Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.05.2005

LSG Berlin-Brandenburg: befristete rente, fristlose kündigung, sozialhilfe, wohnung, tourist, entstehung, bedürfnis, anschluss, hauptsache, link

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 14 B 57/05 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 43 Abs 1 S 2 SGB 1, § 22 Abs
5 SGB 2, § 34 Abs 1 SGB 12
Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur vorläufigen
Leistung - Mietschulden
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
24. Mai 2005 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an die
Antragsteller zu 1) und 2) den Betrag in Höhe von 787,47 € zu zahlen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern zu 1) und 2) die ihnen entstandenen Kosten
des Verfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Antragsteller begehren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für Arbeitsuchende im Wege einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1953 geborene Antragstellerin zu 1) bezieht seit dem 1. April 2004 eine (bis
Dezember 2005 befristete) Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von derzeit
625,20 € (netto). Daneben gewährte ihr das Land B.(Sozialamt des Bezirksamts S. von
B.) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB
XII) in Höhe von 352,59 € monatlich; dieser Betrag wurde unmittelbar an die Vermieterin
der Antragstellerin zu 1) zur – teilweisen – Deckung der Kosten für Unterkunft und
Heizung ausgezahlt.
Der 1964 geborene Antragsteller zu 2) ist bolivianischer Staatsangehöriger; er reiste zu
einem nicht näher geklärten Zeitpunkt als Tourist ein. Seit dem 22. Februar 2005 ist er
bei der Antragstellerin zu 1) („polizeilich") gemeldet. Am 3. März 2005 haben die beiden
Antragsteller geheiratet. Die Ausländerbehörde B. erteilte dem Antragsteller zu 2) am
11. April 2005 eine „Fiktionsbescheinigung", wonach der „Aufenthaltstitel" als
fortbestehend galt; dieser „Fiktionsbescheinigung" war die Nebenbestimmung
„Erwerbstätigkeit gestattet" beigefügt. Am 5. Juli 2005 erteilte die Ausländerbehörde
dem Antragsteller zu 2) eine – bis zum 4. Juli 2008 befristete – Aufenthaltserlaubnis.
Am 4. März 2005 beantragte der Antragsteller zu 2) für sich und die Antragstellerin zu 1)
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des
Sozialgesetzbuches (SGB II). Mit Bescheid vom 12. April 2005 lehnte der Antragsgegner
die Gewährung von Leistungen ab, da der Antragsteller zu 2) weiterhin als Tourist gelte.
Er zähle somit nicht zu den Berechtigten, die Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II
hätten.
Mit Bescheid vom 21. April 2005 verfügte das Land B. (Sozialamt des Bezirksamts S.
von B.) die Einstellung der nach dem SGB XII gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt an
die Antragstellerin zu 1), da diese nach ihrer Heirat mit ihrem Ehemann in einer
Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft lebe. Da ihr Ehemann erwerbsfähig sei und
Leistungen nach dem SGB II beantragt habe, habe die Antragstellerin zu 1) Anspruch auf
Sozialgeld. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin zu 1) am 26. April 2005
Widerspruch ein.
Am 28. April 2005 legte der Antragsteller zu 2) gegen den Bescheid des Antragsgegners
vom 12. April 2005 Widerspruch ein; er habe seit dem 3. März 2005 seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in Deutschland.
Den am 29. April 2005 beim Sozialgericht Berlin gestellten Antrag, das JobCenter S. oder
das Sozialamt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, Grundsicherung zu
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das Sozialamt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, Grundsicherung zu
leisten, hat das Sozialgericht durch Beschluss vom 24. Mai 2005 abgelehnt. Die
Antragstellerin zu 1) habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da sie nicht
erwerbsfähig sei. Der Antragsteller zu 2), der als Tourist eingereist sei, könne Leistungen
nach dem SGB II nicht beanspruchen, da er (bislang) seinen regelmäßigen Aufenthalt
nicht in Deutschland habe. Bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde hätten die
Antragsteller Sozialhilfe nach dem SGB XII bei dem für sie zuständigen Sozialamt zu
beantragen. Eine Entscheidung über den von den Antragstellern gegen das Land B.
(vertreten durch das Bezirksamt S. von B. – Sozialamt –) erhobenen Anspruch hat das
Sozialgericht nicht getroffen.
Gegen diesen ihnen am 25. Mai 2005 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am
13. Juni 2005 Beschwerde eingelegt, mit der sie weiterhin die Verpflichtung des
JobCenters S. zur Gewährung vorläufiger Leistungen erstreben.
Während des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. August
2005 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. August 2005 Leistungen in
Höhe von (jetzt) 614,07 € monatlich bewilligt und am 6. August 2005 1090,73 € sowie
am 31. August 2005 690,07 € ausgezahlt.
Die Antragsteller haben daraufhin den Antrag für die Zeit ab dem 5. Juli 2005 für erledigt
erklärt und weiterhin die Gewährung von Leistungen im Wege einstweiligen
Rechtsschutzes für die Zeit vom 1. Mai bis 4. Juli 2005 geltend gemacht und zur
Begründung zunächst vorgetragen, dass wegen der durch die Nichtgewährung von
Leistungen entstandenen Mietrückstände in Höhe von 1572,65 € die fristlose Kündigung
ihrer Wohnung drohe. Nach Auszahlung der – teilweise rückwirkend – bewilligten
Leistungen und Tilgung eines Teils der Mietschulden machen sie nun geltend, dass
wegen der noch bestehenden Mietrückstände in Höhe von 787,47 € ihre gerichtliche
Inanspruchnahme und damit die Entstehung weiterer Kosten drohe. Eine von der
Vermieterin angebotene Ratenzahlung könnten sie nicht annehmen, da ihnen dadurch
ein Schaden entstehen würde. Sie hätten einen Anspruch auf Übernahme der Mieten
entweder gegen das Sozialamt oder den Antragsgegner. Die Probleme bei der Klärung
der Zuständigkeit könnten nicht zu ihren Lasten gehen.
Der Antragsgegner lehnt weiterhin eine (vorläufige) Leistungsgewährung für die Zeit vor
dem 5. Juli 2005 ab. Bis zu diesem Zeitpunkt sei das Sozialamt zuständig, das
gegebenenfalls auch Mietschulden zu übernehmen habe. Im Übrigen sei eine
Eilbedürftigkeit nicht mehr anzunehmen, da die Kündigung des Mietvertrages und damit
der Verlust der Wohnung nicht mehr drohe.
Die – nach Erledigung im Übrigen – nur noch auf die vorläufige Zahlung von Leistungen
in Höhe der noch bestehenden Mietrückstände gerichtete Beschwerde hat Erfolg.
Beschwerdegegner ist allein das JobCenter S., das – wie der Senat im Anschluss an den
6. Senat des Landessozialgerichts Berlin (Beschluss vom 14. Juni 2005 – L 10 B 44/05 AS
ER –) bereits entschieden hat (Beschluss vom 14. Juli 2005 – L 14 B 48/05 AS ER –) –
nach § 70 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beteiligtenfähig ist.
Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob den Antragstellern bereits für
die Zeit vor dem 5. Juli 2005 Leistungen nach dem SGB II zustehen. Dies ist jedenfalls
nicht schlechthin ausgeschlossen, da das Fehlen eines zum dauernden Aufenthalt
berechtigenden Aufenthaltstitels nicht in jedem Fall der Begründung eines
„gewöhnlichen Aufenthalts" entgegenstehen muss (vgl. beispielsweise BSG, Urteile vom
12. April 2000 – B 14 KG 3/99 R –, vom 9. August 1995 – 13 RJ 59/93 – und vom 16.
Dezember 1987 – 11a REg 3/87 –, jeweils m.w.N.).
Entscheidend ist, dass – wie auch der Antragsgegner im Grunde einräumt – die
Antragsteller (bzw. jedenfalls die Antragstellerin zu 1)) entweder einen Anspruch auf
Leistungen nach dem SGB II oder nach dem SGB XII haben. Wie die Antragsteller
vollkommen zu Recht hervorheben, kann der Streit, welcher der in Betracht kommenden
Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist, nicht zu ihren Lasten gehen.
Dementsprechend hat gemäß § 43 Abs. 1 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuches
(SGB I) der zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen in angemessenem
Umfang zu erbringen. Danach ist hier der Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig
Leistungen in der sich aus der Beschlussformel ergebenden Höhe zu erbringen.
Für diese Anordnung besteht auch weiterhin ein Bedürfnis. Zwar droht – nach teilweiser
Tilgung der Mietrückstände – den Antragstellern nicht mehr unmittelbar der Verlust ihrer
Wohnung, jedoch sind andere Nachteile zu besorgen – sei es durch von ihnen zu
tragende Kosten ihrer gerichtlichen Inanspruchnahme durch die Vermieterin, sei es
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tragende Kosten ihrer gerichtlichen Inanspruchnahme durch die Vermieterin, sei es
durch die Entstehung von Zinsen –, deren Ausgleich durch eine spätere Entscheidung in
der Hauptsache fraglich ist. Dies müssen die Antragsteller nicht hinnehmen.
Andererseits ist nicht erkennbar, welche nicht mehr zu beseitigenden Nachteile dem
Antragsgegner durch die vorläufige Gewährung der noch geltend gemachten Leistungen
entstehen könnten. Selbst falls sich letztlich ergeben sollte, dass er nicht zur Leistung
verpflichtet war, könnte er gegebenenfalls einen Anspruch auf Erstattung gegen den
örtlichen Träger der Sozialhilfe geltend machen, sofern dies nicht im Hinblick darauf,
dass das Land B. als örtlicher Träger der Sozialhilfe zugleich als „kommunaler Träger"
Mitglied des Antragsgegners ist, ohnehin gegenstandslos sein sollte.
Die von den Antragstellern – nach Erledigung im Übrigen – jetzt noch beanspruchten
Leistungen in Höhe der noch bestehenden Mietrückstände sind auch angemessen. Der
ihnen vorläufig zu gewährende Betrag bleibt hinter den Leistungen zurück, die der
Antragsgegner nach dem Bescheid vom 5. August 2005 für zwei Monate zu gewähren
hätte.
Die auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG beruhende
Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Antragsteller im
Wesentlichen Erfolg haben. Dem steht die teilweise Erledigung im Verlaufe des
Beschwerdeverfahrens nicht entgegen, da der Antragsgegner auch unabhängig davon
vorläufig Leistungen hätte erbringen müssen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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