Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.05.2005

LSG Berlin-Brandenburg: behinderung, befund, mrt, facharzt, marke, perimeter, rückwirkung, diagnose, verwaltungsakt, bluthochdruck

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 11 SB 31/05-26
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 44 Abs 2 SGB 10, § 6 Abs 1
SchwbAwV, § 69 SGB 9
Rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. Mai 2005
wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 bereits ab November
2000 zuzuerkennen ist.
Der 1943 geborene Kläger, der seit 01. Oktober 2003 Altersrente bezieht, stellte am 29.
Dezember 2000 einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz und gab an, wegen
Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, rheumatischen Beschwerden in allen
Großgelenken, einem Sehnenriss im rechten und linken Schultergelenk sowie
Beschwerden im linken Hüft- und Kniegelenk im Alltag dauernd und erheblich
beeinträchtigt zu sein.
Zur Ermittlung des Sachverhalts zog der Beklagte den Heilverfahrensentlassungsbericht
des Rehabilitations-Zentrums der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bad S
vom 04. Dezember 2000 und eine ärztliche Auskunft des Praktischen Arztes Dr. B vom
24. Januar 2001 bei, der Entlassungsberichte der C, Campus B-B, vom 27. April und 06.
Juli 2000 über stationäre Aufenthalte wegen Tachycardien beigefügt waren.
Nach Auswertung der Unterlagen durch die Versorgungsärztin Dr. B stellte der Beklagte
mit bindendem Bescheid vom 07. Mai 2001 einen GdB von 30 wegen folgender
Behinderungen fest:
1. Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Herzmuskelentzündung
2. Funktionseinschränkung linkes Schultergelenk
Außerdem lehnte er die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ ab.
Die Behinderung zu 1. wurde intern mit einem Einzel-GdB von 30 und die Behinderung
zu 2. mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet.
Am 17. Januar 2003 stellte der Kläger einen Änderungsantrag nach dem
Sozialgesetzbuch IX (SGB IX), weil sich seine körperliche und seelische Belastbarkeit
weiter verringert habe. Seit 2000 bestünden lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen,
es habe sich ein Gehirntumor mit Ödem gebildet, dadurch bestünden erhebliche
Gesichtsfeldausfälle auf beiden Augen. Dem Antrag beigefügt waren ein Bericht der
Augenärztin Dr. F vom 13. Januar 2003, bei der der Kläger sich am 27. Juli 2002 erstmalig
vorgestellt hatte, sowie ein Bericht der Klinik für Neurochirurgie des C-T Klinikums C vom
08. Januar 2001 mit der Diagnose des Verdachts eines Meningeoms rechts-okzipital
parasagittal und der Bericht eines MRT des Neurocraniums vom 14. Oktober 2002.
Auf Veranlassung des Beklagten erstatteten Dr. B am 29. Januar 2003 und der Facharzt
für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten Dr. R am 30. Januar 2003 ärztliche Auskünfte, denen
eine Vielzahl medizinischer Berichte beifügt waren. Die Versorgungsärztin Dr. B wertete
auch diese Unterlagen aus und empfahl die Zuerkennung eines GdB von nunmehr 50.
Als neue Behinderung habe sich auf Grund des Berichts der Augenärztin Dr. F eine
Gesichtsfeldeinengung ergeben, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu diesem Zeitpunkt
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Gesichtsfeldeinengung ergeben, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu diesem Zeitpunkt
zu bewerten sei.
Dem Vorschlag der Versorgungsärztin folgend erkannte der Beklagte mit Bescheid vom
18. Februar 2003 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) einen GdB von 50 ab
Antragstellung an.
Am 25. Februar 2003 beantragte der Kläger die rückwirkende Anerkennung eines GdB
von 50 für die Zeit vor dem 16. November 2000. Wie sich aus den medizinischen
Unterlagen ergebe, bestehe bei ihm das Meningeom mit angrenzendem Ödem bereits
seit 1994. Resultierend daraus sei bereits 1994 ein Gesichtsfeldverlust von 70 % auf
dem rechten Auge festgestellt worden.
Der Beklagte holte daraufhin eine ärztliche Auskunft des Nervenarztes Dr. W vom 06.
März 2003 ein, der die Diagnose eines rechts-okzipital gelegenen Meningeoms
bestätigte und bis auf die Visusminderung bzw. die Gesichtsfeldstörung einen
unauffälligen neurologischen und psychopathologischen Befund mitteilte. Außerdem zog
der Beklagte die Patientenunterlagen des Klägers seit 1994 von der Augenärztin Dr. D
bei.
Mit Bescheid vom 23. April 2003 erkannte der Beklagte einen GdB von 50 bereits ab
dem 01. Juli 2002 an, dem Zeitpunkt der erstmaligen Vorstellung bei der Augenärztin Dr.
F. Dagegen legte der Kläger erneut Widerspruch ein, mit dem er seine Auffassung, die
Schwerbehinderteneigenschaft habe bereits vor dem 16. November 2000 vorgelegen,
bekräftigte. Er legte den Bericht von MRT-Untersuchungen des Schädels am 24. Oktober
und 14. Dezember 1994 vor.
Der Beklagte veranlasste daraufhin ein Gutachten nach Aktenlage durch Dr. G,
Chefärztin der Augenklinik des C-T Klinikums C, vom 04. Juli 2003. Die Gutachterin führte
aus, eine rückwirkende Begutachtung sei nicht möglich, da zwischen der
Gesichtsfeldbestimmung von 1994 und der von 2002 gravierende Unterschiede
bestünden, die nicht durch einen kontinuierlichen Krankheitsverlauf begründbar seien.
Schubweise Verläufe der Gesichtsfeldausfälle seien bei den vorhandenen Kreislauf- und
Herzproblemen wahrscheinlich. Die Ausfälle am rechten Auge seien zwar
ophthamologisch auf Grund der „Optikusatrophie“ wahrscheinlich, unterlägen aber im
Laufe der Jahre einem wesentlichen qualitativen Wandel, der nur durch häufige
Gesichtsfelduntersuchungen nachvollziehbar sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2003 wies der Beklagte den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 23. April 2003 zurück, da aus den beigezogenen
medizinischen Unterlagen für die Zeit vor dem 16. Oktober [gemeint wohl November]
2000 kein GdB von mindestens 50 festgestellt werden könne. Dies werde durch das
Gutachten von Dr. G bestätigt. In diesem werde auch angeführt, insbesondere der
Befund vom 08. Januar 2003 zeige, dass das bei dem Kläger diagnostizierte Meningeom
keinen linearen Verlauf im Wachstum habe, so dass eine Schlussfolgerung auf daraus
resultierende Gesichtsfeldausfälle in früheren Jahren nicht möglich sei.
Mit der dagegen bei dem Sozialgericht Cottbus erhobenen Klage hat der Kläger sein
Ziel, die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft spätestens zum 16.
November 2000 zu erreichen, weiterverfolgt.
Das Sozialgericht hat zu Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte der den Kläger
behandelnden Ärzte, der Internistin und Kardiologin Dipl. med. G vom 16. Januar 2004,
des Nervenarztes Dr. W vom 19. Januar 2004, des Praktischen Arztes Dr. B vom 27.
Januar 2004, des Chirurgen Dipl. med. H vom 27. Februar 2004 und der Augenärztin Dr.
F vom 10. Juni 2004, eingeholt.
Dazu hat der Beklagte Stellungnahmen des Versorgungsarztes Dr. G-L vom 05. April
2004 und 30. Juni 2004 sowie des Versorgungsarztes Dr. J vom 02. August 2004
vorgelegt.
Im Anschluss daran hat das Sozialgericht ein Gutachten von Dr. P, Chefarzt der Klinik für
Augenheilkunde des Klinikums F GmbH veranlasst, das dieser am 16. Dezember 2004
erstattet hat und in dem er zu dem Ergebnis gekommen ist, bei dem Kläger bestünden
rechts mehr als links eingeschränkte Gesichtsfeldaußengrenzen mit parazentralem
Gesichtsfelddefekt links, eine Sehschärfenreduktion rechts im Fernbereich, eine
ausgeprägte Atrophie im Bereich der Sehnervenpapille beidseits sowie eine Störung des
Farbsehens rechts. Dieser auf Grund seiner gutachterlichen Untersuchungen erhobene
Befund sei mit einem GdB von 35 zu bewerten. Eine rückwirkende Beurteilung des GdB
sei auch nach mehrmaliger Durchsicht aller vorliegenden Befunde nicht möglich.
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Durch Urteil vom 10. Mai 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Kläger vor
dem 01. Juli 2002 Behinderungen gehabt habe, die mit einem GdB von 50 zu bewerten
gewesen seien. Es sei insbesondere nicht feststellbar, dass zu diesem Zeitpunkt
Gesichtsfeldausfälle vorgelegen hätten, die schon damals die Anhebung des Gesamt-
GdB auf 50 gerechtfertigt hätten. Der Beklagte habe den bindend gewordenen Bescheid
vom 07. Mai 2001, der einen GdB von 30 festgestellt habe, gemäß § 44 Abs. 2 SGB X
überprüft. Die Prüfung habe ergeben, dass der bestandskräftig gewordene Bescheid
nicht rechtswidrig gewesen sei. Dies ergebe sich aus den schlüssigen und
überzeugenden Gutachten von Dr. G und Dr. P, die die zahlreichen in der Akte
vorhandenen Vorbefunde berücksichtigt hätten. Dr. P habe zudem den Kläger auch
persönlich untersucht. Beide Gutachten seien jedoch übereinstimmend zu dem Ergebnis
gekommen, dass eine rückwirkende Einschätzung der im Jahr 2000 vorliegenden
Gesichtsfeldausfälle auf der Grundlage der vorhandenen Befunde nicht möglich sei. Die
durch Dr. B im Jahr 1994 durchgeführte Gesichtsfelduntersuchung entspreche nicht den
durch die Anhaltspunkte vorgegebenen Untersuchungsmethoden. Selbst wenn man
zugunsten des Klägers die Ergebnisse der Gesichtsfelduntersuchung vom 22. Juni 1994
verwende, könne aus diesen Ergebnissen nicht auf einen GdB geschlossen werden. Der
Gutachter Dr. P sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gesichtsfelduntersuchung
eine hauptsächlich einseitige Einengung der normalen Gesichtsfeldaußengrenze auf
durchschnittlich 30 % am rechten Auge belege. Diese Einschränkung des rechten Auges
sei durch das linke Auge im Wesentlichen noch kompensiert worden. Es liege insoweit
keine Einengung auf 10 % des Zentrums vor, die mit einem GdB von 10 zu bewerten
wäre. Der GdB für die auf der Grundlage der Gesichtsfelduntersuchung vom Juni 1994
festgestellten Gesichtsfeldausfälle betrage nach den Vorgaben der Anhaltspunkte 0. Die
Gutachterin Dr. G habe außerdem festgestellt, dass aus der Entwicklung des Tumors
nicht auf den Verlauf der Gesichtsfeldausfälle geschlossen werden könne. Dies
überzeuge insbesondere auch deshalb, weil die Auswirkung des 1994 nicht erkannten
Tumors nicht mehr und in regelmäßigen Abständen untersucht worden sei. Es erscheine
schlüssig, dass allein auf der Grundlage der Ergebnisse der bildgebenden Verfahren ein
Zusammenhang zwischen Tumorentwicklung und Auswirkung auf das Sehvermögen
nicht getroffen werden könne. Es gebe keine weiteren Indizien dafür, dass die heute
bestehenden Gesichtsfeldausfälle bereits im Jahr 2000 vorgelegen hätten. Eine
Erhöhung des Gesamt-GdB ab dem 16. November 2000 sei daher nicht möglich.
Am 08. Juni 2005 hat der Kläger Berufung gegen das ihm am 30. Juni 2005 zugestellte
Urteil eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. Mai 2005 aufzuheben und den
Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23. April 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2003 zu verpflichten, seinen Antrag vom 25.
Februar 2003 auf Feststellung eines Grades der Behinderung von 50 bereits ab 16.
November 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden
und den Bescheid vom 07. Mai 2001 insoweit zurückzunehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat der Senat weitere Befundberichte eingeholt, die am
09. September 2005 von dem Facharzt für Diagnostische Radiologie Dr. B, am 12.
September 2005 von dem Internisten Dipl. med. K, am 24. September 2005 von der
Augenärztin Dr. F und am 02. November 2005 von dem Praktischen Arzt Dr. B erstattet
worden sind.
Dazu hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Versorgungsarztes
Dr. J vom 09. Dezember 2005 vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Kläger
hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf
Neubescheidung seines Antrags Feststellung eines GdB von 50 bereits ab 16. November
2000.
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Die von dem Kläger mit Antrag vom 25. Februar 2003 begehrte Feststellung eines GdB
von 50 ab 16. November 2000 setzt die Überprüfung des bindend gewordenen
Bescheides vom 07. Mai 2001 voraus, denn der Beklagte hat auf den Antrag des Klägers
vom 19. Dezember 2000 hin den bestandskräftigen Bescheid vom 07. Mai 2001
erlassen, mit dem ein GdB von 30 festgestellt worden ist. Dabei handelt es sich um
einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, in dessen Regelungsgehalt nur unter den
Voraussetzung der §§ 44 ff. SGB X eingegriffen werden kann. § 44 Abs. 2 SGB X ist die
hier allein in Betracht kommende Rechtsgrundlage, die dem Begehren des Klägers
Rechnung trägt, denn der Kläger hat, wenn auch nicht ausdrücklich, mit seinem Antrag
vom 25. Februar 2003 zum Ausdruck gebracht, dass der Bescheid vom 07. Mai 2001
wegen eines zu niedrigen GdB rechtswidrig ist.
Bei sachgerechter Auslegung hat der Beklagte mit Bescheid vom 23. April 2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2003 auch eine Entscheidung
nach § 44 Abs. 2 SGB X getroffen. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass der Beklagte in
dem angefochtenen Bescheid auf den Antrag vom 25. Februar 2003 auf rückwirkende
Feststellung eines höheren GdB Bezug genommen hat, sondern auch daraus, dass der
Beklagte tatsächlich eine rückwirkende Entscheidung zum 01. Juli 2002 getroffen und im
Übrigen ausgeführt hat, ein GdB von 50 könne für die Zeit vor dem 16. Oktober 2000
nicht festgestellt werden.
Diese Entscheidung des Beklagten ist rechtmäßig, denn die Voraussetzungen des § 44
Abs. 2 SGB X liegen nicht vor. Danach ist ein rechtswidriger nicht begünstigender
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit
Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit
zurückgenommen werden.
Der Bescheid vom 07. Mai 2001 war nicht zurückzunehmen, weil der Beklagte zu Recht
bei dem Kläger keinen GdB von 50 bereits zum 16. November 2000 festgestellt hatte.
Der Senat ist nach Auswertung aller medizinischen Unterlagen und Gutachten zu der
Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger zu diesem Zeitpunkt zwar Behinderungen
vorgelegen haben, die durch sie bedingten Funktionsstörungen jedoch nicht so
schwerwiegend waren, dass sie die Feststellung eines GdB von 50 rechtfertigten. Denn
ein GdB von 50 kann beispielsweise nur angenommen werden, wenn die
Gesamtauswirkungen der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen so erheblich sind
wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beins ab Unterschenkel, bei einer
vollständigen Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislauf-Schäden
oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit nachgewiesener
Leistungsbeeinträchtigung bei bereits leichter Belastung (AHP 1996/2004/2005 Nr. 19
(2)).
Bei der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft trifft der Beklagte eine
Statusentscheidung, die generell nur für die Zukunft wirkt. Das beruht nicht in erster
Linie darauf, dass über die erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen für die
Vergangenheit nur schwer Feststellungen zu treffen sind. Dem wird schon dadurch
Rechnung getragen, dass ein Antragsteller in jedem Fall das Risiko trägt, dass eine
ausreichende Sachaufklärung zu seinen Gunsten nicht mehr möglich ist. Zu
berücksichtigen ist vielmehr auch, dass die Rechtsstellung als schwerbehinderter
Mensch mit einem bestimmten GdB sich häufig nur in der Zukunft auf die Gestaltung
verschiedener Rechtsverhältnisse auswirken kann, z.B. im einen Arbeitsrechtsverhältnis.
Im Interesse des schwerbehinderten Menschen, durch die Dauer des
Verwaltungsverfahrens nicht unzumutbar benachteiligt zu werden, ordnet jedoch § 6
Abs. 1 S. 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) an, dass die Feststellung
des GdB nicht erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidung hierüber, sondern ab dem
Zeitpunkt der Antragstellung gilt. Dass ist im Fall des Klägers der Antrag vom 29.
Dezember 2000. Eine weitere Rückwirkung eines solchen Antrags ist nach Maßgabe des
§ 6 Abs. 1 S. 2 SchwbAwV vorgesehen; sie ist allerdings auf offenkundige Fälle zu
beschränken (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr. 3; Urteil des Bayerischen LSG vom 24. Oktober
2006, Aktenzeichen L 18 SB 18/04).
Der Offenkundigkeit der behaupteten Tatsache, bereits seit 16. November 2000 wegen
Gesichtsfeldausfällen schwerbehindert zu sein, steht bereits entgegen, dass keine
medizinischen Unterlagen aus diesem Zeitraum vorliegen, mit denen der Nachweis
geführt werden könnte. Die vorliegenden Berichte und augenärztlichen Auskünfte aus
1994 und ab 2002 können allein dazu dienen, Rückschlüsse auf den behaupteten Eintritt
der Schwerbehinderung zu ziehen. Ob diese Verfahrensweise dazu dienen kann,
offenkundige Tatsachen festzustellen, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung der Frage
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offenkundige Tatsachen festzustellen, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung der Frage
kann jedoch dahinstehen, da die von dem Sozialgericht durchgeführten Ermittlungen
den von dem Kläger zu führenden Nachweis nicht erbracht haben.
Der gerichtliche Sachverständige Dr. P hat in seinem Gutachten vom 16. Dezember
2004 nach sorgfältiger Auswertung aller beigezogenen medizinischen Unterlagen
festgestellt, dass mangels vorliegender augenärztlicher Befunde eine Aussage darüber,
wie weit die Gesichtsfeldeinschränkungen im November 2000 fortgeschritten waren,
nicht getroffen werden kann. Der Sachverständige hat auf die Problematik hingewiesen,
dass die Gesichtsfelduntersuchungen, die am 22. Juni 1994 und 21. Oktober 2002
durchgeführt wurden, nicht mit dem Perimeter der Marke Goldmann III /IV, wie in den
Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und
nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 - AHP 1996 - bzw. den Anhaltspunkten für die
ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) - AHP Nr. 26.4 - gefordert, durchgeführt worden
seien. Er erklärt dies damit, dass die Untersuchungen bei dem Kläger vornehmlich einer
medizinischen Fragestellung dienten. In diesem Fall ist die automatische Perimetrie die
am häufigsten verwendete Methode. Für die gutachterlichen Untersuchungen könne
jedoch auf ein solches Gerät nicht zurückgegriffen werden. Die Ergebnisse der
kinetischen und der statisch-automatischen Gesichtsfelduntersuchungen seien zwar
nicht miteinander vergleichbar, ergänzten sich aber. Aus der Gesichtsfelduntersuchung
von 1994 ergebe sich links ein normaler Befund und rechts eine Einengung auf 30°. Dies
entspreche nach den AHP Nr. 26.4 einem GdB von 0. Diese Untersuchung könne bei der
Einschätzung des GdB berücksichtigt werden, da die Untersuchung am Tübinger
Perimeter, wie er am 22. September 1994 verwendet worden sei, auch die
Außenbereiche des Gesichtsfeldes erfasse und es sich hauptsächlich um absolute
Ausfälle handele. Die Gesichtsfelduntersuchung vom 21. Oktober 2002 erfasste jedoch
nur das zentrale 30°-Gesichtsfeld und sei für eine Begutachtung ungeeignet. Man könne
nur im Vergleich mit dem Gesichtsfeld des rechten Auges vom 22. September 1994
vermuten, dass der Gesichtsfeldausfall im zentralen Bereich zugenommen habe. Da
aber keinerlei Gesichtsfeldmessungen während des Zwischenzeitraums durchgeführt
worden seien, könne eine Aussage über die GdB-Bewertung nicht erfolgen. Alle
augenärztlichen Befunderhebungen hätten ausschließlich und zielgerichtet der
Beantwortung spezieller Fragestellungen zu Tumornebenwirkungen, Kontraindikationen
für den Einsatz eines Herzmedikaments und cerebralen Durchblutungsstörungen
gedient. Die Begutachtung am 13. November 2004 durch ihn habe eine
Gesichtsfeldeinengung rechts auf durchschnittlich 22,5° und links auf durchschnittlich
35° ergeben. Dies entspreche einer allseitigen doppelseitigen Einengung auf 27,5° und
werde nach den AHP Nr. 26.4 mit einem GdB von 35 bewertet. Rückschlüsse auf die Zeit
im November 2000 ließen sich daraus allerdings nicht ziehen.
Der Senat hat keine Bedenken, den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen zu
folgen. Diese stehen in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Feststellungen der im
Verwaltungsverfahren tätig gewordenen Augenärztin Dr. Greiner in ihrem nach
Aktenlage erstellten Gutachten vom 04. Juli 2003.
Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in seinem Fall die AHP 1983,
die in Nr. 26.4 noch nicht die Verwertung der manuell-kinetischen Perimetrie
entsprechend der Marke Goldmann III/4 anordnen, anzuwenden sind. Denn es geht hier
um die Beurteilung eines Sachverhalts aus dem Jahr 2000, für den die AHP 1983 keine
Gültigkeit mehr haben. Dass bei dem Kläger nicht zeitnah die erforderlichen
augenärztlichen Untersuchungen durchgeführt worden sind, fällt in seinen Risikobereich.
Die nur begrenzte Rückwirkung der Feststellungen, wie sie in § 6 Abs. 1 SchwbAwV
angeordnet ist, trägt den Schwierigkeiten der Ermittlung medizinischer Sachverhalte, die
in der Vergangenheit liegen, Rechnung.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für diem Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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