Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.05.2000

LSG Berlin und Brandenburg: versorgung, psychotherapeutische behandlung, rechtskräftiges urteil, krankenversicherung, ermächtigung, abrechnung, erlöschen, rechtsschutz, verfassungskonform, leitbild

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 19.05.2000 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 71 KA 53/00 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 7 B 35/00 KA ER
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2000 wird
zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2000 ist gemäß §§
172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der
Antragstellerin vom 21. Februar 2000 zu Recht abgelehnt. Der Antrag, den Antragsgegner im Wege einstweiliger
Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über ihren Antrag
auf Erteilung einer bedarfsunabhängigen Zulassung, zur Teilnahme an der vertragspsychotherapeutischen Versorgung
der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zuzulassen, ist unbegründet. Denn die Antragstellerin hat für
dieses Begehren, mit dem die Hauptsache rechtlich vorweggenommen würde, zumindest keinen Anordnungsanspruch
glaubhaft gemacht, der die für solche Fälle erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit erkennen ließe, dass sie im
Hauptsacheverfahren obsiegen würde (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- in
Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-); bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen
summarischen Prüfung lässt sich eine Rechtswidrigkeit der Ablehnung der bedarfsunabhängigen
Zulassung/Ermächtigung als Psychologische Psychotherapeutin zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung
(Beschluss des Zulassungsausschusses vom 18. Mai 1999, Beschluss des Berufungsausschusses für Ärzte vom
23. Februar 2000) nicht feststellen.
1. Das Sozialgericht und der Antragsgegner haben die im vorliegenden Verfahren streitige Zulassung zur
vertragspsychotherapeutischen Versorgung zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die Antragstellerin die
Voraussetzungen des § 95 Abs. 11 Nr. 3 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch -SGB V- nicht erfüllt habe. Danach werden
Psychotherapeuten zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, wenn sie in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum
24. Juni 1997 an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung teilgenommen haben. Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin auch nach Auffassung
des Senats bei summarischer Prüfung nicht.
§ 95 Abs. 10 und 11 Nr. 3 SGB V enthalten einen eigenständigen, der gerichtlichen Nachprüfung voll unterliegenden
Versagungsgrund für die bedarfsunabhängige Zulassung/Ermächtigung zur vertragspsychotherapeutischen
Versorgung und keine Härtefall- oder Fristenregelung; deshalb kann auch der Auffassung der Antragstellerin nicht
gefolgt werden, dass bereits die Behandlung eines Versicherten mit nur einer Stunde vor dem 24. Juli 1997 zur
Erfüllung der Teilnahmevoraussetzungen ausreiche (Beschluss des Senats vom 9. Mai 2000 - L 7 B 19/00 KA ER -).
Die Erforderlichkeit der Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich
Krankenversicherter während des dem 24. Juni 1997 vorangegangenen Dreijahreszeitraumes belegt vielmehr, dass
der Gesetzgeber die bedarfsunabhängige Zulassung/Ermächtigung davon abhängig gemacht hat, dass der
Zulassungs-/Ermächtigungsbewerber in dieser Zeit durch die Versorgung von Patienten aus dem Kreis der gesetzlich
Krankenversicherten ein schutzwürdiges Vertrauen in die Fortführungsmöglichkeit seiner Tätigkeit begründet und
durch einen dadurch aufgebauten Patientenstamm einen Bestandsschutz erworben hat (in diesem Sinne auch
BVerfG, Beschluss vom 16. März 2000 - 1 BvR 1453/99 - S. 6 UA).
Ein schutzwürdiges Vertrauen und ein beachtlicher Besitzstand vermochte sich nur durch eine hauptberuflich
ausgeübte psychotherapeutische Tätigkeit zu bilden, deren wesentlicher Bestandteil in zeitlicher wie wirtschaftlicher
Hinsicht die regelmäßige ambulante (Kranken-) Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zu Lasten der gesetzlichen
Krankenkassen gewesen sein muss. Nur dann erfüllt der Zulassungs-/Ermächtigungsbewerber auch die
Anforderungen, die sich aus dem Teilnahmebegriff ergeben, für dessen Auslegung auf die Rechtsprechung zur
Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit zurückgegriffen werden kann (LSG Berlin, Breit-haupt 2000, 131 ff. = NZS
2000, S. 208 ff). Die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ist durch eine an den Bedürfnissen der
Versicherten orientierte, den Gegebenheiten des Praxisbereichs entsprechende, grundsätzlich hauptberufliche
regelmäßige Tätigkeit gekennzeichnet; diesem Leitbild muss deshalb auch die psychologische Tätigkeit während des
dem 24. Juni 1997 vorangehenden Dreijahreszeitraumes entsprochen haben.
Die genannte Vorschrift setzt weder die Erbringung einer Mindeststundenzahl bei der Versorgung der gesetzlich
Krankenversicherten voraus noch psychotherapeutische Leistungen für diesen Personenkreis während des gesamten
Dreijahreszeitraumes (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. den Beschluss vom 31. März 2000 - L 7 B 20/00 KA
ER - mit weiteren Nachweisen). Denn ein schutzwürdiges Vertrauen kann sich auch in einem kürzeren Zeitraum
bilden. Hat ein Psychotherapeut nicht während des gesamten Dreijahreszeitraumes an der Versorgung der
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen, sondern seine Tätigkeit auf einen kürzeren
Zeitraum beschränkt, so sind an die erbrachten Leistungen sowohl in zeitlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht jedoch
höhere Anforderungen zu stellen als bei einer Abrechnung von Behandlungsstunden im gesamten Dreijahreszeitraum
(Beschlüsse des Senats vom 13. März 2000 - L 7 B 24/99 KA ER - sowie vom 24. März 2000 - L 7 B 21/00 KA ER -).
Hat er während des Dreijahreszeitraumes lediglich in einem Quartal Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung
behandelt oder - was dem gleichsteht - in einem längeren Zeitraum nur wenige Versicherte stundenweise
psychotherapeutisch versorgt, erfüllt er die Anforderungen des § 95 Abs. 10 und 11 Nr. 3 SGB V nicht (ständige
Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt den Beschluss vom 31. März 2000 - L 7 B 20/00 KA ER - mit weiteren
Nachweisen). Denn eine solche unregelmäßige Leistungserbringung während des gesetzlichen Dreijahreszeitraumes
ist in zeitlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht von untergeordneter Bedeutung und vermag zum Lebensunterhalt eines
hauptberuflich tätigen Psychotherapeuten nicht wesentlich beizutragen.
2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund kann der Senat in einem summarischen Verfahren zugunsten der
Antragstellerin nicht feststellen, dass sie an der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung in der maßgeblichen Zeit teilgenommen hat. Nach Einschätzung des Senats stand für die
Antragstellerin in diesem Zeitraum nicht die ambulante psychotherapeutische Tätigkeit und eine Versorgung der
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung im Vordergrund, sondern ihre hauptberufliche Beschäftigung beim
Verband mit 19,25 Stunden wöchentlich und die psychotherapeutische Behandlung zu Lasten der Bezirksämter des
Landes Berlin aufgrund des BSHG und des KJHG, aus denen sie nach ihren eigenen Angaben ihren Lebensunterhalt
bestritt. Darüber hinaus hat sie in dem maßgeblichen Zeitraum lediglich einen Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung mit insgesamt 103 Therapiestunden behandelt. Aus einer solchen unregelmäßigen
psychotherapeutischen Tätigkeit von geringem Umfang und wirtschaftlich untergeordneter Bedeutung lässt sich weder
ein schützenswertes Vertrauen noch ein rechtlicher Besitzstand herleiten. Dem kann die Antragstellerin nicht
entgegenhalten, dass sie zahlreiche weitere Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen hätte behandeln können, die
mit ihr Kontakt wegen einer psychotherapeutischen Behandlung aufgenommen und nur deshalb davon Abstand
genommen hätten, weil die Krankenkassen keine Kostenzusage hätten geben wollen. Abgesehen davon, dass es für
die Bildung eines vertrauensgeschützten Besitzstandes allein auf die zu Lasten der Krankenkassen tatsächlich
durchgeführten Behandlungen ankommt, hätte die Antragstellerin diese Situation dadurch vermeiden können, dass sie
sich um die Teilnahme am Delegationsverfahren bemüht hätte.
3. Da der Anspruch auf eine bedarfsunabhängige Zulassung bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen
summarischen Prüfung bereits an einer nicht ausreichenden Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen
Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24. Juni
1997 scheitert, konnte der Senat des Weiteren offen lassen, ob die Antragstellerin einen Anordnungsgrund glaubhaft
gemacht hat. Denn am Vorliegen eines Anordnungsgrundes ergeben sich aus dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. Dezember 1999 (1 BvR1657/99), mit welchem entschieden worden ist, dass die
Rechte aus dem Delegationsverfahren nicht schon durch die ablehnende Entscheidung des Zulassungsausschusses
erlöschen, sondern Artikel 10 des Einführungsgesetzes zum Psychotherapeutengesetz verfassungskonform
dahingehend auszulegen ist, dass unter der Entscheidung des Zulassungsausschusses die bestandskräftige oder
rechtskräftige Entscheidung z.B. durch ein rechtskräftiges Urteil, zu verstehen ist und dies auch für vergleichbare
Fälle gilt (Beschluss des Senats vom 31. März 2000 - L 7 B 20/00 KA ER). Es spricht deshalb alles dafür, dass der
Antragstellerin auch kein schwerer Nachteil dadurch entsteht, dass sie auf den Rechtsweg im Hauptsacheverfahren
verwiesen wird (in diesem Sinne der Beschluss des BVerfG vom 16. März 2000 - 1 BvR 1453/99 - S. 8). Unzumutbar
ist das schon deshalb nicht, weil sie im einstweiligen Rechtsschutz nicht die Beibehaltung der bisherigen Lage,
sondern eine Erweiterung ihrer beruflichen Betätigungsfelder erstrebt. Zur Fortsetzung ihrer beruflichen Arbeit ist die
Antragstellerin ohnehin berechtigt, denn sie kann weiterhin selbständig psychotherapeutisch tätig sein. Auch die
rechtlichen Rahmenbedingungen der Kostenerstattung nach § 13 SGB V sind im Zusammenhang mit dem
Psychotherapeutengesetz nicht verändert worden, weshalb bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen auch
weiterhin eine Kostenerstattung durch die Krankenkassen, insbesondere bei laufenden Behandlungen und
Verlängerungsanträgen, in Betracht kommen kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 16. März 2000 - 1 BvR 1453/99 - S.
8).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).