Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 27.12.2005

LSG Berlin-Brandenburg: eheähnliche gemeinschaft, aufschiebende wirkung, allein erziehender vater, elterliche sorge, lebensgemeinschaft, miete, hauptsache, entziehung, wohngemeinschaft

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
19. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 19 B 98/06 AS ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86a Abs 2 Nr 4 SGG, § 39 SGB
2, § 60 Abs 1 S 1 SGB 1, § 65
SGB 1, § 9 Abs 2 S 1 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitssuchende - einstweiliger
Rechtsschutz - Bedarfsgemeinschaft - eheähnliche
Gemeinschaft - Entzug von Leistungen wegen fehlender
Mitwirkung - Angabe von Einkommen und Vermögen des
Partners
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam
vom 27. Dezember 2005 aufgehoben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Das Verfahren betrifft die Entziehung von Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitslose.
Der 1962 geborene Antragsteller bewohnt seit Februar 2000 (nach anderen Angaben
seit 1999) mit Frau C J, deren 1989 geborener Tochter und einem gemeinsamen Kind -
geboren am ...2005 -, für das der Antragsteller und Frau J gemeinsam die elterliche
Sorge ausüben (Urkunde des Jugendamtes über die Sorgeerklärung nach § 1626 a BGB
vom 23. Juni 2005) gemeinsam ein Einfamilienhaus.
Im April 2002 wurde der Antragsteller arbeitslos, wobei ihm offenbar kein Anspruch auf
Arbeitslosengeld zustand. Im März 2002 schloss er mit der auch im Einfamilienhaus
wohnenden Mutter von Frau J einen Mietvertrag (Beginn des Mietverhältnisses am 1.
April 2002, Vermietung von zwei Zimmern und Mitbenutzung von Küche etc., Miete 325
Euro bzw. 350 Euro ab 1. April 2004).
Auf seinen im Februar 2005 gestellten Antrag, in dem er keine eigene Bankverbindung,
sondern das Konto von Frau C J angegeben, sie jedoch nicht als Partnerin einer
eheähnlichen Lebensgemeinschaft benannt hatte, und einen weiteren im Juli 2005
gestellten Antrag wurden ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zunächst
bis 31. August 2005 (Bescheide vom 21. April und 8. Juli 2005) und sodann bis 28.
Februar 2006 (Bescheid vom 11. August 2005 und Änderungsbescheid vom 26. Oktober
2005) in Höhe von zuletzt 707,30 Euro bewilligt. Als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft
wurde auch das im 2005 geborene Kind berücksichtigt. Dazu hatte der Antragsteller
angegeben, er sei allein erziehender Vater.
Im Juli 2005 übersandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Fragebogen „zur
Prüfung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft“. Darin gab der Antragsteller
an, eine solche Gemeinschaft bestehe nicht. Wegen des Verdachts auf eine eheähnliche
Gemeinschaft führte die Antragsgegnerin mehrere Hausbesuche durch, holte zur
Prüfung etwaiger Unterhaltsansprüche von der als Lehrerin berufstätigen C J Angaben zu
deren Einkünften ein und zog vom Finanzamt Nauen einen Einkommenssteuerbescheid
für 2003 von Frau S J (der Mutter von C J) bei.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2005 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf
hin, dass sie davon ausgehe, er lebe in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau C J.
Sie forderte ihn unter Übersendung von Fragebögen (Zusatzblätter 2.1, 2.2, Z3 und Z4)
auf, nähere Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen von Frau C J zu
machen. Mit Schreiben vom 7. November 2005 erfolgte eine Erinnerung mit Fristsetzung
bis 24. November 2005 und dem Hinweis auf eine Einstellung der Leistung, falls die
geforderten Unterlagen nicht binnen der Frist vorgelegt würden. Am gleichen Tag reichte
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geforderten Unterlagen nicht binnen der Frist vorgelegt würden. Am gleichen Tag reichte
der Antragsteller die Fragebögen an die Beklagte zurück, machte darin jedoch mit dem
Hinweis, er lebe von seiner ehemaligen Lebensgefährtin C J getrennt, keine Angaben
über deren Einkünfte und Vermögensverhältnisse.
Mit Bescheid vom 25. November 2005 entzog die Antragsgegnerin die bewilligten
Leistungen ganz. Der Antragsteller habe trotz Fristsetzung keine Angaben über die
wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse von Frau J gemacht, so dass eine
Bedarfsberechnung nicht möglich gewesen sei. Bei Nachholung der Mitwirkungshandlung
werde geprüft, ob die Leistung ganz oder teilweise nachgezahlt werden könne.
Dagegen erhob der Antragsteller am 6. Dezember 2005 Widerspruch und beantragte
am gleichen Tag beim Sozialgericht Potsdam, die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, bis zum Abschluss des
Widerspruchsverfahrens Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von
707,30 Euro, abzüglich 66 Euro, zu zahlen. Dazu hat er unter Vorlage einer
Eidesstattlichen Versicherung geltend gemacht, es bestehe keine Lebensgemeinschaft
mit Frau C J.
Mit Beschluss vom 27. Dezember 2005 hat das Sozialgericht Potsdam die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab
1. Dezember 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der
Vorschriften des SGB II bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache, längstens
für 6 Monate zu gewähren. Zur Begründung der Entscheidung hat das Sozialgericht
ausgeführt, der Antragsteller habe den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da er bis
30. November 2005 Leistungen der Antragsgegnerin bezogen habe, ohne dass sie von
dem Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgegangen sei. Er verfüge derzeit
nur über Erziehungsgeld und Unterhalt für das minderjährige Kind. Bei einer
summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage könne gegenwärtig nicht festgestellt
werden, ob der Antragsteller mit Frau J in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Es seien zwar
Anhaltspunkte für das Bestehen einer solchen Gemeinschaft vorhanden, dagegen
spreche aber die Angabe des Antragstellers, er lebe getrennt von seiner ehemaligen
Lebensgefährtin. Falls diese nunmehr nur noch Mitbewohnerin sei, bestehe keine
Verpflichtung zur Mitteilung ihrer persönlichen Verhältnisse.
Gegen den ihr am 5. Januar 2006 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin
mit der am 25. Januar 2006 eingegangenen Beschwerde, der das Sozialgericht nicht
abgeholfen hat. Sie macht geltend, es sei vom Vorhandensein einer eheähnlichen
Gemeinschaft auszugehen, weshalb der Antragsteller verpflichtet sei, die geforderten
Unterlagen einzureichen. Wegen fehlender Mitwirkung habe die Leistung nicht berechnet
werden können, so dass eine Leistungseinstellung habe erfolgen dürfen. Entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts spräche eine Vielzahl von Indizien hier für das Vorliegen
einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Der Antragsteller und Beschwerdegegner hält den angefochtenen Beschluss für
zutreffend. Es sprächen keine tragfähigen Indizien für eine eheähnliche Gemeinschaft. Es
herrsche insbesondere eine strikte Trennung der Wohnbereiche. Dass die Küche
gemeinschaftlich genutzt werde, sei unbedeutend. Ein gemeinsames Kind sei kein Indiz
für eine Lebensgemeinschaft. Es werde bestritten, dass das Kind zusammen mit Frau J
betreut werde. Auch erfolgten Einkäufe etc. nicht gemeinsam. Schließlich spreche auch
die Dauer des „Zusammenlebens“ nicht für eine Lebensgemeinschaft, denn nirgends
stehe geschrieben, dass man die „Behausung“ wechseln müsse, wenn man sich von
seinem Lebenspartner trenne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006 wurde der Widerspruch des
Antragstellers gegen den Bescheid vom 25. November 2005 zurückgewiesen.
II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat
dem Antrag - und auch darüber hinaus gehend - zu Unrecht entsprochen.
Der einstweilige Rechtschutz richtet sich im vorliegenden Verfahren nach § 86 b Abs. 1
Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (zumindest missverständlich insoweit das
Sozialgericht, das sich auch auf die Norm des § 86 b Abs. 2 SGG bezieht), da eine
bereits bewilligte Leistung durch Verwaltungsakt entzogen wurde, so dass die - alleinige -
Anfechtungsklage in der Hauptsache die richtige Klageart wäre. Der Widerspruch des
Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid hat keine aufschiebende Wirkung nach §
86 a Abs. 1 SGG, da ein Fall des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG vorliegt. Danach entfällt die
grundsätzlich durch Widerspruch und Anfechtungsklage eintretende aufschiebende
Wirkung in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Ein solches Gesetz stellt §
39 Sozialgesetzbuch 2. Buch - SGB II - dar. Danach haben Widerspruch und
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39 Sozialgesetzbuch 2. Buch - SGB II - dar. Danach haben Widerspruch und
Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Eine Entscheidung über
eine solche Leistung liegt hier vor, denn die Beklagte hat im Bescheid vom 25.
November 2005 die materielle Anspruchsberechtigung oder zumindest den sich daraus
konkretisierenden Zahlungsanspruch des Antragstellers ganz verneint und dadurch
einen Rechtsbestand des Adressaten tangiert.
Bei der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes nach § 86 b Abs.
1 SGG ist von den Gerichten eine Interessenabwägung durchzuführen. Maßstab sind
einerseits die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und anderseits die
wirtschaftliche Bedeutung der fraglichen Leistungen für den Empfänger. Hierbei ist
insbesondere eine Folgenabwägung durchzuführen. Handelt es sich wie hier um
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, die der Sicherstellung eines
menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die
überragende Bedeutung dieser Leistung für den Empfänger mit der Folge beachtet
werden, dass ihm im Zweifel die Leistung - ggf. vermindert auf das absolut erforderliche
Minimum - aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren ist.
Im vorliegenden Verfahren ist nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen, dass die
Leistungsbewilligung von der Antragsgegnerin zu Recht wegen fehlender Mitwirkung des
Antragstellers nach § 66 Abs. 1 i.V.m. § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 1. Buch - SGB I -
entzogen wurde. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller verschiedene Fragebögen
zugesandt mit der Aufforderung, diese in Bezug auf die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der C J auszufüllen. Es wurden ihm die Gründe für dieses
Verlangen mitgeteilt und er wurde unter Setzung einer Frist auf die Folgen fehlender
Mitwirkung (Versagung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes)
hingewiesen. Der Antragsteller hat zwar die Fragebögen innerhalb der gesetzten Frist
zurückgesandt, sie jedoch nicht mit den erforderlichen Angaben versehen. Er war nicht
berechtigt, Angaben über Frau C J zu unterlassen. Nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I hat
derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für
die Leistung erheblich sind. Erheblich sind die geforderten Angaben hier aufgrund der
Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II. Danach ist bei Personen,
die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben auch das Einkommen und Vermögen des
Partners bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen. Auch bei der im
einstweiligen Rechtschutzverfahren nur eingeschränkt möglichen Prüfung ist hier mit
großer Gewissheit davon auszugehen, dass der Antragsteller und Frau C J eine
Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bilden, wobei sich - mangels entsprechender
Angaben des Antragstellers - nicht feststellen lässt, ob deren Einkommens- und
Vermögensverhältnisse ausreichen, um den Gesamtbedarf zu decken.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist allein die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft
eines Mannes und einer Frau, die daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften
gleicher Art zulässt und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und
Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges
Einstehen des Paares für einander begründen, also über eine reine Haushalts- und
Wirtschafts- bzw. Wohngemeinschaft hinausgeht. Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer
Beziehung im vorbezeichneten Sinne sind insbesondere deren Dauerhaftigkeit und
Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, daneben aber
auch weitere Umstände, wie etwa die gemeinsame Versorgung von Angehörigen oder
gemeinsamen Kindern (vgl. BVerfG Urteil vom 17. November 1992, 1 BvL 8/87, BVerfGE
87, 234, 264).
Dass von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen ist, belegen eine Vielzahl
von Indizien. Der Antragsteller wohnt seit 1999 bzw. Anfang 2000 mit Frau J in einem
Einfamilienhaus. Bei den nach seinen Angaben von ihm genutzten Räumlichkeiten
handelt es sich nicht etwa um eine separat zugängliche und abgeschlossene
Einliegerwohnung, sondern um ein nur über den gemeinschaftlich genutzten Eingang
sowie Flur und Küche zu erreichendes Wohn- und Schlafzimmer, das zur Küche hin
offenbar nicht vollständig abgetrennt, sondern mit einer offenen Wendeltreppe versehen
ist. Dieses Zimmer ist zudem ein Durchgangszimmer, dessen Durchquerung zum
Erreichen der beiden Kinderzimmer (für das gemeinsame Kind mit Frau J und für deren
weiteres Kind) erforderlich ist. Diese Wohnverhältnisse sprechen eindeutig gegen eine
bloße Wohngemeinschaft. Der Senat hält es auch für unglaubhaft, dass der Antragsteller
für diese Räumlichkeiten entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen Miete an Frau
SJ zahlt. Die Antragsgegnerin hat bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass der
Abschluss des Mietvertrages genau zu der Zeit erfolgte, als bedarfsabhängige
Sozialleistungen vom Antragsteller beantragt wurden. Es liegen auch widersprüchliche
Angaben zur Höhe der Miete vor. Während der Mietvertrag seit April 2004 eine
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Angaben zur Höhe der Miete vor. Während der Mietvertrag seit April 2004 eine
Nettokaltmiete von 350 Euro ausweist, wurden bei der Antragstellung im Februar 2005
190 Euro Miete geltend gemacht. Auffällig ist auch, dass die Vermieterin keinerlei
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gegenüber den Finanzbehörden angegeben
hat, was aus dem Einkommenssteuerbescheid für 2003 ersichtlich ist. Ein ganz
wesentliches Indiz für das Bestehen einer über eine bloße Zweckgemeinschaft
hinausgehenden Lebenspartnerschaft ist auch darin zu sehen, dass bei der
Antragstellung ein Konto der Frau C J zum Empfang der Sozialleistungen angegeben
wurde. Erst nachdem die Antragsgegnerin im Juli 2005 Ermittlungen in Bezug auf eine
eheähnliche Gemeinschaft vornahm, machte der Antragsteller praktisch zeitgleich
geltend, dass er nunmehr über keine Bankverbindung mehr verfüge. Wichtige Hinweise
auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft bieten auch die Angaben der vom
Außendienst der Antragsgegnerin befragten Nachbarn. Danach findet ein gemeinsamer
Einkauf, eine gemeinsame Betreuung der Kinder und eine gemeinsame
Freizeitgestaltung des Antragstellers mit Frau C J statt. Auch wenn die Richtigkeit dieser
Angaben vom Antragsteller bestritten wird, können sie im vorläufigen
Rechtschutzverfahren als - weiteres - Indiz berücksichtigt werden. Ein solches und zwar
sehr gewichtiges Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist auch die im
2005 erfolgte Geburt eines gemeinsamen Kindes, für das das Sorgerecht gemeinsam
ausgeübt wird (zur eheähnlichen Lebensgemeinschaft bei langem Zusammenwohnen
und der Versorgung eines gemeinsamen Kindes vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 15. September 2005 - L 14 B 47/05 AS ER). Es ist völlig lebensfremd
anzunehmen, dass Personen nach der Beendigung einer Partnerschaft im März 2002
noch vier Jahre unter den bereits beschriebenen Umständen gemeinsam wohnen (und
das, obwohl der Antragsteller während dieses Zeitraumes auch berufstätig war und
Einkünfte, die eine eigene Wohnung ermöglicht hätten, erzielte). Zwar lässt das
Vorhandensein ebenso wie das Fehlen sexueller Beziehungen keine zwingenden
Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft
zu, wenn aber ein gemeinsames Kind in einer gemeinsamen Wohnung von beiden Eltern
versorgt und erzogen wird, dann müssen schon gewichtige Gründe geltend gemacht
werden, warum dennoch eine bloße Wohngemeinschaft vorliegt (vgl. insoweit auch
Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juni 2005 - L 11 B 226/05 AS ER -
zitiert nach der Entscheidungsdatenbank Tacheles EV). Der Antragsteller hat jedoch
keine plausiblen Gründe dargelegt, die dafür sprechen, dass das Zusammenwohnen
eine reine Zweckgemeinschaft ist.
Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Entziehung liegen vor. Die geforderten
Angaben gehen nicht über die in § 65 SGB I genannten Grenzen der Mitwirkung hinaus.
Zu den Mitwirkungspflichten gehören auch Auskünfte, die einen Dritten betreffen, soweit
sie - wie hier - für die Gewährung der Leistung von Bedeutung sind (Bundessozialgericht
- BSG - Urteil vom 25. Oktober 1988, 7 RAr 70/87 und Urteil vom 10. März 1993 14 b/4
Reg 1/91). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beschaffung der geforderten Informationen
für den Verpflichteten ohne weiteres möglich ist. Davon ist hier auszugehen. Der
Antragsteller hat zudem nicht geltend gemacht, dass er die geforderten Auskünfte etwa
deshalb nicht erteilen kann, weil er keine Kenntnisse über die wirtschaftlichen
Verhältnisse von Frau J hat. Die fehlenden Angaben haben auch die Aufklärung des
Sachverhaltes erheblich erschwert. Dem steht nicht entgegen, dass Frau J bereits durch
Übersendung einer Verdienstbescheinigung Angaben zu ihren Einkünften gemacht hat.
Denn ihre Bezüge sind jedenfalls nicht so hoch, dass auch bei Abzug der möglichen
Absetzungen ein Bedarf der Gemeinschaft offensichtlich nicht besteht. Deshalb waren
genaue Angaben zu den in den Formularen genannten Fragen erforderlich, insbesondere
zu etwa vorhandenem und die Bedürftigkeit ausschließendem Vermögen. Die im
Rahmen einer Entziehungsentscheidung erforderliche Ermessensausübung ist von der
Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid jedenfalls nachgeholt worden. Im Übrigen
dürfte hier auch eine so genannte Reduzierung des Ermessens auf Null vorliegen. Weil
die Vermögensverhältnisse der Bedarfsgemeinschaft ungeklärt sind und deshalb
zweifelhaft ist, ob überhaupt ein Anspruch auf Leistungen zusteht, kam nur eine völlige
Entziehung in Betracht (vgl. BSG 7 RAr 70/87).
Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die einstweilen begehrte Leistung der
Existenzsicherung dient, konnte der Antrag keinen Erfolg haben. Obdachlosigkeit kann
hier nicht ernsthaft drohen. Denn es liegt auch im Interesse der C J, dass ihr leibliches
Kind, für das ihr nicht nur das - gemeinsame - Sorgerecht, sondern auch die damit
verbundenen Pflichten zukommen, ebenso wie der das Kind versorgende Antragsteller
nicht wohnungslos werden. Zudem erhält der Antragsteller Erziehungsgeld (300,- €
monatlich) sowie Kindergeld und Unterhalt von C J für das Kind.
Da eine vollständige Aufhebung der Entscheidung des Sozialgerichts schon aus den
genannten Gründen gerechtfertigt war, brauchte nicht mehr geprüft zu werden, ob das
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genannten Gründen gerechtfertigt war, brauchte nicht mehr geprüft zu werden, ob das
Sozialgericht auch gegen § 123 SGG verstoßen hat, weil es bei der Verpflichtung der
Antragsgegnerin sowohl hinsichtlich des Leistungszeitraumes als auch der
Leistungshöhe über den eindeutigen Antrag des Antragstellers hinaus gegangen ist.
Zudem weist der Senat darauf hin, dass im einstweiligen Rechtschutzverfahren in der
Regel eine Verpflichtung zur Leistungsgewährung im vollen Umfang nicht auszusprechen
ist, da anderenfalls eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache einträte. Jedenfalls
dann, wenn nicht unerhebliche Zweifel daran bestehen, dass der geltend gemachte
Anspruch voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren bestätigt wird, sind die
Leistungen auf das unabdingbar notwendige Maß zu beschränken. Ein Maßstab dafür ist
aus § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II zu gewinnen, wonach bei einer Kürzung des Regelsatzes
um mehr als 30% ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erwägen
sind. Bei fraglichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache erscheint daher die vorläufige
Verpflichtung zur Erbringung eines auf 70 % gekürzten Regelsatzes angemessen (vgl.
auch dazu LSG Berlin L 10 B 44/05 AS ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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