Urteil des LSG Hamburg vom 26.11.2008

LSG Ham: anfang, konzentrationslager, gerichtsakte, wartezeit, zwangsarbeit, posten, aufenthalt, verfolgter, forschungsarbeiten, beweismittel

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 26.11.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 20 RJ 254/04
Landessozialgericht Hamburg L 1 R 215/06
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Oktober 2006 wird
zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung so genannter Ghetto-
Beitragszeiten im Streit.
Der am X.XXXX 1930 (nach anderen Angaben am X.XXXX 1929) in D. in einer Kleinstadt in Ost-Oberschlesien,
geborene Kläger wurde als polnischer Jude Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er wanderte 1949 in die
Vereinigten Staaten von Amerika aus, deren Staatsangehörigkeit er mittlerweile besitzt. Er ist als Verfolgter im Sinne
des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Ihm wurde mit Bescheid des Regierungsbezirksamtes für
Wiedergutmachung und verwaltete Vermögen Trier vom 5. September 1956 Entschädigung für Schaden an der
Freiheit für Judensterntragen in Dombrowa, Aufenthalt im Ghetto Sosnowiez und in den Konzentrationslagern
Auschwitz-Birkenau, Sachsenhausen und Bergen-Belsen vom 1. Mai 1940 bis 15. April 1945 und mit Bescheiden des
Bezirksamtes für Wiedergutmachung Trier vom 14. Dezember 1959 und 15. Juni 1965 eine solche für Schaden an
Körper oder Gesundheit zuerkannt.
In einer eidesstattlichen Versicherung vom 24. Februar 1956 (Bl. 22 der Akte des Regierungsbezirksamtes für
Wiedergutmachung und verwaltete Vermögen Trier – Entschädigungsakte) hatte der Kläger sich zu seinem
Verfolgungsschicksal wie folgt geäußert:
"Bei Kriegsausbruch lebte ich in meinem Geburtsort D., Polen. Bereits wenige Wochen nach der deutschen
Besetzung musste ich zu meiner Kennzeichnung als Jude eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern tragen. Zur
Zwangsarbeit wurde ich wegen meines jugendlichen Alters zu der Zeit jedoch noch nicht herangezogen.
Etwa Ende 1940 zogen dann meine Eltern mit mir von D. nach Sosnowiec, Polen. Kurze Zeit nach unserer Ankunft
mussten wir dann jedoch in das dort errichtete Ghetto einziehen, und zwar meiner besten Erinnerung nach im
Dezember 1940. Dieses Ghetto bestand aus einigen Straßen der Stadt, die meiner Erinnerung nach zu der Zeit zwar
noch nicht durch bauliche Vorrichtungen von der Außenwelt abgeschnitten waren, jedoch von deutschen Posten
ständig patrouilliert wurden. Das Verlassen des Ghettos war bei Androhung der Todesstrafe verboten. Ich selbst
brauchte auch im Ghetto Sosnowiec wegen meines jugendlichen Alters noch keine Zwangsarbeit verrichten, durfte
das Ghettogebiet aber gleichfalls nicht verlassen. Mitte 1941 wurden dann meine Geschwister und ich von unseren
Eltern im Ghetto Sosnowiec getrennt und diese aus dem Ghetto abtransportiert. Ich selbst verblieb dann noch im
Ghetto Sosnowiec bis Anfang 1942.
Anfang 1942 kam ich dann in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, wo ich zunächst noch keine
Häftlingsnummer auf dem linken Unterarm eingebrannt erhielt, da ich in einem so genannten Sammel- und
Vernichtungslager untergebracht war. Meiner besten Erinnerung nach erhielt ich dann Anfang 1943 im
Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau doch noch die Häftlingsnummer ... Anschließend wurde ich auch in das
Hauptlager Auschwitz überführt.
Während meines Zwangsarbeitseinsatzes auf einem Außenkommando außerhalb des Lagers ereignete sich dort etwa
Ende 1943 folgender Vorfall: Ich war in einer Schneiderwerkstatt eingesetzt, die Kleidungsstücke für die deutsche
Wehrmacht herstellte. Die gebündelten Kleidungsstücke musste ich dort transportieren. Als ich mich mit einem
großen Bündel auf der Treppe des Werkstattgebäudes befand, stieß mich einer der uns bewachenden SS-Posten
diese herunter. Bei diesem Sturz brach ich mir den linken Arm, und zwar im Ellenbogengelenk ...".
Zur Unterstützung dieser Aussage hatte der Kläger eine in Form einer eidesstattlichen Versicherung vorgebrachte
zeugenschaftliche Aussage des L. E. vom 1. März 1956 beigebracht (Bl. 17 der Entschädigungsakte). Dieser hatte
erklärt:
"Als ich mich im Zuge meiner eigenen Inhaftierungen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befand, lernte ich
dort etwa Anfang 1942 den Antragsteller S. B. als jüdischen Mitgefangenen kennen. Zunächst erhielten wir bei
unserem dortigen Aufenthalt keine Häftlingsnummer auf dem linken Unterarm eingebrannt, da wir in einem so
genannten Sammel- und Vernichtungslager untergebracht waren. Ich kann mich jedoch noch genau erinnern, dass der
Antragsteller dann vor seiner Überführung in das Hauptlager des Konzentrationslagers Auschwitz Anfang 1943 doch
noch eine Häftlingsnummer auf den linken Unterarm eingebrannt erhielt.
Während unseres gemeinsamen Zwangseinsatzes auf einem Außenkommando des Hauptlagers Auschwitz ereignete
sich dort etwa Ende 1943 folgender Vorfall: Der Antragsteller war in einer Schneiderwerkstatt eingesetzt. Dabei
musste er gebündelte Kleidungsstücke transportieren. Ich sah selbst, dass er dort mit einem großen Bündel die
Treppe des Werkstattgebäudes von einem der uns bewachenden SS-Posten heruntergestoßen wurde ..."
Am 10. Februar 2001 begehrte der Kläger erstmalig die Gewährung einer Regelaltersrente. Angaben zu
Beschäftigungszeiten machte er in diesem Antrag nicht. Die Beklagte lehnte diesen nach Beiziehung der
Entschädigungsakte mit Bescheid vom 8. März 2002 ab und wies zur Begründung auf den Inhalt der beigezogenen
Akte hin. Aufgrund der im Entschädigungsverfahren gemachten Angaben namentlich zum jugendlichen Alter könne
ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vorgelegen haben.
Unter dem 16. Oktober 2002 beantragte der Kläger die Überprüfung dieser Entscheidung und gab hierzu auf dem
Antragsformblatt unter "Versicherungsverlauf des Versicherten" an, von April 1942 bis Juni 1943 in der R.-Schneiderei
in Dombrowa in Vollzeit und anschließend bis 1945 in der Schneiderei Block Nr. 1 in Auschwitz jeweils als
Laufbursche beschäftigt gewesen zu sein. Im Fragebogen zum Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) erklärte er ergänzend, in der R.-Schneiderei Säcke getragen zu haben. Er
habe eine Entlohnung erhalten; die Art der Entlohnung sei ihm nicht erinnerlich.
Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Rentenbescheides vom 8. März 2002 durch den vorliegend angefochtenen
Bescheid vom 29. Januar 2003 mit der Begründung ab, dass eine Änderung der Sachlage nicht eingetreten sei. Die im
jetzigen Rentenverfahren behaupteten Beschäftigungszeiten im Ghetto Dombrowa von April 1942 bis Juni 1943 seien
nicht glaubhaft, weil der Kläger im Entschädigungsverfahren angegeben habe, sich lediglich von Dezember 1940 bis
Anfang 1942 im Ghetto Sosnowiez aufgehalten zu haben, aber aufgrund seines jugendlichen Alters nicht zum
Arbeiten herangezogen worden zu sein. Anfang 1942 sei er dann nach seinen Angaben nach Auschwitz-Birkenau
gekommen. Vor diesem Hintergrund könne ein Beschäftigungsverhältnis im Ghetto Dombrowa nicht bestanden haben.
Den hiergegen ohne nähere Begründung erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2.
Februar 2004 als unbegründet zurück und nahm hierzu erneut Bezug auf die Angaben des Klägers im
Entschädigungsverfahren. Diesen sei Glauben zu schenken, weil sie zeitnäher seien als die Behauptungen im
Rentenverfahren, zumal für letztere keinerlei Beweismittel eingereicht worden seien.
Zur Begründung der daraufhin fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger darauf abgehoben, im Dezember 1940
zunächst in das Ghetto Dombrowa verbracht worden zu sein, von wo er im April 1942 in das Ghetto Sosnowiez
überführt worden sei, in dem er schließlich bis Juni 1943 verblieben sei. In beiden Ghettos habe er in Schneider-
Shops versicherungspflichtig gearbeitet. Diese Tätigkeit sei ihm aufgrund eigener Bemühungen durch den Judenrat
vermittelt worden. Sie sei mit Lebensmitteln bzw. Mahlzeiten und Reichsmark entlohnt worden. Zum Beweis der
Richtigkeit seines Vorbringens hat er sich auf das Zeugnis der S1 G. bezogen.
Das Sozialgericht hat deren schriftliche Zeugenaussage veranlasst, die unter dem 2. Dezember 2005 abgegeben
wurde. Dort heißt es, sie wisse, dass der Kläger ungefähr 1942 - 43 in ihrer Stadt gelebt habe, als das Ghetto
geschlossen worden sei, danach wisse sie es nicht mehr. Sie wisse auch nicht, ob der Kläger Arbeit gehabt habe. Der
Judenrat habe Gutscheine für Lebensmittel an die Juden ausgeteilt. Es habe kein Einkommen und keine Anstellung
gegeben, es habe sich um Zwangsarbeit gehandelt. Auf die Erklärung der S1 G. (Blatt 38, Übersetzung in die
deutsche Sprache Blatt 39 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit am 13. November 2006 an Verkündungs Statt zugestelltem Urteil vom 19.
Oktober 2006 abgewiesen. Es sei nicht glaubhaft gemacht, dass in einem Ghetto eine Beschäftigung aus eigenem
Willensentschluss gegen Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG ausgeübt worden sei. Zwar seien aus den
Angaben im Entschädigungsverfahren keine zwingenden negativen Schlüsse auf die Freiwilligkeit eines
Beschäftigungsverhältnisses zu ziehen. Jedoch stimmten die örtlichen und zeitlichen Einlassungen im
Rentenverfahren nicht mit denjenigen im Entschädigungsverfahren überein und auch die Zeugin G. habe eine Tätigkeit
des Klägers nicht bestätigen können. Zwar habe durchaus die Möglichkeit einer Beschäftigung im Sinne des ZRBG in
den ostoberschlesischen Schneidershops bestanden. Dies ergäben die historischen Tatsachen, wie sie etwa in den
Gutachten von Andrzej Bodek dargelegt seien. Allein hierauf könne aber eine Glaubhaftmachung nicht gegründet
werden, so dass bei Vornahme einer Gesamtwürdigung die behauptete Beschäftigung zwar denkbar, aber nicht
überwiegend wahrscheinlich sei.
Mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung wiederholt der Kläger sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen
Verfahren. Aus dem Umstand, dass er im Rentenantragsformular die Tätigkeit in der R.-Schneiderei von April 1942 bis
Juni 1943 im Ghetto Dombrowa angegeben habe, könnten keine negativen Schlüsse gezogen werden. Aus seinen
Angaben lasse sich eindeutig entnehmen, dass er zunächst im Ghetto Dombrowa inhaftiert gewesen sei. Es sei
verständlich, dass er nach über 60 Jahren keine detaillierten Erinnerungen mehr an die genauen Zeiträume seiner
Inhaftierungen habe. Schließlich habe er, nachdem ihm die Angaben im Entschädigungsverfahren vorgehalten worden
seien, die Zeiträume bestätigen können. Er hat, nachdem es ihm nicht gelungen war, weitere Zeugen ausfindig zu
machen, eine eigene notariell beglaubigte Erklärung eingereicht, wonach er 1940 im Ghetto Dombrowa und auch im
Ghetto Sosnowiez gelebt habe. Er habe sich nach einer Tätigkeit im R.-Tailor-Shop umgesehen und die jüdische
Gemeinde habe eine solche vermittelt. Dort habe er bis 1942 gearbeitet und ungefähr 10 -12 Mark dafür erhalten. Auf
die unter dem 30. Juli 2007 unterzeichnete und beglaubigte Erklärung (Blatt 82 der Gerichtsakte) wird ergänzend
Bezug genommen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Oktober 2006 und den Bescheid der Beklagten
vom 29. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2004 aufzuheben sowie die
Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme des Bescheides 8. März 2002 Regelaltersrente ab 1. Juli 1997 zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen entgegen. Die Angaben des Klägers seien nach wie vor widersprüchlich, weshalb eine
freiwillige Beschäftigung nicht glaubhaft sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die
Gerichtsakte und die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung vom 26. November 2008 zum
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; die angefochtenen Bescheide sind
rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger kann die begehrte Rente nicht beanspruchen und die Beklagte hat es
deshalb zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 8. März 2002 nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – zurückzunehmen.
Nach § 35 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) haben Versicherte
Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren
rentenrechtlicher Zeiten (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt haben. Auf diese allgemeine Wartezeit werden
Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und Abs. 4 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die
nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.
Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55
Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI).
Hiernach hat der Kläger keinen Rentenanspruch. Für ihn sind keine Versicherungszeiten auf die Wartezeit
anzurechnen. Er hat Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht zurückgelegt und
ist deshalb in der deutschen Rentenversicherung nicht versichert gewesen. Er mag Ersatzzeiten zurückgelegt haben.
Allein mit Ersatzzeiten besteht jedoch kein Rentenanspruch, weil nach § 250 Abs. 1 SGB VI lediglich Versicherte
rentenrechtliche Zeiten als Ersatzzeiten haben können. Versichert im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur derjenige, für
den wenigstens ein Beitrag vor Beginn der Rente wirksam gezahlt worden ist oder als entrichtet gilt. Hieran fehlt es.
Allerdings können nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 ZRBG Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung
ausnahmsweise dann fingiert werden, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, dort
aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen, diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt
wurde und das Ghetto sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert
war. Diese Voraussetzungen für die Fiktion einer Beitragsentrichtung müssen lediglich glaubhaft gemacht werden.
Dies folgt aus § 1 Abs. 2 ZRBG, wonach die Bestimmungen des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des
Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG)
ergänzen. Sonach finden die Vorschriften der Glaubhaftmachung des WGSVG im Rahmen der Anerkennung von
Beitragszeiten nach dem ZRBG unmittelbar Anwendung. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 WGSVG ist eine Tatsache glaubhaft
gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel
erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.
Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Kläger so genannte Ghetto-Beitragszeiten zurückgelegt hat. Allerdings ist
davon auszugehen, dass er Verfolgter im Sinne des BEG ist. Keinem Zweifel unterliegt auch, dass es in Dombrowa
und Sosnowiez ein Ghetto im Sinne des ZRBG gegeben hat. Die Verfolgteneigenschaft steht für den Senat aufgrund
des Bescheides des Regierungsbezirksamtes für Wiedergutmachung und verwaltete Vermögen Trier fest. Errichtung
und Auflösung des Ghettos Dombrowa und des Ghettos Sosnowiez sind durch die Forschungsarbeiten des Karl Ernst
Osthaus-Museums (www.keom.de/denkmal) dokumentiert. Dort ist die Eröffnung des Ghettos Dombrowa auf den 1.
März 1940 bzw. (je nach Teil des Ghettos) auf den 1. Januar 1941 und seine Liquidierung auf den 26. Juni 1943 und
die Eröffnung des Ghettos Sosnowiez auf den 1. Oktober 1942 und seine Liquidierung auf Mai bzw. August 1943 (je
nach Teil des Ghettos) datiert.
Glaubhaft sind aber nicht die erstmalig im Rahmen des Überprüfungsverfahrens gegenüber der Beklagten
angegebenen Zeiten des Ghetto-Aufenthalts von April 1942 bis Juni 1943 und die Behauptung einer Beschäftigung
ebenda. Denn nach seinen sehr ausführlichen und detailreichen Angaben im Entschädigungsverfahren ist der Kläger
bereits Anfang 1942 in das Konzentrationslager Auschwitz verbracht worden, wo er ab einem nicht näher bestimmten
Zeitpunkt auf einem Außenposten in einer Schneiderei gearbeitet hat. Seiner Darstellung zufolge war er zunächst in
einem Sammellager untergebracht und Anfang 1943 in das Hauptlager Auschwitz überführt worden. Diese Angaben
hat der Zeuge E. bestätigt. Durch die Forschungsarbeiten des Karl Ernst Osthaus-Museums ist aber ebenfalls
dokumentiert, dass in Sosnowiez nicht nur ein Ghetto, sondern auch eines der Außenlager/Durchgangslager des
Konzentrationslagers Auschwitz bestand. Dies steht in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers und des
Zeugen E. im Entschädigungsverfahren zum Aufenthalt im Außenlager des Konzentrationslagers Auschwitz. Vor
diesem Hintergrund ist jedenfalls nicht zu glauben, dass der Kläger in den Jahren 1942/1943 im Ghetto Dombrowa
oder Sosnowiez im R.-Taylor-Shop gearbeitet hat. Im Entschädigungsverfahren hat er sich deutlich dahin geäußert,
dass er in der Zeit vor der Verbringung in das Konzentrationslager aufgrund seines jugendlichen Alters nicht zu
Arbeiten herangezogen worden ist. Eine plausible Erklärung für den Widerspruch zwischen seinen damaligen und
heutigen Angaben hat er nicht abgegeben. Aus der Aussage der Zeugin G. lässt sich für das Begehren des Klägers
nichts herleiten. Sie konnte keine Angaben darüber machen, ob er zu Ghetto-Zeiten Arbeit hatte. Seine im
Berufungsverfahren beigebrachte notariell beglaubigte Erklärung, wonach er "bis 1942" im Taylor-Shop gearbeitet
habe, stellt schließlich eine weitere Sachverhaltsvariante dar, die überdies auch noch – erstmalig – Angaben zur
Lohnhöhe enthält. Auch sie steht in unauflöslichem Widerspruch zu den Angaben im Entschädigungsverfahren.
Danach spricht viel dafür, dass der Kläger entsprechend seiner Darstellung im Entschädigungsverfahren die Zeit seit
Anfang des Jahres 1942 in einem Außen- bzw. Durchgangslager des Konzentrationslagers Auschwitz zugebracht hat
und Anfang 1943 in das Hauptlager verbracht worden ist. Für eine freiwillige Beschäftigung in einem Ghetto, sei es
Dombrowa oder Sosnowiez, in den Jahren 1942 und 1943 spricht dagegen nichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160
Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.