Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 09.03.2009
LSG Berlin und Brandenburg: rechtliches gehör, hauptsache, hessen, niedersachsen, auflage, rechtsschutz, rechtsmittelbelehrung, darlehen, verfahrensmangel
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 09.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt (Oder) S 26 AS 15/09 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 AS 149/09 B ER
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 07. Januar 2009
wird als unzulässig verworfen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren ihre
außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten stritten um höhere Leistungen zur Sicherungen des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II), insbesondere um das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft.
Mit Beschluss vom 07. Januar 2009 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) den Antragsgegner verpflichtet, der
Antragstellerin für die Monate Januar und Februar 2009 um insgesamt 589,67 EUR höhere Leistungen als Darlehen zu
gewähren.
Eine dagegen erhobene Anhörungsrüge hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) mit weiterem Beschluss vom 12.
Januar 2009 zurückgewiesen.
Gegen den ihm am 09. Januar 2009 zugestellten Beschluss vom 07. Januar 2009 richtet sich die am 22. Januar 2009
eingelegte Beschwerde des Antragsgegners. Das Sozialgericht habe zu Unrecht die einstweilige Anordnung erlassen.
Trotz entgegenstehender Rechtsmittelbelehrung sei die Beschwerde auch zulässig. Das Verfahren leide an einem
besonders gravierenden Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung auch beruhen könne, weil ihm rechtliches
Gehör nicht gewährt worden sei. Deshalb sei nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Hauptsache
die Berufung zuzulassen und auch die Möglichkeit der Beschwerde eröffnet.
II. Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg, denn sie bereits unstatthaft, so dass der Senat in der
Sache keine Entscheidung treffen darf. Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 (SGG) ist ein Beschluss im einstweiligen
Rechtsschutz mit der Beschwerde nur anfechtbar, wenn in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre. Die Berufung
wiederum wäre in der Hauptsache gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ohne gesonderte Zulassung durch das
Sozialgericht (§ 144 Abs. 2 SGG) oder auf Beschwerde durch das Berufungsgericht (§ 145 SGG) nur statthaft, wenn
der Wert des Beschwerdegegenstands oder eines hierauf gerichteten Verwaltungsakts 750,00 EUR überstiege oder
gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen wären.
Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Sozialgericht den
Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin für die Monate Januar und Februar 2009 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 421,18 EUR bzw. 526,78 EUR abzüglich der mit Bescheid
vom 30. Oktober 2008 bereits bewilligten Leistungen in Höhe von 73,54 EUR bzw. 284,75 EUR zu gewähren. Der Wert
des Beschwerdegegenstands beträgt mithin 589,67 EUR; es sind Leistungen für einen Zeitraum von zwei Monaten
betroffen. Auch aus der vom Antragsgegner für möglich gehaltenen Zulassung der Berufung im Hauptsacheverfahren
folgt nichts anderes. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass im Hauptsachverfahren ähnliche – wie die vom
Antragsgegner behaupteten - Verfahrensfehler auftreten, die zur Zulassung der Berufung führen könnten. Aber auch
dann, wenn die Zulassung der Berufung in der Hauptsache möglich oder sogar erfolgt wäre, würde dies die
Beschwerde gegen den Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht statthaft machen (vgl.
Senatsbeschluss vom 27. Februar 2009 – L 5 B 2380/08 AS ER -; LSG Hessen, Beschluss vom 12. Januar 2009 - L
7 AS 421/08 B ER - ; LSG Hamburg, Beschluss vom 16. Januar 2009 - L 5 B 1136/08 ER AS; LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 29. September 2008 - L 8 SO 80/08 ER - ; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.
Oktober 2008 - L 20 B 1647/08 AS ER -; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6. November 2008 - L 11 B 526/08
AS ER - ; LSG Sachsen, Beschluss vom 3. Dezember 2008 - L 7 B 683/08 AS ER; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 21. Oktober 2008 - L 6 AS 455/08 ER - alle zitiert nach juris). Dafür spricht bereits der Wortlaut der
Norm: Die Verwendung zum einen des Begriffs "zulässig" - statt "zuzulassen" - und zum anderen des Konjunktivs -
"wäre" - zeigt, dass die Statthaftigkeit der Beschwerde weder davon abhängig sein soll, dass es ein
zweitinstanzliches Hauptsacheverfahren (schon) gibt, noch davon, welches Schicksal diesem (konkreten Verfahren)
beschieden ist. Abzustellen ist allein auf die hypothetische Berufung in der Hauptsache (vgl. dazu ausführlich, m.w.N.
und in Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung: Beschluss des LSG Hessen vom 12. Januar 2009, a.a.O.).
Das Gesetz sieht für das Sozial- oder Landessozialgericht auch keine Befugnis zur Zulassung der Beschwerde
entsprechend §§ 144 Abs. 2 und 3, 145 SGG vor. Daraus folgt, dass es in Fällen dieser Art kein Rechtsmittel gibt.
Das gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensmängeln. Eine analoge Anwendung des § 145 SGG scheidet aus.
Der früher vertretenen Auffassung, in Extremfällen könne die Beschwerde trotz gesetzlichen Ausschlusses gegeben
sein (außerordentliche Beschwerde), kann nach Einführung der Anhörungsrüge (§ 178a SGG) nicht mehr gefolgt
werden (vgl. BSG, Beschluss vom 07. April 2005 - B 1 KR 5/04 S - SozR 4-1500 zu § 178a Nr. 1 = NZS 2005, 616 ;
Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 172 Rn. 7 f.). Vielmehr lässt sich eine
außerordentliche Beschwerde nicht mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit vereinbaren (BVerfG, Plenarbeschluss
vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 = NJW 03, 1924; BVerfG, Beschluss vom 16. Januar 2007 - 1
BvR 2803/06, NJW 07, 2538; BSG, Beschluss vom 07. April 2005 - B 1 KR 5/04 S - a.a.O.).
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und
trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Dieser Beschluss kann nicht der Beschwerde an das
Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).