Urteil des LSG Hamburg vom 31.10.2007

LSG Ham: rente, berufsunfähigkeit, gerichtsakte, arbeitsmarkt, behinderung, anstellung, hauptsache, beratung, krankheit, erwerbsfähigkeit

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 31.10.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 35 RJ 1832/04
Landessozialgericht Hamburg L 1 R 47/07
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. 3. Die Revision
wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Der am X.XXXXX 1949 geborene, heute 58-jährige Kläger hat den Beruf des Industriekaufmanns erlernt. Bis zum
Jahre 1982 war er in seinem Lehrberuf tätig, danach in unterschiedlichen Bereichen, u.a. als Fahrer, Sandstrahler,
Gerüstbauer, Landschaftsgärtner und als Glas- und Gebäudereiniger beschäftigt. Seit Ende 1999 ist er arbeitsunfähig
erkrankt und bezieht gegenwärtig Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 23. September 2003 wurde bei ihm ein Grad
der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt. Hierbei wurden ein Abhängigkeitsleiden, ein hirnorganisches
Psychosyndrom, eine Nervenstörung beidseits und degenerative Wirbelsäulenveränderungen berücksichtigt. Diesen
GdB führt der Kläger nach einem erfolglosen Neufeststellungsverfahren noch heute.
Mit Antrag vom 24. März 2004 begehrte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung. Dies lehnte die Beklagte mit
Bescheid vom 8. Juni 2004 und Widerspruchsbescheid vom 8. November 2004 ab. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit des
Klägers durch eine chronische Alkoholkrankheit bei glaubhaft reduzierter Trinkmenge und relativ gutem körperlichen
Allgemeinzustand, durch chronisch rezidivierende Cervikalgien und Lumbalgien, zeitweilige depressive Einbrüche und
einen Zustand nach cerebralen Krampfanfällen in Entzugssituationen beeinträchtigt, jedoch sei der Kläger noch in der
Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Eigen- oder Fremdgefährdung, ohne Alkoholnähe, ohne besondere
Stressbelastungen, ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne Überkopf- oder Armvorhaltearbeit und ohne
Hautbelastung zu verrichten. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Tätigkeiten im Umfange von mindestens sechs Stunden täglich ausüben.
Das Sozialgericht hat die daraufhin fristgerecht erhobene Klage nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen
Sachverständigengutachten nach ambulanter Untersuchung am 12. Februar 2006 durch Gerichtsbescheid vom 25.
Januar 2007 abgewiesen. Der Kläger besitze weder einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung noch
einen solchen wegen teilweiser Erwerbsminderung noch einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Vielmehr besitze er noch ein zumutbares Leistungsvermögen für
vollschichtige leichte Tätigkeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung in wechselnder Körperhaltung und
ohne das Tragen von schweren Lasten mit weiteren qualitativen Einschränkungen. Hemmungen gegenüber einer
leidensgerechten Tätigkeit könnten mit zumutbarer Willenanspannung überwunden werden. Die Wegefähigkeit sei
gegeben. Er sei schließlich auch nicht wegen Berufsunfähigkeit teilweise erwerbsgemindert. Zwar komme auf ihn §
240 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) zur Anwendung, jedoch
sei er insoweit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Denn als letzter ausgeübter Beruf könne nicht
derjenige eines Industriekaufmanns zugrunde gelegt werden, weil der Kläger sich von diesem erlernten Beruf gelöst
und sich Hilfs- bzw. Anlerntätigkeiten zugewandt habe, ohne dass hierfür gesundheitliche Gründe ausschlaggebend
gewesen seien. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist dem Kläger am 5. Februar 2007 zugestellt worden.
Er hat am 5. März 2007 Berufung eingelegt und vorgetragen, es seien viele Fakten seiner Krankheit undeutlich
dargestellt. So leide er seit 10 Jahren unter chronischen schweren Depressionen. Ferner habe er dauerhaft schwere
Gichtanfälle, die oft tagelang andauerten. Deswegen erbitte er Prüfung der Angelegenheit und Rückantwort.
Das Berufungsgericht hat zur weiteren Sachaufklärung um Benennung der den Kläger gegenwärtig behandelnden
Ärzte gebeten. Hierzu hat er erklärt, er habe bereits in erster Instanz alle erforderlichen Angaben gemacht. Seinem
Rentenantrag habe dies aber auch nicht zum Erfolg verholfen.
Der Kläger beantragt nach Lage der Akten,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 25. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres
Bescheides vom 8. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2004 zu verurteilen, ihm
Rente wegen Erwerbsminderung seit dem 1. April 2004 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die Leiden des Klägers seien in der nervenärztlichen Begutachtung aus dem Jahre 2006
erfasst. Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Anhaltspunkte im Hinblick auf die
Folgeerscheinungen des festgestellten Alkoholabhängigkeitssyndroms.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die
ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Senatssitzung am 31. Oktober 2007 zum Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ist nach §§ 105 Abs. 2, 143, 144 SGG statthaft und im
Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht eingelegt. Sie ist aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu
Recht abgewiesen, weil der angefochtene Bescheid Rechtsfehler zu Lasten des Klägers nicht erkennen lässt.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens gelangt auch der erkennende Senat zu der Überzeugung, dass dem
Kläger die begehrte Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 1, 2 SGB VI nicht zusteht. Ausgehend von dem
Gutachten der Dres. F. und S. vom 1. Juni 2006 (Blatt 50 ff. der Gerichtsakte) ist dieser vielmehr noch in der Lage,
vollschichtig, d.h. mehr als sechs Stunden täglich, leichte Tätigkeiten einfacher geistiger Art mit weiteren qualitativen
Einschränkungen zu verrichten. An der Wegefähigkeit besteht kein Zweifel. Hemmungen gegenüber einer
Arbeitsleistung sind trotz bestehender psychischer Störungen überwindbar. Ansätze für weitere Ermittlungen und
Hinweise für eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes gibt es demgegenüber nicht. Damit scheidet eine
Rente wegen Erwerbsminderung aus. Auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach
§ 240 SGB VI hat die Beklagte nicht zu leisten. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass sich der
Kläger von seinem erlernten kaufmännischen Beruf gelöst hat. Zwar hat er seine letzte feste Anstellung in diesem
Beruf etwa Mitte der siebziger Jahre auch im Hinblick auf seine damalige Ehekrise und die hiermit in Zusammenhang
stehende Alkoholproblematik aufgegeben. Dafür, dass ihn die gesundheitlichen Probleme in Gestalt einer
Alkoholkrankheit bereits zu jenem Zeitpunkt hierzu nötigten, finden sich indessen keine Anhaltspunkte. Denn er hat –
eigenem Bekunden zufolge – selbst gekündigt und dann noch bis 1982 bei verschiedenen Arbeitgebern in dem
erlernten Beruf und danach mehrere Jahre in verschiedenen anderen Berufen erfolgreich gearbeitet, bis ihn letztlich
die akute Alkoholkrankheit nötigte, von der letzten Tätigkeit Abstand zu nehmen. Noch gegenüber Dr. L. (Blatt 58 der
Gerichtsakte S 16 RJ 183/02) hatte er im ersten Rentenverfahren angegeben, dass er "etwas anderes habe machen
wollen, als im kaufmännischen Bereich". Auch habe er "viel Geld" verdient. Hiervon ausgehend hat sich auch der
Senat die Überzeugung gebildet, dass nicht gesundheitliche Gründe für die Lösung vom erlernten Beruf
ausschlaggebend waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160
Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.