Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: verordnung, krankenkasse, medizinische rehabilitation, ambulante behandlung, mitgliedschaft, kassenwechsel, ärztliche behandlung, stationäre behandlung, medizinische indikation

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 150/03
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 1 S 1 SGB 5, § 19 Abs
1 SGB 5, § 19 Abs 2 SGB 5, § 73
Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 5, § 173 Abs
2 Nr 5 SGB 5
Krankenversicherung - Anforderungen an vertragsärztliche
Verordnung - stationäre Rehabilitationsmaßnahme - Nachholung
der Verordnung - Kassenwechsel - Verurteilung des
beigeladenen Versicherungsträgers
Leitsatz
1.) Eine vertragsärztliche Verordnung muss die von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V geforderten
Voraussetzungen erfüllen, d. h. der Vertragsarzt muss eine hinreichend konkretisierte
Maßnahme anordnen und für die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der
Maßnahme sowohl gegenüber dem Versicherten als auch gegenüber den Krankenkassen die
Verantwortung übernehmen. Daran fehlt es, wenn der Arzt keine Behandlung anordnet,
sondern lediglich "befürwortet", "empfiehlt" oder "anregt", weil sie ihm "sinnvoll" erscheint. Mit
diesen Formulierungen in ärztlichen Bescheinigungen begrenzen Ärzte ihre Stellungnahmen
auf Empfehlungen oder gutachterliche Äußerungen, ohne Verantwortung übernehmen zu
wollen, so dass entsprechenden Bescheinigungen der Charakter von " Verordnungen" fehlt.
2.) Die vertragsärztliche Verordnung kann grundsätzlich noch bis zum Schluss der letzten
mündlichen Tatsachenverhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) nachgeholt werden.
3.) Wechselt der Versicherte die Krankenkasse, müssen alle Leistungsvoraussetzungen für
den geltend gemachten Anspruch (einschließlich der vertragsärztlichen Verordnung) vor dem
Wechsel vorliegen; sie können auch in einem bereits vorher begonnenen Sozialrechtsstreit
danach nicht mehr nachgeholt werden, um den Anspruch gegen die bisher zur
Leistungserbringung zuständige Krankenkasse zu begründen.
4.) Der Senat mach von seinem ihm in § 75 Abs. 5 SGG eingeräumten Ermessen, einen
beigeladenen Versicherungsträger zu verurteilen nur dann Gebrauch, wenn der vom Kläger
gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch in diesem Rechtsstreit bereits besteht und
der Kläger nur gegen den falschen Versicherungsträger vorgegangen ist.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07.
November 2003 aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine stationäre Rehabilitation.
Der 1948 geborene Kläger bezieht seit dem 1. Mai 1992 eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit und war im Hinblick darauf bis zum 31. Mai 2004
versicherungspflichtiges Mitglied der Be- klagten; seit dem 1. Juni 2004 ist er
versicherungspflichtiges Mitglied der Beigeladenen.
Er leidet u. a. an einem gemischtförmigen Asthma bronchiale, einer kombinierten
obstruktiv-restriktiven Lungenfunktionsstörung, einer vocal chord dysfunction, einer
psychogenen Gangstörung, einem Tremor bei neurozirkulatorischer Dystonie, einer
Polyarthrose sowie einem degenerativen Wirbelsäulensyndrom. Er erhielt deswegen von
der Beklagten in der Zeit vom 30. Mai bis zum 27. Juni 2001 eine stationäre
Rehabilitation im Klinikzentrum in Bad Sulza. Dort erhielt er eine musiktherapeutische
Einzelkonsultation, Atem-Einzelkrankengymnastik, Arthrose- Einzelkrankengymnastik,
Solebecken- Einzelkrankengymnastik, klassische Massage Thoraxbereich, Kurzwelle,
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Solebecken- Einzelkrankengymnastik, klassische Massage Thoraxbereich, Kurzwelle,
Hochvolttherapie Hüftgelenke beidseits, Peloidpackungen, 2 mal täglich
Soleinhalationen, Ergo- und Psychotherapie sowie Anwendungen im Gradierwerk. In dem
Abschlussbericht der Rehabilitationseinrichtung vom 26. Juni 2001 hieß es im Rahmen
der sozialmedizinischen Beurteilung: Bei dem 53-jährigen Kläger bestünden schwere
chronische Leiden im Sinne einer chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung mit
asthmatischer Verlaufsform und rezidivierenden Zuständen der Stridoratmung sowie
das Bild einer funktionellen motorischen Tetraparese mit erheblichen Einschränkungen
des Gehvermögens und des Koordinationsvermögens. Unter der klinischen
Heilmaßnahme wird eine leichte Entspannung erreicht, eine wesentliche Verbesserung
der ventilatorischen Situation und auch der motorischen Situation sei nicht gelungen.
Der Patient sei teilweise pflegebedürftig, eine wesentliche Verschlechterung des
Zustandes mit völligem Verlust der Selbständigkeit sei angesichts des bisherigen
Verlaufes vorläufig nicht zu erwarten.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2002 beantragte der Kläger unter Vorlage ärztlicher Atteste
seiner behandelnden Ärzte Dr. Sch (Facharzt f. Lungen und Bronchialheilkunde vom 30.
Juni 2002, vom 4. Juni 2003 sowie vom 2. April 2005, 13. Juni 2004 und 8. August 2007),
Dr. Sch (Facharzt f. Innere Medizin vom 27. Juni 2002 und vom 5. Mai 2003 sowie vom
19. März 2005), T /Dr. R (Fachärzte f. Hals-Nasen-Ohrenheilkunde vom 10. Juli 2002 und
vom 5. Mai 2003) und Dres. M und L (Fachärzte für Orthopädie vom 13. Juni 2004) eine
erneute stationäre Behandlungsmaßnahme. Dr. Sch befürwortete in seinen
Stellungnahmen eine vorzeitige Wiederauflage des stationären Heilverfahrens vom Juni
2001, welches zu einer Besserung des Krankheitsbildes geführt habe und daher aus
fachpulmologischer Sicht sinnvoll erscheine bzw. gewährt werden sollte. Dr. Sch empfahl
auf Grund der Progredienz der Erkrankung aus hausärztlicher und internistischer Sicht
dringend eine neue Reha-Maßnahme. Frau T und Dr. R befürworteten die stationäre
Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung zur Stabilisierung des Krankheitsbildes
unter begünstigenden klimatischen Bedingungen und Therapiemaßnahmen. Dres. M und
L regten eine Kur auf Wunsch des Klägers und zur Therapieoptimierung an. Die Beklagte
holte beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V.
(MDK) Gutachten nach Aktenlage zur Notwendigkeit von stationären
Rehabilitationsleistungen ein (Sozialmedizinisches Gutachten der Ärztin A-H vom 19./22.
Juli 2002 und des Arztes f. Lungen- und Bronchialheilkunde L vom 7. Oktober 2002) und
lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 25. Juli 2002, bestätigt durch den
Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2003 mit der Begründung ab, dass eine vorzeitige
stationäre Rehabilitation vor Ablauf von vier Jahren nach der 2001 bewilligten stationären
Maßnahme medizinisch nicht notwendig sei. Denn das Rehabilitationsziel der 2001
durchgeführten Maßnahme habe nicht erreicht werden können; außerdem sei aus
pneumologischer Sicht seine Reise- und Rehabilitationsfähigkeit anzuzweifeln.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 7.
November 2003 die ablehnenden Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte
verurteilt, dem Kläger eine stationäre Rehabilitation zu gewähren. Zweifel an der
Rehabilitationsbedürftigkeit und -fähigkeit bestünden nach dem Entlassungsbericht der
Reha-Klinik und der behandelnden Ärzte ebenso wenig wie nach dem Gutachten des
MDK vom 19./22. Juli 2002, in dem die Gutachterin eine stationäre Rehabilitation in einer
psychosomatischen Klinik empfohlen habe. Eine ambulante Behandlung am Wohnort sei
nach dem Eindruck des Gerichts aus dem Verfahrensablauf nicht ausreichend.
Gegen dieses ihr am 14. November 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.
November 2003 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Nach dem
Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik und dem Gutachten des MDK vom 7.
Oktober 2002 sei festzustellen, dass keine dringende medizinische Indikation für eine
vorzeitige stationäre Rehabilitation vorliege. Außerdem habe der Kläger auf
psychiatrischem bzw. psychosomatischem Gebiet angebotene ambulante Maßnahmen
bislang nicht durchgeführt und verweigert und damit die Behandlungsmöglichkeiten vor
Ort noch nicht ausgeschöpft. Die im Rahmen der stationären Rehabilitationsmaßnahmen
durchgeführte Psychotherapie habe zu keiner wesentlichen Stabilisierung des
Gesamtbildes geführt. Außerdem habe der Kläger jede weitergehende Diagnostik
verweigert und zum Ausdruck gebracht, dass ihm an der Durchführung eines stationären
Rehabilitationsverfahrens mit Schwerpunkt im psychiatrischen Bereich nicht gelegen sei,
so dass er auch aus diesem Grund nicht rehabilitationsfähig sei. Schließlich habe die
Leistungspflicht der Beklagten mit dem Kassenwechsel des Klägers geendet, so dass sie
nicht mehr die richtige Beklagte sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2003 aufzuheben und die
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das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2003 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Die Beigeladene ist der Auffassung, dass trotz des Kassenwechsels allenfalls die
Beklagte leistungsverpflichtet bleibe, wenn sie den geltend gemachten Anspruch zu
Unrecht abgelehnt habe und deswegen mit der Leistungserbringung in Verzug geraten
sei. Sie sei deshalb nicht der richtige Anspruchsgegner. Eine stationäre Reha-Maßnahme
habe sie bislang noch nicht bewilligt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Die ablehnenden Bescheide der Beklagten sind im
Ergebnis rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; das Sozialgericht
hätte sie weder aufheben noch die Beklagte zur Gewährung einer stationären
Rehabilitation verurteilen dürfen. Denn hierauf hat der Kläger keinen Anspruch.
1.) Es spricht nach den dem Gericht vorliegenden medizinischen Gutachten, Berichten
und Attesten schon vieles dafür, dass die Voraussetzungen für eine stationäre
Rehabilitationsmaßnahme nicht vorliegen, weil für den Kläger eine ambulante
Krankenbehandlung oder ambulante Rehabilitationsleistungen ausreichen (vgl. § 40 Abs.
2 i. V. m. Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch [SGB V] in der ab 1. Januar 2002
geltenden Fassung). Denn der Schwerpunkt der Rehabilitationsmaßnahmen soll nach
den ausführlichen Begutachtungen des MDK im Bereich der psychologischen bzw.
psychosomatischen Leistungen liegen, weil sie nach dem Entlassungsbericht der
Rehabilitationsklinik z. T. über die i. Ü. allenfalls leichten Verbesserungen des
Gesundheitszustandes, die sich durch die Heilmaßnahmen erzielen ließen,
hinausgingen. Auf diesem Gebiet hat jedoch bisher keine ambulante Behandlung des
Klägers stattgefunden. Aus diesem Bereich muss nach den vorhandenen ärztlichen
Berichten aber die gesamte weitere Behandlung, einschließlich weiterer fachärztlicher
Heilmaßnahmen, konzipiert werden.
2.) Die damit in Zusammenhang stehenden Fragen können aber ebenso offen bleiben
wie die Frage, ob der Kläger rehabilitationsbedürftig und -fähig ist, weil es an der für die
begehrte stationäre Maßnahme erforderlichen vertragsärztlichen Verordnung fehlt.
Nach § 15 Abs. 1 SGB V wird die ärztliche Behandlung von Ärzten erbracht. Sind
Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie
vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden. Die Erforderlichkeit ärztlicher
Verordnungen für die Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, insbesondere in
Rehabilitationseinrichtungen, ist durch § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V noch einmal
ausdrücklich bestimmt worden. Erst durch die vertragsärztliche Verordnung wird das
dem Versicherten durch § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V gewährte Rahmenrecht auf
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu einem Anspruch auf die vom
Vertragsarzt bestimmte Rehabilitationsmaßnahme - unter Beachtung des der
Krankenkasse nach § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB V zustehenden Ermessens - konkretisiert.
Daraus folgt, dass dem Versicherten ohne vertragsärztliche Verordnung (noch) kein
Anspruch auf die begehrte Rehabilitationsmaßnahme zusteht.
Die vertragsärztliche Verordnung muss zunächst die von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V
geforderten Voraussetzungen erfüllen, d.h. der Vertragsarzt muss eine hinreichend
konkretisierte Maßnahme anordnen und für die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und
Wirtschaftlichkeit der Maßnahme sowohl gegenüber dem Versicherten als auch
gegenüber den Krankenkassen die Verantwortung übernehmen. Daran fehlt es, wenn
der Arzt - wie im vorliegenden Fall die behandelnden Ärzte des Klägers - keine
Behandlung anordnet, sondern lediglich „befürwortet“, „empfiehlt“ oder „anregt“, weil
sie ihm „sinnvoll“ erscheint. Mit diesen Formulierungen in ärztlichen Bescheinigungen
begrenzen Ärzte ihre Stellungnahmen auf Empfehlungen oder gutachtliche Äußerungen,
ohne Verantwortung übernehmen zu wollen, so dass entsprechenden Bescheinigungen,
wie im vorliegenden Fall, die erforderliche „Verordnung“ fehlt.
Darüber hinaus ergeben sich die Notwendigkeit der vertragsärztlichen Verordnung und
weitere Anforderungen an die Verordnung und an den verordnenden Arzt aus den
Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinien - RehaRL -) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 SGB V
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Rehabilitation (Rehabilitations-Richtlinien - RehaRL -) nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 SGB V
vom 16. März 2004. Diese sind im vorliegenden Fall anwendbar, weil sie den Inhalt der
vertragsärztlichen Verordnung und damit die Voraussetzungen des Anspruchs auf
medizinische Rehabilitation betreffen und deshalb im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Tatsachenverhandlung bzw. im vorliegenden Fall im Zeitpunkt des Wechsels der Kasse
durch den Kläger zum 1. Juni 2004 vorliegen müssen (vgl. dazu unten). Abgesehen von
der danach erforderlichen Rehabilitationsberatung nach §§ 5 und 6 der genannten
Richtlinien darf ein Vertragsarzt eine Rehabilitationsmaßnahme nach § 7 der Richtlinien
nur verordnen, wenn er die Rehabilitationsbedürftigkeit, die Rehabilitationsfähigkeit und
eine positive Rehabilitationsprognose auf der Grundlage realistischer, für den
Versicherten alltagsrelevanter Rehabilitationsziele feststellt und gemäß § 11 der
Richtlinien die besondere Qualifikation zur Beratung des Versicherten sowie zur
Verordnung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation besitzt. Zumindest die
nachvollziehbare Prüfung der Verordnungsvoraussetzungen des § 7 RehaRL ist hier nicht
zu erkennen. Die Formulierungen in den ärztlichen „Attesten“ sprechen umgekehrt
dafür, dass die Ärzte eine solche Prüfung bisher noch nicht vorgenommen haben und
damit die von den Richtlinien verlangte qualifizierte Verordnung auch unter dem
Blickwinkel der von den RehaRL bezweckten Qualitätssicherung des Rehabilitationsrechts
nicht vorliegt.
Der Versicherte, der auf eine in Attesten oder anderen ärztlichen Bescheinigungen
ausgesprochene Empfehlung, Befürwortung oder Anregung seines behandelnden Arztes
als ausreichender vertragsärztlicher Verordnung vertraut und gestützt darauf ein lange
dauerndes Verwaltungsverfahren sowie ggf. einen sich anschließenden Sozialrechtsstreit
durchführt, ist ohne die oben näher beschriebene vertragsärztliche Verordnung mit
seinem Begehren auf medizinische Rehabilitation im sozialgerichtlichen Prozess aber
nicht endgültig gescheitert. Denn in einem Streit auf Bewilligung dieser Leistung mit
seiner Krankenkasse kann die hier erforderliche qualifizierte Verordnung noch
grundsätzlich bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vor dem
Landessozialgericht (LSG) nachgeholt werden, weil es sich bei der Verordnung um eine
anspruchsbegründende Voraussetzung handelt, die zu den tatbestandlichen
Voraussetzungen des Rehabilitationsanspruchs gehört.
Allerdings gibt es für diese Möglichkeit Grenzen, die sich aus dem materiellen Recht
ergeben. Beschafft sich der Versicherte die Maßnahme selbst, müssen die
Voraussetzungen für den Anspruch auf Rehabilitation im Zeitpunkt der Beschaffung, d.
h. i.d.R. im Zeitpunkt der zivilrechtlichen Vereinbarung der medizinischen Maßnahme mit
dem Leistungserbringer, spätestens im Zeitpunkt der Leistung selbst, vorliegen, was
sich aus § 13 Abs. 3 SGB V ergibt, der einen Kostenerstattungsanspruch in solchen
Fällen von der Unrechtmäßigkeit der Leistungsablehnung abhängig macht. Wechselt der
Versicherte die Krankenkasse, müssen alle Leistungsvoraussetzungen für den Anspruch
auf die begehrte Rehabilitationsmaßnahme vor dem Wechsel vorliegen; sie können auch
in einem bereits vorher begonnenen Sozialrechtsstreit danach nicht mehr nachgeholt
werden, um den Anspruch gegen die bisher zur Leistungserbringung zuständige
Krankenkasse zu begründen. Denn nach § 19 Abs. 1 SGB V erlischt der Anspruch auf
Leistungen mit dem Ende der Mitgliedschaft, soweit keine abweichenden Bestimmungen
entgegenstehen. Durch den grundsätzlichen Ausschluss von Rechtswirkungen des
Mitgliedschaftsverhältnisses für die Zeit nach seiner Beendigung wird der mögliche
Zusammenhang zwischen der Erkrankung (Versicherungsfall) und der Kostenbelastung
durch die einzelne Behandlungsmaßnahme krankenversicherungsrechtlich jedenfalls
dann für unerheblich erklärt, wenn der Versicherte zwischenzeitlich die Mitgliedschaft
verliert. Dementsprechend kann (umgekehrt) einem neu aufgenommenen Mitglied nicht
entgegengehalten werden, es dürfe Versicherungsleistungen nicht in Anspruch nehmen,
weil sie auf einer vor der Mitgliedschaft festgestellten Behandlungsnotwendigkeit
beruhten (vgl. zum früheren Recht: Bundessozialgericht SozR 2200 § 182b Nr. 32). Das
zwingt ganz generell zu der Annahme, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse für
eine konkrete Behandlungsmaßnahme nicht von der Mitgliedschaft im Zeitpunkt des
Versicherungsfalls, sondern von der Mitgliedschaft im Zeitpunkt der tatsächlichen
Leistungserbringung abhängt (BSG SozR 3-2500 § 19 Nr. 3 und Nr. 4).
§ 19 SGB V gilt auch für den Verlust der Mitgliedschaft bei einer Kasse und den
gleichzeitigen Beitritt zu einer anderen (Kassenwechsel). Der Wortlaut bezieht sich nicht
nur auf das Ausscheiden aus der gesetzlichen Krankenversicherung schlechthin. Das
folgt schon aus der Verwendung des Begriffs "Mitgliedschaft", der nach der Systematik
der §§ 186 ff SGB V das Versicherungsverhältnis zu der für den Versicherten jeweils
zuständigen Krankenkasse kennzeichnet (vgl. für den Fall des Kassenwechsels: § 186
Abs. 10 SGB V sowie früher § 312 Abs. 1 RVO). Eine - indirekte - Bestätigung erfährt
diese Auslegung durch die Sonderregelung in § 19 Abs. 2 SGB V, die ehemals
Versicherungspflichtigen für längstens einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft
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Versicherungspflichtigen für längstens einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft
einen nachgehenden Anspruch auf Leistungen gegen die frühere Krankenkasse zubilligt.
Dieser nachgehende Anspruch ist subsidiär; er wird durch eine neue Mitgliedschaft bei
einer anderen Krankenkasse verdrängt (BSGE 51, 281, 285 = SozR 2200 § 183 Nr. 35 S
94; BSG SozR 2200 § 214 Nr. 2 S 2 f m. w. N). Demnach ist die Grundregel des § 19 Abs.
1 SGB V auch bei einem Kassenwechsel anzuwenden (ebenso: Peters, Handbuch der
Krankenversicherung, Stand: 2000, § 19 SGB V RdNr 11). Mit ihm ist deshalb ein Wechsel
der Leistungszuständigkeit für alle danach durchgeführten Behandlungen verknüpft,
auch wenn der sie veranlassende Versicherungsfall schon vorher eingetreten war und
unabhängig davon, ob sich der krankheitsbedingte Behandlungsbedarf bereits gezeigt
hatte und ärztlich festgestellt war. Der Zeitpunkt der Behandlungsmaßnahme vor oder
nach dem Beginn der Mitgliedschaft (§ 186 Abs. 10 SGB V) entscheidet darüber, ob die
neue oder die alte Krankenkasse leistungspflichtig ist.
Abweichend hiervon führt der Kassenwechsel nach dem Urteil des 3. Senats des BSG
vom 23. Januar 2003 nicht zum Ende der Leistungspflicht der alten Krankenkasse, wenn
der Leistungsanspruch des Versicherten schon vor dem Kassenwechsel bestanden, die
frühere Krankenkasse den geltend gemachten Versorgungsanspruch deshalb zu
Unrecht abgelehnt hat und sich mit der Leistungserbringung im Zeitpunkt des
Kassenwechsels in Verzug befindet. In solchen Fällen bleibt die frühere Krankenkasse
weiterhin leistungspflichtig, weil sie es sonst in der Hand hätte, sich durch
Leistungsverzögerung ihrer Verpflichtung zu entledigen (BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 1).
War der Leistungsanspruch hingegen noch nicht entstanden, hat die Kasse den
Versorgungsanspruch deshalb nicht zu Unrecht abgelehnt und befindet sich auch nicht
im Verzug. In einem solchen Fall erlischt mit dem Kassenwechsel die Leistungspflicht der
alten Kasse mit ihrer Leistungszuständigkeit endgültig und die neue Krankenkasse hat
den erst nach dem Kassenwechsel entstehenden Leistungsanspruch zu erfüllen.
Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine nachträgliche Beschaffung
ausreichender vertragsärztlicher Verordnungen nach dem Kassenwechsel des Klägers
die bereits endgültig erloschene Leistungszuständigkeit der Beklagten nicht wieder
entstehen lassen könnte.
Im Hinblick auf Sach- und Rechtslage kommt derzeit auch eine Verurteilung der
beigeladenen neuen Krankenkasse des Klägers nach § 75 Abs. 5 SGG nicht in Betracht.
Denn ein Rehabilitationsanspruch des Klägers besteht nach den obigen Ausführungen
nicht. Der Senat macht von seinem ihm in § 75 Abs. 5 SGG eingeräumten Ermessen,
einen beigeladenen Versicherungsträger zu verurteilen nur dann Gebrauch, wenn der
vom Kläger gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch in diesem Rechtsstreit
bereits besteht und der Kläger nur gegen den falschen Versicherungsträger
vorgegangen ist. Fehlen dagegen Leistungsvoraussetzungen des Anspruchs gegen den
beigeladenen Versicherungsträger, die zudem im Verwaltungsverfahren festzustellen
wären und - wie hier nach den RehaRL - weitere Ermittlungen der Krankenkasse - hier
nach § 12 RehaRL und § 275 Abs. 2 Nr. 1 SGB V u.a. die Einschaltung des MDK - nach
sich ziehen müssen, ist der Kläger auf die Geltendmachung seines behaupteten
Anspruchs gegen die neue Krankenkasse zunächst in einem neuen
Verwaltungsverfahren zu verweisen. Eine solche Vorgehensweise hat hier auch den
Vorteil, dass auf Grund seines aktuellen Gesundheitszustandes zunächst von Ärzten
seines Vertrauens Rehabilitationsbedürftigkeit und -fähigkeit sowie eine positive
Rehabilitationsprognose festzustellen sein werden, bevor die Beigeladene nach erneuter
Einschaltung des MDK über sein Begehren im Verwaltungsverfahren zu entscheiden
haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem
Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG
vorlag.
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