Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 06.08.2002

LSG Berlin-Brandenburg: bemessung der beiträge, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, hinterbliebenenrente, unfallversicherung, beitragsbemessung, krankenversicherung, satzung, beitragspflicht

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 KR 165/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 240 Abs 1 SGB 5, § 240 Abs 2
S 1 SGB 5
Krankenversicherung - freiwillige Mitgliedschaft -
Berücksichtigung einer Hinterbliebenenrente aus der
gesetzlichen Unfallversicherung bei der Beitragsbemessung
Leitsatz
Die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Unfallversicherung ist bei der Beitragsbemessung
freiwilliger Mitglieder der GKV zu berücksichtigen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. August 2002
wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die der Klägerin gewährte Hinterbliebenenrente aus
der gesetzlichen Unfallversicherung für die Beitragsbemessung in der freiwilligen
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als beitragspflichtige Einnahme zu
berücksichtigen ist.
Die 1959 geborene Klägerin ist seit dem 2. Juni 2000 freiwillig versichertes Mitglied der
Beklagten. Die Klägerin erhielt von der damaligen BfA für den Zeitraum vom 1. Juli bis
zum 30. September 2000 eine kleine Witwenrente in Höhe von monatlich 305,72 DM,
vom 1. Juli 2000 bis zum 30. September 2000 von der damaligen Bewag AG
Versorgungsbezüge in Höhe von 2.854,07 DM, ab 1. Oktober 2000 in Höhe von 1.384,81
DM monatlich, sowie von der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und
Elektrotechnik seit dem 1. Juli 2000 eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung, für den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 30. September 2000 i.H.v.
monatlich 6.078,00 DM und ab 1. Oktober 2000 in Höhe von monatlich 2.751, 51 DM.
Die Klägerin machte der Beklagten gegenüber zunächst nur Angaben zu den
Versorgungsbezügen, so dass die Beklagte sie mit Bescheid vom 25. September 2000
ab dem 1. Juli 2000 in die Beitragsklasse 728 einstufte und von ihr Beiträge zur
Krankenversicherung i.H.v. 344,66 DM monatlich und Beiträge zur Pflegeversicherung
i.H.v. 48,20 DM monatlich verlangte. Erst unter dem 6. November 2000 erfuhr sie auf
Grund eines Telefonates mit der Klägerin von der Hinterbliebenenrente. Mit Bescheid
vom 7. November 2000 stufte die Beklagte die Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2000 bis
zum 30. September 2000 in die Beitragsklasse 758 ein und zog sie für diese Zeit zu
Beiträgen zur Krankenversicherung i.H.v. 786,90 DM und zur Pflegeversicherung i.H.v.
109,66 DM heran; ab 1. Oktober 2000 setzte sie Beiträge zur Krankenversicherung i.H.v.
497,16 DM und zur Pflegeversicherung i.H.v. 69,28 DM in der Beitragsklasse 738 fest.
Dieser Beitragsfestsetzung widersprach die Klägerin mit der Begründung, dass die
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu den beitragspflichtigen
Einnahmen freiwilliger Mitglieder gehörten. Mit Bescheid vom 21. September 2001 teilte
die Beklagte der Klägerin ergänzend zu ihrem Beitragsbescheid vom 7. November 2000
mit, dass sie auf Grund des § 45 Sozialgesetzbuch/Zehnten Buches (SGB X) berechtigt
sei, die Beitragseinstufung rückwirkend zu ändern. Der zunächst ergangene
Beitragsbescheid habe auf Angaben beruht, die die Klägerin in wesentlicher Hinsicht
unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Denn sie habe bis zum 6. November 2000
den Bezug der Hinterbliebenenrente verschwiegen. Das öffentliche Interesse an einer
Rücknahme gehe vor, weil die Versichertengemeinschaft die Krankenversicherung der
Klägerin über eine lange Zeit fehlerhaft mitfinanzieren müsste, wenn die
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Klägerin über eine lange Zeit fehlerhaft mitfinanzieren müsste, wenn die
Beitragseinstufung nicht aufgehoben würde. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Oktober
2001 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 6. August 2002
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Hinterbliebenenrente aus der
gesetzlichen Unfallversicherung sei eine Einnahme, welche die Klägerin zu ihrem
Lebensunterhalt verbrauchen könne und die deshalb zu den beitragspflichtigen
Einnahmen gemäß der Satzung der Beklagten zähle. Zu den Einnahmen gehörten
lediglich solche Sozialleistungen nicht, die nach ihrem Zweck nicht nur der Deckung des
Lebensunterhaltes dienten, wie etwa die Verletztenrente der gesetzlichen
Unfallversicherung, die unfallbedingte Mehraufwendungen ausgleichen solle. Aus § 226
Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) könne die Klägerin insoweit keine für sie
günstigere Rechtsfolge herleiten, weil die Vorschrift lediglich die beitragspflichtigen
Einnahmen versicherungspflichtiger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung
regele. § 45 SGB X rechtfertige auch die rückwirkende Beitragerhöhung, weil die Klägerin
unter Verstoß gegen § 206 SGB V die Bewilligung und Zahlung der Hinterbliebenenrente
verschwiegen und die Beklagte bei der Beitragsbemessung deshalb zunächst nur die
Versorgungsbezüge der Klägerin berücksichtigt habe. Die Ausübung des Ermessens
habe die Beklagte zulässigerweise nach vorheriger Anhörung der Klägerin im
Widerspruchsbescheid nachgeholt.
Gegen das ihr am 2. November 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.
November 2002 Berufung eingelegt, mit der sie geltend gemacht hat: Entgegen der
Annahme des Sozialgerichts sei die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen
Unfallversicherung keine beitragspflichtige Einnahme freiwilliger Mitglieder der GKV.
Diese Sozialleistung sei weder einkommensteuerpflichtig noch für die Bemessung der
Beiträge pflichtversicherter Mitglieder der GKV zu berücksichtigen. Da bei freiwilligen
Mitgliedern die gleichen Einnahmen beitragspflichtig seien wie bei pflichtversicherten
Mitgliedern der GKV, was sich schon aus dem Wortlaut des § 240 SGB V ergebe, sei eine
Ungleichbehandlung zwischen diesen beiden Gruppen nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. August 2002 und die Bescheide der
Beklagten vom 7. November 2000 und 21. September 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19. Oktober 2001 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen und halten das angefochtene Urteil für
zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Senat
vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu
beanstanden. Die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Unfallversicherung war gemäß
§ 240 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 12 der Satzung der Beklagten bei der Bemessung der
Beiträge zur Krankenversicherung und gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1
Sozialgesetzbuch/Elftes Buch (SGB XI) in Verbindung mit § 11 der Satzung der
Beigeladenen bei der Bemessung der Beiträge zur Pflegeversicherung zu
berücksichtigen.
Die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der GKV ist nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB
V durch die Satzung zu regeln. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die
gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds berücksichtigt (Abs. 1 Satz 2).
Die Satzung der Krankenkasse muss mindestens die Einnahmen des freiwilligen
Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig
Beschäftigten der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen sind (Abs. 2 Satz 1), so dass
sie darüber hinaus auch andere Einnahmen berücksichtigen darf. Das Gesetz überlässt
damit für freiwillige Mitglieder die Bestimmung der in der Krankenversicherung
beitragspflichtigen Einnahmen grundsätzlich den Satzungen der Kassen (vgl. Urteil des
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beitragspflichtigen Einnahmen grundsätzlich den Satzungen der Kassen (vgl. Urteil des
Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 2000, B 12 KR 1/00 R, BSGE 87, 228,
230 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 34 S 157). Die Beklagte hat in § 12 ihrer Satzung, die
gemäß § 11 Abs. 2 der Satzung der Beigeladenen für die Beitragsbemessung in der
Pflegeversicherung entsprechend heranzuziehen ist, dazu geregelt, dass alle Einnahmen
und Geldmittel beitragspflichtig sind, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden
oder verbraucht werden können. Eine solche Generalklausel in der Satzung der Kasse
reicht nach der Rechtsprechung des BSG aus, um neben den im Gesetz genannten
beitragspflichtigen Einnahmen der versicherungspflichtigen Beschäftigten auch andere
Einnahmen der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen, die bereits in der ständigen
Rechtsprechung vom BSG als Einnahmen zum Lebensunterhalt anerkannt worden sind
(vgl. Urteile des BSG vom 23. Februar 1995, 12 RK 66/93, BSGE 76, 34, 36 ff = SozR 3-
2500 § 240 Nr. 19 S 68 ff, zur Heranziehung des Ertrags aus Kapitalvermögen, vom 23.
September 1999, B 12 KR 12/98 R, BSG SozR 3-2500 § 240 Nr. 31 S 139 f, zu
Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung, vom 6. September 2001, B 12 KR 14/00
R, SozR 3-2500 § 240 Nr. 41 S 208, zur Rente aus einer privaten Unfallversicherung und
vom 22. März 2006, B 12 KR 8/05 R, SozR 4-2500 § 240 Nr. 6 RdNr 20).
Seit dem Inkrafttreten des § 240 SGB V am 1. Januar 1989 sind nach Abs. 1 Satz 2
dieser Vorschrift der Beitragsbemessung nicht mehr bestimmte Einnahmen zu Grunde
zu legen, sondern es ist die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu
berücksichtigen (BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, B 12 KR 1/00 R, BSGE 87, 228,
230 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 34 S 157). Damit ist die Beschränkung der Beitragspflicht
auf bestimmte Einkunftsarten ebenso wie auch die Einnahmen mindernde
Berücksichtigung des Zwecks der Leistung entfallen. Die gesamte wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit i.S. des § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V wird von den Einnahmen und nicht
von der Bedarfssituation des Mitglieds bestimmt (BSG, Urteil vom 6. September 2001, B
12 KR 14/00 R, SozR 3-2500 § 240 Nr. 41 S 210). Das BSG hat deshalb die
Beitragsfreiheit auch bei zweckgerichteten Sozialleistungen bislang nur für die Hilfe in
besonderen Lebenslagen nach dem Bundessozialhilfegesetz ( vgl. dazu Urteil
vom 23. November 1992, 12 RK 29/92, BSGE 71, 237 = SozR 3-2500 § 240 Nr. 12 S 48)
und nunmehr auch für die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)
angenommen (BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 28/05 R, zitiert nach Juris), für
die Mehrbedarfszuschläge nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG und § 23 BSHG jedoch verneint
(Urteil vom 19. Dezember 2000, B 12 KR 1/00 R, BSGE 87, 228, 235 = SozR 3-2500 §
240 Nr. 34 S 162 f). Andere früher als zweckbestimmt angesehene und deshalb
beitragsfreie Leistungen wie das Wohngeld (Urteil vom 19. Dezember 2000, B 12 KR 1/00
R, BSGE 87, 228, 237 f = SozR 3-2500 § 240 Nr. 34 S 165) und die Verletztenrente aus
der gesetzlichen Unfallversicherung (Urteil vom 6. September 2001, B 12 KR 14/00 R,
SozR 3-2500 § 240 Nr. 41 S. 208) sieht das BSG nunmehr als der Beitragsbemessung
unterworfene Einnahmen an.
Die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine regelmäßig
wiederkehrende Geldleistung. Eine solche bestimmt in der Regel die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des freiwillig versicherten Mitglieds der GKV i.S. von § 240 Abs. 1 SGB
V. Sie ist auch nicht Kraft ausdrücklicher Regelung von der Beitragspflicht für freiwillige
Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, wie dies in § 224 Abs.
1 SGB V für Krankengeld, Mutterschaftsgeld und Erziehungsgeld und in § 240 Abs. 2
Satz 2 SGB V für den Existenzgründungszuschuss geregelt ist. Die Tatsache, dass sie
nicht zu den für Pflichtmitglieder beitragspflichtigen Einnahmen gehört, lässt ebenfalls
nicht den Schluss auf die Beitragsfreiheit bei freiwillig Versicherten zu, weil bei letzteren
zulässig auch andere Einnahmen als bei Pflichtversicherten beitragspflichtig sein können.
Die Privilegierung der Hinterbliebenenrente im Einkommensteuerrecht gemäß § 3 Nr. 1
a) des Einkommensteuergesetzes (EStG) rechtfertigt es ebenfalls nicht, sie nicht zur
Beitragserhebung heranzuziehen, weil die steuerliche Privilegierung von Einnahmen und
insbesondere die nach § 3 EStG im Beitragsrecht in der Regel nicht übernommen
werden muss.
Schließlich besitzt die Hinterbliebenenrente der gesetzlichen Unfallversicherung anders
als etwa die Grundrente nach dem BVG neben einer materiellen keine besondere ideelle
Komponente. Wesentlicher Zweck dieser Leistung ist es nicht, einen ideellen Ausgleich
zu schaffen für ein vom Einzelnen erbrachtes gesundheitliches Opfer, für das die
staatliche Gemeinschaft verantwortlich ist oder die Verantwortung übernimmt, so dass
diese Leistung auch weder in allen Bereichen des Sozialrechts und in anderen
Rechtssystemen bei der Bewilligung von Sozialleistungen immer oder doch regelmäßig
anrechnungsfrei bleibt. Das gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass auch die
Verletztenrente in vollem Umfang zur Beitragsbemessung herangezogen werden kann,
obwohl ein nicht unerheblicher Anteil der Verletztenrente dem Ausgleich eines
immateriellen Schadens dient. Denn insgesamt ist sie durch ihre
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immateriellen Schadens dient. Denn insgesamt ist sie durch ihre
Einkommensersatzfunktion geprägt und wird deshalb nicht in größerem Umfang
privilegiert (vgl. Urteil vom 6. September 2001, B 12 KR 14/00 R, SozR 3-2500 § 240 Nr.
41). Das gilt auch für die hier betroffene Hinterbliebenenrente.
Diese Erwägungen gelten auch für die Betragsbemessung zur Pflegeversicherung.
Die rückwirkende Berücksichtigung der Hinterbliebenenrente und die Erhöhung der von
der Klägerin zu leistenden Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung sind durch §
45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB X gedeckt. Die Beklagte hat die
Rücknahme des Bescheides vom 25. September 2000 fehlerfrei unter Ausübung des ihr
zustehenden Ermessens in dem gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens gewordenen Bescheides vom 21. September 2001 ausgesprochen; im
Übrigen nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts
in dem angefochtenen Urteil Bezug.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem
Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG
vorlag.
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