Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 04.03.2009

LSG Berlin-Brandenburg: zusicherung, wohnung, heizung, umzug, vorläufiger rechtsschutz, hauptsache, erlass, angemessenheit, einzug, unterkunftskosten

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 5 AS 573/09 B ER, L
5 AS 576/09 B PKH
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 86b Abs 2 SGG, § 22 Abs 1 S 1
SGB 2, § 22 Abs 1 S 2 SGB 2, §
22 Abs 2 SGB 2
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einholung der vorherigen
Zusicherung des kommunalen Trägers zu den neuen
Unterkunftskosten vor einem Umzug im Wege einstweiligen
Rechtsschutzes - Vorliegen eines Anordnungsgrundes
Tenor
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
04. März 2009 werden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern auch für das Beschwerdeverfahren keine
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die
Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer Zusicherung zu den Aufwendungen
für eine neue Unterkunft.
Die 1969 geborene Antragstellerin zu 1.) ist die Mutter der 1999 geborenen
Antragstellerin zu 2.) und des 2001 geborenen Antragstellers zu 3.) Sie wohnen in einer
Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung mit 68,69 m² Wohnungsgröße zu einer Gesamtmiete in
Höhe von zuletzt 483,34 Euro. Für die Zeit ab dem 01. März 2009 bis 31. August 2009
wurden den Antragstellern mit Bescheid vom 16. Februar 2009 Kosten der Unterkunft
und Heizung in Höhe von jeweils 161,08 Euro bzw. 161,07 Euro bewilligt.
In der Vergangenheit haben sie mehrfach und mit unterschiedlichen Begründungen eine
Zusicherung für einen Umzug beantragt. Zuletzt beantragten sie im Oktober 2008 die
Zusicherung für einen Umzug in eine 78,33 m² große Wohnung in der A Allee in B mit
einer Gesamtmiete in Höhe von 568,10 Euro und gaben als Grund eine
Familienzusammenführung mit dem Vater der Antragsteller zu 2.) und 3.) an. Der
Antragsgegner lehnte die Erteilung der Zusicherung zu den Aufwendungen dieser neuen
Unterkunft mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08. Januar 2009 ab, weil ein Umzug nicht erforderlich sei. Die bisherige Wohnung sei
auch für vier Personen ausreichend groß.
Dagegen haben die Antragsteller am 03. Februar 2009 Klage zum Sozialgericht Berlin (S
129 AS 3214/09) erhoben.
Am 17. Februar 2009 haben die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz und die
Gewährung von Prozesskostenhilfe beim Sozialgericht Berlin beantragt. Zur Begründung
haben sie vorgetragen, der Wohnungswechsel sei zur Familienzusammenführung
erforderlich und die Kosten der neuen Unterkunft angemessen. Entgegen der
Auffassung des Antragsgegners komme ein Einzug des Vaters der Antragsteller zu 2.)
und 3.) in die bisherige Wohnung aus gesundheitlichen Gründen nicht in Betracht. Zur
Stützung dieses Vortrages wurde ein ärztliches Attest der Ärztin für Neurologie und
Psychiatrie W zu den Akten gereicht, in dem es u. a. hieß, der Vater der Antragsteller zu
2.) und 3.) sei erheblich in seiner Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit eingeschränkt und
sehr stress- und lärmempfindlich. Er bedürfe einer ruhigen und stabilen Umgebung. Weil
die bisherige Wohnung der Antragsteller durch Straßen- und Fluglärm erheblich belastet
sei, sei es ihm aus nervenärztlicher Sicht nicht möglich, in die bisherige Wohnung der
Antragsteller zu ziehen.
Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die
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Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 04. März 2009 abgelehnt und zur
Begründung ausgeführt, ein Anspruch auf die begehrte Zusicherung sei nicht glaubhaft
gemacht. Die Angemessenheit könne mangels näherer Angaben zu der im Antrag
genannten Wohnung nicht beurteilt werden. Auch die Erforderlichkeit sei nicht glaubhaft
gemacht. Das ärztliche Attest enthalte keine messbaren oder überprüfbaren Lärmpegel
bzw. Schwellenwerte, die für den Vater unzumutbar wären. Wegen der fehlenden
Erfolgsaussichten komme auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht.
Gegen diesen am 09. März 2009 zugestellten Beschluss hat die Prozessbevollmächtigte
der Antragsteller am 25. März 2009 unter Vertiefung des bisherigen Vorbringens
Beschwerde beim Sozialgericht Berlin eingelegt. Ein Einzug des Vaters der Antragsteller
zu 2.) und 3.) in die bisherige Wohnung, die sich in der Nähe des Flughafens befinde, sei
wegen des Lärms unzumutbar. Es sei klarzustellen, dass es um die Wohnung in der A
Allee 31 gehe, für die ein Angebot vorliege. Im Übrigen spare der Antragsgegner noch
den der Antragstellerin zu 1.) bislang gezahlten Alleinerziehendenzuschlag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen
ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Antragsgegners, welche Grundlage dieser Entscheidung gewesen sind, Bezug
genommen.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig,
da sie form- und fristgerecht erhoben wurde. Sie ist jedoch nicht begründet. Die
Antragsteller haben die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht. Das Sozialgericht hat den Antrag zu
Recht abgelehnt.
Streitgegenstand ist im Beschwerdeverfahren ausschließlich die Zusicherung zu den
Aufwendungen der Wohnung in der A Alle 31. Diese allein war beantragt und Gegenstand
des Verwaltungsverfahrens. Eine rechtsschutzorientierte Auslegung des Begehrens (§
123 SGG) ergibt, dass im vorliegenden Verfahrens auch die Ansprüche der
Antragstellerin zu 2.) und des Antragstellers zu 3.) geltend gemacht werden. Trotz des
Konstrukts der Bedarfsgemeinschaft handelt es sich bei Ansprüchen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) um Individualansprüche (BSG, Urteil vom 07. November
2006 – B 7b AS 8/06 R – BSGE 97, 217; Urteil vom 27. Februar 2008 – B 14/7b AS 32/06
R – SGb 2008, 234). Es ist nicht davon auszugehen, dass allein die Antragstellerin zu 1.)
umziehen und deshalb nur ihren eigenen Anspruch auf die Zusicherung verfolgen will.
Deshalb hat der Senat die Antragstellerin zu 2.) und den Antragsteller zu 3.) als weitere
Antragsteller in das Verfahren einbezogen und in das Rubrum aufgenommen.
Der so zu verstehende Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die
Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung sind nämlich
nicht erfüllt. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf
Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist stets, dass ein
Anordnungsanspruch (hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen
materiell-rechtlichen Anspruchs) und ein Anordnungsgrund (besondere Eilbedürftigkeit)
glaubhaft gemacht werden. Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des
summarischen Charakters dieses Verfahrens grundsätzlich nicht die endgültige
Entscheidung in der Hauptsache vorweg nehmen. Daher ist vorläufiger Rechtsschutz nur
dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR
120/09 - ; Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – NVwZ 2005, 927 = NJW 2005,
2982).
Hieran gemessen haben die Antragsteller weder einen Anordnungsanspruch noch einen
Anordnungsgrund in einem die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße
glaubhaft gemacht.
Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf die begehrte Zusicherung für die
Erbringung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft der neuen, in Aussicht
genommen Wohnung. Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II sollen erwerbsfähige
Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die
Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen
Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 der
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Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 der
Vorschrift ist der kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug
erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Die
Zusicherung ist aber (anders als die Zusicherung, die nach § 22 Abs. 2 a SGB II
eingeholt werden muss) keine Voraussetzung für einen Anspruch auf die Übernahme
höherer Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie hat lediglich den Zweck, über die
Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren Entstehung eine Entscheidung
herbeizuführen und so für den Hilfebedürftigen das Entstehen einer erneuten Notlage
infolge der nur teilweisen Übernahme von Kosten zu vermeiden (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 16. Januar 2009 – L 5 B 2097/08 AS ER und vom 07. Mai 2009 – L 5 AS 473/09 B
PKH; Kalhorn in Hauck/Noftz § 22 SGB II Rn. 43; Lang in Eicher/Spellbrink SGB II § 22 Rn.
65ff; Berlit in LPK-SGB II 2. Auflage 2007 § 22 Rn. 71). Eine weitergehende Bedeutung
kommt ihr damit nicht zu (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November
2007 – L 28 B 1101/07 AS PKH -). In diesem Sinne handelt es sich lediglich um eine
Obliegenheit der Antragsteller gegen sich selbst. Bezögen sie die neue Unterkunft, ohne
vorher die Zusicherung eingeholt zu haben, hätte dies keine nachteiligen Folgen, sofern
der Umzug objektiv erforderlich gewesen ist. Nur bei Nichterforderlichkeit wären sie
künftig in ihren Ansprüchen auf die Höhe der bisherigen Aufwendungen der Kosten der
Unterkunft und Heizung zu begrenzen, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Der Zweck der
Zusicherung besteht deshalb nicht darin, einen Umzug zu ermöglichen.
Das Verfahren der Zusicherung ist vom Verfahren über die Zahlung der tatsächlichen
Kosten der Unterkunft und Heizung zu trennen. Eine Verpflichtung zur vorläufigen
Zusicherung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes macht deshalb keinen Sinn,
denn eine Gewissheit über die Übernahme der künftigen Wohnkosten lässt sich damit
nicht erreichen. Derjenige, dem es einstweilen darum geht, die Kosten der Unterkunft
und Heizung bis zur Entscheidung in der Hauptsache in voller Höhe zu erhalten, muss
dafür nicht im Eilrechtsschutz eine Zusicherung erstreiten, sondern kann eine
entsprechende Wohnung ohne Zusicherung beziehen und dann - ggf. in einem
Eilrechtsschutzverfahren - höhere Leistungen begehren. Es geht deshalb nicht an, das
Zusicherungsverfahren als vorgezogenes Verfahren über tatsächliche Leistungen zu
begreifen und im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Zusicherung zu erlangen,
welche im Falle der Stattgabe mit dem tatsächlichen Umzug ihre Erledigung fände und
ggf. später nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte. Dies würde de facto eine
unumkehrbare Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten. Zwar kann es auch für
Zusicherungen nach § 22 SGB II einstweiligen Rechtsschutz geben. Allerdings nicht in
Fällen, in denen es ausschließlich um die Übernahme der vollen Wohnungskosten geht,
sondern ggf. in Fällen, in denen der Umzug durch die Zusicherung ermöglicht werden
soll. Für Fälle der vorliegenden Art sind für einen solchen einstweiligen Rechtsschutz
jedoch hohe Anforderungen sowohl an den Anordnungsanspruch als auch an den
Anordnungsgrund zu stellen.
Vor diesem Hintergrund kann der Senat offen lassen, ob die Antragsteller einen
Anordnungsanspruch haben. Insbesondere die Frage nach der Erforderlichkeit des
Umzugs wegen der Lärmempfindlichkeit und die Frage nach der Aussagekraft des von
den Antragstellern eingereichten ärztlichen Attestes und auch die Angemessenheit
können unbeantwortet bleiben. Denn in jedem Fall ist ein Anordnungsgrund zu
verneinen, weil die erforderliche besondere Eilbedürftigkeit für eine solche Vorwegnahme
der Hauptsache nicht gegeben ist. Die Antragsteller müssen nicht im Eilverfahren eine
Zusicherung erstreiten, sondern können die Wohnung ohne Zusicherung beziehen und
dann - ggf. in einem Eilrechtsschutzverfahren – die Kosten der Unterkunft und Heizung
begehren. Selbst bei erwiesener Nichterforderlichkeit wären sie künftig in ihren
Ansprüchen nicht auf die Höhe der bisherigen Aufwendungen der Kosten der Unterkunft
und Heizung begrenzt. Denn eine solche Begrenzung erfolgt nur, wenn sich die Kosten
nach einem nicht erforderlichen Umzug erhöhen. Dies ist vorliegend für die
streitgegenständliche, neue Wohnung aber nicht der Fall. Denn die anteiligen Kosten der
Unterkunft und Heizung würden unter den bisherigen Kosten liegen. Bei der
vorzunehmenden Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach Kopfzahl (vgl.
dazu BSG, Urteil vom 25. Juni 2008 – B 11b AS 45/06 R – info also 2009, 37 m. w. N.)
würden sich die anteiligen Kosten pro Kopf ohne Abzug der Warmwasserpauschale auf
142,05 € belaufen und wären damit geringer als die den Antragstellern gegenwärtig
bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung (161,07 €).
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Wegen der fehlenden Erfolgsaussicht in der Sache hat das Sozialgericht zu Recht auch
den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.
V. m. § 114 Zivilprozessordnung [ZPO]).
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Die Kostenentscheidung beruht zum einen auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG, zum anderen auf § 73a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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