Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.04.2003

LSG Berlin und Brandenburg: altersrente, soziale sicherheit, wartezeit, stadt, amerika, erfüllung, universität, glaubhaftmachung, avg, bayern

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 29.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 7 RA 1335/99
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 12 RA 19/01
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2001 wird zurückgewiesen. Kosten
sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt die Gewährung einer Altersrente.
Die 1926 in N S (Woiwodschaft Krakau) geborene Klägerin ist als aus rassischen Gründen Verfolgte des
Nationalsozialismus anerkannt (Bescheid des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 27. Februar 1961). In dem zu
dieser Entscheidung führenden Verfahren hatte die Klägerinin einer am 13. Mai 1957 vor einem Notar im Staat New
Jersey abgegebenen "eidesstattlichen Versicherung" erklärt, dass sie bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in
Krakau ein hebräisches Gymnasium besucht habe. Sie habe dann in das Ghetto Krakau übersiedeln müssen, aus
dem sie im November 1941 geflüchtet sei. Nach kurzer Zeit sei sie wieder gefasst und in das ZAL Wielicka gebracht
worden, aus dem sie im November 1942 geflüchtet sei. Sie habe sich dann bis zu ihrer Befreiung im Sommer 1944
bei einem Bauern in der Nähe von Wielicka versteckt. Nach ihrer Befreiung sei sie zunächst in Polen geblieben. In N
S habe sie ihre Eltern wiedergefunden, mit denen sie bis Juli 1945 in Breslau gelebt habe. Dann seien sie über
Österreich nach Frankfurt am Main gegangen. Dort sei sie bis zu ihrer Auswanderung geblieben. Dazu sei sie
zunächst nach Bamberg und dann über Bremerhaven in die Vereinigten Staaten von Amerika gefahren, wo sie im
August 1949 eingetroffen sei. Am 1. Januar 1947 habe sie sich in Frankfurt am Main aufgehalten.
Vom 14. Oktober 1945 ("kommt von KZ Czenstochau") bis zum 4. März 1946 ("nach unbekannt verzogen") war die
Klägerin in Bamberg , vom 6. November 1946 ("von UNRRA-Lager Bad Reichenhall kommend") bis zum 3. Mai 1949
("polizeiliche Abmeldung nach München, ") in Frankfurt am Main sowie vom 18./20. Januar 1947 ("kommt von
UNRRA-Lager Bamberg, Ulanenkaserne") bis zum 25./26. Juli 1949 ("nach Amerika") wiederum in Bamberg gemeldet.
Vom 30. September 1946 bis zum 13. April 1947 war die Klägerin in der Philosophischen Fakultät der Frankfurter
Universität eingeschrieben.
Mit Datum vom 2. Mai 1949 erhielt sie vom Regierungspräsidenten des Regierungsbezirkes Wiesbaden nach
Ablegung der entsprechenden Prüfung und aufgrund des Nachweises über die vorgeschriebene praktische Tätigkeit
die Anerkennung als staatlich geprüfte technische Assistentin an medizinischen Instituten.
Am 31. Juli 1949 wanderte die Klägerin in die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) aus, wo sie seither lebt und
deren Staatsangehörigkeit sie jetzt besitzt. Sie hat dort 105 Vierteljahre (315 Monate) Versicherungszeiten
zurückgelegt.
Am 26. Januar 1996 beantragte die Klägerin (bei der Landesversicherungsanstalt [LVA] Freie und Hansestadt
Hamburg, die den Vorgang später an die Beklagte abgab) die Gewährung einer Altersrente, wobei sie angab, nach der
Besetzung Polens im Juni 1940 bis zum August 1945 in den Ural "versandt" worden zu sein. Von dort sei sie nach
Breslau und im Oktober 1945 nach Bamberg gegangen. Dort habe sie vom 1. April 1946 bis zum 15. Mai 1947 als
Buchhalterin gearbeitet. Von Juni 1947 bis Februar 1949 habe sie an der "Schule für medizinische Technologie" in
Frankfurt-Sachsenhausen studiert. Von Februar bis August 1949 habe sie als Labortechnikerin im Hospital in
Bamberg gearbeitet. Dazu reichte sie u.a. die Ablichtung einer Bescheinigung der Vorbereitungskommission der
Internationalen Flüchtlingsorganisation (Preparatory Commission - International Refugee Organisation) vom 4. Februar
1949, wonach sie vom 1. April 1946 bis zum 15. Mai 1947 dort als Buchhalterhelferin gearbeitet habe, sowie später
zwei Erklärungen ("Affidavits") ihrer am 4. August 1928 geborenen Schwester A U vom 13. Juli 1997 und einer M S
vom 16. September 1997 ein. M S gab in ihrer Erklärung an, dass die Klägerin, die sie seit mehr als 50 Jahren
persönlich kenne, zwischen 1941 und 1943 eine sowjetische Schule im Gebiet von Swerdlowsk und von 1943 bis
1946 eine polnische Mittelschule in Leninabad in der Usbekischen Sowjetrepublik besucht habe.
Auf Anfrage der LVA Freie und Hansestadt Hamburg teilten die Beklagte, die LVA Oberfranken und Mittelfranken
sowie die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Bayern - Direktion Bamberg - mit, dass dort die Klägerin betreffende
Unterlagen nicht vorhanden bzw. eine Mitgliedschaft nicht feststellbar seien. Spätere Anfragen der Beklagten bei der
AOK München und beim Landkreis Bamberg blieben ebenso wie eine Suchaktion der Beklagten erfolglos.
Mit Bescheid vom 20. August 1998 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Altersrente ab,
da die (allgemeine) Wartezeit (von fünf Jahren), auf die Kalendermonate mit Beitragszeiten und Ersatzzeiten
angerechnet würden, nicht erfüllt sei. In "ergän-zenden Begründungen und Hinweisen" teilte die Beklagte mit, dass als
Ersatzzeiten die Zeiten vom 23. Juni 1940 bis 31. Juli 1944 (50 Monate) wegen nationalsozialistischer Verfolgung
anerkannt würden. Die geltend gemachten Beitragszeiten (1. April 1946 bis 15. Mai 1947 und 1. Februar 1949 bis 31.
August 1949) könnten nicht als Beitragszeiten anerkannt werden, "weil weder in den vorhandenen
Versicherungsunterlagen Beiträge bescheinigt (seien) noch die Beitragszahlung nach dem Ergebnis (der) Ermittlungen
glaubhaft (erscheine) und Beiträge auch nicht als gezahlt gelten (würden)". Die Zeiten vom 30. September 1946 bis
13. April 1947 und vom 1. Juni 1947 bis zum 28. Februar 1949 könnten nicht als Anrechnungszeiten anerkannt
werden, weil sie nicht nachgewiesen worden seien. Die Zeit vom 18. November 1939 bis 22. Juni 1940 könne nicht als
Ersatzzeit anerkannt werden, weil sie vor Vollendung des 14. Lebensjahres liege. Allein aus einer Ersatzzeit könne
eine Rente nicht gezahlt werden.
Zur Begründung ihres am 15. September 1998 eingelegten Widerspruchs wies die Klägerin insbesondere darauf hin,
dass sie zwischen Februar und August 1949 als Labortechnikerin in Bamberg tätig gewesen sei. Sie reichte dazu die
Ablichtung eines Zeugnisses des Städtischen Krankenhauses Bamberg vom 11. Juli 1949 ein, wonach sie vom 28.
Mai bis 15. Juli 1949 im klinischen Laboratorium tätig gewesen sei und alle anfallenden Arbeiten von der einfachen
Urinuntersuchung bis zur Blutchemie praktisch kennengelernt und durchgeführt habe.
Die Beklagte führte eine weitere Suchaktion (Suchstufe 3) durch, die erfolglos blieb. Die Stadt Bamberg teilte der
Beklagten mit, dass für die Klägerin in der Zeit vom 1. April 1946 bis August 1949 keine Versicherungskarte
ausgestellt worden sei; die Ausstellungsverzeichnisse seien dort vollständig erhalten. Mit Widerspruchsbescheid vom
25. Februar 1999 (abgesandt am 3. März 1999) wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Klägerin hat am 30. März 1999 Klage erhoben, mit der sie im Wesentlichen unter Wiederholung ihres bisherigen
Vorbringens weiterhin die Gewährung einer Altersrente erstrebt. Sie hat eine weitere schriftliche Erklärung ihrer
Schwester A U eingereicht, wonach sie (die Klägerin) als Buchhalter bei der Internationalen Flüchtlingsorganisation in
Bamberg und im Labor des dortigen Krankenhauses gearbeitet habe.
Die Stadt Bamberg hat dem Sozialgericht mitgeteilt, dass im dortigen Stadtarchiv keine Unterlagen über ein
Beschäftigungsverhältnis der Klägerin vorhanden seien; auch im Klinikum Bamberg seien keine Nachweise über eine
Beschäftigung auffindbar.
Das Sozialgericht hat die Schwester der Klägerin A U durch das Generalkonsulat in New York vernehmen lassen. Die
Zeugin hat am 15. August 2000 ausgesagt, dass ihre drei Jahre ältere Schwester (die Klägerin) nach der Ankunft in
Bamberg im April 1946 bis Mai 1947 als Buchhalterin bei der "IRO" beschäftigt gewesen sei. Mitte 1947 sei sie dann
in die Nähe von Frankfurt am Main gegangen, wo sie Studentin an der medizinischen Fakultät der dortigen Universität
gewesen sei und gleichzeitig als Laborgehilfin gearbeitet habe. Nach zwei Jahren, im Mai 1949, sei sie zurück nach
Bamberg gekommen, wo sie für ca. drei Monate in einem Krankenhaus gearbeitet habe. Unmittelbar danach sei sie in
die USA ausgewandert. An Einzelheiten der Arbeit oder die Entlohnung könne sie sich nicht erinnern. Jedenfalls sei
ihre Schwester in Frankfurt eine Art Lehrling gewesen. Wegen der Einzelheiten der Aussage der Zeugin wird auf das
Vernehmungsprotokoll des Generalkonsulats vom 15. August 2000 verwiesen.
Durch Urteil vom 22. Mai 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf
die begehrte Altersrente, da sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt habe. Die von der Klägerin behaupteten
Beitragszeiten seien weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Für die Erfüllung der Wartezeit seien auch keine
Ersatzzeiten zu berücksichtigen, da die Klägerin nicht "Versicherte" sei.
Gegen das ihr am 21. Juni 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Juli 2001 eingelegte Berufung der Klägerin,
die vorträgt, dass davon ausgegangen werden müsse, dass die dem Sozialgericht erteilte Auskunft der Stadt
Bamberg unrichtig sei. Es sei nachgewiesen, dass sie im Laboratorium des städtischen Krankenhauses tätig
gewesen sei. Es sei durchaus glaubhaft, dass sie versicherungspflichtig tätig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. August 1998 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr
Altersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, die sie für unbegründet hält.
Die LVA Hessen hat dem Senat mitgeteilt, dass für die Klägerin dort weder Versicherungskarten verwahrt würden
noch auf eine andere Anstalt lautende Versicherungskarten durchgelaufen seien.
Die Stadt Frankfurt am Main hat bestätigt, dass die Klägerin dort vom 6. November 1946 bis zum 3. Mai 1949
gemeldet gewesen sei ; am 3. Mai 1949 sei sie nach München verzogen. In den dort noch vorhandenen
Verzeichnissen über den Umtausch (April 1947 bis Februar 1948) bzw. die Neuausstellung von Versicherungskarten
(Januar bis Dezember 1949) sei keine die Klägerin betreffende Eintragung festgestellt worden.
Schließlich hat die Stadt Bamberg dem Senat mitgeteilt, dass für die Klägerin zwischen 1946 und 1949 keine
Versicherungskarte ausgestellt worden sei; die dortigen Verzeichnisse seien vollständig.
Beide Beteiligte haben erklärt, dass sie mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
einverstanden seien.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die dem Sozialgericht und dem Senat erteilten Auskünfte sowie auf die von
der Beklagten vorgelegte Einheitsakte und die Entschädigungsakte des Regierungspräsidenten in Darmstadt, die
Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, nachdem sich beide Beteiligte damit
einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Abs. 1 SGG) Berufung ist unbegründet; Beklagte und Sozialgericht haben
zutreffend entschieden, dass die Klägerin keine aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung Altersrente
beanspruchen kann.
Voraussetzung für den Anspruch auf (Regel-)Altersrente ist nach § 35 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches
(SGB VI) neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Auf die allgemeine
Wartezeit - von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) - werden Kalendermonate mit Beitragszeiten sowie mit
Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und 4 SGB VI). Für die Klägerin sind für die Erfüllung der Wartezeit nach Art. 7
Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über
Soziale Sicherheit vom 7. Januar 1976 (SVA USA) zudem - was sowohl die Beklagte wie auch das Sozialgericht
zumindest nicht erwähnt haben - die von ihr nach den Rechtsvorschriften der USA zurückgelegten
Versicherungszeiten zu berücksichtigen. Allerdings ergibt sich nach Art. 7 Abs. 2 SVA USA auch aus diesem
Abkommen kein Anspruch auf Rente nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, wenn nach diesen
Rechtsvorschriften nicht eine Mindestversicherungszeit zurückgelegt wurde und aufgrund der zurückgelegten
Versicherungszeit allein kein Anspruch auf Rente besteht. Die Mindestversicherungszeit beträgt bei Anwendung der
deutschen Rechtsvorschriften 18 Monate. Zu berücksichtigen sind insoweit sowohl Beitrags- wie auch Ersatzzeiten
(vgl. Art. 1 Nr. 7 SVA USA). Auch unter Berücksichtigung dieses Abkommens kann die Klägerin deshalb eine Rente
nur beanspruchen, wenn mindestens 18 Monate deutsche Beitrags- und Ersatzzeiten anzurechnen sind. Dies ist nicht
der Fall.
Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge
gezahlt worden sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Dass zu irgendeiner Zeit, insbesondere in den von der Klägerin
angegebenen Zeiträumen (1. April 1946 bis 15. Mai 1947 sowie 28. Mai bis 15. Juli 1949) für sie Beiträge entrichtet
worden sind, ist nicht nachgewiesen. Entsprechende Versicherungsunterlagen konnten weder von der LVA Freie und
Hansestadt Hamburg noch von der Beklagten bei ihnen und auch nicht bei anderen Versicherungsträgern aufgefunden
werden; auch weitere Ermittlungen des Senats sind erfolglos geblieben.
Beitragszeiten sind auch nicht glaubhaft gemacht. Dabei lässt der Senat offen, ob eine Glaubhaftmachung hier
überhaupt zulässig ist. Immerhin setzt die Zulässigkeit der Glaubhaftmachung der Beitragszahlung nach § 286 a Abs.
1 Satz 1 SGB VI voraus, dass, wenn für Zeiten vor dem 1. Januar 1950 die Versicherungsunterlagen, die von einem
Träger der Rentenversicherung aufzubewahren gewesen sind, fehlen, diese in einem vernichteten oder nicht
erreichbaren Teil des Karten- oder Kontenarchivs aufzubewahren gewesen wären oder dass glaubhaft gemacht ist,
dass die Versicherungskarten bei dem Arbeitgeber oder Versicherten oder nach den Umständen des Falles auf dem
Weg zum Träger der Rentenversicherung verlorengegangen, unbrauchbar geworden oder zerstört worden sind; beides
ist hier nicht der Fall. Das Kontenarchiv der Beklagten ist für die hier fraglichen Zeiten vollständig. Umstände, die es
wahrscheinlich erscheinen lassen, dass eine Versicherungskarte verlorengegangen, unbrauchbar geworden oder
zerstört worden ist, sind nicht erkennbar und auch von der Klägerin selbst nicht einmal angedeutet.
Aber selbst wenn die Glaubhaftmachung hier zulässig sein sollte, ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Klägerin eine
versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und dass dafür Beiträge gezahlt worden sind. Eine
Tatsache ist dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf
sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 des
Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuches [SGB X]). Zweifel - auch durchaus "vernünftige" - können danach noch
bestehen bleiben, jedoch muss mehr dafür als dagegen sprechen, dass sich der fragliche Vorgang wie behauptet
zugetragen hat.
Weder die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit noch die Zahlung von Beiträgen sind
überwiegend wahrscheinlich. Zwar mag die Klägerin zwischen 1946 und 1949 als Buchhaltergehilfin bzw.
Laborassistentin "gearbeitet" haben. Allerdings spricht gegen eine Beschäftigung als Buchhaltergehilfin für die
Vorbereitungskommission der Internationalen Flüchtlingsorganisation vom 1. April 1946 bis 15. Mai 1947, wie in deren
nicht zeitnah, sondern erst am 4. Februar 1949 verfassten Bescheinigung angeführt, dass die Klägerin bereits ab dem
30. September 1946 als Studentin an der Frankfurter Universität eingeschrieben und ab dem 6. November 1946 in
Frankfurt am Main auch gemeldet war. Abgesehen davon bedeutet der Umstand, dass sie irgendwelchen
Beschäftigungen nachgegangen sein mag, nicht, dass diese auch versicherungspflichtig waren. Zwar waren nach der
Verordnung Nr. 43 (betreffend Sozialversicherungspflicht der verschleppten Personen) des Bayerischen
Arbeitsministers vom 4. März 1946 (BayGVBl. S. 187) verschleppte Personen, die in Bayern beschäftigt waren und
Arbeitsverdienst hatten, denselben Abzügen für die Sozialversicherung unterworfen wie deutsche Zivilarbeiter. Nach §
1 Satz 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) war Voraussetzung für die Versicherungspflicht von
Angestellten, dass sie gegen Entgelt (§ 160 der Reichsversicherungsordnung) in einem Dienstverhältnis beschäftigt
wurden. Dass die Klägerin "Arbeitsverdienst hatte" bzw. gegen Entgelt beschäftigt wurde, ist nicht als überwiegend
wahrscheinlich anzusehen. Ob bzw. dass der Klägerin ein Entgelt und gegebenenfalls welches gezahlt wurde, ist den
vorliegenden Bescheinigungen und Erklärungen nicht zu entnehmen. Ihre Schwester hat bei ihrer Vernehmung durch
das Generalkonsulat in New York auf entsprechende Fragen ausdrücklich bekundet, darüber nichts zu wissen. Gut
möglich ist, dass der Klägerin lediglich freie Unterkunft (sowie gegebenenfalls ein "Ta-schengeld") gewährt wurde,
sodass die Beschäftigung versicherungsfrei gewesen wäre (§ 9 AVG). Insbesondere das (nicht von der Verwaltung
des Krankenhauses Bamberg, sondern) vom Chefarzt der medizinischen Abteilung ausgestellte Zeugnis vom 11. Juli
1949, in dem es unter - bewusster? - Vermeidung der Begriffe "beschäftigt" oder "angestellt" lediglich heißt, dass die
Klägerin bestimmte Arbeiten "praktisch kennengelernt" habe, spricht dafür, dass sie dort nicht gegen Entgelt
beschäftigt wurde, sondern ein - unentgeltliches - Praktikum absolviert hat.
Darüber hinaus ist nicht glaubhaft gemacht, dass tatsächlich Beiträge entrichtet wurden. Zwar mag unter bestimmten
Umständen aus dem - hier allerdings ohnehin nicht glaubhaft gemachten - Bestehen eines versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses auf die tatsächliche Abführung von Beiträgen zu schließen sein. Hier liegen jedoch
Umstände vor, die gegen eine Abführung von Beiträgen sprechen. Zum einen spricht dagegen, dass die Klägerin
beabsichtigte, auszuwandern, und deshalb auch aus ihrer Sicht kein Interesse bestand, Beiträge zu entrichten, die zu
dieser Zeit als verloren angesehen werden mussten. Entscheidend kommt hinzu, dass von der Stadt Bamberg, deren
Verzeichnisse insoweit vollständig sind, zwischen 1946 und 1949 keine Versicherungskarte ausgestellt wurde, mit
deren Hilfe die Versicherungspflicht zu erfüllen gewesen wäre. Danach ist nicht ersichtlich, dass gleichwohl Beiträge
entrichtet worden wären. Die von der Klägerin eingereichten Bescheinigungen und Erklärungen sagen über die
Entrichtung von Beiträgen ebenfalls nichts aus. Auch auf Fragen dazu hat die als Zeugin vernommene Schwester der
Klägerin geantwortet, darüber nichts zu wissen.
Schließlich lässt der krasse Widerspruch zwischen den Angaben der Klägerin zu ihrer Verfolgung im
Entschädigungsverfahren, wonach sie in Krakau und Wielicka inhaftiert war bzw. versteckt in Polen lebte, und ihren
jetzigen Angaben, wonach sie zwischen 1940 und 1946 Schulen in der Sowjetunion besucht haben will, auch
erhebliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit und damit an der Richtigkeit ihrer Behauptungen zu ihren Beschäftigungen
nach 1945 entstehen.
Auf die Mindestversicherungszeit von 18 Monaten nach Art. 7 Abs. 2 SVA USA sind auch keine Ersatzzeiten
anzurechnen. Dafür wäre Voraussetzung - wie bereits das Sozialgericht ausgeführt hat -, dass die Klägerin
"Versicherte" ist, d.h. mindestens ein (deutscher) Beitrag vorhanden ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die
amerikanischen Versicherungszeiten der Klägerin führen nicht zur Anrechnung der Ersatzzeiten nach den deutschen
Rechtsvorschriften (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1972 - 12 RJ 372/71 - SozR § 1251 RVO Nr. 62).
Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klage keinen Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.