Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.03.2011

LSG Berlin-Brandenburg: medizinische rehabilitation, krankenversicherung, krankengymnastik, krankenkasse, gonarthrose, zustand, behandlung, wartezeit, heilmittel, wiederherstellung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 1.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 1 KR 368/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 40 Abs 1 SGB 5
Krankenversicherung - ambulante Rehabilitationsleistungen -
Maßnahmen der Intensivierten Rehabilitationsnachsorge
Leitsatz
Ambulante Reha-Leistungen im Sinne des § 40 Abs. 1 SGB V können auch Maßnahmen der
Intensivierten Reha-Nachsorge (IRENA) sein.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird 493,- Euro festgesetzt
Tatbestand
Im Streit ist die Erstattung von Reha-Leistungen, welche das Z im Auftrag der Klägerin
für die bei der Beklagten krankenversicherte P K (Versicherte) erbracht hat. Auf die
Rechnung vom 30. August 2005 wird verwiesen (VV Klägerin Blatt 59).
Die Versicherte stellte, nachdem sie sich am 20. Mai 2005 einer Gonarthrose-OP am
Knie unterzogen hatte, bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation in Form einer Anschlussheilbehandlung (AHB). Die Beklagte hielt sich für
unzuständig und gab den Antrag am 2. Juni 2005 an die Klägerin ab. Diese bewilligte als
zweitangegangener Leistungsträger sowohl die AHB als auch als Maßnahmen der
Intensivierten Reha-Nachsorge (IRENA), die hier streitgegenständlich sind.
Die Versicherte hielt sich zunächst zur AHB drei Wochen im Reha-Klinikum H B auf,
anschließend fand die ambulante Reha-Therapie durch das Z statt. Im ärztlichen
Entlassungsbericht der Klinik sind die Diagnosen sonstige primäre Gonarthrose, Varizen
der unteren Extremitäten ohne Ulceration oder Entzündung, Arthrose, Hypothyreose
und Glaukom aufgeführt. Vorgeschlagen wird „HYP, IRENA-Einleitung, Nutzung 2 UA-
Gest. 12 W. p.o. im Freien, Tragen der K-Strümpfe bis 8 W. p. o., Becken- und Rö-
Kontrolle 12. W. p. o, Laborkontrolle.
Die Ärztin des Z Dr. K stellte im Abschlussbericht (Reha-Nachsorge-Dokumentation
ebenfalls die Diagnose eines arthromuskulären Defizits bei Zustand Knie-TEP links
(zementiert) wegen Gonarthrose-OP. Ausweislich des Berichtes der Zustand nach
Durchführung der Maßnahmen etwas besser.
Mit Schreiben vom 19. September 2005 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten
einen im Einzelnen spezifizierten Erstattungsanspruch geltend. Diese lehnte die
Erstattung der 493,- Euro IRENA-Kosten ab. In der Folgezeit holte sie eine
Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-
Brandenburg e. V. (MDK) ein. Für diesen teilte Dr. med. B unter dem 20. Dezember 2005
mit, dass vor Antritt der AHB hier nicht absehbar gewesen sei, dass die Erwerbsfähigkeit
der Versicherten erheblich gefährdet oder gemindert gewesen sei.
Mit der am 14. Juli 2006 vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die
Klägerin ihr Erstattungsbegehren weiterverfolgt, beschränkt auf die Aufwendung für die
IRENA-Leistungen. Maßgeblich für den Umfang des Erstattungsanspruches nach § 14
Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) seien die für den zweitangegangenen
Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Die Klägerin habe die
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Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Die Klägerin habe die
Nachsorgeleistungen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation nach § 15
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erbracht. Die Beklagte hat vorgebracht, ein
Erstattungsanspruch für IRENA-Leistungen bestehe nicht, da solche im Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten seien.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 30. Juli 2008 stattgegeben. Es hat die Berufung
wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Der Klägerin als
zweitangegangenem Träger stünde - entgegen der Auffassung des SG - ein
Erstattungsanspruch nur zu, wenn die Versicherte selbst dies von ihrer Krankenkasse
hätte beanspruchen können. Ein solcher Anspruch aus §§ 27 und 40 Sozialgesetzbuch 5.
Buch (SGB V) bestehe jedoch nicht, weil es sich bei der IRENA-Behandlung ausschließlich
um ein Modellprojekt der Klägerin handele. Nach § 40 Abs. 2 SGB V seien von der
Krankenversicherung zu erbringende Reha-Leistungen nur solche unter ständiger
ärztlicher Verantwortung. Dass die IRENA-Behandlung unter den Leistungskatalog der
Vorschriften des SGB IX falle, sei für die gesetzliche Krankenversicherung unmaßgeblich.
Medizinische Rehabilitation nach Maßgabe des SGB V diene der möglichst weitgehenden
Wiederherstellung der Gesundheit einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges,
um ein selbständiges Leben führen und den Anforderungen des Alltages meistern zu
können. Eine darüber hinaus gehende Rehabilitation bleibe Aufgabe anderer
Sozialleistungssysteme (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06
R). Es müsse um mehr gehen als die Ziele der „Rahmenkonzeption intensivierte
Rehabilitations-Nachsorge“ vom 17. Oktober 2006 vorgäben. Insbesondere sei auf den
Punkt 2.1 (indikationsübergreifende patientenbezogene Kriterien) dieser Konzeption
hinzuweisen, wonach in der IRENA-Nachsorge unter anderem „Lebensstiländerungen
stabilisiert“ werden sollten bzw. ein „längerfristiger Bedarf an strukturierter
Unterstützung bei arbeitsbezogenen Problemen“ geleistet werden solle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 2008 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
IRENA-Leistungen seien sehr wohl Leistungen, welche zum Katalog der GKV-Leistungen
der Klägerin gehörten, soweit es darum gehe, den Reha-Erfolg zu sichern oder bereits
erreichte Rehabilitationsergebnisse zu festigen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug
genommen. Die Verwaltungsvorgänge der Klägerin und der Beklagten lagen vor.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden. Die
Beteiligten sind auf diese Vorgehensweise und deren Voraussetzungen im
Erörterungstermin vom 20. Dezember 2010 hingewiesen worden.
Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der
streitgegenständlichen 493,- Euro gegen die Beklagte aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX
i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB V.
Der Senat verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil
zur Anspruchsgrundlage § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Der Beklagte ist zwar zuzustimmen, dass sie der Klägerin nur zur Erstattung verpflichtet
ist, wenn die Versicherte ihr gegenüber selbst einen Anspruch auf die ambulanten
Rehabilitationsleistungen als Sachleistungen gehabt hätte. Diese Voraussetzung ist
jedoch erfüllt:
Reicht bei Versicherten ambulante Krankenbehandlung nicht aus, um die in § 11 Abs. 2
SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen (Abwendung, Beseitigung, Minderung,
Ausgleich, Verhinderung einer Verschlimmerung oder Beseitigung der Folgen einer
Behinderung oder Pflegebedürftigkeit), kann der Träger der GKV aus medizinischen
Gründen erforderliche ambulante Reha-Leistungen in wohnortnahen Einrichtungen
erbringen, § 40 Abs. 1 SGB V (BSG, U. v. 14.02.2010 - B 1 KR 23/09 R - juris, Rdnr. 23).
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erbringen, § 40 Abs. 1 SGB V (BSG, U. v. 14.02.2010 - B 1 KR 23/09 R - juris, Rdnr. 23).
Allerdings werden Reha-Leistungen durch die Krankenkasse nach § 40 Abs. 1 und 2 SGB
V nur erbracht, wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden
Vorschriften mit Ausnahme des § 31 SGB VI solche Leistungen nicht erbracht werden
können (§ 40 Abs. 4 SGB V).
§ 40 Abs. 4 SGB V hat hier einem Anspruch der Versicherten gegen die Krankenkasse
nicht entgegengestanden.
Vorliegend musste die Klägerin nicht selbst Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
nach § 15 SGB VI erbringen. Dies hätte vorausgesetzt, dass die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 11 SGB VI) erfüllt gewesen wären. Die
Versicherte hätte in den letzten 2 Jahren vor der Antragstellung 6 Kalendermonate mit
Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben müssen (§ 11
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) oder vermindert erwerbsfähig sein müssen oder dies in
absehbarer Zeit erwartbar sein müssen sowie die allgemeine Wartezeit (60
Kalendermonate Versicherungszeiten) erfüllt haben müssen. Die Versicherte hat weder
die Wartezeit von 60 Kalendermonaten (15 Jahre), noch die weiteren Voraussetzungen
erfüllt.
Nach § 40 Abs. 1 SGB V dürfen Rehabilitationsleistungen in Rehabilitationseinrichtungen
nur geleistet werden, wenn durch die normale ambulante Krankenbehandlung die Ziele
des § 11 Abs. 2 SGB V nicht erreicht werden können. Auch nach Inkrafttreten des SGB IX
besteht die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung allein in der medizinischen
Rehabilitation nach Maßgabe des SGB V, also der möglichst weitgehenden
Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung
des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen
des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale
Rehabilitation bleibt Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme (BSG, U. v. 26.06.2007 –B
1 KR 36/06 R, Rdnr. 17).
Auch dieses Erfordernis ist hier erfüllt. Die Behandlung durch das Z diente nicht der
beruflichen Wiedereingliederung oder der sozialen Integration der Versicherten.
Die Reha-Maßnahmen waren hier erforderlich, um die noch bestehende Behinderung zu
beseitigen bzw. jedenfalls zu mindern, indem die Kniefunktion bzw. allgemein die
Beweglichkeit gefördert werden sollte. Die Notwendigkeit der Reha-Maßnahmen ergibt
sich aus den ärztlichen Stellungnahmen, welche auch die fachkundige Beklagte trotz
Hinweis des Senats nicht angegriffen hat und an deren Richtigkeit deshalb zu zweifeln
kein Anlass besteht.
Aus dem Ärztlichen Entlassungsbericht des R vom 14. Juli 2005 ergibt sich, das sich die
deutliche Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk zwar während der AHB etwas
vermindert und sich das Gehen an Unterarmstützen und die Fähigkeit zum
Treppensteigen während der AHB verbessert hätten. Allerdings war die Fortführung der
Reha-Maßnahmen zur Verbesserung der Kniebeweglichkeit, der Fähigkeit zum
Treppensteigen und zur „Entwöhnung“ der Verwendung von Unterarmstützen geboten.
Auch nach Abschluss der orthopädischen IRENA hatte sich der Zustand nach den
ärztlichen Feststellungen der Dr. K im Abschlussbericht nur etwas verbessert.
Die hier durchgeführten Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation (Krankengymnastik,
Sequenztraining) sind vom Leistungsumfang der GKV umfasst (anders als die erweiterte
ambulanten Physiotherapie EAP, vgl. BSG, U. v. 17.02.2010- B 1 KR 23/09 R).
Sowohl die allgemeine Krankengymnastik als auch die gerätegestützte
Krankengymnastik mit Sequenztrainingsgeräten sind gebräuchliche Heilmittel des
Heilmittelkataloges (vgl. 17.A 2.3 Heilmittel-Richtlinien sowie 17.A mit dem Unterpunkt
17.A.2.4 Gerätegestützte Krankengymnastik KG-Gerät, speziell u. a. mit
Sequenztrainingsgeräten für die unteren Extremitäten).
Im Vordergrund der Maßnahme haben also gerade keine Ziele gestanden, welche der
beruflichen oder sozialen Integration der Versicherten dienten. Dass zur IRENA auch
solche gehören können – vgl. die vom Beklagten zitierte Nr. 2.1-, ändert den Charakter
der hier angewendeten orthopädischen Maßnahmen als Reha-Maßnahmen nach § 40
SGB V nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
31 Der Beschluss über den Streitwert - der unanfechtbar ist - folgt aus §§ 63 Abs. 2, 52 Abs.
3 Gerichtskostengesetz.
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