Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 31.01.2006

LSG Berlin-Brandenburg: berufliche tätigkeit, spina bifida, belastung, gefahr, berufskrankheit, innere medizin, osteochondrose, unfallversicherung, entstehung, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
31. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 31 U 346/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 9 SGB 7, Nr 2108 BKVO
LWS-Schäden - Konsensempfehlung - Regelbeispiele -
arbeitsmedizinische Voraussetzungen
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom
31. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten
einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass bei ihm eine Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der
Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) vorliegt, und die Gewährung von
Leistungen nach § 3 BKV.
Der 1951 geborene Kläger war nach einer bis August 1969 absolvierten Lehre zum
Betonbauer als Eisenflechter tätig. Von Juli 1972 bis Anfang der 90er Jahre arbeitete er
bei der Firma AS als Flechter und Zimmerer im Akkord. Seit 1996 war der Kläger bei
dieser Firma als mitarbeitender Polier insbesondere auf kleineren Baustellen tätig, wo er
weiterhin Schal-, Betonier- und Flechtarbeiten verrichtete. Die arbeitstechnische
Gesamtbelastungsdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell betrug nach den
Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 17. September 2008 37,4 x
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Nh. Seit August 2005 ist der Kläger nach seinen gegenüber dem im
Berufungsverfahren gehörten DM H gemachten Angaben in dessen Gutachten vom 1.
Juli 2009 selbständig in einer eigenen Baufirma tätig.
Im November 2000 wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte mit, dass sein
Gesundheitszustand keine volle Arbeitsfähigkeit auf Dauer mehr zulasse und bat um
Überprüfung. Die behandelnde Fachärztin für Innere Medizin Dr. H zeigte unter dem 28.
November 2000 das Vorliegen einer möglichen Berufskrankheit unter Hinweis auf einen
Bandscheibenprolaps an. Beigebracht wurden u. a. Unterlagen der
Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin und ein für diese gefertigter
Entlassungsbericht, in dem ausgeführt ist, dass der Kläger seit 01. November 1999
fortlaufend arbeitsunfähig und in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Zimmerer und
Eisenflechter nur noch eingeschränkt belastungsfähig sei. Der Kläger überreichte ferner
ein Attest der Dr. H vom 08. Januar 2000, in dem ausgeführt ist, dass er über
anhaltende therapeutisch kaum zu beeinflussende Schmerzen im
Lendenwirbelsäulenbereich mit Schmerzausstrahlung in das linke Bein bis zum Großzeh
sowie Taubheitsgefühle und Kribbeln in diesem Bereich bei ausgeprägter
Fußheberparese links leide, sowie das Ergebnis einer Kernspintomografie der LWS vom
18. November 1999. Die Beklagte befragte den Kläger zu seinen Arbeitsverhältnissen
und seinem Gesundheitszustand, holte Befundberichte des Facharztes für
Neurochirurgie Dr. A und der Dr. H ein und zog die Vorerkrankungsverzeichnisse der
Krankenkassen des Klägers, nämlich der AOK Berlin für die Zeit bis 31.12.97 und der
KKH für die sich anschließende Zeit bei. Übersandt wurden ferner das Ergebnis von
Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule (HWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) aus 1986
(Beurteilung u. a.: Zustand nach thorakolumbalem Morbus Scheuermann) sowie von
Computertomografien (CT) der LWS vom 04. November 1999 vom 30. Juni 1987.
Beigebracht wurde ferner das Ergebnis von Röntgenaufnahmen von HWS, BWS und LWS
vom 27. März 2001, wo u. a. ausgeführt ist, dass die LWS flache Diskushernien im Sinne
eines alten Morbus Scheuermann zeige.
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Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme des Landesamtes für Arbeitsschutz,
Gesundheitsschutz und Technische Sicherheit Berlin vom 27. April 2001 ein, für welches
die Gewerbeärztin U ausführte, dass der Anfangsverdacht auf eine berufliche Auslösung
und Unterhaltung eines degenerativen Bandscheibenleidens den Unterlagen nicht
entnommen werden könne. Der im Segment L 5/S 1 aufgetretene Prolaps müsse im
Zusammenhang mit den Residuen eines Morbus Scheuermann gesehen werden und
korrespondiere nicht mit bandscheibenbedingten Veränderungen in der LWS-Region.
Man empfehle allerdings, die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu
unterstützen.
Mit Bescheid vom 23. Mai 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung
wegen einer BK 2108 sowie von prophylaktischen Maßnahmen gemäß § 3 BKV ab. Die
aktuell angefertigten Röntgenaufnahmen zeigten, dass der Kläger an degenerativen
Veränderungen in Form einer Chondrose bei Zustand nach einem Morbus Scheuermann
an der LWS leide, ferner zeigten sich degenerative Veränderungen an der HWS und
Brustwirbelsäule (BWS). Es liege kein belastungskonformes Schadensbild im Sinne eines
mehrsegmentalen bandscheibenbedingten Schadens an der LWS mit einem von oben
nach unten zunehmenden und über das Altersmaß hinausgehenden Erkrankungsbild
vor. Für Präventionsmaßnahmen nach § 3 BKV ergebe sich kein Raum, da wegen des
Nichtvorliegens eines belastungskonformen Schadensbildes keine konkrete Gefahr des
Entstehens einer BK 2108 der Anlage zur BKV bestehe.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers, mit dem dieser ein Attest der
behandelnden Dr. H vom 25. Juni 2001 beibrachte, wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001 zurück.
Im gerichtlichen Verfahren überreichte der Kläger zunächst das Ergebnis weiterer
Aufnahmen vom 16. August 2001 und Angaben zur arbeitstechnischen Belastung.
Das Gericht holte einen Befundbericht der Dr. H vom 24. September 2002 und sodann
ein Gutachten des Chirurgen Dr. B vom 10. Februar 2003 ein, der ausführte, dass zwar
eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliege, dass diese aber nicht durch
die berufliche Exposition des Klägers hervorgerufen, sondern schicksalhaft aufgetreten
sei. Neben der bei dem Kläger vorliegenden skoliotischen Fehlhaltung der BWS mit
deutlichen Abstützreaktionen im Sinne spondylotischer Spangenbildungen und
nachgewiesenen Osteochondrosen sei auch der ohne jeden Zweifel vorliegende Morbus
Scheuermann eine wesentliche Ursache für die beim Kläger bestehenden
gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Bei letzterem handele es sich um eine bereits im
Jugendalter aufgetretene Aufbaustörung der Wirbelsäule, verursacht durch eine mindere
Qualität der bandscheibenbegrenzten Strukturen, wobei im Wachstumsalter die Knochen
dem Ausdehnungsdruck des Bandscheibengewebes nicht gewachsen seien. Dies führe
zu Achsabweichungen der Wirbelsäule und zu Über- und Fehlbelastungen der
Bandscheiben in den benachbarten Wirbelsäulenabschnitten. Es sei also insgesamt von
einer sich frühzeitig entwickelnden Störung des Wirbelsäulenaufbaus auszugehen,
welche in keinen Zusammenhang mit den beruflichen Expositionen des Klägers zu
bringen sei. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS sei allerdings
auszuschließen. Die Beeinträchtigungen bestünden nach Angaben des Klägers
zunehmend seit 1982.
In einer Rückäußerung vom 21. April 2003 zu Einwänden des Klägers hielt Dr. B an seiner
Einschätzung fest und führte weiter aus, dass bei seiner körperlichen Untersuchung
keine schwerwiegenden funktionellen Beeinträchtigungen, insbesondere keine klinischen
Anzeichen einer Bandscheibensymptomatik feststellbar gewesen seien. Eine besondere
Betonung des – von beruflichen Belastungen besonders betroffenen – Segmentes L 4/L
5/S 1 bestehe nicht, vielmehr seien im Bereich der gesamten Brust- und
Lendenwirbelsäule erhebliche degenerative Veränderungen nachweisbar.
Im Termin vom 27. Juni 2003 hat das Gericht Dr. B vernommen, insoweit wird auf die
Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Dieser führte erneut aus, dass der Kläger unter
erheblichen degenerativen Veränderungen, an einer bandscheibenbedingten Erkrankung
der LWS sowie einem chronischen Beschwerdebild mit Funktionseinschränkungen leide,
welche jedoch nicht auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht sodann
ein Gutachten des Prof. Dr. Seingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass beim Kläger
mehrsegmentale Verschleißveränderungen der Wirbelsäule, insbesondere der LWS
vorlägen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ursächlich auf seine langjährige Tätigkeit als
Eisenflechter im Betonbau zurückzuführen seien. Da durch die Befragung des Klägers
sowie die Untersuchungen und Auswertung der vorliegenden medizinischen
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sowie die Untersuchungen und Auswertung der vorliegenden medizinischen
Berichte/Unterlagen objektiv kein Hinweis auf eine wesentliche Vorschädigung des
Achsenorgans vor Beginn seiner beruflichen Tätigkeit habe gefunden werden können,
müsse man davon ausgehen, dass die derzeitigen Wirbelsäulenveränderungen im
mittelbaren Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen zu sehen seien. Zur
Krankheitsvorgeschichte führte er aus, dass der Kläger 1972 14 Tage wegen eines HWS-
und LWS-Syndroms, 1975 6 Tage wegen eines Lumbalsyndroms, 1983 9 Tage wegen
einer Lumbalgie und 1986 7 Tage wegen einer Lumboischialgie rechts arbeitsunfähig
gewesen sei, letztere sei 1987 computertomografisch als rechtsseitiger
Bandscheibenprolaps L 5/S 1 nachgewiesen worden und habe eine längere
Arbeitsunfähigkeit nach sich gezogen. Erst seit 1986 gebe es objektive, insbesondere
bildgebende Untersuchungsdaten. Sicher sei jedoch, dass eine juvenile Osteochondrose
im Sinne eines Morbus Scheuermann für die Degenerationsprozesse nicht verantwortlich
gemacht werden könne. Der von Dr. B angenommene Morbus Scheuermann sei nicht
nachweisbar. Ein solcher ließe sich nur bestätigen, wenn Röntgenbilder der Wirbelsäule
vor dem Lehrbeginn mit entsprechenden Randleistenstörungen vorgelegt werden
könnten, was nicht der Fall sei. Schmorl’sche Knötchen hätten auf keiner der
vorliegenden Röntgenbilder nachgewiesen werden können. Da der Morbus Scheuermann
nicht nachweisbar sei, müssten auch die weiteren Schlussfolgerungen des Dr. B
hinsichtlich des arbeitsbedingten Schadenskomplexes spekulativ bleiben.
Da die langjährige schwere körperliche Tätigkeit in Beugehaltung der Wirbelsäule und das
Heben und Tragen schwerer Lasten derartige degenerativ-adaptive Veränderungen an
der LWS hervorrufen könnten, seien die beim Kläger festgestellten
Gesundheitseinschränkungen mit großer Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die berufliche
Tätigkeit zurückzuführen. Die Entwicklung der Osteochondrose der unteren LWS-
Segmente mit der Osteochondrose/Spondylose der oberen LWS-Segmente unter
Einbeziehung der unteren BWS-Segmente wiesen auf belastungadaptive Veränderungen
im betroffenen Lendenwirbelsäulenabschnitt hin und seien als relativ sicheres Zeichen
für den Ursachenzusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers zu werten. Die Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage aufgrund der chronisch rezidivierenden lokalen
bandscheibenbedingten Erkrankungen und Veränderungen an der LWS mit
Bewegungseinschränkungen ohne derzeit akute Wurzelreizsymptome 20 v. H. Beigefügt
waren das Ergebnis eines MRT der HWS vom 25. November 2003, ein MRT der LWS vom
20. Mai 2003 sowie weitere Untersuchungsergebnisse.
Die Beklagte brachte hierzu eine gutachterliche Stellungnahme der Dr. B/Dr. S, Institut
für Medizinische Begutachtung K, vom 21. April 2004 bei, die ausführten, dass sich zwar
eine bandscheibenbedingte Erkrankung zumindest zeitweise für das Segment L 5/S 1
nachweisen ließe. Entscheidend gegen eine berufliche Verursachung spreche jedoch,
dass sich keine belastungsadaptiven Reaktionen zeigten und ein belastungskonformes
Schadensbild fehle. Es handele sich ausschließlich um Folgen von schicksalhaften
Wirbelsäulenveränderungen bei erheblichen prädiscotischen Ursachenfaktoren wie
einem Beckenschiefstand mit einer lumbosakralen Asymmetrie und daraus
resultierender Seitverziehung der Wirbelsäule.
Zum Gutachten des Prof. Dr. S äußerte sich ferner Dr. B mit Stellungnahme vom 15. Juni
2004 dahin, dass von einer berufsbedingten Verursachung weiterhin nicht ausgegangen
werden könne, da es am belastungskonformen Schadensbild fehle und entgegen Prof.
Dr. S ohne jeden Zweifel erkennbare Vorschäden bestanden hätten. Die Auffassung der
Dres. B und S sei zu bestätigen.
Mit Urteil vom 31. Januar 2006 hat das Sozialgericht Cottbus die Klage abgewiesen. Es
folgte hierbei den Ausführungen der Dr. B, Dr. B und Dr. S. Prof. Dr. S könne hingegen
nicht gefolgt werden, dieser beschränke sich im Wesentlichen auf die Feststellung, dass
ein Morbus Scheuermann nicht vorgelegen habe und folgere die Ursächlichkeit aus der
Darstellung der beruflichen Tätigkeit. Hiermit verkürze der Gutachter die
Kausalitätsdiskussion dahingehend, dass bei Abwesenheit erkennbarer Vorschädigungen
vor Eintritt in die Berufstätigkeit und einer nach seiner Auffassung
wirbelsäulengefährdenden Tätigkeit krankhafte Veränderungen der Wirbelsäule auf eben
diese Tätigkeit zurückzuführen seien. Dies sei aber nicht ausreichend. Vielmehr sei ein –
im Einzelnen dargestelltes – belastungskonformes Schadensbild zu fordern, eine das
Gericht überzeugende Diskussion dieser Kriterien sei lediglich in den Gutachten der Dr. B
und der Dr. B/Dr. S geführt worden. Leistungen nach 3 BKVO seien ebenfalls nicht zu
gewähren, da eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV beim Kläger nicht vorliege und da es
am Risiko einer Schädigung fehle, das über den Grad hinausgehe, der bei anderen
Versicherten in vergleichbarer Beschäftigung bestehe.
Gegen dieses ihm am 29. Juni 2006 zugegangene Urteil richtet sich die am Montag, dem
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Gegen dieses ihm am 29. Juni 2006 zugegangene Urteil richtet sich die am Montag, dem
31. Juli 2006, eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger verweist auf die
Ausführungen des Prof. Dr. S, der zu Recht vom Vorliegen eines
Ursachenzusammenhanges zwischen seiner beruflichen Tätigkeit und den bei ihm
vorliegenden Wirbelsäulenschäden ausgegangen sei. Der Kläger trägt weiter vor, dass
angesichts der hohen bei ihm festgestellten arbeitstechnischen Belastung nicht von
einer schicksalhaften Erkrankung gesprochen werden könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 31. Januar 2006 und den Bescheid der
Beklagten vom 23. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli
2001 aufzuheben, festzustellen, dass seine Erkrankung im Bereich der
Lendenwirbelsäule eine Berufskrankheit im Sinne von Nr. 2108 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung ist und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine wöchentliche
Entschädigungsleistung in Höhe von 184,07 Euro für einen Zeitraum von 5 Jahren
gemäß § 3 BKVO zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die medizinischen Feststellungen der Dr. B/Dr. S und die von
ihr im Berufungsverfahren beigebrachte Stellungnahme des Dr. P vom 25. März 2008.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes zunächst auf Antrag des Klägers nach
§ 109 SGG eine Rückäußerung des Prof. Dr. S vom 06. August 2007 eingeholt, der
ausführte, dass beim Kläger sehr wohl ein typisches belastungskonformes Schadensbild
mit höheren Druckbelastungsveränderungen in den unteren und größeren
Scherbelastungsreaktionen in den oberen Lumbalsegmenten vorliege. Ein
Lendenscheuermann habe sich hingegen in keinem der durchgeführten bildgebenden
Verfahren gezeigt. Woher Dr. B/Dr. S ihre Erkenntnisse zu fehlstatischen Ursachen des
Wirbelsäulenleidens nähmen, bliebe unklar. Entgegen deren Feststellungen habe
beispielsweise Dr. B einen Beckengeradestand bei gleichen Beinlängen dokumentiert.
Das Sahnehäubchen auf diesen Diagnosenkrimi setzten Dr. B/Dr. S mit der
undifferenzierten Aussage zu einer Spina bifida bei S 1. Beim Kläger läge indes
keineswegs der hiermit typischer Weise assoziierte Spina bifida totalis oder partiales vor,
sondern lediglich ein Spina bifida occulta, der schlicht als unvollständiger Bogenschluss
bezeichnet werde und statisch funktionell ohne Bedeutung sei. All dieses sei jedoch
keine konkurrierende Ursache hinsichtlich der Anerkennung einer BK Nr. 2108, wie auch
den Konsensempfehlungen mittlerweile zu entnehmen sei. Ein belastungskonformes
Schadensbild der LWS liege beim Kläger vor mit objektiv ausgeprägter
Chondrose/Osteochondrose L 5/S 1, lumbalem Wurzelsyndrom und einer
Begleitspondylose/Spondylarthrose in den oberen Lumbalsegmenten L 1/2 und L 2/3.
Die Entwicklung sei altersuntypisch mit dem 35. Lebensjahr aufgetreten, so dass eine
plausible zeitliche Korrelation bis zum Durchbruch der ersten klinischen und
radiologischen Symptomatik angesichts der seinerzeit über 10 Jahre ausgeübten
Tätigkeit bestanden habe.
Hierzu brachte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für
Arbeitsmedizin Dr. P vom 25. März 2008 bei, der ausführte, dass eine
bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen nicht vorliege.
Eine Begleitspondylose, nach der von 21 Konstellationen der Konsensempfehlungen 19
explizit als Positiv-Kriterium fragten, müsse, um eine positive Indizwirkung zu haben,
über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. In den
Aufnahmen aus dem Jahr 2001 habe beim Kläger lediglich das Segment Th 12/L 1
ventrale Spondylophyten gezeigt, die jedoch der Definition der Konsensempfehlungen
nicht genügten. Gleiches gelte für die Aufnahmen vom 07. Februar 2003, auch hier sei
keine Begleitspondylose erkennbar, die den Kriterien der Konsensempfehlungen
entspreche. Belastungsinduzierte Veränderungen an der oberen LWS und der unteren
BWS, die auf eine chronisch mechanische Überlastung des Achsenorgans hindeuten
könnten, ließen sich ebenfalls nicht feststellen. Auch eine plausible zeitliche Korrelation
zwischen der beruflichen Belastung auf der einen Seite und dem morphologischen
Befund auf der anderen Seite ließe sich nicht herstellen. Weiter forderte die
Konsensempfehlung eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei
Segmenten der LWS, der Kläger weise hingegen einen monosegmentalen Schaden am
lumbosakralen Übergang auf, während die übrigen Bandscheiben der LWS zwischen
1986 bis 2003 keine wesentlichen Veränderungen aufgezeigt hätten. Die von Prof. Dr. S
angenommene Chondrose III. Grades im Segment L 4/S 1 sowie eine Chondrose I.
Grades im Segment L 4/5 habe er nicht erkennen können. Entsprechend den erhobenen
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Grades im Segment L 4/5 habe er nicht erkennen können. Entsprechend den erhobenen
radiologischen Befunden habe sich vielmehr lediglich auf diesen Segmenten eine
Chondrose II. Grades befunden, so dass sich insgesamt lediglich ein monosegmentales
Schadensbild auf dem Segment L 5/S 1 bestätigen ließe. Insgesamt finde sich kein
belastungskonformes, von kranial nach kaudal zunehmendes Schadensbild. Die beim
Kläger vorliegenden Veränderungen in der mittleren und oberen LWS seien einer
juvenilen Aufbaustörung analog dem Morbus Scheuermann zuzuordnen. Die
Aufbaustörung habe sich beim Kläger auch in der Lendenwirbelsäule manifestiert,
derartige Veränderungen seien nach den Konsensempfehlungen als konkurrierende
Ursache zur BK 2108 anzusehen. Ebenso zähle der asymmetrische lumbosakrale
Übergangswirbel als konkurrierende Ursache, der sich beim Kläger in allen Aufnahmen
der LWS zwischen 1986 bis 2003 nachweisen ließe. Er schließe sich insgesamt den
Einschätzungen der Dr. B, Dr. S und Dr. B an.
Das Gericht hat sodann ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. Wl- vom 28. Juli
2008 eingeholt, der zum Ergebnis kam, dass beim Kläger vorlägen
- ein chronisch degeneratives BWS-Syndrom mit deutlichen
Abnutzungserscheinungen im mittleren und unteren BWS-Abschnitt,
- eine Bandscheibendegeneration der Etage L 5/S 1 mit Prolaps und
intermittierenden Nervenwurzelreizerscheinungen S 1 links größer als rechts,
- ein Zustand nach Morbus Scheuermann und
- eine geringgradige lumbo-sakrale Übergangsstörung mit Os sacrum acutum und
leichtgradiger Spina bifida bei S 1.
Eine bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren LWS liege bei nachgewiesenem
Prolaps L5/S 1 vor. Insgesamt handele es sich jedoch um eine schicksalhafte
Erkrankung. Dabei würde er das frühzeitige Auftreten der Lumbalgien noch nicht als
Negativargument gelten lassen, zumal in den 60er und 70er Jahren kein
bandscheibenspezifisches Krankheitsbild diagnostiziert und keine adäquate Diagnostik
vorgenommen worden sei, um dieses Sachargument zu objektivieren. Auch die weiterhin
erkennbaren möglichen Residuen des Morbus Scheuermann seien nach den aktuellen
Konsensempfehlungen nicht als wesentliche konkurrierende Ursache einzustufen, sie
hätten auch nachweislich im Bereich der Segmente L 1 bis L 4 nicht zu erkennbaren
Veränderungen der Bandscheibenfächer oder Wirbelkörperdeckplatten geführt.
Die aktuellen Konsensempfehlungen forderten jedoch bei einem monosegmentalen
Befall der unteren LWS zusätzliche in bildgebenden Verfahren feststellbare
Veränderungen. Vorliegend spräche die sich ausschließlich auf eine Etage
konzentrierende altersüberschreitende Abnutzung beim Fehlen entsprechender
Begleitveränderungen auf den höher liegenden Segmenten und bei gleichzeitig
stärkerem Befall der mittleren BWS eindeutig gegen eine beruflich induzierte
Degeneration. Die Abnutzungen im Bereich der BWS hätten tendenziell im Lauf der
letzten Jahre zugenommen, während sich am radiologischen Zustand der LWS bis zum
Jahre 2001 nichts Grundlegendes verändert habe. Entscheidend sei, dass sich bis zu
diesem Zeitpunkt, also nach fast 40jähriger beruflicher Überlastung, keine relevanten
Abstützreaktionen wie eine grobe dorsale Spondylose oder ausgeprägte
Osteochondrose mit Sklerosen entwickelt hätten. Bei einer derart langen beruflichen
Exposition, wie sie bereits 1986 vorgelegen habe, hätte eine multisegmentale
Veränderung mit dorsalen Spondylosen der unteren LWS als auch nach kaudal
zunehmenden Abnutzungserscheinungen im Sinne von Osteochondrosen vorliegen
müssen, dies lasse sich jedoch im Bereich der mittleren und oberen LWS überhaupt
nicht erkennen. Gleichzeitig weise die mittlere BWS deutliche knöcherne Abnutzungen
auf, welche als altersüberschreitend eingestuft werden müssten und zudem auch das
Ausmaß an der unteren LWS eindeutig überschritten. Auch die aktuellste MRT-Aufnahme
der LWS vom 19. Mai 2005 liefere weitere Belege dafür, dass beim Kläger eine
schicksalhafte Erkrankung vorliege. Es zeige sich unverändert ein mittig gelagerter
Prolaps des Segmentes L 5/S 1, es sei weiter ausschließlich die unterste Etage von
altersüberschreitenden Veränderungen der Bandscheibe der LWS betroffen, während die
Segmente L 3 bis L 5 keine zusätzlichen Bandscheibendegenerationen aufwiesen. Dies
beziehe sich auch auf die bildgebenden Phänomene Black-disc oder relevanter
Flüssigkeitsverlust (Vakuumphänomen). Folglich verbleibe es auch nach fast 40jähriger
beruflicher Überlastung bei einem monosegmentalen Problem der unteren LWS ohne
belastungsadaptive Reaktionen im Röntgenbild als auch in den Tomografieaufnahmen.
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belastungsadaptive Reaktionen im Röntgenbild als auch in den Tomografieaufnahmen.
Die Ausführungen des Prof. Dr. S zu belastungsadaptiven Reaktionen könne er in
Übereinstimmung mit den anderen Gutachtern nicht nachvollziehen. Es habe sich zwar
eine geringe dorsale Spondylose frühzeitig zu Beginn der radiologischen Diagnostik auf
dem Segment L 5/S 1 gefunden, jedoch sei im Verlaufe der Jahrzehnte keine Zunahme
dieses Positiv-Indizes zu erkennen gewesen. Darüber hinaus müssten dorsale
Spondylosen nicht nur monosegmental aufgedeckt werden. Der Mitbefall der unteren
drei Wirbelsäulensegmente sei bis zum heutigen Tag nicht erkennbar. Auch in der
deutlich höheren Abnutzung in einer belastungsfernen Region (mittleren BWS) sei ein
weiteres Indiz für eine schicksalhafte Abnutzungserscheinung des Achsenorganes zu
sehen. Eine Eingruppierung in die vorgegebenen Fallkonstellationen der
Konsensempfehlungen würde sich daher erübrigen.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Gericht sodann noch ein Gutachten des
Facharztes für Chirurgie DM H vom 01. Juli 2009 eingeholt. Dieser führte aus, dass in
Würdigung der nicht arbeitsbedingten Veränderungen an der Wirbelsäule davon
ausgegangen werden müsse, dass die Veränderungen im Segment L 5/S 1 nicht
hauptursächlich durch die Arbeitsbelastung ausgelöst oder verursacht worden seien,
sondern größtenteils im Sinne einer schicksalhaften Erkrankung durch die
Vorerkrankungen gebahnt worden seien. Außerberufliche Faktoren seien chronisch
degenerative Veränderungen der BWS im mittleren und unteren Abschnitt mit Übergang
auf L 1, eine Übergangsstörung im lumbosakralen Übergang, ein Spina bifida sowie ein
Morbus Scheuermann. Im Wesentlichen schließe er sich den Gutachten der Dr. B, Dr.
B/Dr. S, Dr. P und Dr. W. an. Dem Gutachten von Prof. Dr. S könne er insofern nicht
folgen, als er eine schicksalhafte Genese als erwiesen erachte.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 06. November 2009 darauf
hingewiesen, dass beabsichtigt sei, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zu
entscheiden und Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Über die Berufung konnte gemäß § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung durch
Beschluss entschieden werden, weil das Gericht die Berufung einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält und den
Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben wurde.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der
Beklagten vom 23. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli
2001 und das erstinstanzliche Urteil sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in
seinen Rechten. Der Kläger hat weder Anspruch auf Feststellung, dass bei ihm eine BK
2108 vorliegt, noch auf die Gewährung von Leistungen gemäß § 3 BKV.
Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 SGG VII Krankheiten, die die Bundesregierung
durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und
die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII
begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten
Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bandscheibenbedingte
Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder
langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die
arbeitstechnischen Voraussetzungen in der Person des Klägers gegeben sind und dass
zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im
Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche
Tätigkeit zurückzuführen ist. Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie
bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß müssen im
Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als
Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende)
Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit ausreicht (ständige
Rechtssprechung vgl. z. B. BSG, Urteil vom 2. Mai 2001, SozR 3-2200, § 551 Nr. 18 m. w.
N.).
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Diese Voraussetzungen für die Feststellung, dass eine BK 2108 vorliegt, sind in der
Person des Klägers nicht erfüllt. Der Kläger hat zwar nach den Feststellungen des
Präventionsdienstes der Beklagten mit einer Gesamtbelastungsdosis von 37,4 x 10
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die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK
2108 klar erfüllt. Das Vorliegen der so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen
indiziert aber keineswegs den notwendigen Kausalzusammenhang zwischen beruflicher
Belastung und aufgetretener Erkrankung. Vorliegend fehlt es am Vorliegen der
medizinischen Voraussetzungen für diese Berufskrankheit, die auch bei einer derart
hohen Belastung erfüllt sein müssen. Beim Kläger liegt zwar eine bandscheibenbedingte
Erkrankung der unteren LWS bei nachgewiesenem Prolaps L 5/S 1 vor. Diese Erkrankung
ist jedoch nicht ursächlich auf die berufliche Belastung zurückzuführen.
Dabei ist nach dem Merkblatt zu der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV (BArbBl. 10/2006,
Seite 30 ff.) zu berücksichtigen, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der
Lendenwirbelsäule eine multifaktorielle Ätiologie haben, weit verbreitet sind und in allen
Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Die in dem Merkblatt
dargelegten Erkenntnisse zur Entstehung von Wirbelsäulenerkrankungen können
jedenfalls derzeit noch als dem Stand der Wissenschaft entsprechend angewandt
werden, auch wenn diese Merkblätter nicht fortgeführt werden. Bei der
Kausalitätsbetrachtung sind bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule
von konkurrierenden Ursachen abzugrenzen, wobei im Rahmen der
Kausalitätsbetrachtung eine Gesamtschau aller möglichen Faktoren anzustellen ist. Für
den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen im
Berufskrankheitenrecht gilt, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die
Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach werden im Sozialrecht als rechtserheblich
nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu
dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit
"gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige,
sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den
Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende
Bedeutung hat (haben). Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer
Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches, also
Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer
Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus
dem Verhalten des Verletzten nach den Einwirkungen, Befunde und Diagnosen der
erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung
am individuellen Versicherten sind der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im
Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die
Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschäden zugrunde zu
legen. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische
Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf
dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also,
von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens
besteht. Dazu können einschlägige Publikationen, beispielsweise die Merkblätter des
zuständigen Bundesministeriums und die wissenschaftliche Begründung des ärztlichen
Sachverständigenbeirats, Sektion Berufskrankheiten, zu der betreffenden BK oder
Konsensusempfehlungen der mit der Fragestellung befassten Fachmediziner
herangezogen werden, sofern sie zeitnah erstellt oder aktualisiert worden sind und sich
auf dem neuesten Stand befinden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006, Az. B 2 U 13/05 R,
SozR 4-2700 § 9 Nr. 9, zitiert nach juris.de, m. w. N.). Den im Berufungsverfahren
gehörten Gutachtern war daher aufgegeben worden, ihre Feststellungen anhand der
bereits genannten Konsensempfehlungen zur BK 2108 (Bolm-Audorff u. a., Medizinische
Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der
Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff. und S. 320 ff.) zu
begründen, aus welcher sich der aktuelle medizinische Erkenntnisstand zu dieser BK
ergibt.
Nach dem so gefundenen Ergebnis der medizinischen Feststellungen steht fest, dass in
der Person des Klägers die medizinischen Voraussetzungen für die Feststellung der BK
2108 nicht erfüllt sind. Das Gericht folgt hierbei insgesamt den Feststellungen des Dr. W-
in dessen Gutachten vom 28. Juli 2008, der unter umfassender Auswertung der
vorliegenden Aufnahmen aus bildgebenden Verfahren und einer Würdigung der
Krankheitsentwicklung beim Kläger überzeugend begründete, dass sämtliche zu
würdigenden Indizien gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Dr. W-orientierte
sich dabei an den Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung.
Danach besteht beim Kläger zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS; es
fehlt jedoch vorliegend bereits am so genannten belastungskonformen
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fehlt jedoch vorliegend bereits am so genannten belastungskonformen
Verteilungsmuster der Erkrankung an der Wirbelsäule. Art, Ausprägung und Lokalisation
des Krankheitsbildes müssen der spezifischen Einwirkung bzw. der beruflichen Exposition
entsprechen. Der nach dem anzuwendenden Berufskrankheitentatbestand mit einer
bestimmten Einwirkung korrespondierende Wirbelsäulenabschnitt muss besonders
betroffen sein. Die bandscheibenbedingte Erkrankung im beruflich belasteten Abschnitt
muss sich vom Degenerationszustand belastungsferner Abschnitte deutlich abheben.
Für die BK Nr. 2108 ist hierbei in der Regel ein von oben nach unten in der Ausprägung
zunehmender Befund erforderlich, weil die Belastungen durch langjährige Tätigkeit in
extremer Rumpfbeuge bzw. Heben schwerer Lasten insbesondere bei den
Lendenwirbelsegmenten L5/S1 und L4/5 kumulieren. Diese Belastung ist
brustwirbelsäulenwärts abnehmend, so dass die Segmente L3/3, L2/3 und L1/2 zwar
auch, jedoch nur geringer belastet sind. Ein derartiges belastungskonformes
Schadensbild entspricht den so genannten Konsensusempfehlungen (a. a. O., S. 212 ff.),
wo dieses beschrieben wird durch den Vergleich der Veränderungen zwischen
Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung hinsichtlich
der Kriterien Lebensalter beim Auftreten der Schädigung, Ausprägungsgrad in einem
bestimmten Alter, Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS,
Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten
Wirbelsäulenabschnitten der gleichen Person sowie der Entwicklung einer
Begleitspondylose. Dabei spricht eine Betonung der Bandscheibenschäden an den
unteren drei Segmenten eher für einen Ursachenzusammenhang mit der beruflichen
Belastung, während ein Befall der HWS und/oder BWS je nach Fallkonstellation gegen
einen Ursachenzusammenhang sprechen kann. Insgesamt hat für die
Zusammenhangsbeurteilung eine Abwägung verschiedener im Einzelnen genannter
Positivkriterien mit den gegen eine Verursachung durch die berufliche Tätigkeit
sprechenden Indizien zu erfolgen (Konsensusempfehlungen, a. a. O., Seite 216 f.).
Entsprechend den Vorgaben der Konsensempfehlungen ging Dr. W zu Recht davon aus,
dass allein das Bestehen eines lediglich monosegmentalen Bandscheibenvorfalls noch
nicht gegen eine berufliche Verursachung spricht, worauf auch der nach § 109 SGG
gehörte DM H hinwies. Allerdings wertete Dr. W es zu Recht als klares Indiz gegen eine
berufliche Verursachung, dass trotz der erheblichen beruflichen Belastung beim Kläger
keinerlei belastungsadaptive Veränderungen erkennbar geworden sind. Unter
Auswertung der Aufnahmen aus 1986 und 2001 legte Dr. W dar, dass sich unverändert
lediglich ein mittig gelagerter Prolaps des Segments L 5/S 1 zeige, wobei allerdings auch
lediglich dieses eine Segment altersüberschreitend verändert sei, während irgendwelche
belastungsadaptiven Reaktionen, die bei einer derart langen beruflichen Exposition in
Form einer multisegmentalen Veränderung mit dorsalen Spondylosen der unteren LWS
als auch nach kaudal zunehmenden Abnutzungserscheinungen im Sinne von
Osteochondrosen zu fordern wären, sich im Bereich der mittleren und oberen LWS
überhaupt nicht erkennen ließen. Für eine schicksalhafte Abnutzung sprechend wertete
Dr. W ferner, dass sich in einer belastungsferneren Region, nämlich der mittleren BWS,
bereits frühzeitig eine deutlich höhere Abnutzung eingestellt habe, in diesem Abschnitt
hat sich dann sowohl eine Befundzunahme als auch eine Befundausbreitung bis in die
untere BWS entwickelt. Dem entgegen fand eine derartige Entwicklung, die angesichts
der fortbestehenden beruflichen Belastung zu erwarten gewesen wäre, im Bereich der
LWS nicht statt. So hat sich zwar eine geringe dorsale Spondylose frühzeitig zu Beginn
der radiologischen Diagnostik auf dem Segment L 5/S 1 gezeigt, eine Zunahme dieses
Positivindizes ist im Verlauf der Jahrzehnte jedoch nicht zu erkennen gewesen. Dr. W-
prüft sodann die in den Konsensempfehlungen beschriebenen Konstellationen und
begründet, dass allein die Konstellation B 2 diskussionswürdig wäre, dass deren
Voraussetzungen, wie bereits dargestellt, vorliegend jedoch nicht erfüllt sind. Diese
Vorgehensweise wird dem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand gerecht, so
dass dem so gefundenen Ergebnis zu folgen war, zumal auch die ebenfalls im Verfahren
Stellung nehmenden Dr. B, Dr. B/Dr. S und Dr. P – wenn auch mit im Detail
abweichenden Begründungen - eine Verursachung des beim Kläger gefundenen
Schadens durch seine berufliche Tätigkeit nicht feststellen konnten. Die Anwendung der
Regelbeispiele aus den Konsensempfehlungen darf dabei keineswegs schematisch
erfolgen. Die einzelnen „Tatbestandsmerkmale“ der Konstellationen B 2 bis B 10
ersetzen die notwendige Gesamtbetrachtung nicht. Dies folgt bereits aus der Einleitung
zur Beschreibung der Fallkonstellationen, wo ausgeführt ist, dass nur eine begrenzte
Anzahl typischer Konstellationen definiert und beurteilt worden sei. Weiter zeigt dies
gerade auch der vorliegende Fall, der sich eben nicht ohne weiteres unter die
Regelbeispiele unter dem Buchstaben „B“, die im Grundsatz alle von einem
monosegmentalen bzw. bisegmentalen LWS-Befall ausgehen, wie er auch beim Kläger
vorliegt, subsumieren lässt. Denn die Konstellation B 2, die Dr. W-R für allein
diskussionswürdig hielt, weil die Voraussetzungen der übrigen B-Konstellationen mit
Ausnahme des monosegmentalen Befalls erst recht nicht vorliegen (es fehlen
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Ausnahme des monosegmentalen Befalls erst recht nicht vorliegen (es fehlen
insbesondere der HWS-Schaden und die Begleitspondylose), trifft den vorliegenden Fall
nicht. Denn die Konstellation B2 geht von einer mit Ausnahme des mono- bzw.
bisegmentalen Schadens der LWS altersentsprechenden Wirbelsäule aus. Dies belegen
die folgenden Regelbeispiele, die als Abwägungskriterien auch Schäden an anderen
Wirbelsäulenabschnitten als der LWS benennen, wenn diese denn vorliegen. Die
vorliegende Konstellation mit einem den LWS-Schaden übersteigenden BWS-Schaden
wird aber in keinem Beispiel genannt, obwohl ein BWS-Schaden mit abzuwägen ist (a. a.
O., S. 220). Dies hat Dr. W-R überzeugend getan.
Als einziger der im vorliegenden Verfahren gehörten Gutachter war Prof. Dr. S zu dem
Ergebnis gekommen, dass die beim Kläger vorliegenden Einschränkungen beruflich auf
seine Tätigkeit zurückzuführen seien. Dem konnte jedoch nicht gefolgt werden. Die von
Prof. Dr. S erkannten belastungsadaptiven Reaktionen, die als Positivindiz für eine
berufliche Verursachung zu werten gewesen wären, sind nach den ausführlichen
Stellungnahmen sämtlicher anderen Gutachter hierzu anhand der zahlreichen
gefertigten Aufnahmen der Wirbelsäule des Klägers gerade nicht zu erkennen. Eine
nachvollziehbare Subsumtion unter die Vorgaben der Konsensempfehlungen ist auch
der Rückäußerung des Prof. Dr. S vom 06. August 2007 nicht zu entnehmen. Hinsichtlich
der sonstigen Einwände gegen seine gutachterlichen Feststellungen wird auf die
umfassenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug
genommen, denen sich das erkennende Gericht anschließt. Soweit Prof. Dr. S den
Sachverständigen, denen das Sozialgericht im Ergebnis zu Recht gefolgt war, in seiner
Stellungnahme im Berufungsverfahren vom 06. August 2007 „intellektuelles
Apportierverhalten“ vorgeworfen hat, weil sie sich an die im
unfallversicherungsrechtlichen Schrifttum herausgearbeiteten Regeln der
Kausalitätsbewertung gehalten haben, zeigt dies nur, dass Prof. Dr. S diese Kriterien
nicht akzeptiert. Seine Kausalitätsbewertung (kein Vorschaden an der LWS vor
Aufnahme der Tätigkeit + Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen =
Verursachung des Gesundheitsschadens durch berufliche Einwirkung) entspricht den
Vorgaben einer notwendigen Gesamtbetrachtung in der gesetzlichen Unfallversicherung
nicht. Wie bereits ausgeführt, indiziert die Erfüllung der arbeitstechnischen
Voraussetzungen die Kausalität gerade nicht.
Das im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte
Gutachten des DM H hat das durch Dr. W- gefundene Ergebnis bestätigt. DM H hat sich
ausdrücklich den Vorgutachtern bzw. für die Beklagte beratend Stellung nehmenden Dr.
B, Dr. B/Dr. S und Dr. P angeschlossen, jedoch nicht die Auffassung des Prof. Dr. S
geteilt. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass das Gutachten des DM Handschick die
Argumentationshöhe des Gutachtens der Dr. W- und der Stellungnahme des Dr. P zu
keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise erreicht. Die Feststellung, dass beim Kläger eine
BK Nr. 2108 vorliegt, kam daher nach allem nicht in Betracht.
Auch der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV besteht nicht. Nach
§ 3 Abs. 2 Satz 1 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem
Versicherten, der die „gefährdende Tätigkeit“ einstellt, weil die Gefahr einer Entstehung,
eines Wiederauflebens oder einer Verschlimmerung einer BK für ihn nicht zu beseitigen
ist, zum Ausgleich der hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger
wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Die Übergangsleistung
hat als unterstützende Maßnahme den Zweck, den Versicherten im Rahmen der
Prävention und zur Vorbeugung weiterer Gesundheitsgefahren zur Aufgabe der
gefährdenden Tätigkeit zu veranlassen, so genannte „Anreizfunktion“. Die bei einem
Arbeitsplatzwechsel auftretende Verdienstminderung und sonstigen wirtschaftlichen
Nachteile sollen abgefedert und dem Versicherten so ein Übergang auf eine ggf.
wirtschaftlich ungünstigere Situation erleichtert werden. Im Vordergrund steht bei § 3
Abs. 2 Satz 1 BKV also der Anreiz, die gefährdende Tätigkeit einzustellen. § 3 BKV hat
dabei eine klare präventive Zielrichtung und ist als Maßnahme der Vorbeugung und
Krankheitsverhütung von den sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung üblichen
Entschädigungsleitungen zu unterscheiden. Die Vorschrift ist in die Zukunft gerichtet
und will den Versicherten vor aktuellen Gesundheitsgefahren schützen. Ausdrücklich
führt das BSG aus, dass § 3 BKV entsprechend dieser Zielrichtung auch bei bereits
eingetretenem Versicherungsfall einer BK nicht ausgeschlossen ist, „wenn er trotzdem
weiterarbeitet“ und damit „weiterhin den Einwirkungen dieser BK ausgesetzt ist“ (BSG,
Urteil vom 07. September 2004, Aktenzeichen B 2 U 1/03 R, SozR 4-5671 § 3 Nr. 1; zum
Übrigen auch BSG, Urteil vom 07. September 2004, Aktenzeichen B 2 U 27/03 R, SozR
4-5671 § 3 Nr. 2, m.w.N.). Neben dem Bestehen einer konkret individuellen Gefahr als
erster Voraussetzung ist als Zweitvoraussetzung für den Anspruch auf Übergangsgeld
die Einstellung der „gefährdenden Tätigkeit“ erforderlich. Des Weiteren ist ein doppelter
Kausalzusammenhang Voraussetzung: Es muss ein rechtlich wesentlicher
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Kausalzusammenhang Voraussetzung: Es muss ein rechtlich wesentlicher
Zusammenhang einerseits zwischen der drohenden Berufskrankheit und der Einstellung
der gefährdenden Tätigkeit und andererseits zwischen dieser Einstellung und der
Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile bestehen (BSG,
Urteil vom 20. Februar 2001, Aktenzeichen B 2 U 10/00 R, SozR 3-5670 § 3 Nr. 5). Die
Zusammenschau dieser Voraussetzungen macht deutlich, dass nur die generelle
Gefahr, durch bestimmte schädigende Einwirkungen, die zur Aufnahme in die BK-Liste
geführt haben, nicht ausreicht, um ein Tätigwerden des Versicherungsträgers bzw.
Leistungen nach § 3 BKV beanspruchen zu können. Erforderlich ist vielmehr, dass der
Versicherte über die generelle Gefahr hinaus den besonderen schädigenden
Einwirkungen durch seine Arbeit ausgesetzt ist und deswegen unter einer „konkreten,
individuellen“ Gefahr steht, an einer BK zu erkranken. Das BSG hat deshalb bereits
ausdrücklich ausgeführt, dass „die für eine BK relevanten, besonderen, schädigenden
Einwirkungen … den Versicherten am konkreten Arbeitsplatz treffen und in seiner Person
die individuelle Gefahr begründen (müssen), dass sie im Sinne der
Kausalitätsanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung eine BK entstehen,
wiederaufleben oder verschlimmern lassen“ (BSG, Urteil vom 16. März 1995,
Aktenzeichen 2 RU 18/94, HV-Info 1995, 1505, m. w. N., zur Vorgängervorschrift § 3
BKVO). Wie bereits erstinstanzlich ausgeführt, sind diese Voraussetzungen für die
Gewährung von Übergangsleistungen nicht erfüllt. Denn die individuelle Gefahr des
Entstehens, Wiederauflebens oder Verschlimmerns einer BK besteht nach dem oben
dargelegten Ergebnis der medizinischen Ermittlungen nicht. Dr. Wl- hat vielmehr
überzeugend dargelegt, dass sich der beim Kläger bestehende Prolaps bei L5/S1 seit
seiner Entstehung unverändert zeigt, ohne dass sich belastungsadaptive Reaktionen
entwickelt haben und dass dieser Schaden schicksalsbedingt und nicht BK-relevant ist,
so dass die individuelle Gefahr des Entstehens, Wiederauflebens oder Verschlimmerns
einer BK nicht besteht.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der
Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht
vor.
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