Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.12.2006
LSG Berlin und Brandenburg: werkstatt, vertretung, arbeitslohn, veröffentlichung, verpflegungskosten, nährwert, kostenbeitrag, verfügung, verbraucherschutz, behinderung
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 13.12.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 51 SO 4801/05
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 15 B 221/06 SO PKH
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2006 aufgehoben.
Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen gewährt und
Rechtsanwalt T L, Sstr., B beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet, denn sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe
sind erfüllt (§ 73a Sozialgerichtsgesetz – SGG – i. V. m. §§ 114 ff Zivilprozessordnung – ZPO –). Der Kläger kann die
Kosten der Prozessführung aus seinem den Regelbedarf unterschreitenden Werkstatteinkommen nicht aufbringen, die
Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist angesichts der komplexen Sach- und Rechtslage erforderlich, und die
Rechtsverfolgung hat im besonderen auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der 1965 geborene Kläger, bei dem ein Grad der Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz bzw. dem
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – SGB IX – von 100 sowie die Voraussetzungen für die Merkzeichen G und H
anerkannt sind, erhält vom Beklagten seit Jahren laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. nach
dem 4. und 6. Kapitel des SGB XII (Grundsicherung und Eingliederungshilfe für Behinderte). Aus seiner Arbeit in einer
Werkstatt für behinderte Menschen erzielt er einen monatlichen Arbeitslohn von 123,15 EUR und nimmt dort an der
kostenfreien Gemeinschaftsverpflegung (Mittagessen) teil. Der Kläger beanstandet mit seiner Klage im Ansatz
zutreffend, dass der Beklagte bei der Bewilligung der Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab März 2005 – im
Gegensatz zur früheren Leistungsbewilligung – das Mittagessen mit der Begründung, dass Doppelleistungen zu
vermeiden seien, und unter Hinweis auf § 42 Satz 1 Ziffer 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bedarfsmindernd mit
arbeitstäglich 2,58 EUR berücksichtigt hat. Dies führt dazu, dass der für den Kläger zugrunde gelegte Regelsatz von
monatlich 276,- EUR um durchschnittlich 49,02 EUR (bei 19 Arbeitstagen) gekürzt wird. Dieser Betrag, den der
Beklagte aufgrund des von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz erlassenen
Rundschreibens I Nr. 40/2004 vom 22. Dezember 2004 in Ansatz gebracht hat, dürfte entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts jedenfalls zu hoch angesetzt sein. Soweit das Gericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat,
dass der so bemessene Wert in nicht zu beanstandender Weise aus § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über den Wert
der Sachbezüge in der Sozialversicherung vom 19. Dezember 1994 (BGBl. I S. 3849) in der Fassung der
Änderungsverordnung vom 22. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2663) abgeleitet worden sei – danach beträgt der Wert eines
kostenlos zur Verfügung gestellten Mittagessens monatlich 78,25 EUR -, ist darauf hinzuweisen, dass bei der zur
Begründung der streitigen Regelsatzkürzung herangezogenen Feststellung eines abweichenden Bedarfes gemäß § 28
Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht auf den Wert des erhaltenen Sachbezuges abgestellt werden kann, sondern der Wert des
hierdurch gedeckten Bedarfes im Rahmen des sozialhilferechtlich maßgebenden Regelsatzes ausschlaggebend sein
dürfte. Diesen Bedarfsanteil haben der Beklagte und das Sozialgericht aber bisher nicht ermittelt (vgl. hierzu
ausführlich das Urteil des 23. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 28. September 2006 – L 23 SO 1094/05 – ,
zur Veröffentlichung in Juris vorgesehen; bei dem dort maßgeblichen Regelsatz von monatlich 331,- EUR hat das
Gericht eine anderweitige Bedarfsdeckung durch die Teilnahme am Gemeinschaftsessen der Behindertenwerkstatt i.
H. v. 35,40 EUR angenommen).
Im Übrigen sind die Bedenken, die der Kläger mit der Beschwerde generell gegen die Anrechnung des Mittagessens
bei der Gewährung der laufenden Grundsicherungsleistungen angemeldet hat, nicht ohne weiteres von der Hand zu
weisen. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass Sinn und Zweck der Übernahme der Verpflegungskosten in der
Werkstatt für behinderte Menschen sich nicht auf den bloßen Nährwert des Essens beschränken, sondern das
integrative Moment der gemeinsamen Mahlzeit als eigenständige Eingliederungsleistung umfassen dürfte, erscheint
prüfungsbedürftig, ob es sich bei der Teilnahme des Klägers am kostenlos angebotenen Mittagessen in der Werkstatt
ohne Kürzung des Regelsatzes – wie bei der früheren Leistungsgewährung bis einschließlich Februar 2005 praktiziert
– tatsächlich um eine dem Sozialhilferecht widersprechende doppelte Bedarfsdeckung handelt, die eine Identität der
Bedarfstatbestände voraussetzen dürfte. Ferner könnte sich die Frage stellen, ob die streitige Kürzung des beim
Kläger zugrunde zu legenden Regelsatzes einen Wertungswiderspruch zur Regelung des § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7,
Satz 4 SGB XII beinhaltet, weil danach – unstreitig – von dem niedrigen Arbeitslohn des Klägers kein Kostenbeitrag
für die durch das kostenlose Mittagessen in der Einrichtung ersparten Aufwendungen für entsprechenden häuslichen
Lebensunterhaltsbedarf verlangt werden kann. Aus der Sicht des Klägers besteht nämlich "unterm Strich" kein
Unterschied zwischen der Kürzung des Regelsatzes und der teilweisen Anrechnung von Arbeitseinkommen für in
soweit ersparte häusliche Aufwendungen. Dies alles wirft – unabhängig vom offenen Ergebnis – durchaus schwierige
Rechtsfragen auf, die die Beiordnung des vom Kläger benannten Rechtsanwaltes zur Vertretung im erstinstanzlichen
Verfahren rechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).