Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: versorgung, normenkontrolle, mortalität, aus wichtigen gründen, hauptsache, behandlung, besondere zuständigkeit, vollzug, körperliche unversehrtheit, daten

1
2
3
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 79/10 LK ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 137 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 5, §
137 Abs 3 S 2 SGB 5, § 137 Abs
3 S 3 SGB 5, Art 2 Abs 2 S 1 GG,
Art 3 Abs 1 GG
Krankenversicherung - Beschlüsse des Gemeinsamen
Bundesausschusses zur Qualitätssicherung für zugelassene
Krankenhäuser - Rechtswidrigkeit der Heraufsetzung der
Mindestmengenregelung für Perinatalzentren - Normenkontrolle
des Landessozialgerichts in Bezug auf Richtlinien und
Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses -
Notwendigkeit prozessrechtlicher Vorschriften für eine
allgemein verbindliche Entscheidung
Leitsatz
1. Die Heraufsetzung der Mindestmenge für die stationäre Versorgung Frühgeborener mit
Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm von 14 auf 30 mit Wirkung vom 1. Januar 2011 erscheint
nach derzeitigem Erkenntnisstand in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig. Deswegen und wegen
des eindeutigen Ergebnisses einer Folgenabwägung ist die Neuregelung bis zur
rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug zu setzen.
2. Das Sozialgerichtsgesetz sieht zwar eine Zuständigkeit des Landessozialgerichts Berlin-
Brandenburg für eine Normenkontrolle in Bezug auf Richtlinien und Entscheidungen des
Gemeinsamen Bundesausschusses vor, bietet dafür aber - anders als etwa § 47 VwGO - kein
hinreichendes prozessrechtliches Instrumentarium; der Rückgriff auf die (Norm-
)Feststellungsklage und die Regelungsanordnung erlaubt im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG
allenfalls für eine Übergangszeit sachgerechte Ergebnisse. Notwendig sind prozessrechtliche
Vorschriften, die für den Bereich der Normenkontrolle eine allgemein verbindliche
Entscheidung des Landessozialgerichts ermöglichen (inter-omnes-Wirkung).
Tenor
Der Vollzug von I. Nr. 1 des Beschlusses des Antragsgegners vom 17. Juni 2010 wird bis
zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage zum Aktenzeichen L 7 KA 77/10 KL
ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 640.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen betreiben Krankenhäuser. Sie wenden sich im Eilrechtsschutz
gegen die Heraufsetzung der Mindestmengenregelung für Perinatalzentren des Level 1
von 14 auf 30 ab 1. Januar 2011.
Mit dem Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für
Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz, FPG) vom 23. April 2002 (BGBl. I S. 1412)
ermöglichte der Gesetzgeber als ein Element der Qualitätssicherung die Einführung von
Mindestmengen für die Erbringung bestimmter Leistungen in zugelassenen
Krankenhäusern. § 137 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) bestimmte in der
Fassung des FPG u.a.:
(Abs. 1) Die Spitzenverbände der Krankenkassen und der Verband der privaten
Krankenversicherung vereinbaren mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft unter
Beteiligung der Bundesärztekammer sowie der Berufsorganisationen der
Krankenpflegeberufe Maßnahmen der Qualitätssicherung für nach § 108 zugelassene
Krankenhäuser einheitlich für alle Patienten. Dabei sind die Erfordernisse einer sektor-
und berufsgruppenübergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen; dazu ist
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
und berufsgruppenübergreifenden Versorgung angemessen zu berücksichtigen; dazu ist
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die
Vereinbarungen nach Satz 1 regeln insbesondere
(…)
(Nr. 3.) einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des
Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses
in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist,
Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und
Ausnahmetatbestände
(…)
Mit dem 1. Januar 2004 übertrug das Gesetz die Kompetenz für Maßnahmen der
Qualitätssicherung im Rahmen von § 137 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss
(im Folgenden: Antragsgegner; Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung [GKV-Modernisierungsgesetz, GMG] vom 14. November 2003,
BGBl. I S. 2190).
Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz,GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 378, gültig
ab 1. Juli 2008) wurde § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB V zu § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB
V. Die Vorschrift lautet nunmehr im Zusammenhang:
(Abs. 3)
1Der Gemeinsame Bundesausschuss fasst für zugelassene Krankenhäuser
grundsätzlich einheitlich für alle Patienten auch Beschlüsse über
(…)
(Nr. 2) einen Katalog planbarer Leistungen nach den §§ 17 und 17b des
Krankenhausfinanzierungsgesetzes, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses
in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist sowie
Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus und
Ausnahmetatbestände (…)
2 Wenn die nach Satz 1 Nr. 2 erforderliche Mindestmenge bei planbaren
Leistungen voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen entsprechende Leistungen nicht
erbracht werden. 3Die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde kann
Leistungen aus dem Katalog nach Satz 1 Nr. 2 bestimmen, bei denen die Anwendung
von Satz 2 die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung
gefährden könnte; sie entscheidet auf Antrag des Krankenhauses bei diesen Leistungen
über die Nichtanwendung von Satz 2.
Im Mai 2004 stellten die Spitzenverbände der Krankenkassen einen Antrag auf
Aufnahme einer Mindestmenge von 40 für die Behandlung von Neugeborenen mit sehr
niedrigem Geburtsgewicht (very-low-birth-weight, VLBW, kleiner als 1.500 Gramm) in
neonatalen Intensiveinheiten.
Im September 2005 beschloss der Antragsgegner eine ab 1. Januar 2006 wirksame
„Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und
Neugeborenen“ („NICU-Vereinbarung“). Die Vereinbarung basiert auf § 137 Abs. 1 Satz
3 Nr. 2 SGB V und enthält keine Mindestmengen im Sinne von § 137 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3
SGB V, jedoch Anforderungen an Infrastruktur, sächliche und personelle Ausstattung
sowie Kriterien über die stationäre Aufnahme von Früh- und Neugeborenen. Aufgestellt
wird zudem ein vierstufiges Versorgungskonzept:
Im Mai 2007 nahm der Antragsgegner die Beratungen zur Einführung einer
Mindestmenge für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen wieder auf. Im Juli 2007
beauftragte er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) mit der Erstellung eines Literaturevidenzberichts zur Fragestellung
„Zusammenhang zwischen der Zahl der behandelten Früh- und Neugeborenen mit sehr
geringem Geburtsgewicht (VLBW) und der Ergebnisqualität“.
Am 14. August 2008 legte das IQWiG seinen Bericht zur Auswertung der aktuellen
Literatur vor. Zusammenfassend formuliert der Bericht:
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
Ergebnisse
Es wurden insgesamt 12 Veröffentlichungen zu 10 Beobachtungsstudien
identifiziert, die den Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen. In 8 Studien wurde die
primäre Zielgröße Mortalität untersucht. Dabei ergab sich insgesamt kein völlig
einheitliches Bild. Allerdings weisen die Daten in der Gesamtschau auf einen
statistischen Zusammenhang zwischen der Leistungsmenge und der Ergebnisqualität
bei VLBW-Kindern hin, dergestalt, dass sich bei höherer Leistungsmenge die
Ergebnisqualität verbessert. Bei 3 der 8 Studien, von denen 2 ein hohes
Verzerrungspotenzial aufweisen, zeigte sich keine signifikante Assoziation zwischen
Leistungsmenge und Ergebnisqualität. Demgegenüber stehen 4 Studien (alle mit
niedrigem Verzerrungspotenzial), die einen statistischen Zusammenhang zwischen der
Leistungsmenge und der Ergebnisqualität zeigen. Eine weitere Studie mit hohem
Verzerrungspotenzial erlaubt keine Signifikanzaussage bzgl. des Zusammenhangs
zwischen Leistungsmenge und Mortalität. Insbesondere die Studien mit deutschen
Versorgungsdaten zeigen einen signifikanten statistischen Zusammenhang zwischen
Leistungsmenge und Ergebnisqualität.
Lediglich 4 Publikationen untersuchten den Zusammenhang zwischen der
Leistungsmenge und verschiedenen Morbiditätsvariablen. Die verfügbaren Daten waren
insgesamt spärlich, sodass eine abschließende substanzielle Bewertung hier nicht
erfolgen konnte.
Fazit
Zur Untersuchung eines Zusammenhangs bei der Versorgung von
Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht zwischen der Leistungsmenge eines
Krankenhauses und der Ergebnisqualität wurden in diesem Bericht insgesamt 12
Publikationen zu 10 Studien identifiziert und bewertet. Da es sich ausschließlich um
Beobachtungsstudien handelt, können aus den Ergebnissen keine kausalen
Zusammenhänge abgeleitet werden. Keine der Studien war konzipiert, explizite
Schwellenwerte für Mindestmengen zu ermitteln; Aussagen über spezifische
Schwellenwerte haben aufgrund der vorliegenden Datenlage keine sichere
wissenschaftliche Basis.
Die Ergebnisse der eingeschlossenen Publikationen weisen bezüglich eines
statistischen Zusammenhangs zwischen der Leistungsmenge und der Ergebnisqualität
bei der Versorgung von Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht kein völlig
einheitliches und eindeutiges Bild auf. Allerdings geben die Daten in der Gesamtschau
bezüglich der primären Zielgröße „Mortalität“ unter Berücksichtigung der Studien- und
Publikationsqualität sowie ihres Populationsbezugs deutliche Hinweise auf einen
statistischen Zusammenhang, der sich als Trend einer Risikoreduktion mit steigender
Leistungsmenge darstellt. Die Daten zur Morbidität sind spärlich, nicht eindeutig und
lassen hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen der Leistungsmenge und
Ergebnisqualität keine abschließende Beurteilung zu.
Krankenhausleistungsmengen sind als Surrogatfaktoren zu betrachten. Andere
Faktoren wie geburtshilfliche Bedingungen, der Transport von Mutter und Kind, die
tägliche mittlere Belegungsrate, die Anzahl erfahrener Geburtshelfer / Neonatologen und
speziell ausgebildeter Pflegekräfte tagsüber, nachts und am Wochenende sowie
unbekannte, bisher nicht erforschte Faktoren können Auswirkungen auf die untersuchten
Zielgrößen haben.
Das Institut empfiehlt im Falle der Einführung einer Mindestmengenregelung zur
Versorgung von Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht eine
Begleitevaluation, die geeignet ist, Auswirkungen dieser Intervention adäquat zu
erfassen.
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2008 (und mit Wirkung vom 1. April 2009) änderte der
Antragsgegner seine „Vereinbarung über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der
Versorgung von Früh- und Neugeborenen“ (nunmehr: „Qneu-RL“), indem er u.a. in
Abschnitt 1.A. der Anlage 1 mit Nr. 12 eine Regelmäßigkeitszahl einführte:
Strukturelle Voraussetzung für die Versorgung von Frühgeborenen mit einem
Geburtsgewicht von < 1.250 Gramm ist, dass das Zeitintervall zwischen den Aufnahmen
dieser Frühgeborenen in den letzten 12 Monaten durchschnittlich weniger als 30 Tage
betragen hat.
Eine entsprechende Regelung wurde für die Perinatalzentren des Levels 2 getroffen
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
Eine entsprechende Regelung wurde für die Perinatalzentren des Levels 2 getroffen
(Anlage 1, Abschnitt 2.A., Nr. 10).
In seiner Nichtbeanstandungsverfügung vom 20. Februar 2009 hielt das
Bundesministerium für Gesundheit dies für eine Übergangslösung und einen ersten
Schritt zur Vermeidung von „Gelegenheitsversorgung“; die Einführung einer höheren
Mindestmenge sei „unverzichtbar“.
Mit Beschluss vom 20. August 2009 strich der Antragsgegner die im Dezember 2008
eingeführte „Regelmäßigkeitszahl“ und führte in seiner „Vereinbarung gemäß § 137 Abs.
1 Satz 3 Nr. 3 SGB V für nach § 108 zugelassene Krankenhäuser“
(Mindestmengenvereinbarung) in Nr. 8 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 eine
Mindestmenge von 14 Fällen pro Jahr für Perinatalzentren des Levels 1 und des Levels 2
ein.
Mit Verfügung vom 8. Dezember 2009 ließ das Bundesministerium für Gesundheit auch
diesen Beschluss unbeanstandet.
Gegen die Beschlüsse des Antragsgegners vom 18. Dezember 2008
(Regelmäßigkeitszahl) und vom 20. August 2009 (Mindestmenge 14), soweit sie
Perinatalzentren Level 2 betreffen, hat ein nordrhein-westfälisches Krankenhaus bei dem
Senat Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (L 7 KA 134/09 KL).
In der Folgezeit setzte der Antragsgegner seine kontroversen Beratungen über die Höhe
der Mindestmenge für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen fort. Der GKV-
Spitzenverband schlug Mindestmengen in Höhe von 30 Fällen für Perinatalzentren des
Levels 1 und in Höhe von 10 Fällen für solche des Levels 2 vor; die Patientenvertreter
beantragten eine Mindestmenge in Höhe von 36 Fällen für Perinatalzentren des Levels 1
und keine Mindestmenge für solche des Levels 2; die Deutsche Krankenhaus-
Gesellschaft beantragte, auf Mindestmengen ganz zu verzichten.
Mit Beschluss vom 17. Juni 2010 änderte der Antragsgegner die
Mindestmengenvereinbarung mit Wirkung vom 1. Januar 2011, erhöhte (unter I. Nr. 1)
die Mindestmenge für Perinatalzentren des Level 1 auf 30 Fälle pro Jahr und strich (unter
I. Nr. 2) die Mindestmenge für Perinatalzentren des Levels 2. Die Auswirkungen des
Beschlusses auf die Versorgungsrealität und insbesondere die Ergebnisqualität seien zu
evaluieren. In den „tragenden Gründen“ heißt es hierzu:
Die höhere Mindestmenge für Perinatalzentren Level 1 wird auf der Grundlage
der in der Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maß-nahmen zur
Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen gestellten spezifischen
Anforderungen an die Strukturqualität von Perinatal-zentren Level 1 und auf die damit
implizit geforderte ärztliche und pflegerische Erfahrung und Routine in der Behandlung
von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von kleiner als 1250 Gramm
festgelegt. Damit soll für die betroffenen, extrem gefährdeten Frühgeborenen, die
Chance zu überleben bzw. ohne bleibende Behinderungen weiterleben zu können,
verbessert werden. Die jetzt geforderte Mindestzahl an zu betreuenden Frühgeburten
mit einem Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm bedeutet bei durchgehender
Belegung eine Betreuung von zwei bis drei solcher Frühgeburten im Monat. In
Übereinstimmung mit der internationalen Literatur geht die Sterblichkeit von Säuglingen
auch in Deutschland zu einem großen Teil zulasten der unreifen Frühgeborenen. Erst
danach sind Fehlbildungen, Unfälle, andere Erkrankungen oder zum Beispiel der
plötzliche Kindstod für die Sterblichkeit verantwortlich. Es ist daher gerechtfertigt, alle
Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Überlebenschance zu erhöhen.
Die bisher bestehende Mindestmenge für Perinatalzentren Level 2 in Höhe von
14 Fällen mit einem Geburtsgewicht von 1250 bis 1499 Gramm pro Jahr entfällt im
Hinblick auf eine deutlichere Abstufung der Anforderungen von Level 1 zu 2 und zur
Verwirklichung bzw. Beibehaltung effektiver Netzwerkstrukturen zwischen
Perinatalzentren Level 1 und Level 2. Die bisherige Regelung war nach Auffassung von
Experten und Praktikern problematisch, weil eine Mindestfallzahl von 14 Kindern mit
einem Geburtsgewicht 1250 bis 1499 Gramm aufgrund des geringen Gewichtsintervalls
derart schwer zu erreichen ist, dass dieser Versorgungslevel bisher nicht ausreichend
umgesetzt wurde. Hierdurch zeichnete sich eine Ausdünnung der Perinatalzentren Level
2 ab. Dies steht einer gewünschten regionalen Netzwerkbildung entgegen.
In den Beschluss flossen Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen
Leistungsmenge und Versorgungsqualität für diesen Leistungsbereich ein. Im
Abschlussbericht des IQWiG „Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Ergebnis
bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht“
39
40
41
42
43
44
45
bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht“
(V07-01) wiesen die eingeschlossenen Publikationen
„bezüglich eines statistischen Zusammenhangs zwischen der
Leistungsmenge und der Ergebnisqualität bei der Versorgung von Frühgeborenen mit
sehr geringem Geburtsgewicht kein völlig einheitliches und eindeutiges Bild auf.
Allerdings geben die Daten in der Gesamtschau bezüglich der primären Zielgröße
„Mortalität“ unter Berücksichtigung der Studien- und Publikationsqualität sowie ihres
Populationsbezugs deutliche Hinweise auf einen statistischen Zusammenhang, der sich
als Trend einer Risikoreduktion mit steigender Leistungsmenge darstellt. Die Daten zur
Morbidität sind spärlich, nicht eindeutig und lassen hinsichtlich eines Zusammenhangs
zwischen der Leistungsmenge und Ergebnisqualität keine abschließende Beurteilung
zu.“
Die dem Gemeinsamen Bundesausschuss vorliegenden neueren
Untersuchungen und Analysen zur Versorgungssituation in Deutschland und anderen
Ländern, die in den Beratungsprozess einflossen, unterstützen im Wesentlichen dieses
Fazit des IQWiG-Berichtes, wenngleich deren Interpretation kontrovers diskutiert wurde.
Eine an Hand von Folien in der Sitzung des Plenums von Seiten der DKG vorgetragene
noch nicht veröffentlichte Untersuchung, die zum Beleg eines fehlenden
Zusammenhanges zwischen Fallzahl und Ergebnisqualität eingebracht wurde, konnte
nur eingeschränkt berücksichtigt werden, weil nach einer mehr als dreijährigen strittigen
Beratung spezifisch dieser Thematik eine erneute Vertagung mit dem Ziel der
Auswertung dieser im Zeitpunkt der Beschlussfassung unveröffentlichten Studie nicht
mehr zugelassen werden konnte. Aus solchen Erhebungen lassen sich auch nur sehr
begrenzt Aussagen über die Auswirkungen einer Verdichtung der Zahl von
Perinatalzentren Level 1 und einer durch Wegfall von Mindestmengen für
Perinatalzentren Level 2 ermöglichten Netzwerkbildung auf eine Verbesserung der
Qualität der Versorgung treffen.
Weiterhin wurde im vorliegenden Beschluss eine Evaluation der Auswirkungen der
Mindestmengenvereinbarung auf die Versorgungswirklichkeit und die Ergebnisqualität
festgelegt. Sie ist erforderlich insbesondere vor dem Hintergrund einer Datenlage mit
unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten und einer auch im Gemeinsamen
Bundesausschuss nach wie vor kontroversen Diskussion um die Auswirkung von
Mindestzahlanforderungen für die Behandlung von Frühgeborenen auf die Qualität der
Versorgung. Die Entscheidungsfindung war auch deshalb so schwierig, weil
Mindestzahlanforderungen dazu führen, dass die medizinische Behandlung auf Zentren
konzentriert wird, und dies im Konflikt zu Forderungen nach einer wohnortnahen
Versorgung stehen kann. Die Aufhebung von Mindestzahlanforderungen für
Perinatalzentren Level 2 und die damit ermöglichte Vernetzung von wohnortnahen
Krankenhäusern dieser Versorgungsstufe mit zentralisierten Perinatalzentren Level 1
trägt diesem Umstand Rechnung.
Nach eingehender Beratung und umfassender Abwägung der zahlreichen
kontrovers eingebrachten Argumente für und wider Mindestzahlanforderungen und
deren Erhöhung bei der Versorgung von Früh- und Neugeborenen sowie der
Evidenzbewertung durch das IQWiG wurde mit dem vorliegenden Beschluss des
Gemeinsamen Bundesausschusses eine Entscheidung getroffen, die den erforderlichen
hohen fachlichen Standard bei der Versorgung dieser besonders schutzbedürftigen
Kleinstkinder verbessern soll.
Gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 17. Juni 2010 haben die
Antragstellerinnen am 1. Oktober 2010 Klage erhoben, soweit er in Teil I. Nr. 1 die
Mindestmenge für Perinatalzentren des Levels 1 von 14 auf 30 erhöht (L 7 KA 77/10 KL).
Am 4. Oktober 2010 haben sie um Eilrechtsschutz nachgesucht und begehren eine
Aussetzung des genannten Beschlusses bis zur Entscheidung in der Hauptsache.
Mit Zwischenverfügung vom 2. Dezember 2010 hat der Senat den Beschluss des
Antragsgegners vom 17. Juni 2010 über eine Anhebung der Mindestmenge für
Perinatalzentren des Levels 1 von 14 auf 30 zur Gewährleistung effektiven
Rechtsschutzes bis zum 26. Januar 2011 (Tag der mündlichen Verhandlung über den
Eilantrag) außer Vollzug gesetzt.
Der Antragsgegner hat hierauf in Reaktion auf die Zwischenverfügung in seiner Sitzung
vom 16. Dezember 2010 beschlossen, die betreffende Regelung zur Anhebung der
Mindestmenge für Perinatalzentren des Levels 1 von 14 auf 30 bis zum 28. Februar 2011
allgemein und mit der Konsequenz außer Vollzug zu setzen, dass für alle zugelassenen
Krankenhäuser weiterhin die Mindestmenge von 14 gilt.
46
47
Im Eilverfahren bringen die Antragstellerinnen vor: Sie erfüllten sämtlich die
Voraussetzungen für ein Perinatalzentrum des Levels 1. Auch
krankenhausplanungsrechtlich seien sie insoweit nicht eingeschränkt, insbesondere nicht
gehindert, Frühgeborene mit Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm zu versorgen. Die
entsprechenden Fallgruppen seien in den Budgetverhandlungen vereinbart worden. Eine
Fallzahl von 14 werde man 2011 voraussichtlich jeweils erreichen, nicht aber die streitige
Mindestmenge von 30.Eine Aussetzung des Beschlusses des Antragsgegners vom 17.
Juni 2010 sei für Perinatalzentren des Levels 1 schon deshalb geboten, weil die
nachteiligen Folgen, die eintreten würden, wenn das Eilverfahren keinen Erfolg hätte, die
Klage hingegen später erfolgreich wäre, gegenüber den Nachteilen überwögen, die
entstünden, wenn der begehrte Eilrechtsschutz gewährt würde, die Klage aber später
ohne Erfolg bliebe („Doppelhypothese“). Die Anhebung der Mindestmenge von 14 auf 30
führe kurzfristig zur nachhaltigen Zerschlagung seit langem etablierter und gut
arbeitender, regional bedeutsamer Versorgungseinheiten. Es komme zu einer
deutlichen Verschlechterung der Versorgung Frühgeborener, auch durch die zu
befürchtende Überlastung der verbleibenden Hochfrequenzzentren, und erheblich
längeren Fahrwegen für die betroffenen schwangeren Frauen. Mit Wirksamwerden der
Mindestmenge von 30 seien die Antragstellerinnen gezwungen, ihren Status als
Perinatalzentren des Levels 1 jeweils umgehend aufzugeben. Es drohe ein erheblicher
Erlösverlust. Aufgrund der vergleichbaren Fixkostenbelastung sei auch ein Ausweichen
auf den Level 2 defizitär, weil die Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm
wesentlich höhere Fallpauschalen auslöse als diejenige Frühgeborener über 1.250
Gramm Geburtsgewicht. Beeinträchtigt werde auch die Geburtshilfe allgemein, da
Schwangere in erheblichem Umfange zu den verbleibenden Hochfrequenzzentren
umgeleitet würden, sofern eine Frühgeburt auch nur drohe. Mit einem Rückfall auf die
dritte Versorgungsstufe (perinataler Schwerpunkt) müsse zur Abwendung einer
Insolvenz – am Beispiel etwa der Antragstellerin zu 2) – eine Entlassung von 41
Vollzeitkräften einher gehen. Ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache unter
Beibehaltung der bisherigen sachlichen und personellen Strukturen bei Vorhaltung der
Fixkosten und gleichzeitigem Versorgungsverbot komme damit schlechthin nicht in
Betracht. Der Wiederaufbau eines Perinatalzentrums des Levels 1 sei wegen der
zwischenzeitlichen Personalwanderung demgegenüber schwierig und langwierig. Die
Aberkennung des Status als Perinatalzentrum des Levels 1 gehe nicht zuletzt auch bei
den Zuweisern und der breiten Bevölkerung mit einem gravierenden Verlust an
Renommee und Vertrauen einher. Gegenüber alledem sei es ohne Weiteres
hinnehmbar, wenn es bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache bei der bisherigen
Mindestmenge von 14 verbliebe. Die vorübergehende Aufrechterhaltung des Status quo
führe in keiner Weise zu einer Gefährdung der Früh- und Neugeborenen und ihrer Mütter,
zumal die etablierte deutsche Versorgungsstruktur europaweit führend sei.
Im Übrigen sei der Beschluss vom 17. Juni 2010 aus mehreren Gründen rechtswidrig und
damit nichtig. Frühgeburtlichkeit sei grundsätzlich nicht „planbar“ im Sinne von § 137
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V, sondern verlaufe dynamisch und sei nicht vorhersehbar.
Zudem sei eine Kausalität zwischen Leistungsmengen und Qualität des
Behandlungsergebnisses nicht hinreichend sicher belegt. Leistungsmengen seien nur ein
schwacher Surrogatfaktor für die Vorhersage der Leistungsqualität; maßgeblich ins
Gewicht fielen auch andere Qualitätsanforderungen wie zum Beispiel Qualifikation und
Geschick von Ärzten und Pflegekräften, Prozessqualität und sachliche Ausstattung. Der
Antragsgegner habe insgesamt nur unzureichende Sachaufklärung betrieben, zumal das
IQWiG in seinem Bericht vom 14. August 2008 ausdrücklich erklärt habe, dass aus den
Ergebnissen der analysierten Beobachtungsstudien keine kausalen Zusammenhänge
ableitbar seien. Konkrete Mindestmengen seien bei dieser Studienlage nicht begründbar.
Erst recht sei nicht belegt, dass – wie vom Gesetz gefordert – Menge und Ergebnis „in
besonderem Maße“ von einander abhängig seien. Schlichte – ohnehin nicht vorhandene
– statistische Korrelationen reichten insoweit nicht aus. Im Rahmen der Ergebnisanalyse
dürfe zudem nicht ausschließlich auf die Mortalität als Zielgröße abgestellt werden; hier
bestehe die Gefahr einer Überschätzung von Einheiten, die eine niedrige Mortalität auf
Kosten einer hohen Morbidität erzielten. Zu befürchten sei auch eine Fehlsteuerung
dergestalt, dass Kliniken gegebenenfalls nicht mehr um jeden Preis bemüht sein
könnten, sehr unreife Frühgeburten zu vermeiden, um die Mindestmenge zu erreichen.
Eine Schwellenwertermittlung sei nicht einmal versucht worden; der Antragsgegner habe
damit seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung gravierend verletzt. Die Mindestmenge
von 14 sei ebenso willkürlich wie die von 30. Verfahrensfehlerhaft sei vor allem die
Nichtberücksichtigung der in der Sitzung des Antragsgegners vom 17. Juni 2010
vorliegenden, von der Deutschen Krankenhausgesellschaft in Auftrag gegebenen
aktuellen Analyse der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung gGmbH (BQS-Institut).
Diese belege den fehlenden Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Qualität im
Rahmen der Frühgeborenenversorgung. Mit der neuen Mindestmengenregelung sei ein
48
49
50
51
52
53
54
Rahmen der Frühgeborenenversorgung. Mit der neuen Mindestmengenregelung sei ein
unzulässiger Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz (GG)
verbunden. Hinzu komme die fehlende demokratische Legitimation des Antragsgegners
für die getroffene Mindestmengenregelung, mithin die Verfassungswidrigkeit von § 137
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V als Ermächtigungsgrundlage.
Die Antragstellerinnen beantragen,
den Vollzug von I. Nr. 1 des Beschlusses des Antragsgegners vom 17. Juni 2010
bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage zum Aktenzeichen L 7 KA 77/10 KL
auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er bringt im Wesentlichen vor: Der Eilantrag sei schon unzulässig, denn einstweiligen
Rechtsschutz in Zusammenhang mit einer Normenkontrollklage sehe das
Sozialgerichtsgesetz (SGG) – anders als die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in § 47
Abs. 6 – nicht vor. Zweifel bestünden auch am Rechtsschutzbedürfnis. So seien einige
Antragstellerinnen keine Perinatalzentren des Level 1; auch sei zweifelhaft, ob alle
Antragstellerinnen überhaupt die Mindestmenge von 14 erreichten. Am
Rechtsschutzbedürfnis fehle es aber auch für die übrigen Antragstellerinnen, sofern sie
die Voraussetzungen der Qneu-RL erfüllten und die Mindestmenge von 14 erbrächten,
denn ihnen stehe es offen, auf Landesebene eine Ausnahmegenehmigung der
Krankenhausplanungsbehörde nach § 137 Abs. 3 Satz 3 SGB V zu beantragen; dass
eine solche Ausnahmeregelung nicht erlangbar sei, sei nicht vorgebracht. Im Übrigen
fehle es auch an einer unmittelbaren Betroffenheit der Antragstellerinnen durch die
Mindestmengenvereinbarung; diese entfalte Wirkung erst in Gestalt der
krankenhausplanerischen Maßnahmen der Länder bzw. in konkreten
Pflegesatzvereinbarungen, gegen die gegebenenfalls primär vorzugehen sei.
Jedenfalls sei der Eilantrag aber unbegründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Mindestmenge von 30 lägen vor. Die Entbindung von Frühgeborenen unter 1.250
Gramm sei planbar im Rechtssinne, insbesondere aufgrund der engmaschigen
gynäkologischen Betreuung von Schwangerschaften in Deutschland. Frühgeburten seien
regelhaft vorhersehbar. Notfallbehandlungen seien nach Nr. 1 der Anlage 2 zur
Mindestmengenvereinbarung ohnehin nicht erfasst. Die Planbarkeit ergebe sich im
Übrigen schon daraus, dass Schwangere mit anstehender Frühgeburt gezielt und
präpartal in eine geeignete Einrichtung zu transportieren seien, denn der postnatale
Transport von Frühgeborenen sei möglichst zu vermeiden. „Planbarkeit“ erstrecke sich
damit auch auf Maßnahmen der stationären Versorgung (und nicht nur der
vertragsärztlichen Versorgung im Allgemeinen), denn meist sei erst stationär absehbar,
welche der vier Versorgungsstufen zur Sicherung der Gesundheit des Frühgeborenen
geeignet und geboten sei. Bei mehr als 90 Prozent aller Geburten mit dem Risiko einer
Frühgeburt sei bei entsprechender Indikation die Möglichkeit einer planbaren Einweisung
oder Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum des Levels 1 gegeben.
Es lägen auch deutliche Anhaltspunkte vor, um den besonderen Zusammenhang der
Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen zu
begründen. Statistische Belege seien insoweit ausreichend, höchstmögliche Evidenz sei
nicht zu fordern. Gerade die Einführung hoch bewerteter DRG´s für die Behandlung
Frühgeborener führe zur Notwendigkeit verstärkter Maßnahmen der Qualitätssicherung
durch Struktur-, Prozess- und Mengenvorgaben. In die Entscheidung vom 17. Juni 2010
seien neben dem Gutachten des IQWiG auch weitere Studien, Empfehlungen, Gutachten
und Expertenmeinungen einbezogen worden; die daraus gewonnenen Erkenntnisse
hätten zur Überzeugung der die Beschlussfassung tragenden Mehrheit der Mitglieder
einen besonderen Zusammenhang zwischen Menge und Qualität erkennen lassen. Die
am 17. Juni 2010 erstmals von der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorgelegte, noch
nicht veröffentlichte Studie des BQS-Instituts hätte nicht berücksichtigt werden müssen.
Die vorgelegte Berechnung lasse kein abschließendes Bild über die Ergebnisqualität der
Krankenhäuser zu. Es gebe keine Untersuchung, die belege, dass Säuglingssterblichkeit
bzw. Häufigkeit und Schwere von in Zusammenhang mit der Geburt eingetretenen
Behinderungen unabhängig von der Festlegung einer Mindestmenge seien. Vielmehr
habe das IQWiG deutliche Hinweise für eine Relation von Behandlungsqualität und
Mindestbehandlungsfallzahl festgestellt. Insgesamt sei es notwendig, die Vorgaben der
Qneu-RL zu Qualität und Struktur der Versorgung Frühgeborener durch eine
Mindestmengenregelung zu flankieren, denn nur die nachhaltige Erfahrung eines gut
ausgebildeten Teams bürge für die erwünschte Behandlungsqualität.
55
56
57
58
59
60
61
Mit der konkreten Höhe der Mindestmenge von 30 bewege man sich im
Entscheidungskorridor des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Einen absoluten
Evidenzbeleg gebe es nicht. Um die entsprechend der Qneu-RL mit hohem,
insbesondere personellem, Aufwand betriebenen Perinatalzentren des Levels 1
gesundheitsökonomisch und betriebswirtschaftlich auszulasten, bedürfe es sogar einer
Mindestmenge von etwa 40. Auch das IQWiG habe in seinem Bericht wissenschaftliche
Belege für den Zusammenhang von niedrigerer Mortalität bei höherer Fallzahl gefunden.
Eine Mindestmenge von 50 für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1.500
Gramm fordere auch die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften zu den strukturellen Voraussetzungen der
perinatologischen Versorgung in Deutschland. Derzeit überschritten in Deutschland 64
Einrichtungen die Mindestfallzahl von 30. Bei jährlich rund 5.000 Frühgeborenen unter
1.250 Gramm werde diese Zahl sich bei Geltung der Mindestmenge von 30 noch
erhöhen. Sofern die Mindestmengenregelung die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen
berühre, sei dies gerechtfertigt. Die Versorgung Frühgeborener unter 1.250 Gramm
stelle regelmäßig nur einen sehr kleinen Teil des Leistungsspektrums dar – Level 1 und 2
zusammen etwa 1,5 Prozent aller Geburten – und sei daher nicht prägend. Auch
könnten die Antragstellerinnen die von ihnen befürchteten Nachteile durch eine
bewusste Entscheidung für einen Level 2 – Status und eine Vernetzung mit einer Level 1
– Einrichtung vermeiden.
Eine Aussetzung der Mindestmengenregelung von 30 werde sich negativ auf die
Versorgungsqualität der Frühgeborenen auswirken. Die wirtschaftlichen Interessen der
Antragstellerinnen hätten gegenüber dem Recht der Frühgeborenen auf optimale
Versorgung zurückzustehen. Aktuelle Bemühungen der Krankenhausplanung in den
Ländern würden zudem bei einer Aussetzung der Regelung gestört, das Bemühen des
Antragsgegners um Befriedung der seit Jahren mit äußerster Härte geführten
Konfrontation würde unterlaufen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den
Inhalt der Gerichtsakte zum Eilverfahren (zwei Bände) und zur Klage L 7 KA 77/10 KL (ein
Band) sowie auf die vom Beklagten eingereichte Normsetzungsdokumentation (zwei
Ordner) Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der
mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
II.
Der Eilantrag hat Erfolg.
A.
Der Senat behandelt das vorliegende Verfahren zur Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes in Übereinstimmung mit dem für das Vertragsarztrecht zuständigen 6.
Senat des Bundessozialgerichts als eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts im Sinne
von § 31 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG; vgl. etwa Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA
13/05 R; Urteil vom 6. Mai 2009, B 6 KA 1/08 R; Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 31/09
R, jeweils zitiert nach juris). Zwar ist in der Rechtsprechung verschiedener Senate des
Bundessozialgerichts (inzwischen) umstritten, nach welchen Kriterien die besondere
Zuständigkeit einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten des
Vertragsarztrechts (§§ 10 Abs. 2, 31 Abs. 2 SGG) von der allgemeinen Zuständigkeit
einer Kammer bzw. eines Senats für Angelegenheiten der gesetzlichen
Krankenversicherung (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) abzugrenzen ist. Im Interesse der
Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt der Senat bis zu einer abschließenden
höchstrichterlichen Klärung oder einer Klarstellung durch den Gesetzgeber wie schon
bisher der Auffassung des 6. Senats des Bundessozialgerichts und fasst den
vorliegenden Streit von Krankenhausträgern gegen den Gemeinsamen
Bundesausschuss unter das Vertragsarztrecht (vgl. insoweit schon Beschluss des
Senats vom 27. August 2010, L 7 KA 11/10 KL ER, zitiert nach juris [Otobacid ®]).
B.
Für die Streitigkeit ist der Senat erstinstanzlich zuständig. Eilantrag (und Klage) richten
sich unmittelbar „gegen Entscheidungen und Richtlinien“ des Antragsgegners im Sinne
von § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG, nämlich gegen einen Verbindlichkeit entfaltenden Beschluss
im Sinne von § 91 Abs. 6 SGB V.
C.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig.
62
63
64
65
66
1. Der Antrag ist statthaft. Er zielt auf die Wahrung der Rechte der Antragstellerinnen bis
zu einer Entscheidung im gleichzeitig geführten Hauptsacheverfahren L 7 KA 77/10 KL,
das seinerseits als Feststellungsklage im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, die hier wie
eine Normenkontrollklage wirkt, statthaft ist (unten a). Die Statthaftigkeit des
Eilantrages selbst orientiert sich an § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Regelungsanordnung,
unten b).
a) Der erkennende Senat hat als 7. Senat des LSG Berlin-Brandenburg und auch schon
als 7. Senat des früheren LSG Berlin in ständiger Rechtsprechung als Klage auf
Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nach § 55
Abs. 1 Nr. 1 SGG auch die Normfeststellungsklage für zulässig gehalten, wenn sie auf die
Feststellung der Gültigkeit bzw. der Nichtigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm
gerichtet war (LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 15. Juli 2009, L 7 KA 30/08 KL [§ 116
b SGB V] und L 7 KA 50/08 KL sowie Urteil vom 17. März 2010, L 7 KA 125/09 KL
[Monapax ®]; LSG Berlin, Urteil vom 14. Juni 1995, L 7 Ka 6/95 [laborärztliche
Leistungen]; zitiert jeweils nach juris). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass es sich
bei dem hier streitigen Beschluss des Antragsgegners nach § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
SGB V („Mindestmengenvereinbarung“) nicht um einen Verwaltungsakt handelt, der die
Möglichkeit der Anfechtungsklage eröffnet, sondern – wie etwa bei der
Arzneimittelrichtlinie im Sinne von § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V – um eine verbindliche
untergesetzliche Norm im Sinne von § 91 Abs. 6 SGB V (vgl. Bundessozialgericht, Urteil
vom 20. März 1996, 6 RKa 62/94, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20). Als sachgerechte
Klageart kommt deshalb zur Vermeidung von verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art.
19 Abs. 4 GG nicht hinnehmbaren Rechtsschutzlücken nur eine Feststellungsklage nach
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG in Betracht, weil das SGG offensichtlich lückenhaft ist und
Rechtsschutz in Form der Normenkontrolle nicht ausdrücklich vorsieht; eine § 47
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechende Norm fehlt im SGG, das
andererseits in § 29 Abs. 4 Nr. 3 Rechtsschutz gegen Entscheidungen und Richtlinien des
Beklagten ausdrücklich voraussetzt.
Diese Rechtsschutzmöglichkeit hat auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom
31. Mai 2006 (B 6 KA 13/05 R [Clopidogrel], zitiert nach juris; vgl. hierzu auch Urteil des
Senats vom 17. März 2010, L 7 KA 125/09 KL [Monapax ®]) anerkannt. Danach sind
Klagen von Arzneimittelherstellern gegen die Rechtmäßigkeit von Therapiehinweisen, die
der Beklagte zu einer Arzneimitteltherapie abgegeben hat, im Rahmen des § 55 Abs. 1
Nr. 1 SGG zulässig; zur Überzeugung des Senats kann für eine Klage gegen die
Mindestmengenvereinbarung nach § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V nichts anderes
gelten.
b) Der Eilantrag ist danach als ein solcher auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne
§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft, gerichtet auf Außervollzugsetzung der streitigen
Regelung bis zu einer Entscheidung des Senats im parallel geführten
Hauptsacheverfahren. Nur diese Handhabung des Prozessrechts wird der Aufgabe des
Senats gerecht, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (Art. 19 Abs. 4 GG). Grundsätzlich
flankiert das Eilverfahren dabei das letztlich auf Normenkontrolle gerichtete
Hauptsacheverfahren und erfüllt im Wesentlichen eine Sicherungsfunktion. Danach ist es
Aufgabe der einstweiligen Anordnung, die Entscheidung in der Hauptsache offen zu
halten. Es soll verhindert werden, dass die spätere Normenkontrolle durch den Verlauf
der Ereignisse praktisch leerläuft (vgl. Gerhardt/Bier in Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Rdnr. 130 zu § 47). Die Auffassung des
Antragsgegners, ein Eilantrag sei im vorliegenden Zusammenhang in Ermangelung
entsprechender prozessrechtlicher Vorschriften ausgeschlossen, liegt insoweit neben
der Sache.
Die Insuffizienz des Sozialgerichtsgesetzes im Bereich der Normenkontrolle zeigt sich
allerdings auch und gerade im Bereich des Eilrechtsschutzes. § 47 VwGO regelt als Norm
des Prozessrechts die von den Oberverwaltungsgerichten zu leistende Normenkontrolle
in Bezug auf Satzungen, Rechtsverordnungen und sonstigen im Rang unter dem
Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Die Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts wirkt nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO allgemein verbindlich, hat
also Wirkung „inter omnes“ und nicht nur „inter partes“. In § 47 Abs. 6 VwGO ist weiter
vorgesehen, dass das Gericht – dann ebenfalls allgemein verbindlich – auf Antrag eine
einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder
aus wichtigen Gründen dringend geboten ist. Diese speziell auf die Normenkontrolle
zielenden Regelungen sind sachgerecht und wären auch im Sozialgerichtsgesetz
geboten. Von einer analogen Anwendung des § 47 VwGO sieht der Senat gleichwohl ab,
weil das Sozialgerichtsgesetz in einer Art. 19 Abs. 4 GG wohl noch entsprechenden
Weise immerhin Individualrechtsschutz im Bereich der Normenkontrolle zulässt, nämlich
67
68
69
Weise immerhin Individualrechtsschutz im Bereich der Normenkontrolle zulässt, nämlich
über die Normfeststellungsklage in der Hauptsache und die Regelungsanordnung mit
der Möglichkeit der vorläufigen Außervollzugsetzung in § 86 b Abs. 2 SGG, allerdings nur
mit der dem Gedanken der Normenkontrolle nicht gerecht werdenden inter-partes-
Wirkung. Der Senat behält sich insoweit vor, in späteren Verfahren gegebenenfalls
unmittelbar zur analogen Anwendung von § 47 VwGO zu greifen, sollte sich zeigen, dass
effektiver Rechtsschutz und sinnvolle Ergebnisse im Bereich der Normenkontrolle nur
über eine allgemein verbindliche Entscheidung zu erreichen sind; gegebenenfalls wird
sich auch eine analoge Anwendung des vom Gesetzgeber geplanten § 55a SGG
anbieten, der die Normenkontrolle mit allgemeiner Verbindlichkeit und auch der
Möglichkeit des Eilrechtsschutzes vorsieht, allerdings unvollkommen, denn nur für den
Bereich von Rechtsvorschriften, die auf Landesebene nach § 22a
Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II, Grundsicherung für Arbeitsuchende)
verbindliche Regelungen über die Kosten der Unterkunft vorsehen.
2. Der Eilantrag ist auch im Übrigen zulässig. Die vom Antragsgegner erhobenen Rügen
greifen auch hier nicht durch. Die Antragstellerinnen sind antragsbefugt (unten a) und
rechtsschutzbedürftig (unten b).
a) Antragsbefugt im Sinne des Vorliegens einer Beschwer bzw. der Berührung
subjektiver Rechte sind die Antragstellerinnen, weil die Mindestmengenregelung sie
unmittelbar betrifft. Sie sind insoweit Adressatinnen der allgemeinverbindlichen
Regelung, als mit ihr unmittelbar ein Verbot der Leistungserbringung statuiert wird. Dies
liegt in der Natur der Mindestmenge und bedarf keiner weiteren behördlichen
Umsetzungsmaßnahmen. So bestimmen sowohl § 137 Abs. 3 Satz 2 SGB V als auch § 5
der Mindestmengenvereinbarung ausdrücklich, dass die Vereinbarung für nach § 108
SGB V zugelassene Krankenhäuser „unmittelbar verbindlich“ ist. „Wird die erforderliche
Mindestmenge bei planbaren Leistungen voraussichtlich nicht erreicht, dürfen ab dem
Jahr des jeweiligen Inkrafttretens der Mindestmenge entsprechende Leistungen nicht
erbracht werden“. Die Mindestmengenregelung kann damit die Rechtstellung der
Antragstellerinnen als Plankrankenhäuser und ihren Besitzstand in Bezug auf die (noch)
erlaubte Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm direkt beeinträchtigen.
Soweit die Krankenhäuser privatrechtlich organisiert sind, kommt zudem das Vorliegen
einer Berufsausübungsregelung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht (vgl. hierzu
Bohle, Mindestmengen im Krankenhaus, GesR 2010, S. 587 [589]).
b) Die Antragstellerinnen sind auch rechtsschutzbedürftig. Es ist nicht ersichtlich,
welchen Weg sie an Stelle des Normenkontrollantrages vorrangig gehen sollten, um die
Mindestmenge von 30 nicht erbringen zu müssen. Den Hinweis des Antragsgegners auf
die zunächst bei der Krankenhausplanungsbehörde des Landes zu beantragende
Ausnahmegenehmigung nach § 137 Abs. 3 Satz 3 SGB V hält der Senat nicht für
sachgerecht. Es muss einem jeden Betroffenen offen stehen, sich gegen eine
unmittelbar belastende Regelung an sich zu wenden, bevor er sich darauf einlässt, sich
unter Inkaufnahme dieser Regelung um eine Ausnahme bzw. einen Dispens von
derselben zu bemühen. Diese Sichtweise trägt auch dem gesetzlich vorgesehenen
Zusammenspiel von Gemeinsamem Bundesausschuss und Landesplanungsbehörden
Rechnung (vgl. Bohle a.a.O., S. 595). Als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen
Selbstverwaltung im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung ist der
Antragsgegner ermächtigt, zum Zwecke der Qualitätssicherung zentrale Vorgaben in
Gestalt von Mindestmengen zu machen, die vor Ort – wie gezeigt – bei Unterschreitung
der jeweiligen Fallzahlen zu einem verbindlichen Leistungserbringungsverbot der
Krankenhäuser führen. Auf der anderen Seite führen die Landesbehörden anhand der im
Krankenhausfinanzierungsgesetz getroffenen Regelungen die Krankenhausplanung in
ihrem Zuständigkeitsbereich durch, sind dabei aber an die Prämissen gebunden, die der
Antragsgegner in Gestalt von Mindestmengen setzt. Durchbrochen werden dürfen diese
Prämissen durch individuelle Ausnahmeentscheidungen der Landesbehörden, § 137 Abs.
3 Satz 3 SGB V, um die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit
Krankenhausleistungen zu gewährleisten. Die Akteure verfolgen damit vom Zweck des
Gesetzes her unterschiedliche Zielsetzungen. Ob dies mit dem Verbot der
Mischverwaltung vereinbar ist, lässt der Senat im Verfahren des Eilrechtsschutzes
unerörtert; allerdings folgt aus dem Normgefüge der Art. 83 ff. GG grundsätzlich, dass
Mitplanungs-, Mitverwaltungs- und Mitentscheidungsbefugnisse gleich welcher Art im
Aufgabenbereich der Länder, wenn die Verfassung dem Bund entsprechende
Sachkompetenzen nicht übertragen hat, durch das Grundgesetz ausgeschlossen sind
(vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2007, 2 BvR 2433/04, zitiert
nach juris, dort Rdnr. 153). Jedenfalls darf ein Krankenhaus nicht auf den Weg der
Ausnahme bzw. des Dispenses nach § 137 Abs. 3 Satz 3 SGB V verwiesen werden, die
zudem im Ermessen der Planungsbehörde steht und der Drittanfechtung unterliegen
kann, wenn es der Überzeugung ist, dass die zentral vorgegebene Mindestmenge
70
71
72
73
kann, wenn es der Überzeugung ist, dass die zentral vorgegebene Mindestmenge
rechtswidrig sei.
Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt auch nicht unter anderen Aspekten. Sämtliche
Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, dass eine stattgebende Entscheidung des
Senats ihre Rechtsstellung verbessern würde. Nach dem jüngsten Vorbringen der
Antragstellerinnen besteht so zum einen kein vernünftiger Zweifel mehr daran, dass es
sich bei jeder von ihnen bislang um ein Perinatalzentrum des Levels 1 handelt. Zum
anderen gestalten sich auch die jeweiligen Fallzahlen so, dass die Mindestmenge von 30
unmittelbar belastend wirkt. Bei zehn der 16 Antragstellerinnen bewegten sich die
Fallzahlen der Jahre 2009 und 2010 durchweg zwischen 14 und 29. Die Zahl von 14 war
in Einzelfällen und einzelnen Jahren knapp unterschritten, doch rechtfertigt dies nicht
hinreichend sicher die Prognose, dass im Jahr 2011 ebenfalls weniger als 14 Fälle zur
Versorgung anstehen. Sofern die Zahl 30 in Einzelfällen überschritten war, geschah dies
auch nur geringfügig und basierte etwa auf der überdurchschnittlich häufigen
Versorgung höhergradiger Mehrlinge. Insgesamt konnte der Senat bei der im Rahmen
der Zulässigkeit nur gebotenen überschlägigen Prüfung nicht feststellen, dass den
Antragstellerinnen das rechtliche Interesse an der Anfechtung der erhöhten
Mindestmenge fehlen könnte, weil sie von vornherein und sicher nicht in den Korridor
zwischen 14 und 29 fallen.
D.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist auch begründet. Die Erhöhung
der Mindestmenge für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit einem
Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm von 14 auf 30 ist vorläufig außer Vollzug zu
setzen (zum Prüfungsmaßstab unten 1.). Ein Anordnungsanspruch ist hinreichend
glaubhaft gemacht (unten 2.): Der Senat hat erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der Mindestmengenregelung, gemessen an den rechtlichen Vorgaben in § 137 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 SGB V und am Willkürverbot. Außerdem haben die Antragsteller die für den
Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendige besondere Dringlichkeit glaubhaft
gemacht (Anordnungsgrund, unten 3.). Diese Dringlichkeit führt auch im Rahmen der für
das vorliegende Eilverfahren in besonderem Maße kennzeichnenden Folgenabwägung zu
einer einstweiligen Außervollzugsetzung des angegriffenen Beschlusses vom 17.Juni
2010 (unten 4.).
1. Weil der Senat sich im System der Normenkontrolle bewegt, nimmt er bei
Bestimmung seines Prüfungsmaßstabes die von der Rechtsprechung und Literatur zu §
47 Abs. 6 VwGO und zu § 32 BVerfGG entwickelten Grundsätze in den Blick, folgt aber
primär dem für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2
SGG üblichen Prüfungsaufbau. Zu fordern ist daher eine Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs.
2 Satz 2 und 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung, ZPO) von
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, maßgeblich für den Erlass der begehrten
Regelungsanordnung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache und das Vorliegen
besonderer Dringlichkeit. Weil eine Rechtsnorm außer Vollzug gesetzt werden soll,
erscheint es sachgerecht, bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung einen relativ engen Maßstab anzulegen, also grundsätzlich
Zurückhaltung zu üben gegenüber der Normsetzungskompetenz der Verwaltung.
Gleichzeitig ist der Maßstab für eine (vorläufige) Außerkraftsetzung administrativer
Normsetzung ein weniger strenger als bei (vorläufiger) Außerkraftsetzung von
Parlamentsgesetzen durch die Verfassungsgerichtsbarkeit; die Zurückhaltung etwa des
Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber muss eine
andere sein als diejenige der Fachgerichtsbarkeit bei der Kontrolle von Rechtsnormen
der Verwaltung (vgl. hierzu Gerhardt/Bier, a.a.O., Rdnr. 140).
Hiervon ausgehend ist die vom Antragsgegner bewirkte Normsetzung nur darauf zu
überprüfen, ob die maßgeblichen Verfahrens- und Formvorschriften eingehalten sind,
sich die untergesetzliche Norm auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen
kann und ob die Grenzen des Gestaltungsspielraums in Gestalt etwa höherrangigen
Rechts eingehalten sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R,
zitiert nach juris, dort Rdnr. 68). Die in § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V für den Erlass von
Mindestmengen vorgegebenen Tatbestandsvoraussetzungen sind danach vom Senat
vollständig (dazu weiter unten 2.b) überprüfbar; ein Gestaltungsspielraum ist nur
eröffnet, wenn bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen das Tor für eine
gestalterische Entscheidung gleichsam aufgestoßen ist. Ist letzteres der Fall, hat der
Senat den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum des Antragsgegners zu
respektieren (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 8
Rdnr. 38; Beier, in jurisPK-SGB V, § 92 Rdnr. 38; Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Mai
2006, B 6 KA 13/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 67 ff. [Clopidogrel]; Urteil vom 16. Mai
74
75
76
77
78
2006, B 6 KA 13/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 67 ff. [Clopidogrel]; Urteil vom 16. Mai
2001, B 6 KA 20/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 31 [Überprüfung einer EBM-Ä-
Regelung]; Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 36/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 29
[Leistungsausschluss für Hippotherapie]; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil
vom 2. Dezember 2009, L 9 KR 8/08 [sortis ® I], zitiert nach juris, dort Rdnr. 102).
2. Ein Anordnungsanspruch ist hinreichend glaubhaft gemacht. Die angefochtene
Heraufsetzung der Mindestmenge für die Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit
einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm von 14 auf 30 begegnet schon bei
summarischer Prüfung gravierenden rechtlichen Bedenken, so dass die
Hauptsacheklage Erfolg versprechend zu sein scheint.
a) Keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zunächst das vom
Antragsgegner bei Beschlussfassung am 17. Juni 2010 praktizierte Verfahren. Für
verfahrensfehlerhaft halten die Antragstellerinnen hier insbesondere die
Nichtberücksichtigung der von der Deutschen Krankenhausgesellschaft in der
Plenarsitzung des Antragsgegners am 17. Juni 2010 in Form einer Präsentation (Anlage
8 zum Sitzungsprotokoll) vorgestellte Studie des BQS-Instituts, die zu dem Ergebnis
kommt, die Qualität des Behandlungsergebnisses von Frühgeborenen hänge nicht in
besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen ab. Es handelt sich um
eine empirische Analyse, die die Daten der Neonatalerhebungen aus dem
Erfassungsjahr 2009 von fünf Bundesländern untersucht. Die Stichprobe umfasst 3.326
Frühgeborene unter 1.250 Gramm und damit mehr als die Hälfte der Frühgeborenen
dieses Segments in Deutschland (5.300 bis 5.500). Als Zielgröße für die Qualität der
Versorgung wurde die Mortalität in Krankenhäusern mit Fallzahlen unter 30 und in
Häusern mit Fallzahlen von 30 und mehr Frühgeborenen mit Geburtsgewicht unter 1.250
Gramm verglichen. In ihrer Präsentation vor dem Plenum des Antragsgegners hat die
Deutsche Krankenhausgesellschaft die Ergebnisse der Studie herausgestellt: Unter
Berücksichtigung nachvollziehbarer und im Einzelnen dargelegter Faktoren weisen
danach 63 Prozent der Häuser mit einer Fallzahl von unter 30 Frühgeborenen eine
niedrigere Mortalität auf als erwartet, während bei 37 Prozent der Häuser die Mortalität
höher ist als erwartet. Gleichzeitig liegt die Mortalität in den Häusern mit einer Fallzahl
von mindestens 30 Frühgeborenen (nur) zu 59 Prozent niedriger als erwartet und zu 41
Prozent höher als erwartet.
Allerdings musste die Studie am 17. Juni 2010 nicht maßgeblich berücksichtigt werden,
weil sie zu jenem Zeitpunkt nicht veröffentlicht war. Ein allgemeiner Grundsatz des
Krankenversicherungsrechts besteht darin, dass wissenschaftliche Studien erst dann
rechtliche Relevanz entfalten, wenn sie veröffentlicht und damit allgemein zugänglich
sind (vgl. etwa zu den Voraussetzungen des Off-Label-Use Bundessozialgericht, Urteil
vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 26; Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. April 2010, L 1 KR 68/08, zitiert nach juris, dort Rdnr.
37). Danach hätte der Antragsgegner zwar seine Beratungen auf der Grundlage der
Präsentation der Deutschen Krankenhausgesellschaft und angesichts der vor der
Veröffentlichung stehenden BQS-Studie vertagen können, er war aber nicht zwingend
verpflichtet, dies zu tun. Allerdings zeigt sich dem Senat aus der Chronologie der
Normsetzung insgesamt das Bild eines eiligen, forcierten Vorgehens, das in einem
entscheidenden Moment auf die Verwertung einer neuen und einschlägigen Studie
verzichtete, ohne dass aus Qualitätssicherungsgesichtspunkten heraus nachvollziehbare
Gründe eine unaufschiebbare Entscheidung zwingend geboten hätten.
b) Bedenken hat der Senat allerdings, ob die Mindestmengenregelung tatbestandlich in
Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage steht. Maßgeblicher
Beurteilungszeitpunkt ist insoweit derjenige der Entscheidung des Senats, denn die
Mindestmengenregelung entfaltet Dauerwirkung, so dass für ihre rechtliche Beurteilung,
aber auch für ihre Aufrechterhaltung aus dem Blickwinkel des Antragsgegners, den eine
Beobachtungs- und Reaktionspflicht trifft, neue wissenschaftliche Erkenntnisse
berücksichtigt werden können und müssen. Einen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum
sieht der Senat auf Tatbestandsseite nicht; Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes erlaubt
und gebietet zugleich eine vollständige gerichtliche Überprüfung, denn das Vorliegen der
Tatbestandsmerkmale des § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V ist ohne Weiteres einer
sachgerechten Überprüfung auch durch ein Gericht zugänglich (vgl. in diesem Sinne zu
einer anderen Vorschrift auch Bundessozialgericht, Urteil vom 25. März 2003, B 1 KR
33/01 R, zitiert nach juris).
In der Sache bestehen zum einen Zweifel, ob es sich bei Frühgeburten um „planbare
Leistungen“ im Rechtssinne handelt (unten aa). Außerdem ist nicht nachvollziehbar,
dass in diesem Bereich die Qualität des Behandlungsergebnisses – wie gesetzlich
gefordert – „in besonderem Maße“ von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt
79
80
81
82
83
84
gefordert – „in besonderem Maße“ von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt
(unten bb).
aa) Das Gesetz ermächtigt den Antragsgegner zur Festlegung von Mindestmengen für
„planbare Leistungen“. Was unter dem Begriff „planbar“ zu verstehen ist, ergibt sich aus
dem Gesetz nicht unmittelbar. Der Begriff war im Regierungsentwurf zum
Fallpauschalengesetz (BT-Drs. 14/6893, S. 3) nicht enthalten und hat erst im Zuge der
Beratungen im Ausschuss für Gesundheit Aufnahme in die Norm gefunden (BT-Drs.
14/7824, S.6), was zumindest darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber der „Planbarkeit“
eine eigenständige Bedeutung beimessen wollte. Weil der begriff der Planbarkeit der
Leistung Voraussetzung für Mindestmengen in allen Behandlungsbereichen ist, muss er
auch einer abstrakten Bestimmung zugänglich sein und nicht nur einer solchen aus dem
System der Frühgeborenenversorgung heraus. „Planbar“ bedeutet im allgemeinen
sprachlichen Sinne „sich planen lassend“, „berechenbar“ oder „voraussehbar“; gemeint
ist eine Situation des planmäßigen Vorgehens, der vorausschauenden und abwägenden
Steuerung ohne drängende Zeitnot im Gegensatz zur Notfallsituation.
Dementsprechend sind in der Mindestmengenvereinbarung des Antragsgegners etwa
Leistungen enthalten wie Leber- und Nierentransplantation,
Knochenmarktransplantation und Knietotalendoprothesen. All diese Eingriffe sind
chirurgischer Natur und erfolgen geplant, nicht „von jetzt auf gleich“, sondern nach
ausführlicher ärztlicher Beratung und eingehendem Nachdenken seitens des Patienten
über das „Ob“, das „Wie“, das „Wo“ und das „Wann“ des Eingriffs. Die Situation der
Frühgeburt von Säuglingen unter 1.250 Gramm dürfte sich hiervon maßgeblich
unterscheiden, da ihr mit der „zu-früh-Geburt“ etwas Unvorhergesehenes, im Ansatz
nicht Planbares und Notfallähnliches innewohnt (ebenso Bohle, a.a.O., S. 590). Dies liegt
in der Natur der Sache. Der Beginn des Geburtsvorgangs ist bei einer Frühgeburt nicht
planbar, sondern erfolgt unerwünscht und vor allem im Wesentlichen unvorhergesehen.
Lediglich bei etwa 80 Prozent der Frühgeborenen kann der laufende Geburtsvorgang so
weit verlangsamt werden, dass Maßnahmen zur Lungenreifung des Kindes durchgeführt
werden können. Valide Zahlen aber zum Anteil der echten Notfallsituationen an allen
Frühgeburten, zur Steuerungsmöglichkeit der Schwangeren im Moment der sich
abzeichnenden Frühgeburt und darüber hinaus zum Zeitablauf von den ersten
Frühgeburtsanzeichen bis hin zur Frühgeburt selbst sind nicht aktenkundig, vom
Antragsgegner nicht vorgelegt und auch sonst nicht ersichtlich.
Das ausführliche, in eine andere Richtung weisende Vorbringen des Antragsgegners im
Laufe der mündlichen Verhandlung belegt die Planbarkeit nicht. Es verlegt dieses
Merkmal allzu sehr in die Perspektive des Krankenhauses und in den Moment der schon
begonnenen Versorgung der Schwangeren und ihres Kindes. „Planbarkeit“ solle danach
vorliegen, wenn die Schwangere und das frühgeborene Kind nach stationärer Aufnahme
– was selbstverständlich ist – abwägend und zielgerichtet der für sie optimalen
Einrichtung zugeführt werden. Diese Situation ist aber nicht ansatzweise zu vergleichen
mit den sonst in der Mindestmengenvereinbarung geregelten Leistungen, denn sie
zeichnet sich durch etwas Überraschendes und Notfallähnliches aus, weil sie durch die
vorzeitige Geburt geprägt bleibt.
Das Begriffsverständnis des Antragsgegners greift auch deshalb zu kurz, weil mit ihm
letztlich alle Frühgeburten, die sich nicht als akute Notfälle ereignen, der Planbarkeit
unterlägen; es gäbe keinen „Nicht-Notfall“ mehr, der nicht zugleich planbar wäre. Dies
kann aber nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, der das Tatbestandsmerkmal
der Planbarkeit bewusst und nachträglich als zusätzliche Anforderung an die Einführung
von Mindestmengen in den Gesetzestext aufgenommen hat. Nach der Sichtweise des
Antragsgegners wäre dieses Tatbestandsmerkmal dagegen entbehrlich.
Angesichts dessen bleibt fraglich, ob bei derzeitiger Fassung des Gesetzes
Mindestmengen in Zusammenhang mit der Frühgeborenenversorgung überhaupt eine
rechtlich zulässige Maßnahme der Qualitätssicherung sein können. Diese Frage kann im
vorliegenden Eilverfahren jedoch offen bleiben.
(bb) Denn der Senat vermag auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu erkennen,
dass die Qualität des Behandlungsergebnisses bei Frühgeburten unter 1.250 Gramm in
besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängt.
Der Gesetzgeber hat hier nicht nur einen einfachen Zusammenhang von
Leistungsmenge und Behandlungsergebnis verlangt. Dieser dürfte ohnehin nach dem
Motto „Übung macht den Meister“ bei so gut wie jeder Art von ärztlicher Behandlung
bestehen, so dass ohne das Merkmal „in besonderem Maße“ annähernd jede Leistung –
ihre Planbarkeit vorausgesetzt – mit einer Mindestmenge zu versehen wäre. Das
Vorliegen eines einfachen linearen bzw. statistischen Zusammenhangs zwischen
85
86
87
88
89
Vorliegen eines einfachen linearen bzw. statistischen Zusammenhangs zwischen
Leistungsmenge und Leistungsqualität im Bereich der Frühgeborenenversorgung kann
der Senat – jedenfalls im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes – zunächst unterstellen.
Ob für die Versorgung von sehr kleinen Frühgeborenen aufgrund weiterer
wissenschaftlicher Untersuchungen valide Ergebnisse vorliegen, die das Gegenteil
belegen, muss einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es entspricht
der Lebenserfahrung und wird insbesondere im Bericht des IQWiG vorausgesetzt, dass
eine höhere Leistungsmenge die Ergebnisqualität verbessert.
Für eine Abhängigkeit „in besonderem Maße“ sieht der Senat dagegen derzeit keine
verlässlichen Anhaltspunkte. Zu fordern wären hier jedenfalls wissenschaftliche Belege
dafür, dass die nach der gesetzlichen Wertung zugrunde zu legende Vermutung für
einen Zusammenhang von Quantität und Qualität stärker als üblich besteht. Die
Notwendigkeit solcher wissenschaftlicher Belege setzt der Antragsgegner selbst in § 3
Abs. 2 der Mindestmengenvereinbarung voraus. Nicht zu fordern wären aber gerade im
Bereich der Versorgung Frühgeborener wissenschaftliche Nachweise höchsten
Evidenzlevels in Gestalt randomisierter Studien, denn – worüber sich alle Beteiligten und
auch das Gericht einig sind – solche Studien wären ethisch nicht vertretbar (zumindest
auf einem Missverständnis beruht insoweit die Aussage des unparteiischen Vorsitzenden
des Antragsgegners in seiner Pressemitteilung vom 26. Januar 2011, das Gericht fordere
den nicht erbringbaren „evidenzbasierten Beleg eines Schwellenwerts“, vgl. http://www.g-
ba.de/informationen/aktuell/pressemitteilungen/383/).
Hinreichende wissenschaftlichen Belege für eine besonders starke Abhängigkeit der
Ergebnisqualität liegen dem Senat derzeit nicht vor. Im Gegenteil betont das IQWiG in
seinem Bericht, dem der Senat besonderes Gewicht beimisst (vgl. hierzu
Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Mai 2006, B 6 KA 13/05 R [Clopidogrel], zitiert nach
juris, dort Rdnr. 77), aus den Ergebnissen der ausgewerteten Beobachtungsstudien
ließen sich keine kausalen Zusammenhänge ableiten; Aussagen über spezifische
Schwellenwerte hätten keine sichere wissenschaftliche Basis. Konsequent hat das IQWiG
weiter betont, Krankenhausleistungsmengen seien nur als „Surrogatfaktoren“ zu
betrachten. Im vorliegenden Zusammenhang seien für die Leistungsqualität auch viele
andere Faktoren maßgeblich wie geburtshilfliche Bedingungen, Transport von Mutter und
Kind, tägliche mittlere Belegungsrate oder Anzahl erfahrener Geburtshelfer bzw.
Neonatologen und speziell ausgebildeter Pflegekräfte tagsüber, nachts und am
Wochenende. Damit dürfte die Leistungsmenge nach derzeitiger wissenschaftlicher
Erkenntnis im Bereich der Frühgeborenenversorgung nur ein Faktor unter vielen anderen
sein, die maßgeblich für die Leistungsqualität sind. Für die vom Gesetz geforderte
Dominanz der Leistungsmenge in dem multifaktoriellen Geflecht ist nichts ersichtlich.
c) Unabhängig von den Bedenken in Bezug auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale
aus § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V hält der Senat auch für sehr fraglich, ob der
Antragsgegner sein Ermessen als Normgeber in Bezug auf die Gestaltung der
Mindestmenge beanstandungsfrei ausgeübt hat. Während die Tatbestandsmerkmale
vollständiger gerichtlicher Überprüfung unterliegen, ist dem Antragsgegner auf
Rechtsfolgenseite ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (siehe oben D.1.).
Die konkrete Höhe der Mindestmenge von 30 erscheint hier bei überschlägiger Prüfung
beanstandungsfrei. Sofern – wie hier – konkrete Schwellenwerte wissenschaftlich nicht
begründbar sind, öffnet sich dem Antragsgegner ein Entscheidungskorridor, der
jedenfalls unerträglich hohe Mindestmengen ausschließt, die entweder schlechthin nicht
erfüllbar sind oder auf eine erhebliche Ausdünnung bzw. Zentralisierung der Versorgung
in nur sehr wenigen Kliniken und damit auf Unterversorgung in bestimmten Regionen
hinauslaufen. Hiervon kann aber bei einer Mindestmenge von 30 nicht die Rede sein.
Angesichts von etwa 5.300 bis 5.500 Geburten in der Gewichtsklasse unter 1.250
Gramm in Deutschland (vgl. Seeling/Metzinger in Das Krankenhaus 2010, S. 932) liegt
auf der Hand, dass in Zukunft nicht nur sehr wenige, sondern einige dutzend Kliniken in
Deutschland derartige Frühgeborenenversorgung vornehmen dürften. So hat auch der
GKV-Spitzenverband errechnet, dass eine Mindestmenge von 30 mindestens 64 Kliniken
zur Behandlung Frühgeborener der genannten Gewichtsklasse berechtigen würde. Diese
Größenordnung an sich erscheint dem Senat grundsätzlich beanstandungs- und vor
allem willkürfrei, zumal es den Landesplanungsbehörden – wie gezeigt – offen steht, die
Versorgung im Einzelfall über eine Feinsteuerung durch Erteilung von Ausnahmen nach §
137 Abs. 3 Satz 3 SGB V sicherzustellen.
Willkürlich im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG erscheint dem Senat der
angefochtene Beschluss vom 17. Juni 2010 aus einem anderen Grund. Die
Gruppenbildung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm einerseits und ab 1.250 Gramm
andererseits lässt eine sachliche, durch Studienmaterial belegte Grundlage nicht
90
91
92
93
94
95
andererseits lässt eine sachliche, durch Studienmaterial belegte Grundlage nicht
erkennen und basiert allenfalls auf vergütungsrechtlichen Aspekten in Gestalt
unterschiedlicher DRG´s; gleichzeitig werden beide Gruppen nach dem Beschluss vom
17. Juni 2010 ungleich behandelt, obwohl es kein sachliches Differenzierungskriterium
gibt.
Von Beginn seiner Beratungen an verfolgte der Antragsgegner das Ziel der
Qualitätssicherung bei Behandlung der Frühgeborenen mit sehr geringem
Geburtsgewicht. Das Spektrum des sehr geringen Geburtsgewichts (VLBW) beginnt nach
international anerkanntem und nicht bestrittenem Sprachgebrauch bei einem
Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm. Schlüssig war insoweit die seit dem 1. Januar
2010 geltende Mindestmengenregelung, die für die Behandlung von Frühgeborenen
unter 1.500 Gramm grundsätzlich eine Mindestmenge von 14 vorsah, was Geltung
entfaltete sowohl für die Perinatalzentren des Levels 2 als auch für diejenigen des Levels
1. Aus den tragenden Gründen des Beschlusses vom 17. Juni 2010 geht hervor, dass
diese Regelung zu einer unerwünschten Ausdünnung der Level 2-Zentren geführt hat,
weil im engen Gewichtssegment von 1.250 Gramm bis 1.499 Gramm eine
Mindestfallzahl von 14 kaum zu erreichen war. Die vom Antragsgegner gezogene
Schlussfolgerung hält der Senat für doppelt willkürlich: Einerseits wird für einen Teil der
Frühgeborenen mit sehr geringem Geburtsgewicht, die nach der Einschätzung des
Antragsgegners selbst alle in gleicher Weise schützenswert sind und von einer
Qualitätssicherung über Mindestmengen profitieren sollen, die Mindestmenge ganz
fallen gelassen, andererseits wird sie für das Segment des Geburtsgewichts unter 1.250
Gramm mehr als verdoppelt. Diese gegenläufige Reaktionsweise ist in sich
widersprüchlich, trägt Willkür in sich und ist mit dem Zweck der Qualitätssicherung nicht
vereinbar. Ausdrücklich verfolgt der Antragsgegner mit seiner Maßnahme zudem das
Ziel einer „regionalen Netzwerkbildung“; es ist zweifelhaft, ob er damit schon das ihm
obliegende Feld der Qualitätssicherung verlassen und das Terrain der
Krankenhausstrukturpolitik betreten hat, das in der Zuständigkeit der Länderbehörden
liegt.
Aus Sicht des Senats hätte der Antragsgegner daher zwingend überdenken müssen, ob
er grundsätzlich an der Aufteilung der Versorgung Frühgeborener mit sehr geringem
Geburtsgewicht in zwei Gewichtssegmente festhält oder ob eine Differenzierung von
Frühgeborenen in solche mit sehr geringem Geburtsgewicht (unter 1.500 Gramm) und in
solche mit einem extrem geringen Geburtsgewicht (unter 1.000 Gramm) sachgerecht
ist. Eine solche Überprüfung hielte der Senat aus zwei Gründen für erforderlich:
Mindestmengenreglung einerseits und die bisher praktizierte Aufteilung der
Perinatalzentren nach Level 1 und Level 2 andererseits haben sich nicht als kompatibel
erwiesen; auch international gibt es nur eine einheitliche Nomenklatur zu den sehr
kleinen Frühgeborenen, denn der Begriff „VLBW“ erstreckt sich auf das Segment des
Geburtsgewichts zwischen 1.000 Gramm und 1.499 Gramm.
3. Auch einen Anordnungsgrund haben die Antragstellerinnen glaubhaft gemacht. Zur
Vermeidung erheblichen Rechtsverlustes erscheint die sofortige Außervollzugsetzung
der Erhöhung der Mindestmenge dringend geboten.
Nachvollziehbar haben die Antragstellerinnen erhebliche wirtschaftliche Nachteile
geschildert, die drohen, wenn sie umgehend zur Schließung ihrer Perinatalzentren des
Levels 1 gezwungen sind. Diese Nachteile wiegen schwer und sind im Falle eines
späteren Erfolgs in der Hauptsache nur eingeschränkt bzw. verzögert und mit Mühe
rückgängig machbar. Es liegt auf der Hand, dass gewachsene und vorhandene
Versorgungsstrukturen unmittelbar in Bewegung geraten werden, wenn die höhere
Mindestmenge greifen sollte. Es käme zur Zerschlagung funktionierender stationärer
Versorgungseinheiten. Krankenhäuser hätten umzuplanen, Stationen nähmen eine
andere Kategorie der Versorgung an und müssten strukturelle und vor allem auch
personelle Maßnahmen treffen, die nachhaltig wirkten und auch finanzielle Auswirkungen
hätten. Eine sofortige Rückkehr zum Perinatalzentrum des Levels 1 bei einem Erfolg
(erst) in der Hauptsache erscheint ausgeschlossen.
4. Unabhängig von alledem, insbesondere von den konkreten Erfolgsaussichten des
Hauptsacheverfahrens, hätte die einstweilige Anordnung auch auf eine isolierte
Folgenabwägung hin zu ergehen.
Das Vorbringen der Antragstellerinnen zu den möglichen Folgen einer sofortigen Geltung
der erhöhten Mindestmenge (bei späterem Erfolg in der Hauptsache) ist ungleich
intensiver, plausibler und untermauerter als das Vorbringen des Antragsgegners zu den
Folgen einer Außervollzugsetzung der streitigen Regelung (bei späterer Abweisung der
Hauptsacheklage).
96
97
98
99
100
101
Der Antragsgegner meint insoweit, ein auch nur vorübergehendes Hinausschieben der
Mindestmengenregelung sei „nicht hinnehmbar“, es drohten negative Auswirkungen auf
die Versorgungsqualität für Frühgeborene; je höher die Mindestmenge, desto geringer
die Mortalität. Wäre diese Kausalität tatsächlich belegt oder auch nur überwiegend
wahrscheinlich, hätte der Senat im Rahmen einer Folgenabwägung angesichts der
Bedeutung des betroffenen Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes keine andere Wahl als die Aussetzung der
Regelung abzulehnen. Ein solcher Beleg liegt indessen – wie gezeigt – nicht vor. Das
Vorbringen des Antragsgegners erschöpft sich weitgehend in der Behauptung
unerwiesener und wissenschaftlich bestrittener Tatsachen. Der vom Antragsgegner in
seinem letzten Verfahrensschriftsatz entscheidend angeführte Beitrag von Günther
Heller aus dem Krankenhausreport 2008/2009 basiert auf einer Simulation auf der
Grundlage von Abrechnungsdaten nur einer Krankenkasse (AOK) und erreicht damit kein
tragfähiges Gewicht. Zudem erlauben Datensätze von Krankenkassen grundsätzlich
keine für eine wissenschaftliche Analyse zwingend erforderliche Risikoadjustierung, was
das IQWiG in seinem Bericht auch schon in Zusammenhang mit einer weiteren
Publikation von Günther Heller aus dem Jahre 2007 herausgestellt hat, weshalb diese
Studie unberücksichtigt geblieben ist (IQWiG-Bericht Seite 79). Nicht nachvollziehen kann
der Senat schließlich, warum der Antragsgegner in seinem Vorbringen zur
Folgenabwägung einen Beitrag von bestrittenem Wert zitiert und gleichzeitig die selbst in
Auftrag gegebene Untersuchung des IQWiG unerwähnt lässt, die ausdrücklich
hervorgehoben hat, dass „keine sichere wissenschaftliche Basis“ für eine Auswirkung der
Leistungsmengen auf die Behandlungsqualität bestehe.
Der Senat hält fest: Ein Steigen der Mortalität Frühgeborener unter 1.250 Gramm bei
Beibehaltung der derzeitigen Mindestmenge von 14 ist nicht hinreichend belegt.
Gravierende Nachteile für Leib und Leben Frühgeborener bei Fortgeltung der bis Ende
2010 in Kraft befindlichen Mindestmenge von 14 sind nicht glaubhaft gemacht. Eine
ausreichende Evaluation der seit 1. Januar 2010 geltenden Mindestmenge von 14 liegt
nicht einmal in Ansätzen vor.
Auf der anderen Seite stehen die bereits genannten, von den Antragstellerinnen
angeführten unmittelbar drohenden wirtschaftliche Nachteile. Diese gebieten es
geradezu zwingend, die Erhöhung der Mindestmenge vorläufig außer Vollzug zu setzen,
zumal dem Senat für sofortig korrekturbedürftige Missstände bei der derzeit
vorhandenen Versorgung von Frühgeborenen unter 1.250 Gramm in Deutschland nichts
bekannt ist. Auch der Antragsgegner hat insoweit nichts von Belang vorgebracht.
Angesichts der dringenden wirtschaftlichen und planerischen Belange der
Antragstellerinnen erscheint ein Hinausschieben der streitigen Regelung dringend
geboten, zumal ein Erfolg in der Hauptsache nicht nur offen, sondern nach derzeitigem
Erkenntnisstand sogar wahrscheinlich ist.
E.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154
Abs. 1 VwGO.
F.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit
§§ 52 Abs. 1 und Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat hat davon
abgesehen, die konkreten wirtschaftlichen Nachteile zu ermitteln, die den
Antragstellerinnen jeweils durch die Heraufsetzung der Mindestmenge von 14 auf 30
drohen. Diese Nachteile, seien es Umsatz- oder Gewinneinbußen, dürften auch schwer
zu prognostizieren sein. Der Senat hat daher unter Berücksichtigung der erheblichen
Bedeutung der Sache von seinem in § 52 Abs. 1 GKG vorgesehenen Ermessen
Gebrauch gemacht und den Auffangwert aus § 52 Abs. 2 GKG mit sechzehn multipliziert,
denn dies entspricht der Differenz von alter und neuer Mindestmenge. Für den
Hauptsachestreit eines Krankenhauses ergäbe sich daraus ein Streitwert von 80.000
Euro, der für das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist. Der Wert von
40.000 Euro ist vorliegend angesichts der Anzahl der Antragstellerinnen mit 16 zu
multiplizieren, woraus sich der Wert von 640.000 Euro ergibt.
G.
Dieser Beschuss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden, § 177 SGG.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum