüfen könne. In nervenärztlicher Behandlung befindet sie sich trotz der Schwere der
vorgetragenen Krankheitssymptome offenbar nicht.
Da der Ausgang des Hauptsacheverfahrens somit nicht absehbar ist, hat eine allgemeine Interessenabwägung zu
erfolgen. Dem Sozialgericht ist auch insoweit zuzustimmen, dass ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an
der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht erkennbar ist. Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen,
dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in Fällen einer beantragten einstweiligen Anordnung (§ 86b
Abs. 2 S. 2 SGG) ein Anordnungsgrund in der Regel zu verneinen ist, wenn es um Leistungen in Höhe von bis zu 10
Prozent der maßgeblichen Regelleistung geht. Dies ergibt sich daraus, dass nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB II ein im
Einzelfall zur Deckung eines unabweisbaren Bedarfs gewährtes Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von
bis zu 10 Prozent der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zu zahlenden Regelleistung zu tilgen ist. Wenn es der
Gesetzgeber somit für zumutbar hält, dass durch die notwendige Darlehenstilgung die Regelleistung um bis zu 10
Prozent monatlich reduziert werden kann, gibt dies zugleich einen Maßstab dafür, wann ein wesentlicher Nachteil im
Sinne des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG anzunehmen ist (LSG Hamburg, Beschluss vom 11.1.2007 – L 5 B 531/06 ER AS).
Wenn dieser Maßstab in Vornahmesachen gilt, ist jedoch kein sachlicher Grund dafür erkennbar, ihn nicht auf die
Anfechtungsfälle des § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu übertragen und insoweit ein überwiegendes Interesse des
Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung im Regelfall zu verneinen, wenn Leistungen in Höhe von bis zu 10
Prozent der Regelleistung (unter Berücksichtigung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs. 2 SGB II) im Streit stehen.
Besondere Umstände, die im konkreten Einzelfall eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Ihre
pauschale Behauptung, sie sei auf die gekürzten Leistungen dringend angewiesen, hat die Antragstellerin nicht näher
begründet. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Sanktionszeitraum mittlerweile abgelaufen ist und die
Antragstellerin wieder ungekürzte Leistungen erhält. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden
Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).