Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 12.02.2008

LSG Berlin-Brandenburg: anhörung, präsident, stadtrat, datum, gleichstellung, verfassungsgericht, rechtswidrigkeit, zivilgericht, absicht, öffentlich

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
12. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 12 AL 57/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG, § 35 SGB
1, § 67 Abs 1 SGB 10
Feststellungsklage - Subsidiarität - fehlendes
Feststellungsinteresse - Schadensersatzklage - Erledigung vor
Klageerhebung - Verletzung des Sozialdatenschutzes
Leitsatz
Die Absicht, eine Schadensersatz- oder Amtshaftungsklage zu erheben, rechtfertigt nicht ein
Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungshandelns, das sich
bereits vor Klageerhebung erledigt hat. In diesem Fall bedarf es keines Rechtsschutzes durch
die (allgemeinen oder besonderen) Verwaltungsgerichte. Vielmehr kann - und muss - der
Betroffene wegen des von ihm erstrebten Schadensersatzes sogleich das zuständige
Zivilgericht anrufen, das auch die öffentlich-rechtlichen Vorfragen zu klären hat (BVerwG,
Urteile vom 27. März 1998 - 4 C 14.96 - und vom 20. Januar 1989 - 8 C 30.87 -, BVerwGE 106,
295 [298] bzw. 81, 226 [227 f.])
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Dezember
2004 wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Klägerin, das Verfahren an das zuständige Verfassungsgericht
abzugeben, wird abgelehnt.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte unbefugt Sozialdaten oder -
geheimnisse offenbart hat.
Die 1951 geborene Klägerin war beim Land B (Arbeitgeber) im Schreibdienst angestellt;
ab August 1995 war sie im Vorzimmer eines Stadtrates eines B Bezirksamtes
beschäftigt. Sie bezieht jetzt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Mit Bescheid vom 1. Juli 1999 stellte das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung
(GdB) von 30 fest.
Am 30. Juli 1999 beantragte der Ehemann der Klägerin persönlich deren Gleichstellung
mit einer Schwerbehinderten. Entsprechende Antragsvordrucke füllte die Klägerin mit
Datum vom 9. August und 8. November 1999 aus. Diesen Antragsvordrucken war eine
Anlage „Einverständniserklärung zur Anhörung Beteiligter“ beigefügt. In der von ihr mit
Datum vom 8. November 1999 unterschriebenen Einverständniserklärung gab die
Klägerin an, dass sie damit einverstanden sei, dass ihr Arbeitgeber, der
Betriebsrat/Personalrat sowie die/der Schwerbehindertenvertreter/in zur Frage der
Gefährdung ihres Arbeitsplatzes gehört würden, und dass sie das Arbeitsamt gegenüber
den mit der Antragstellung befassten Stellen von der Schweigepflicht nach § 35 des
Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) i. V. m. § 67 des Zehnten Buchs des
Sozialgesetzbuchs (SGB X) entbinde. Ferner war dem Antrag eine Begründung mit
Datum vom 9. August 1999 beigefügt, in der die Klägerin Vorfälle schilderte, aufgrund
derer sie den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses als gefährdet ansah.
Die Beklagte ersuchte den Arbeitgeber der Klägerin und den dort gebildeten Personalrat,
sich zu dem Gleichstellungsantrag zu äußern, was diese am 16. November bzw. 28.
Dezember 1999 taten.
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Mit Bescheid vom 31. Januar 2000 stellte die Beklagte die Klägerin einer
Schwerbehinderten gleich.
Mit Datum vom 21. Mai 2002 erhob der Ehemann der Klägerin eine
Dienstaufsichtsbeschwerde und beanstandete, dass der Präsident des Arbeitsamtes B
dem damaligen Stadtrat, in dessen Vorzimmer seine Frau eingesetzt war, die
Begründung vom 9. August 1999 zu dem Gleichstellungsantrag übergeben habe.
Dadurch habe der Präsident des Arbeitsamtes B das Sozialgeheimnis verletzt.
Am 3. März 2003 hat die Klägerin beim Sozialgericht Untätigkeitsklage mit dem Ziel
erhoben, ihr einen rechtsmittelfähigen Bescheid über ihre Dienstaufsichtsbeschwerde zu
erteilen. Diese Untätigkeitsklage hat sie in einer mündlichen Verhandlung des
Sozialgerichts am 24. Juli 2003 geändert und nunmehr die Feststellung begehrt, dass
durch die Weiterleitung der Begründung zum Antrag auf Gleichstellung ein Verstoß
gegen den Sozialdatenschutz vorliege.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass im Rahmen des Gleichstellungsverfahrens der
damalige Arbeitgeber der Klägerin im November 1999 lediglich ein Begleitschreiben des
Arbeitsamtes Berlin Süd sowie ein Formblatt für eine Stellungnahme erhalten habe,
nicht jedoch die Begründung der Klägerin zu ihrem Antrag. Ein Verstoß gegen den
Datenschutz liege deshalb nicht vor.
Die Klägerin hat dazu vortragen lassen, dass die Beklagte am 10. November 1999
tatsächlich nur ein Anschreiben an den Arbeitgeber abgeschickt habe. Aus einem
Schriftsatz des Arbeitgebers vom 19. Oktober 2001 in einem beim Arbeitsgericht Berlin
gegen diesen geführten Rechtsstreit ergebe sich aber, dass der Präsident des
Arbeitsamtes B dem Bezirksstadtrat, der mit ihm in mehreren Ausschüssen
zusammenarbeite, die Begründung vom 9. August 1999 übergeben habe. Dieser habe
dann diese Begründung an den Leiter der Personalstelle weitergeleitet.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 9. Dezember 2004 die Klage abgewiesen. Diese
sei zulässig, aber unbegründet. Die Begründung der Klägerin zu ihrem
Gleichstellungsantrag vom 9. August 1999 enthalte Sozialdaten im Sinne des § 67 SGB
X. Die Übermittlung dieser Daten an den Arbeitgeber sei jedoch zulässig, da die
Beklagte den Arbeitgeber im Gleichstellungsverfahren habe anhören müssen. Im
Übrigen liege nach Angaben der Beklagten, die von der Klägerin nicht bestritten würden,
ein Einverständnis zur Anhörung des Arbeitgebers, des Personalrates sowie der
Schwerbehindertenvertretung vor. Die Beklagte sei auch sonst berechtigt, das Schreiben
der Klägerin vom 9. August 1999 dem Arbeitgeber zur Kenntnis zu bringen. Soweit die
Klägerin rüge, dass ihr Schreiben vom Präsidenten des Arbeitsamtes B dem
Bezirksstadtrat übergeben worden sei, könne sie damit nicht durchdringen. Diese
Verfahrensweise sei selbst dann, wenn sie tatsächlich eingeschlagen worden sei, im
Hinblick auf das Sozialgeheimnis nicht rechtswidrig gewesen, denn der Bezirksstadtrat
sei insoweit als ein Vertreter des Arbeitgebers anzusehen, an den sich die Beklagte im
Rahmen der Anhörung habe wenden dürfen.
Gegen das ihr am 15. Januar 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Februar 2005
eingelegte Berufung der Klägerin. Sie trägt vor, dass sich die Beklagte bei der Anhörung
des Arbeitgebers an die Regelungen zum Sozialdatenschutz gehalten habe, indem sie
am 10. November 1999 dem Arbeitgeber lediglich ein Begleitschreiben sowie einen
Vordruck für eine Stellungnahme zugesandt habe. Der Präsident des Arbeitsamtes B
habe jedoch nicht die Befugnis gehabt, außerhalb des Dienstweges (in einer
Ausschusssitzung) dem Bezirksstadtrat die Begründung zum Antrag zu überreichen. Die
Beklagte sei maßgeblich für die seit Dezember 1999 durch ihren früheren Arbeitgeber
gegen sie betriebenen Repressalien einschließlich der Kündigung des Arbeitsplatzes
verantwortlich und ebenso maßgeblich an den zu ihrer Erkrankung führenden Tatsachen
wie auch an ihrer Schwerbehinderung und Erwerbsunfähigkeit beteiligt. Ferner habe sie
Mitschuld an den sich daraus ergebenden Einkommensverlusten auf Dauer, den
Aufwendungen, die sie (die Klägerin) zu tragen gehabt habe und noch zu tragen haben
werde, und habe Beihilfe zur Irreführung der Staatsanwaltschaft durch den Leiter des
Rechtsamtes des Bezirksamtes geleistet. Aufgrund dessen bestehe ein Interesse an der
baldigen Feststellung. Abgesehen davon sehe das nationale Sozialgesetzbuch wie auch
die europäische Gesetzgebung für derartige Fälle Schadensersatzleistungen vor. Auch
ihr Mann, der mit ihr zusammenlebe, leide darunter.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. Dezember 2004 aufzuheben und
festzustellen, dass die Beklagte durch die Weiterleitung der Begründung zum Antrag auf
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festzustellen, dass die Beklagte durch die Weiterleitung der Begründung zum Antrag auf
Gleichstellung vom 9. August 1999 an den damaligen Stadtrat für Bau- und
Wohnungswesen und Umweltschutz des Bezirksamtes T von Berlin unbefugt
Sozialgeheimnisse offenbart hat,
hilfsweise,
das Verfahren an das zuständige Verfassungsgericht abzugeben, da
staatsverbrecherische Maßnahmen zum Tragen gekommen sind (das Grundgesetz
wurde durch Staatsbedienstete mit Füßen getreten).
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
die sie für unbegründet hält.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf
die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den
Gleichstellungsvorgang () und den Beschwerdevorgang (), die die Beklagte vorgelegt hat
und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG])
Berufung der Klägerin, über die anstelle des nicht mehr bestehenden
Landessozialgerichts Berlin das in Übereinstimmung mit § 28 Abs. 2 SGG durch den
Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und
Brandenburg vom 26. April 2004 errichtete Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zu
entscheiden hat, auf das das Verfahren gemäß Artikel 28 des Staatsvertrages am 1. Juli
2005 in dem Stand, indem es sich an diesem Tag befunden hat, übergegangen ist, ist
unbegründet.
Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage ist unzulässig, da ihr das erforderliche
Feststellungsinteresse fehlt. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, wonach die Feststellung des
Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden kann, ist
auch die Feststellung möglich, dass bestimmte „Geheimnisse“ oder Sozialdaten
unbefugt offenbart worden sind (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1978 – 1 RJ 32/78 –, BSGE
47, 118 = SozR 1200 § 35 Nr. 1; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. Januar 2007 – L
9 KR 32/04 –). Wie jede Feststellungsklage setzt aber auch diese voraus, dass „der
Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat“ (§ 55 Abs. 1, 2.
Halbsatz SGG). Ein solches Interesse besteht hier nicht.
Eine Wiederholungsgefahr (die ein derartiges Feststellungsinteresse begründen könnte)
ist ausgeschlossen, weil die Klägerin, die inzwischen als schwerbehinderter Mensch
anerkannt ist und überdies Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezieht, nicht
mehr in einer Rechtsbeziehung zur Beklagten steht. Jedenfalls bestehen keinerlei
Anhaltspunkte, dass sie jemals wieder ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten
Menschen beantragen oder auch andere Beziehungen zur Beklagten haben könnte.
Ein Feststellungsinteresse ist auch nicht mit Rücksicht auf einen angeblichen Schaden,
den die Klägerin erlitten haben will, anzuerkennen. Zwar kann die Absicht, eine
Schadensersatz- oder Amtshaftungsklage zu erheben, ein (Fortsetzungs-
)Feststellungsinteresse begründen, um die Partei nicht um die Früchte des bisherigen
Prozesses zu bringen und ihre Stellung in dem angestrebten Zivilverfahren zu
verbessern. Diese Überlegung rechtfertigt jedoch nicht ein Interesse an der Feststellung
der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes oder sonstigen Verwaltungshandelns, das
sich – wie hier durch die angebliche Übergabe des fraglichen Schriftstückes jedenfalls vor
dem 19. Oktober 2001 – bereits vor Klageerhebung erledigt hat. In diesem Fall bedarf es
keines Rechtsschutzes durch die (allgemeinen oder besonderen) Verwaltungsgerichte.
Vielmehr kann – und muss – der Betroffene wegen des von ihm erstrebten
Schadensersatzes sogleich das zuständige Zivilgericht anrufen, das auch die öffentlich-
rechtlichen Vorfragen zu klären hat (BVerwG, Urteile vom 27. März 1998 – 4 C 14.96 –
und vom 20. Januar 1989 – 8 C 30.87 –, BVerwGE 106, 295 [298] bzw. 81, 226 [227 f.];
vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Lei-therer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Aufl. [2005], § 55
Rdnr. 16). Im Übrigen lässt das Vorbringen der Klägerin nicht einmal ansatzweise
erkennen, dass ihr gerade durch die angebliche Weiterleitung oder Übergabe der
Begründung zu ihrem Gleichstellungsantrag an den damaligen Bezirksstadtrat (deren
Rechtswidrigkeit sie festgestellt wissen will) irgendein konkreter Schaden entstanden sein
könnte; ebenso wenig geht daraus hervor, gegen wen (die Beklagte, ihren früheren
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könnte; ebenso wenig geht daraus hervor, gegen wen (die Beklagte, ihren früheren
Arbeitgeber oder andere) sie Schadensersatzansprüche geltend zu machen
beabsichtigt.
Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob die Begründung zu ihrem
Gleichstellungsantrag überhaupt „Sozialdaten“ der Klägerin oder sonstige
schützenswerte „Geheimnisse“ im Sinne des § 67 Abs. 1 SGB X enthält; der von ihr
darin behauptete „Zwischenfall“, an dem der Stadtrat beteiligt gewesen sein soll, ist
jedenfalls kein solches „Sozialdatum“ der Klägerin. Auch ist vom Senat nicht
aufzuklären, ob diese Begründung tatsächlich, wie die Klägerin annimmt, vom
Präsidenten des Arbeitsamts B an den Stadtrat weitergeleitet worden ist, und erst recht
nicht, ob die von der Klägerin in dieser Begründung aufgestellten Behauptungen
zutreffen.
Der (Hilfs-)Antrag der Klägerin, „das Verfahren an das zuständige Verfassungsgericht
abzugeben“, ist abzulehnen, da eine solche Abgabe weder im Sozialgerichtsgesetz noch
in einer anderen Prozessordnung vorgesehen ist.
Die auf § 193 Abs. 1 SGG beruhende Entscheidung über die Kostenerstattung
berücksichtigt, dass Klage und Berufung keinen Erfolg haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht
erfüllt.
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