Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 02.04.2017

LSG Berlin-Brandenburg: krankenpflege, familie, heim, haushalt, krankenversicherung, behandlung, versorgung, niedersachsen, zivilprozessordnung, integration

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 24/10 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 56 SGG, § 37 Abs 2 S 1 SGB 5
Leitsatz
Die Gewährung von Medikamentengabe als häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1
SGB V ist ausgeschlossen, wenn der Versicherte einen Anspruch auf Behandlungspflege
gegen den Träger der Einrichtung der Behindertenhilfe hat.
Die eventuale subjektive Antragshäufung ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig.
Tenor
1.) Die Verfahren L 9 KR 24/10 B ER und L 9 KR 27/10 B PKH werden unter dem
erstgenannten Aktenzeichen verbunden.
2.) Das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt Spandau von Berlin Abt. Soziales
und Gesundheit - Sozialamt/Rechtsstelle -, Galenstraße 14, 13578 Berlin, wird zu dem
vorläufigen Rechtsschutzverfahren beigeladen.
3.) Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Verfahren zur Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht ohne
Festsetzung von Ratenzahlungen unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten
Dr. N gewährt; hinsichtlich seiner Entscheidung über die Ablehnung von
Prozesskostenhilfe wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. Januar 2010
aufgehoben.
4.) Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 6. Januar 2010 zurückgewiesen.
5.) Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
1.) Der Senat hat das die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes betreffende, unter
dem Aktenzeichen L 9 KR 24/10 B ER registrierte Beschwerdeverfahren mit dem unter
dem Aktenzeichen L 9 KR 27/10 B PKH registrierten, die Versagung von
Prozesskostenhilfe betreffenden Beschwerdeverfahren gemäß § 113 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbunden, um eine schnelle und widerspruchfreie
Entscheidung über beide Streitgegenstände in einheitlicher Besetzung zu gewährleisten.
2.) Der Senat hat das Land Berlin als Sozialhilfeträger zu dem vorliegenden Verfahren
gemäß § 75 Abs. 1 SGG beigeladen, um eine auch dem Sozialhilfeträger gegenüber
rechtskräftige Entscheidung über den vom Antragsteller gegen die Antragsgegnerin zu
1) geltend gemachten krankenversicherungsrechtlichen Anspruchs auf Bewilligung
häuslicher Krankenpflege treffen zu können. Dies war durch die vom Antragsteller
betriebene hilfsweise Inanspruchnahme des Antragstellers zu 2)/Beigeladenen zur
Erlangung dieser Leistung nicht gewährleistet, weil dieses prozessuale Vorgehen
unzulässig ist, wie noch zu zeigen sein wird. Die Gewährung rechtlichen Gehörs für diese
Entscheidung war entbehrlich, weil der Antragsteller zu 2)/Beigeladene sich als
„Eventualantragsgegner“ zur Sache bereits äußern konnte und hiervon ausführlich
Gebrauch gemacht hat, während diese Entscheidung für die anderen Beteiligten
ausschließlich rechtlich vorteilhaft ist.
3.) Dem Antragsteller war gemäß § 73a SGG i. V. m. §§ 114 Zivilprozessordnung (ZPO)
Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Ratenzahlung unter Beiordnung seines
Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren. Für die zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe
erforderliche Annahme hinreichender Erfolgsaussicht reicht „die reale Chance zum
Obsiegen“. Prozesskostenhilfe darf also nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der
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Obsiegen“. Prozesskostenhilfe darf also nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der
Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber fern liegend ist, denn das
Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4) gebietet eine weitgehende Angleichung
der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des
Rechtsschutzes (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. zuletzt Kammerbeschluss
vom 22. Juni 2007, 1 BvR 681/07, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8; außerdem Beschluss
vom 13. März 1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347). Im vorliegenden Verfahren sind
schwierige, höchstrichterlich ungeklärte, von zwei Landessozialgerichten zuvor
unterschiedlich beantwortete Rechtsfragen zu klären; bei dieser Sachlage bestand zum
Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrages auf Prozesskostenhilfe eine reale Chance
zum Obsiegen, so dass auch ein Bemittelter sich anwaltlichen Beistandes bedient hätte;
dem bedürftigen Antragsteller war deshalb Prozesskostenhilfe für beide Instanzen zu
bewilligen und der dieses Begehren für die erste Instanz ablehnenden Beschluss insoweit
aufzuheben.
4.) Im Übrigen ist die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 6. Januar 2010 gemäß §§ 172, 173 SGG zulässig, aber
unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag, die Antragsgegnerin zu 1), hilfsweise
den Antragsgegner zu 2) (den jetzigen Beigeladenen) im Wege einstweiliger Anordnung
zu verpflichten, die Kosten der dem Antragsteller zu gewährenden häuslichen
Krankenpflege vorläufig, zunächst für drei Monate, bis zur Entscheidung in der
Hauptsache zu übernehmen bzw. den Antragsteller von diesen Kosten freizustellen, im
Ergebnis rechtsfehlerfrei abgelehnt.
a) Die begehrte einstweilige Anordnung gegen die Antragstellerin zu 1) war nicht zu
erlassen, weil es dafür an einem Anordnungsanspruch fehlt. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung
(Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind
glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294
Zivilprozessordnung - ZPO -).
aa) Anders als das Sozialgericht hält der Senat - auf Grund der veränderten Sachlage -
allerdings ein eiliges Regelungsbedürfnis für gegeben. Denn der Pflegedienst, der bisher
die häusliche Krankenpflege geleistet hat, hat den mit dem Antragsteller geschlossenen
Pflegevertrag vom 10. Dezember 2008 zum 28. Februar 2010 gekündigt und mit
Schreiben vom 14. Februar 2010 gegenüber dem Antragsteller ausdrücklich erklärt, die
Fortsetzung der Pflege über den 28. Februar 2010 hinaus von einer zumindest
vorläufigen Kostenübernahme eines Sozialleistungsträgers abhängig zu mache. Da auch
die Einrichtung der Eingliederungshilfe, in der der Antragsteller untergebracht ist, die
Pflegeleistungen nicht mehr erbringt, ist nicht sichergestellt, dass der Antragsteller die
ihm von seinem behandelnden Arzt verordnete dreimal tägliche/ siebenmal wöchentliche
Herrichtung und Verabreichung der für ihn erforderlichen Medikamente tatsächlich
erhält. Hierauf und nicht auf eine fortbestehende Verpflichtung des Pflegedienstes und
/oder der Einrichtung der Eingliederungshilfe ist abzustellen. Der Senat weist allerdings
darauf hin, dass die Wirksamkeit der Kündigung des Pflegedienstes nach § 9 Abs. 2 des
Pflegevertrages zumindest zweifelhaft erscheint, weil die weitergehende Pflege des
Antragstellers nicht gesichert ist; daneben dürfte auch eine Verpflichtung der Einrichtung
der Eingliederungshilfe zur Erbringung der streitigen Pflegeleistungen gegeben sein, was
im folgenden noch näher darzulegen sein wird. Das Bestehen aktuell nicht
durchsetzbarer oder bestrittener Rechtsansprüche reicht allerdings zum Ausschluss
eines eiligen Regelungsbedürfnisses nicht aus; insoweit kommt es darauf an, dass die
Leistungen tatsächlich zur Verfügung stehen, was hier derzeit nicht der Fall ist.
bb) Der Antragsteller hat allerdings nach den Ermittlungen des Senats im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen gegen die
Antragstellerin zu 1).
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) erhalten Versicherte
als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der
ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Nach der gesetzlichen Regelung werden die
Leistungen in dem Haushalt der Versicherten, ihrer Familie oder sonst an einem
geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei
besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen erbracht.
Die tägliche Medikamentengabe, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung
erforderlich ist, wird dem im Eduard-Willis-Haus stationär untergebrachten Antragsteller
geleistet, das nach seiner von der Antragsgegnerin vorgelegten Konzeption eine
Einrichtung der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII - Leistungstyp betreutes Wohnen
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Einrichtung der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII - Leistungstyp betreutes Wohnen
im Heim mit interner Tagesstruktur - ist und den Bestimmungen des Heimgesetzes
(HeimG) unterliegt. Die begehrten krankenversicherungsrechtlichen Leistungen sollen
dem Antragsteller deshalb weder in seinem Haushalt noch in seiner Familie geleistet
werden. Der geltend gemachte Anspruch bestünde deshalb nur dann, wenn das Eduard-
Willis-Haus ein sonstiger geeigneter Ort i.S.d. § 37 Abs. 2 Satz1 SGB V für die dem
Antragsteller zustehende häusliche Krankenpflege wäre.
Über die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals herrscht in der sozialgerichtlichen
Rechtsprechung Streit. Der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hat in seinem Urteil vom 23. April 2009 (L
8 SO 1/07, zitiert nach juris) eine Einbeziehung vollstationärer
Behinderteneinrichtungen/Heime in den Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB
V für ausgeschlossen gehalten. Hätte der Gesetzgeber eine Ausdehnung des
Anwendungsbereichs der häuslichen Krankenpflege über die im Gesetz ausdrücklich
genannten betreuten Wohnformen hinaus auch auf Heime vornehmen wollen, so hätte
es nahe gelegen, dies ausdrücklich so zu formulieren. Die beispielhaft aufgeführten
"Orte" betreute Wohnformen, Schulen und Kindergärten sprächen jedenfalls auf den
ersten Blick gegen eine Ausweitung der häuslichen Krankenpflege über Haushalt und
Familie hinaus auf jeden "geeigneten Ort", vielmehr sollte der fragliche Ort mit den
beispielhaft genannten vergleichbar sein. Demnach könne die § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V
in der Fassung von Art 1 Nr. 22 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG vom
26. März 2007, Bundesgesetzblatt Teil I 2007, S. 378-473) nach Auffassung des LSG
Niedersachsen-Bremen nicht so weitgehend verstanden werden, dass nunmehr auch
Heime im Sinne des HeimG als "sonstiger geeigneter Ort" gelten sollten. Die
Gesetzesänderung habe ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs den Zweck
verfolgt, vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden und "durch eine vorsichtige
Erweiterung des Haushaltsbegriffs zu bewirken, dass in der gesetzlichen
Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen
hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen
Haushalten nicht benachteiligt werden" (BT-Drs. 16/3100, S. 104).
Demgegenüber hat das LSG Hamburg in seinem Beschluss vom 12. November 2009 (L
1 B 202/09 ER KR, zitiert nach juris) einen Anspruch Versicherter auf Leistungen der
häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V grundsätzlich auch dann
bejaht, wenn sie in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebten. Eine
stationäre Wohneinrichtung sei dann ein geeigneter Ort im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1
SGB V, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf Behandlungspflege gegen den
Einrichtungsträger habe. Rechtlich unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob es sich
bei der Einrichtung um ein Heim im Sinne des HeimG handele. Die Gemeinsamkeiten
der stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne Anspruch auf
Behandlungspflege mit betreuten Wohnformen rechtfertigten es, diese
Wohneinrichtungen als geeignete Orte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V
anzusehen, wenn sie nicht bereits als besondere Ausprägung des betreuten Wohnens im
Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen seien (vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 104). Die
Einbeziehung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe schließe auch Lücken zwischen
der ambulanten und stationären Versorgung, was der Gesetzgeber des GKV-WSG mit
der Erweiterung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich bezweckt habe. Die
stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe könnten nicht mit stationären
Einrichtungen wie Krankenhäusern, medizinischen Rehabilitationseinrichtungen oder
Pflegeheimen gleichgesetzt werden. Bei Einrichtungen der Behindertenhilfe stehe
nämlich die gesellschaftliche Integration der Bewohner im Vordergrund, die möglichst
unabhängig werden sollten (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Das betreute Wohnen sei gesetzlich
nicht definiert und die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit Betreuungshilfe zu
einer stationären Einrichtung, welche unter die Regelungen des HeimG falle, dürften in
Abhängigkeit der Fähigkeiten der Bewohner fließend sein. Auch aus der Richtlinie des
Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege
(Häusliche Krankenpflege-Richtlinie hier anzuwenden in der Neufassung vom 17.
September 2009,veröffentlicht im Bundesanzeiger 9. Februar 2010, in Kraft getreten am
10. Februar 2010, nunmehr § 1 Abs. 6 Sätze 1 und 2) ergebe sich, dass der Anspruch
auf häusliche Krankenpflege in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe
maßgeblich davon abhänge, ob der Einrichtungsträger verpflichtet sei,
Behandlungspflege zu erbringen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Juli 2008 –
L 16 B 32/08 KR ER - Juris). Der gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und
Krankenkassen sei nach § 37 Abs. 6 SGB V ermächtigt, in Richtlinien nach § 92 SGB V
festzulegen, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1
und 2 des § 37 SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten
erbracht werden können. Aus der Ausschlussregelung ergebe sich, dass eine Einrichtung
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erbracht werden können. Aus der Ausschlussregelung ergebe sich, dass eine Einrichtung
der stationären Behindertenhilfe jedenfalls dann als „geeigneter Ort“ angesehen werden
könne, wenn die Einrichtung nicht verpflichtet sei, selbst Leistungen der
Behandlungspflege zu erbringen. Das bedeute, dass grundsätzlich allein der Aufenthalt
in stationären Einrichtungen dem Anspruch nicht entgegenstehe, sondern nur der
Umstand, dass ein Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Träger der Einrichtung
bestehe. Das werde exemplarisch bei Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtung,
Hospizen und Pflegeheimen angenommen.
Der Senat brauchte im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, welcher der von den
beiden Landessozialgerichten vertretenen Auslegung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V der
Vorzug zu geben ist. Denn nach beiden Auffassungen ist der Anspruch auf häusliche
Krankenpflege hier ausgeschlossen. Der Antragsteller ist nicht nur in einem Heim i.S.d.
HeimG, einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe, dauerhaft untergebracht,
sondern hat auch gegen diese Einrichtung der Eingliederungshilfe einen Anspruch auf die
Medikamentengabe. Für einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege gegen die im
vorliegenden Verfahren im Hauptantrag in Anspruch genommene Krankenkasse ist
deshalb kein Raum (mehr).
Zwar hat der Antragsteller nach § 3 Ziff. 7.5. des von ihm mit dem Träger der
Einrichtung der Eingliederungshilfe am 16. Dezember 2009 abgeschlossenen Wohn- und
Betreuungsvertrag keinen Anspruch auf eine medizinische Versorgung im Sinne einer
medizinischen Behandlungspflege nach dem SGB V. Dies schließt den Anspruch des
Antragstellers gegen die Einrichtung der Eingliederungshilfe auf Erbringung der hier
streitbefangenen Medikamentengabe aber nicht aus. Denn ansonsten hätten es die
Vertragspartner der Wohn- und Betreuungsverträge, also die behinderten Menschen und
insbesondere die Träger der Einrichtungen in der Hand, Inhalt und Umfang der von der
Einrichtung zu erbringenden Leistungen sowie die Financiers dieser Leistungen
abweichend von den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches selbst zu bestimmen und
Leistungen zu Lasten bestimmter Leistungsträger, im vorliegenden Fall der Träger der
Krankenversicherung, auszugliedern. Dies würde im vorliegenden Fall unberücksichtigt
lassen, dass die Medikamentengabe nicht ausschließlich und ausnahmslos als Leistung
einer medizinischen Behandlung nach dem SGB V zu qualifizieren ist; vielmehr kann sich
ein Anspruch auf Medikamentengabe auch als Leistung der Eingliederungshilfe
darstellen (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 26 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3
Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) und der Einrichtung der Eingliederungshilfe
gegenüber den von ihr Betreuten aus dem zwischen ihrem Träger und dem
Sozialhilfeträger abgeschlossenen Verträgen obliegen (so auch LSG Hamburg a.a.O.).
So liegt der Fall auch hier. Nach den Feststellungen des Senats im vorliegenden
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Einrichtung der Eingliederungshilfe, in
der der Antragsteller untergebracht ist, zur Erbringung der Medikamentengabe nach §
75 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. dem Vertrag nach § 75 Abs. 3 SGB XII für den
Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2010 verpflichtet. Denn Gegenstand
dieser Vereinbarung ist der Berliner Rahmenvertrag (BRV) gemäß § 79 SGB XII in der ab
dem 1. März 2007 geltenden Fassung. Nach Ziff. 2.1 ist dieser Vertrag für die von den
vollstationären Einrichtungen in Sinne des SGB XII zu erbringenden Leistungen
maßgeblich und überträgt gemäß Ziff. 4.2. die Beschreibung von Inhalt, Umfang und
Qualität der von der Einrichtung im Einzelnen zu erbringenden Leistungen der paritätisch
mit Vertretern der Vereinigungen der Leistungserbringer und des Sozialhilfeträgers
besetzten Berliner Vertragskommission Soziales. Diese hat durch die
Leistungsbeschreibung „Leistungstyp Betreutes Wohnen im Heim mit interner
Tagesstruktur in der Fassung vom 20. März 2000“ (im folgendem als
Leistungsbeschreibung bezeichnet) die dem Antragsteller zustehenden und von der
Einrichtung zu erbringenden Leistungen näher und verbindlich umschrieben. Danach hat
die Einrichtung Hilfestellungen zur Gewährleistungen der medizinischen und
therapeutischen Versorgung zu leisten, zu denen auch die Unterstützung bei der
Einnahme der verordneten Medikamente sowie die Sorge für eine ordnungsgemäße
Verwahrung der Medikamente und die Dokumentation der Einnahme gehören (Ziff. 4.2
und 4.8 der Leistungsbeschreibung). Gemäß diesen Bestimmungen der
Leistungsbeschreibung ist die Einrichtung der Eingliederungshilfe nach der Prüfung des
Senats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, die Herrichtung,
Verabreichung und Dokumentation der Medikamentengabe zu übernehmen. Unter
anderen dafür erhält sie nach § 75 Abs. 3 SGB XII die Vergütung vom Antragsteller zu
2)/Beigeladenen. Die Zuweisung dieser Pflichten entspricht auch der vom
Einrichtungsträger vorgegebenen Konzeption der Wohneinrichtung Eduard-Willis-Haus, in
der der Antragsteller untergebracht ist. Nach Ziff. 5.1 dieser Konzeption werden alle
notwendigen pflegerischen Maßnahmen und ärztlichen Verordnungen im Rahmen der
ganzheitlichen Betreuung von den Gruppenmitarbeitern durchgeführt. Deren
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ganzheitlichen Betreuung von den Gruppenmitarbeitern durchgeführt. Deren
Betreuungsarbeit wird nach Ziff. 8.1 der Konzeption sowohl klientenbezogen als auch
einrichtungsbezogen dokumentiert; die Tagesdokumentation muss insbesondere die
tägliche Medikamenteneinnahme enthalten. Mit dieser Bestimmung der
Leistungspflichten der Einrichtung der Eingliederungshilfe zu Gunsten des Antragstellers
stimmt auch das Rundschreiben I Nr. 3/2009 der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit
und Soziales vom 27. Februar 2009 überein, die unter der Überschrift „Berliner
Regelung“ festhält:
„In Berlin decken die Vergütungen in den vollstationären Wohneinrichtungen der
Behindertenhilfe neben der Grundpflege im Regelfall auch die medizinische
Behandlungspflege ab, nicht jedoch die in besonders gelagerten Einzelfällen
erforderlichen besonders qualifizierten Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Im
Wesentlichen wird es sich dabei um Fälle der Krankenhausvermeidungs- und
Behandlungssicherungspflege im Rahmen der häuslichen Krankenpflege handeln, z.B.
um besonders aufwändige Leistungen der Krankenpflege im Anschluss an einen
Krankenhausaufenthalt.“
Die Medikamentengabe ist auch danach Bestandteil der der Einrichtung der
Eingliederungshilfe dem Antragsteller gegenüber bestehenden Leistungspflichten, weil
sie nicht zu den besonders qualifizierten und aufwändigen Leistungen der häuslichen
Krankenpflege gehört.
b) Der Hilfsantrag, den Antragsteller zu 2)/Beigeladenen im Wege der einstweiligen
Anordnung zur Übernahme der streitigen Kosten bzw. Freistellung zu verpflichten, ist
entgegen der Auffassung des Sozialgerichts unzulässig und bleibt deshalb erfolglos.
Dieser Hilfsantrag steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Hauptantrag
gegen den Antragsgegner zu 1) erfolglos bleibt. Er enthält damit eine sog. eventuale
subjektive Antragshäufung. § 56 SGG lässt zwar die Verbindung mehrerer, auch
hilfsweise erhobener Antragsbegehren zu; diese müssen sich aber schon nach dem
Wortlaut der Vorschrift gegen denselben Antragsgegner richten. Dem liegt der Gedanke
zu Grunde, dass anders als bei der eventualen objektiven Antragshäufung der
Hilfsantrag bei der eventualen subjektiven Antragshäufung nicht von einer Bedingung im
Prozessrechtsverhältnis gegenüber demselben Prozessgegner, sondern einem anderen
Prozessgegner abhängt. Der hilfsweise in Anspruch genommene Antragsgegner soll
damit auch nur für den Fall des Unterliegens des Antragstellers mit dem Hauptantrag
zum Prozessbeteiligten gemacht werden. Ein derartiger „Prozess auf Probe“ ist dem
bedingt in Anspruch genommenen Antragsgegner nicht zuzumuten und widerspricht
dem Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. Hess. VGH, DÖV 1983, 777 f.). Die
Unzulässigkeit der eventualen subjektiven Antragshäufung kann auch nicht durch
Trennung der Antragsbegehren gemäß § 113 Abs. 2 SGG behoben werden; denn sie
führt zur Unzulässigkeit des Hilfsantrages, weil dieser nicht unabhängig vom
Hauptantrag Gegenstand eines Verfahrens sein kann. Um den hilfsweise in Anspruch
genommenen Antragsgegner zu 2) zweifelsfrei zum Beteiligten dieses Verfahrens zu
machen, hat ihn der Senat deshalb zu dem Verfahren beigeladen.
5.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus dem Ausgang des Verfahrens und beruht auf
§ 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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