Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.05.2006

LSG Berlin und Brandenburg: vorläufiger rechtsschutz, feststellungsklage, form, verfügung, bedingung, klageart, gefahr, zivilprozessordnung, haftentlassung, erlass

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 24.05.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 6 AL 384/06
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 6 B 161/06 AL ER
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2006 wird, soweit darin der Erlass
einer gegen die Antragsgegnerin gerichtete einstweilige Anordnung abgelehnt worden ist, zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht,
dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers
vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 aaO sind einstweilige Anordnungen auch zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch – die Rechtsposition,
deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der
begehrten sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung).
Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die gerichtliche
Feststellung eines erst künftig mit seiner Haftentlassung möglicherweise entstehenden Anspruches auf
Arbeitslosengeld, eines Rechtsverhältnisses zwischen ihm und der Antragsgegnerin, und damit eine vorbeugende
Feststellung, für die im Hauptsacheverfahren die Feststellungsklage als zutreffende Klageart in Betracht kommt und
die auch vermittelst einer einstweiligen Anordnung nach Maßgabe des § 86b Abs 2 SGG grundsätzlich gesichert zu
werden vermag (vgl Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl 1998, RdNr 28
mwN)
Notwendig für die Zulässigkeit einstweiligen Rechtsschutzes zur Sicherung eines im Hauptsacheverfahren durch
vorbeugende Feststellungsklage zu verfolgenden Anspruchs ist aber, dass die vorbeugende Feststellungsklage selbst
zulässig wäre (vgl Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Juni 1987 - 6 S 3334/86 -,
Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg 1988,74). Dies ist hier nicht der Fall.
Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann nur das Bestehen oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses sein, dass durch besondere Umstände hinreichend konkretisiert ist; die streitigen Beziehungen
müssen sich zu einer festen Form verdichtet haben. Zudem bedarf es eines berechtigten Interesses an der baldigen
Feststellung (vgl auch die im Wesentlichen gleich lautende Vorschrift des § 43 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung).
Wird – wie hier – ein zukunftsgerichtetes Feststellungsbegehren geltend gemacht, kann dieses dann zulässiger Weise
verfolgt werden, wenn ein "überschaubarer", dh sich voraussichtlich realisierender Sachverhalt geschildert wird
(BVerwGE 77, 207,212 f) und ein berechtigtes Interesse gerade an einer baldigen vorbeugenden Feststellung, also ein
spezielles, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Interesse besteht.
Hier fehlt es bereits an einem solchen "überschaubaren" Sachverhalt. Denn ein Sachverhalt, der dem angeblich
feststellungsbedürftigen Rechtsverhältnis zu Grunde liegt, ist insbesondere dann nicht hinreichend bestimmt und
überschaubar, wenn er nur gedacht oder als möglich vorgestellt ist. Künftig entstehende Rechtsverhältnisse können
daher grundsätzlich nicht festgestellt werden, es sei denn, es lägen bereits alle für die streitige Rechtsbeziehung
erheblichen Tatsachen vor. Dies ist hier schon deshalb nicht de Fall, weil derzeit völlig offen ist, ob der Antragsteller
zu dem von der Weihnachtamnestie begünstigten Personenkreis gehören wird, so dass er im Oktober 2006 aus der
Haft entlassen werden kann. Letzteres ist aber eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung dafür, dass
ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (§§ 118 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)) entstehen kann. Denn
Strafgefangene ohne Freigängerstatus - den der Antragsteller nicht besitzt - sind schon nicht arbeitslos im Sinne des
Gesetzes, da sie den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung stehen (§§ 118 Abs 1 Nr 1,
119 Abs 1 Nr 3 SGB III; vgl Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-4100 § 103 Nr 24 mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).