Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.02.2007

LSG Berlin-Brandenburg: einwirkung, osteoporose, arbeitsunfall, gesundheitsschaden, fraktur, kausalität, unfallversicherung, bwk, bedingung, osteopenie

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
31. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 31 U 378/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 8 Abs 1 S 2 SGB 7
Gesetzliche Unfallversicherung - Arbeitsunfall - Unfallbegriff:
zeitlich begrenzte, äußere Einwirkung - haftungsbegründende
Kausalität - wesentliche Mitursache - beabsichtigtes Anheben
eines gelähmten und schwer gewichtigen Patienten -
Pflegekraft - Fraktur eines Brustwirbels
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom
26. Februar 2007 und der Bescheid der Beklagten vom 09. September 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2006 aufgehoben. Die Beklagte wird
verurteilt, das Ereignis vom 04. April 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der
Klägerin für die Zeit vom 04. April 2005 bis zum 03. Oktober 2005 Verletztengeld zu
gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung eines Ereignisses vom 4. April
2005 als Arbeitsunfall und die Gewährung entsprechender Leistungen hierfür.
Die 1947 geborene Klägerin ist seit Oktober 1982 als Krankenschwester in der
Hauskrankenpflege beschäftigt. Am 4. April 2005 hob sie eine schwer behinderte
Patientin, die ca. 80 kg wog, von der Toilette in den Rollstuhl. Anschließend verspürte sie
starke Schmerzen in der Brustwirbelsäule.
Im Durchgangsarztbericht des Arztes für Chirurgie Dr. M vom 20. April 2005wurde die
Diagnose eines Verhebetraumas der Brustwirbelsäule mit Verdacht auf
Impressionsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers gestellt. Ein am 21. April 2005
durchgeführtes CT nannte als Ergebnis „am ehesten bereits vorbestehende
Deformierung des 8. Brustwirbelkörpers im Rahmen einer Osteoporose, knöcherne
Abstützreaktionen, ein zusätzlich frischer Impressionsfaktor ist jedoch mit Sicherheit
nicht auszuschließen“, es bestehe kein Hinweis auf Bandscheibenprotrusionen bzw.
einen -prolapsus. Ein am 17. Mai 2005 durchgeführtes MRT ergab eine frische
Kompressionsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers mit keilförmiger Deformierung. Es lag
keine Gibbusbildung und keine Dorsalverlagerung der Wirbelkörperhinterkante vor. Des
Weiteren fanden sich ein nicht zwingend traumatisch bedingter Bandscheibenprolapsus
bei BWK 8/9 bzw. BWK 9/10 ohne Bedrängung des Myelon, eine vorbestehende
Spondylosis deformans der unteren Brustwirbelsäule sowie Residuen eines Morbus
Scheuermann. Die Beklagte gewährte der Klägerin Verletztengeld bis zum 19. August
2005. Die Klägerin war bis zum 22. Oktober 2006 arbeitsunfähig.
Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der zuständigen Krankenkasse bei und
veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Chirurgie Dr. G, der in
seinem Gutachten vom 20. Juni 2005 unter anderem ausführte, die Klägerin habe am 4.
April 2005 ein berufsgenossenschaftlich versichertes Ereignis erlitten, als sie beim
Versuch eine Patientin von der Toilette auf den Rollstuhl zu heben, plötzlich
einschießende Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule verspürt habe. Die Patientin
sei 80 kg schwer und im Bereich der unteren Extremitäten gelähmt gewesen. Im
weiteren Verlauf sei bei anhaltenden Beschwerden die Diagnose einer Fraktur des 8.
Brustwirbelkörpers gestellt und ein konservatives Übungsprogramm durchgeführt
worden. Es hätten eine Einschränkung der Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule
und Lendenwirbelsäule, ein Zustand nach Denervierung der Lendenwirbelsäule, eine
radiologisch nachweisbare Sinterungsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers, eine radiologisch
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radiologisch nachweisbare Sinterungsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers, eine radiologisch
und kernspintomographisch nachweisbare Osteoporose im Bereich des Achsskelettes
und deutliche degenerative Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule und der
Lendenwirbelsäule als pathologische Befunde festgestellt werden können. Die geklagten
Beschwerden würden mit den erhobenen Befunden übereinstimmen. In der Beurteilung
müsse eingeschätzt werden, dass sämtliche aufgeführten Befunde unfallunabhängig
seien. Das Ereignis vom 4. April 2005 sei als Anlassgeschehen zur Entstehung der
Sinterungsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers einzuschätzen. Das Ereignis erfülle nicht die
Kriterien eines Unfalls. Es habe sich um eine jederzeit geführte Bewegung gehandelt,
die, auch unter Last, keine überraschenden Kraftaufwendungen beinhaltet habe. Durch
die unfallunabhängige Osteoporose sei weiterhin davon auszugehen, dass der gleiche
Schaden unter austauschbaren Verrichtungen des alltäglichen Lebens entstanden wäre.
Nach Auswertung dieses Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9.
September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2006 die
Anerkennung des Ereignisses vom 4. April 2005 als Arbeitsunfall ab und führte zur
Begründung u.a. aus, Arbeitsunfälle seien Unfälle, die Versicherte infolge einer
versicherten Tätigkeit erleiden würden. Ein Arbeitsunfall liege nicht vor, wenn
Gesundheitsschäden während der versicherten Tätigkeit auftreten würden, ohne durch
sie verursacht worden zu sein. Nach dem Gutachten des Dr. G sei die eingeschränkte
Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule auf bereits
bestehende körperliche Veränderungen degenerativer Art zurückzuführen. Der
Gesundheitsschaden sei zwar am 4. April 2005 aufgetreten, er stehe aber in keinem
ursächlichen Zusammenhang mit dem während der beruflichen Tätigkeit eingetretenen
Ereignis. Derselbe Körperschaden hätte auch bei einer anderen alltäglichen Tätigkeit,
also auch ohne die versicherte Tätigkeit, zu etwa der gleichen Zeit (bzw. in naher
Zukunft) und in etwa dem gleichen Ausmaß eintreten können. Die Entscheidung stütze
sich auf das Gutachten des Dr. G vom 20. Juni 2005.
Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 26.
Februar 2007 abgewiesen. Gegen diesen ihr am 7. März 2007 zugestellten
Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 5. April 2007 Berufung bei dem
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2007 sowie den
Bescheid vom 9. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.
Juni 2006 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 4. April 2005 als
Arbeitsunfall anzuerkennen und ihr Verletztengeld dem Grunde nach für die Zeit vom
04. April 2005 bis zu 03. Oktober 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen
Gerichtsbescheides.
Der als Sachverständiger bestellte Facharzt für Orthopädie Dr. hat in seinem Gutachten
vom 22. November 2008 unter anderem ausgeführt, bei der Klägerin lägen ein Zustand
nach stabil verheilter Fraktur der Brustwirbelkörper 5 und 8, eine Hyperkyphose der
Brustwirbelsäule, eine Polyarthrose der Finger, ein Verdacht auf einen
Kniegelenksverschleiß und ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom vor. Die
eingetretene Schadenslage stelle nicht eine Bandscheiben-, sondern eine
Wirbelkörperfraktur dar, für die anerkannt sei, dass beim ruckartigen Anheben eines
schweren Gegenstandes durch große Kraftanstrengung in Verbindung mit einer
Körpervorneige ein hohes Biegungsmoment auf die Wirbelkörpervorderkante einwirken
könne, so dass ein Unfallmechanismus erkennbar sei. Seiner Auffassung nach sei das
Ereignis vom 4. April 2005 auch adäquat für die Schädigung gewesen. Die präexistente
Lage sei durch entsprechende Diagnostik im Jahre 2005 nicht hinreichend bewiesen
worden. Es würden mehr Gründe für den kausalen Zusammenhang sprechen als gegen
ihn. Auch wenn man unterstellen würde, dass tatsächlich trotz anders lautender
Knochendichtemessung eine Osteoporose zum Zeitpunkt des Geschehens vorgelegen
habe, sei bei adäquatem Krafteinfluss eine wesentliche Teilursächlichkeit erkennbar. Er
komme zu der Auffassung, dass auch eine mögliche Osteoporose im konkreten Fall
keine überragende Bedeutung für das Eintreten der Fraktur des 8. Wirbelkörpers
besessen habe. Im Jahr 2005 sei keine adäquate Diagnostik zum Nachweis einer
tatsächlichen Osteoporose geführt worden. Die im Jahre 2005 eingetretene Fraktur des
8. Brustwirbelkörpers sei ausschließlich die Folge des Hebevorganges; die erkennbare,
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8. Brustwirbelkörpers sei ausschließlich die Folge des Hebevorganges; die erkennbare,
keilförmige Deformierung sei somit zu 100% diesem Ereignis zuzuordnen. Die MdE habe
in den ersten sechs Monaten nach dem Geschehen 20 v. H. und anschließend 10 v. H.
betragen. Es sei weder zu einer Mitbeteiligung der Nervenstrukturen noch zu
Verheilungsstörungen gekommen. Die vorgetragenen Rückenbeschwerden in diesem
Bereich seien nicht ausschließlich Folge der BWK-8-Sinterung. Es sei davon auszugehen,
dass eine Wirbelkörperverdichtung innerhalb der ersten drei Monate eingetreten sei; für
weitere drei Monate sei noch eine erhöhte Schmerzhaftigkeit durch
Anpassungsprozesse zu erwarten.
Nachdem die Beklagte vorgetragen hat, der Sachverständige habe die Befunde, die das
Vorliegen einer Osteoporose belegen würden, nicht ausreichend berücksichtigt, hat der
Sachverständige Dr. W in einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2009 erneut
dargelegt, dass das Vorliegen einer Osteoporose im Jahr 2005 nicht nachgewiesen sei.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der
Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. ) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht haben das Sozialgericht und die Beklagte das Vorliegen eines
Arbeitsunfalles verneint. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld.
Die Klägerin hat am 04. April 2005 einen Arbeitsunfall erlitten. Arbeitsunfälle sind Unfälle
von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 des Siebenten
Buches Sozialgesetzbuch begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; SGB VII ).
Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu
einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen ( § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das
Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel
erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten
Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese
Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis
– dem Unfallereignis - geführt und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden
oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das
Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-
)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung
eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom
09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R, zitiert nach Juris).
Dass die als Krankenschwester berufstätige Klägerin bei einer Verrichtung war, die in
sachlichem Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit stand, als sie die
schwerbehinderte Patientin anheben wollte und zur gleichen Zeit einen Bruch des 8.
Brustwirbelkörpers erlitt, ist von der Beklagten nicht bestritten worden.
Diese Verrichtung - das Anheben der gelähmten Patientin, um diese von der Toilette in
den Rollstuhl zu setzen - hat bei der Klägerin zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung von
außen - dem Unfallereignis - geführt. Für das von außen auf den Körper einwirkende,
zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich.
Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu
Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps
usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen
Selbstschädigungen. Ein schlichter Sturz auf einem versicherten Weg genügt, es sei
denn, der Unfall ist infolge einer nichtbetriebsbedingten krankhaften Erscheinung
eingetreten und zur Schwere der Verletzung hat keine Gefahr mitgewirkt, der der
Versicherte auf dem Weg ausgesetzt war. Ist eine innere Ursache nicht feststellbar, liegt
ein Arbeitsunfall vor (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 35, Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU
24/83 - sowie zum Dienstunfall: BVerwGE 17, 59, 61 f). Das Bundessozialgericht ( BSGE
62, 220 = SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei
einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu
bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher
Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum
Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck,
äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers
abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die
Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht
besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die
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besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die
wesentliche Ursache war ( BVerwGE 17, 59, 61; 35, 133, 134). Die Unfreiwilligkeit der
Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent,
weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls
widerspricht ( BSGE 61, 113, 115 = SozR 2200 § 1252 Nr. 6 S 20). Hiervon zu
unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten
Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (Keller in: Hauck,
Sozialgesetzbuch, SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2005, § 8 RdNr.
14). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker,
der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen.
Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind.
Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive
Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung
eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Ggf. genügt
sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem
Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Auch eine geistig-
seelische Einwirkung kann genügen ( BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO;
BSG Urteil vom 2. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R, VersR 2000, 789). In der Entscheidung
vom 2. Mai 2001 (- B 2 U 18/00 R - HVBG-Info 2001, 1713) hat das Bundessozialgericht
bei einem körperlich anstrengenden Heben einer Bohrsonde, während dessen der
Versicherte auf einmal einen Schmerz im Halsbereich verspürte, eine Einwirkung
angenommen, aber den Ursachenzusammenhang mit der anschließenden auftretenden
Subarachnoidalblutung verneint, weil diese durch eine angeborene Gefäßmissbildung
und nicht eine traumatische Einwirkung verursacht worden sei.
Für die Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls bedeutet dies, dass für die
äußere Einwirkung nicht ein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen zu
fordern ist. Ob eine und welche äußere Einwirkung vorlag, ist in solchen Fällen ggf. nicht
ohne die eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung
festzustellen. Die äußere Einwirkung liegt – z. B. im vorliegenden Fall - in der
(unsichtbaren) Kraft, die die 80 kg schwere und schwer behinderte - nämlich gelähmte -
Patientin der Versicherten entgegensetzte. Die Versicherte, die auf ausdrückliche oder
stillschweigende Anordnung ihres Arbeitgebers zur Ausübung ihrer versicherten Tätigkeit
eine derartige Kraftanstrengung unternimmt und - den Ursachenzusammenhang nach
der Theorie der wesentlichen Bedingung unterstellt - dabei einen Gesundheitsschaden
erleidet, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der
Gesundheitsschaden ist durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden und ihr
zuzurechnen. Dementsprechend führte das beabsichtigte Anheben der gelähmten
Patientin und die damit einhergehende Kraftanstrengung aufgrund der mit ihr
verbundenen Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf
bestimmte Teile bzw. Organe des Körpers der Klägerin. (Vgl. zum Anheben eines
Steines: BSG, Urteil vom 12. April 2005, Az. B 2 U 27/04 R, zitiert nach Juris)
Das in dieser zeitlich begrenzten, äußeren Krafteinwirkung bei dem Anhebeversuch
liegende Unfallereignis war zumindest eine wesentliche Mitursache für die
Sinterungsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers der Klägerin (haftungsbegründende
Kausalität). Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und
Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst
einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis
und dem Gesundheitsschaden voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass das
versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im
Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen
angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt
wesentlich mitgewirkt haben (ständige Rechtsprechung: BSGE 1, 72, 76; 1, 150, 156 f;
BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13). Gab es neben der versicherten Ursache noch
konkurrierende Ursachen, z. B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache
wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war
(BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO, SozR Nr. 69 zu § 542 RVO a. F.). Eine Krankheitsanlage
war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war,
dass die (naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer,
in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes alltäglich
vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte ( BSGE 62,
220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr. 10 S 30). War die Krankheitsanlage von überragender
Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche Ursache nicht als wesentlich
anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und
im Sinne des Sozialrechts aus; sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache
(BSG aaO; SozR 2200 § 548 Nr. 75).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Sachverständige Dr. W für den Senat
überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass die durch das Anheben der 80 kg
schweren und gelähmten Patientin und die damit einhergehende körperliche
Anstrengung der Klägerin verursachte Krafteinwirkung als rechtlich wesentliche Ursache
für die Fraktur des 8. Brustwirbelkörpers angesehen werden muss. Die jetzt erkennbare,
keilförmige Deformierung ist damit vollständig diesem Ereignis zuzuordnen. Zutreffend
hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass selbst wenn eine Vorschädigung der
Wirbelsäule in Form einer Osteoporose angenommen werden sollte, in Abwägung
zwischen dieser Vorschädigung und der Einwirkung durch die körperliche Anstrengung,
der Osteoporose keine überragende Bedeutung zugemessen werden könnte. In seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2009 hat er zudem darauf hingewiesen, dass
auch die Beklagte nicht von dem Vorliegen einer Osteoporose, sondern von dem
Vorliegen einer Osteopenie, also der Abnahme von Knochengewebe ausgegangen ist.
Diese Osteopenie ist jedoch nach den überzeugenden Darlegungen des
Sachverständigen nicht als Vorstufe einer Osteoporose zu werten, sondern stellt
lediglich einen physiologischen Alterungsprozess dar und gerade keine selektive
Abnahme der Kalziumphosphate im Knochengewebe. Eine Osteopenie stellt daher auch
keine erhöhte Frakturgefährdung dar, so dass die von der Beklagten genannte innere
Ursache bei der Klägerin gerade nicht vorliegt.
Auch die haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Bruch des 8. Brustwirbelkörpers
und den anschließenden Schmerzen ist gegeben, so dass die Klägerin dem Grunde nach
Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des
Arbeitsunfalles vom 04. April 2005 hat.
Die Klägerin hat auf Grund des Arbeitsunfalles vom 04. April 2005 bis 03. Oktober 2005
einen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld. Anspruchsgrundlage hierfür ist § 45
SGB VII. Danach wird Versicherten, die infolge eines Versicherungsfalles arbeitsunfähig
sind, Verletztengeld erbracht. Maßgeblicher Versicherungsfall ist vorliegend das Ereignis
vom 04. April 2005, das einen Arbeitsunfall darstellt. Die Klägerin war infolge des
Bruches des 8. Brustwirbelkörpers ab 04. April 2005 arbeitsunfähig, so dass sie einen
Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld hat. Dieser Anspruch endete nach
Ablauf von sechs Monaten, da die darüber hinaus vorliegenden, auf den Unfall
zurückzuführenden Funktionsstörungen nur noch geringfügig sind. Es ist nach den
überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. W davon auszugehen, dass
eine Wirbelkörperverdichtung innerhalb der ersten drei Monate eintritt und noch für
weitere drei Monate eine erhöhte Schmerzhaftigkeit durch Anpassungsprozesse zu
erwarten ist. Die nun noch vorgetragenen Rückenbeschwerden in diesem Bereich sind
nicht ausschließlich Folge der BWK-8-Sinterung. Es ließen sich vielmehr bereits zum
Unfallzeitpunkt deutliche spondylarthrotische und spondylitische
Abnutzungserscheinungen nachweisen, welche ebenfalls verantwortlich für regionale
Schmerzen sein können. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit endet daher am 03.
Oktober 2005.
Nach alledem ist die Berufung begründet.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und
trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Dabei war zu berücksichtigen, dass die
Klägerin zunächst nur Leistungen dem Grunde nach beantragt hat. Zu etwas anderem
war sie zunächst auch gar nicht in der Lage, da weder die Beklagte noch das
Sozialgericht Ermittlungen zu den Unfallfolgen angestellt hatten, weil sie bereits den
Versicherungsfall des Arbeitsunfalles als nicht gegeben angesehen haben. Da die
Klägerin nach Vorliegen des Ermittlungsergebnisses ihren Antrag sachgerecht
beschränkt hat, war die Beklagte zur vollen Kostentragung zu verpflichten.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG
bezeichneten Gründe vorliegt.
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