Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.08.2004

LSG Berlin und Brandenburg: ddr, diplom, zugehörigkeit, versorgung, chemiker, ingenieur, verwaltungsakt, kreis, chemie, verordnung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 09.08.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 5 RA 7217/02
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 16 RA 134/03
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Feststellung von Daten nach dem Anwartschafts- und Anspruchsüberführungsgesetz (AAÜG), im
Besonderen von Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech,
Zusatzversorgungssystem nach Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG
–).
Der Kläger ist 1940 geboren worden. Am 12. Januar 1966 erwarb er nach erfolgreichem Abschluss des Chemie-
Studiums den akademischen Grad eines Diplom-Chemikers. Vom 1. Februar 1966 bis zum 9. Februar 1976 war er
beim VEB G beschäftigt. Als Bezeichnung der Tätigkeit ist im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung "Dipl.Ing."
vermerkt. Für diese Beschäftigung war ihm zu DDR-Zeiten keine Versorgungszusage für ein Zusatz- oder
Sonderversorgungssystem erteilt worden.
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens stellte die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – Träger
der Rentenversicherung – eingeschaltete Beklagte mit "Feststellungsbescheid" vom 28. September 2001 die Zeit vom
1. September 1977 bis zum 30. September 1990 auf Grund der dem Kläger am 3. November 1978 ausgestellten
Versorgungsurkunde als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Akademie
der Wissenschaften zu Berlin und der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften zu Berlin und die in
dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelte fest. Den Widerspruch, mit dem der Kläger auch den Zeitraum vom 1.
Februar 1966 bis zum 9. Februar 1976 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem auf Grund einer
"Ingenieurtätigkeit" geltend machte, wies die Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2002
zurück. Die Voraussetzungen für die Überführung der geltend gemachten Zeiten in die Altersversorgung der
technischen Intelligenz (AVItech) seien nicht erfüllt. Eine positive Versorgungszusage sei dem Kläger zu DDR-Zeiten
für die fragliche Zeit nicht erteilt worden. Dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten habe der Kläger nicht
angehört, da er nicht berechtigt gewesen sei, entsprechend den Vorgaben der Versorgungsordnung den Titel eines
Ingenieurs oder Technikers zu führen. Diplom-Chemiker seien diesem Personenkreis nicht gleichgestellt gewesen.
Mit der Klage hat der Kläger – wie bereits im Widerspruchsverfahren – geltend gemacht, dass er auch als Diplom-
Chemiker einen Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech habe. Er habe die Tätigkeiten eines Diplom-Ingenieurs
verrichtet und auch die akademische Ausbildung sei für Diplom-Chemiker und Diplom-Ingenieure der Fachrichtung
Chemie weitgehend identisch gewesen.
Durch Urteil vom 20. August 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den
Widerspruchsbescheid der Beklagten sowie auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. April 2002 – B 4 RA
18/01 R – Bezug genommen. Danach reiche es für eine "fiktive" Einbeziehung in die AVItech nicht aus, dass der
Kläger ingenieurtechnische Arbeiten ausgeübt habe.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen mit der bisherigen Begründung weiter und verweist zusätzlich auf
eine beim Bundestag eingebrachte Petition des Diplom-Physikers Siegfried Böhm und des Diplom-Chemikers Harald
Bünger vom 23. September 2002.
Er beantragt der Sache nach,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2001
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die
Zeit vom 1. Februar 1966 bis zum 9. Februar 1976 als Zeit der Zugehörigkeit zu dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1
der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten haben dem Gericht bei
seiner Entscheidung vorgelegen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke
Bezug genommen.
II.
Der Senat hat die Berufung nach durchgeführter Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückweisen können, weil
er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des geltend gemacht Zeitraums als
Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech und der in diesem Zeitraum erzielten tatsächlichen Entgelte.
Der Anspruch scheitert jedenfalls daran, dass der Kläger im streitigen Zeitraum keine Zeit der Zugehörigkeit zu einem
Versorgungssystem (§ 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG) zurückgelegt hat. Eine Versorgung nach der allein in Betracht
kommenden AVItech war weder einzelvertraglich vereinbart gewesen noch war ein nach Art. 19 Einigungsvertrag (EV;
vom 31. August 1990, BGBl. II S. 889) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder
eine Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder ein Verwaltungsakt eines
Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen
Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgung ("Status-Feststellung", siehe dazu etwa BSG,
Urteil vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 50/02 R –) ergangen. Die Versorgungszusage aus dem Jahr 1978 bezog sich, wie
die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, lediglich auf die Beschäftigung bei der Akademie der Wissenschaften zu
Berlin.
Für den streitigen Zeitraum kann der Kläger aber auch nicht fiktiv als Versorgungsberechtigter behandelt werden.
Denn er war im streitigen Zeitraum kein obligatorisch in die Versorgung Einzubeziehender im Sprachgebrauch des § 1
Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB; vom 24. Mai 1951, DDR-GBl. S. 487) zu der zusätzlichen
Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech;
vom 17. August 1950, DDR-GBl. I S. 844). Er war nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung
"Ingenieur" (vom 12. April 1962, DDR-GBl. II S. 278) nicht berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen
(zum Kreis der insoweit Versorgungsberechtigten s. BSG, Urteile vom 12. Juni 2001 – B 4 RA 107/00 R und B 4 RA
117/00 R – und Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 36/01 R – sämtlich nicht veröffentlicht). Auf die vom Kläger konkret
ausgeübte Tätigkeit kommt es nicht an (so zum Diplom-Chemiker ausdrücklich BSG, Urteil vom 10. April 2002 – B 4
RA 18/01 R –).
Aus § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB zur VO AVItech folgt kein "Anspruch" des Klägers auf die Einbeziehung in die
AVItech, weil diese Vorschrift eine Ermessensentscheidung vorsieht. Alle Regelungen der Versorgungssysteme aber,
die eine bewertende Entscheidung (z.B. verdienstvoll) und zusätzlich oder stattdessen eine Ermessensentscheidung
einer Stelle oder Person innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Struktur der DDR vorsahen, sind nicht zu
Bundesrecht geworden (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2). Denn derartige Entscheidungen konnten nur auf der Grundlage
des ideologischen Systems der DDR und nach deren Maßstab getroffen werden. Mangels sachlicher, objektivierbarer
Grundlage können sie nicht rückschauend "ersetzt" werden (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 und 9). Da die einschlägigen
Bestimmungen der Versorgungsordnung selbst zwischen den obligatorisch und den nur nach Ermessensentscheidung
in die Versorgung einzubeziehenden Personen unterscheiden, kommt eine "großzügigere", auf die tatsächlich
ausgeübte Tätigkeit abstellende Auslegung nicht in Betracht.
Den Ausgang des vom Kläger angeführten Petitionsverfahrens musste das Gericht nicht abwarten. Die Gerichte sind
bei ihrer Entscheidung lediglich an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG –). Auch im
Rahmen des Petitionsrechts (Art. 17 GG) können ihnen angesichts dessen keine verbindlichen Weisungen für die
Behandlung des Einzelfalls gegeben werden (s. Bauer in Dreier, GG, Band 1, 2. Auflage 2004, Art. 17 Rz 17 und 33).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Art und Weise, in der die Vorschriften der DDR-Versorgungsordnungen
noch anzuwenden sind, bestehen zudem nicht. Angesichts dessen konnte in der Sache entschieden werden, ohne
dass es einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz bedurft hätte
oder das Zuwarten auf die Entscheidung des BVerfG in einem möglicherweise dort bereits anhängigen
Verfassungsbeschwerde-Verfahren tunlich gewesen wäre.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.