Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 02.06.2005

LSG Berlin-Brandenburg: treu und glauben, berufliche eingliederung, materielle rechtskraft, unentgeltliche tätigkeit, erlass, einziehung, arbeitslosigkeit, versicherungsträger, verein

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
30. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 30 AL 18/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 20 SGB 4, § 76 Abs 1 SGB 4, §
76 Abs 2 Nr 3 SGB 4, § 118 SGB
3, § 118a SGB 3
Erlass eines Rückerstattungsanspruchs durch den
Versicherungsträger; Erstattungsanspruch; Unbilligkeit
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 02. Juni
2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das
Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten den Erlass eines titulierten
Rückerstattungsanspruchs in Höhe von ursprünglich 10.658,64 DM (= 5.449,68 €) wegen
zu Unrecht geleisteten Arbeitslosengeldes (Alg).
Der Kläger war im Rahmen einer befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) vom
01. Oktober 1993 bis zum 30. September 1994 als Leiter des Projekts ,,K C“ tätig, durch
das mehrere Klubs zur Betreuung von Kindern zwischen 10 und 13 Jahren betrieben
wurden. Maßnahmeträger war das Amt T-L, mit dem auch das entsprechende
Arbeitsverhältnis bestand. Als Projektleiter errichtete und betreute der Kläger
Treffpunkte für Kinder in verschiedenen Orten des Einzugsbereichs des Amtes T-L.
Die Beklagte bewilligte ihm auf seinen Antrag ab dem 01. Oktober 1994 Alg für 448 Tage
(Bewilligungsbescheid vom 27. Oktober 1994; Änderungsbescheide vom 18. November
2004 und 2. Januar 2005).
Für den Zeitraum vom 01. Oktober 1995 bis zum 30. Juni 1996 beschäftigte der K C e.V.
den Kläger in einem Umfang von 40 Wochenstunden. Auf entsprechende Mitteilung des
Klägers hob die Beklagte die Alg-Bewilligung mit Bescheid vom 06. Oktober 1995 zum
01. Oktober 1995 auf.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07. Oktober 1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. November 1996 forderte die Beklagte das an den
Kläger geleistete Alg für den Zeitraum vom 01. Oktober 1994 bis zum 30. September
1995 in Höhe von 10.662,37 DM zurück.
Die hiergegen erhobene Klage des Klägers wies das Sozialgericht Neuruppin mit Urteil
vom 13. Mai 1998 ab (Az.: S 4 AL 181/96). Auf die Berufung des Klägers wurde das
erstinstanzliche Urteil vom Landessozialgericht für das Land Brandenburg mit Urteil vom
19. Juli 2001 (Az.: L 8 AL 49/98) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen
dahingehend geändert, dass der Erstattungsbetrag um 3,73 DM auf 10.658,64 DM
reduziert wurde. Die dagegen von dem Kläger eingelegte Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision verwarf das Bundessozialgericht durch Beschluss vom 27.
Juni 2002 (Az.: B 7 AL 258/01 B) als unzulässig.
Mit Bescheid vom 14. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09. Dezember 2003 rechnete die Beklagte ab dem 01. November 2003 die
Erstattungsforderung gegen den in der Zwischenzeit von der Beklagten ab 01. Januar
2003 bewilligten Alg-Anspruch des Klägers in Höhe von täglich 15,95 EUR auf. Eine Klage
dagegen wurde vom Kläger nicht erhoben.
Bereits mit Schreiben vom 21. Mai 2003, dem er eine Kopie eines Schreibens des
Amtsdirektors des Amtes T-L vom 27. September 2000 beifügte, beantragte der Kläger,
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Amtsdirektors des Amtes T-L vom 27. September 2000 beifügte, beantragte der Kläger,
die gegen ihn bestehende Erstattungsforderung in Höhe von 10.658,64 DM, worauf er
nach eigenen Angaben schon monatliche Ratenzahlungen erbracht habe,
niederzuschlagen oder zu erlassen. Zur Begründung führte er aus, dass heute
unentgeltliche ehrenamtliche Tätigkeiten der Arbeitslosigkeit nicht mehr
entgegenstünden, wenn diese bestimmten Anforderungen genügten. Diese lägen bei
ihm vor. Das Urteil zu seinem damaligen Verhalten habe ihn nicht nur finanziell, sondern
auch moralisch tief getroffen.
Mit Bescheid vom 21. November 2003 lehnte die Beklagte den Antrag mit der
Begründung ab, die Voraussetzungen, die § 76 Abs. 2 Nr. 3 Viertes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB IV) an einen Forderungserlass stellt, seien nicht erfüllt. Die
Einziehung der Forderung sei weder aus persönlichen noch sachlichen Gründen unbillig.
Die Existenz des Klägers sei nicht gefährdet, da er Leistungen des Arbeitsamtes
Eberswalde beziehe und der notwendige Lebensunterhalt durch die Beschränkungen des
§ 51 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) sichergestellt sei. Auch eine sachliche
Unbilligkeit liege nicht vor, da die Einziehung der Forderung weder dem Zweck der
anspruchsbegründenden Regelung widerspräche, noch mit allgemeinen
Rechtsgrundsätzen oder verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen unvereinbar sei.
Vielmehr sei die ursprüngliche Entscheidung des Arbeitsamtes in mehreren Instanzen
geprüft und inhaltlich bestätigt worden.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 10. Dezember 2003 Widerspruch ein. Es
liege eine sachliche Unbilligkeit vor. Hierauf weise schon die Tatsache hin, dass die
Regelung, die den Anspruch begründet habe, aufgehoben worden sei. Es sei davon
auszugehen, dass diese Aufhebung selbst aus Gründen der Unbilligkeit vorgenommen
worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor. Die Einziehung der
Forderung widerspräche im Hinblick auf das rechtskräftige Urteil des
Landessozialgerichts Brandenburg nicht den Geboten der Gleichheit und des
Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der
Zumutbarkeit oder dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zweck. Auch
eine persönliche Unbilligkeit liege nicht vor, da der wirtschaftlichen Lage des Klägers
durch eine ratenweise Begleichung der Forderung angemessen Rechnung getragen
werden könne.
Mit der dagegen am 08. April 2004 bei dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage
hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass eine persönliche Unbilligkeit zwar nicht
vorliege, von einer sachlichen Unbilligkeit aber wegen der Änderung der Rechtslage
auszugehen sei.
Die Beklagte hat sich vollumfänglich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid
vom 12. März 2004 berufen.
Durch Urteil vom 02. Juni 2005 hat das Sozialgericht Neuruppin die Klage abgewiesen;
wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf Bl. 10 bis 23 der Gerichtsakten verwiesen.
Gegen das dem Kläger am 04. August 2005 zugestellte Urteil hat er am 29. August
2005 Berufung bei dem Sozialgericht Neuruppin zum Landessozialgericht Berlin-
Brandenburg eingelegt. Er habe der Beklagten die seinerzeit ausgeführte Tätigkeit
sowohl vom Umfang als auch von der Art her mitgeteilt. Zudem habe das
erstinstanzliche Urteil zu Unrecht nicht geprüft, ob sein Schreiben an das Arbeitsamt
vom 16. Januar 1995, auf das er verweise, nicht die Einbeziehung des Gebotes des
Vertrauensschutzes bzw. des Grundsatzes von treu und Glauben gerechtfertigt hätten
und so eine sachliche Unbilligkeit begründen hätte können. Es könne nicht sein, dass
einerseits ausschließlich dieses Schreiben als Grundlage der Rückforderung und Beweis
der zuviel geleisteten Stunden gewertet werde, andererseits dadurch aber kein
Vertrauensschutz begründet werde. Er habe diese Angaben noch während der
Bezugszeit des Alg gemacht, ohne dass daraufhin die Leistung eingestellt worden sei.
Oberstes Prinzip solcher (Erlass-) Entscheidungen durch die Beklagte sei es, im
Interesse der Versichertengemeinschaft zu entscheiden. Dieses Interesse dürfe nicht
nur im Finanziellen gesucht werden.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 02. Juni 2005 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 21. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.
April 2004 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, seinen Erlassantrag vom 21.
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April 2004 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, seinen Erlassantrag vom 21.
Mai 2003 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakten der
Beklagten sowie der Gerichtsakten des Landessozialgerichts Brandenburg (L 8 AL 49/98
ER) und des Sozialgerichts Neuruppin (S 4 AL 181/96) Bezug genommen, die
Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligte ihr
Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erteilt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1
Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ § 144, 151 SGG), jedoch
unbegründet. Das Sozialgericht Neuruppin hat die Klage durch Urteil vom 02. Juni 2005
zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene
Bescheid der Beklagten vom 21. November 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 01. April 2004 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers auf Erlass
des gegen ihn bestehenden Rückerstattungsanspruchs aus dem Aufhebungs- und
Erstattungsbescheid vom 07. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20. November 1996 ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass des
Rückerstattungsanspruchs der Beklagten gegen den Kläger sind nicht erfüllt. Gemäß §
76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV darf ein Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn deren
Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Vorschrift stellt eine
Ausnahme von dem in § 76 Abs. 1 SGB IV normierten Grundsatz dar, dass die
Versicherungsträger dazu verpflichtet sind, ihre Einnahmen rechtzeitig und vollständig
zu erheben. Zu den Einnahmen gehören nach der Grundsatzvorschrift des § 20 SGB IV
zur Aufbringung der Mittel für die Finanzierung der Sozialversicherungsträger und der
Arbeitsverwaltung auch die zu den sonstigen Einnahmen zählenden
Erstattungsansprüche (Borrmann in Hauck/Noftz, Kommentar, SGB IV, K § 76 Rn. 4).
Das Prinzip der rechtzeitigen und vollständigen Entnahmenerhebung darf nicht durch
eine zu großzügige Auslegung der Erlassvoraussetzungen unterlaufen werden. Denn mit
dem Erlass wird gegenüber dem Schuldner auf einen bestehenden Anspruch ganz oder
teilweise verzichtet. Der Anspruch erlischt; seine spätere Geltendmachung ist
ausgeschlossen. Der Erlass begünstigt damit den Einzelnen zu Lasten der
Versichertengemeinschaft. Es ist zwischen den Interessen des Versicherungsträgers und
der Verpflichtung aus § 76 Abs. 1 SGB IV, Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu
erheben, und den Individualinteressen des Zahlungspflichtigen abzuwägen. Dies
erfordert enge Maßstäbe (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2005, Az.:
L 8 AL 4537/04, zitiert nach juris). In diesem Zusammenhang ist das von § 76 SGB IV
zugrunde gelegte Interesse des Versicherungsträgers und das in Bezug genommene
und in die Abwägung eingestellte Interesse der Versichertengemeinschaft allein
finanzieller Art. Sonstige Kriterien können allenfalls bei der Beurteilung des Vorliegens
einer Unbilligkeit aus sachlichen Gründen Berücksichtigung finden.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Einziehung der Forderung weder aus
persönlichen noch aus sachlichen Gründen unbillig.
Eine in der Person des Klägers begründete persönliche Unbilligkeit liegt nicht vor. Der
Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit setzt voraus, dass die Einziehung für den
Zahlungspflichtigen in wirtschaftlicher Hinsicht Existenz bedrohend oder zumindest in
hohem Maße Existenz gefährdend ist. Dies ist bei dem Kläger nicht ersichtlich. So hat er
weder vorgetragen, durch die Einziehung in eine wirtschaftliche Notlage zu geraten, noch
ist hierfür angesichts der ratenweise im Wege der Aufrechnung mit dem Anspruch auf
Alg realisierten bzw. noch zu realisierenden Forderung etwas ersichtlich. Eine andere
Beurteilung drängt sich für den Senat auch ansonsten nicht auf.
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Zudem liegt auch eine sachliche Unbilligkeit nicht vor. Ein Erlass aus sachlichen
Billigkeitsgründen ist angezeigt, wenn die Geltendmachung eines Anspruches zwar dem
Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden
Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist, weil er dessen Wertungen zuwiderläuft.
Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes
einer Vorschrift hingegen bewusst in Kauf genommen hat, können dagegen keine
sachliche Unbilligkeit begründen (Bundefinanzhof, Urteil vom 05. Juni 1996, Az.: X R
234/93, in BFHE 180, 240; LSG Niedersachsen, Urteil vom 02. März 1999, Az.: L 3 U
27/99, in HVBG-INFO 1999, 1893 und juris).
Insoweit ist das Erlassverfahren auch kein geeigneter Rechtsbehelf, Versäumnisse des
Zahlungspflichtigen, die zur Forderungserhebung durch den Sozialversicherungsträger
geführt haben, auszugleichen (LSG Baden-Württemberg a. a. O.). Insbesondere sind bei
der Prüfung der Unbilligkeit im Rahmen des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV die Umstände, die
zum Rückforderungsbetrag geführt haben, nicht zu berücksichtigen. So steht einer
erneuten Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 07. Oktober
1996 gemäß § 141 Abs. 1 SGG die Rechtskraft der Entscheidung des
Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 19. Juli 2001 bzw. der des
Bundessozialgerichts vom 27. Juni 2002 entgegen. Der Kläger kann nicht damit gehört
werden, dass er seinerzeit seiner Anzeigepflicht durch richtige und vollständige Angaben
gegenüber dem Arbeitsamt nachgekommen sei und der Bescheid daher gar nicht hätte
ergehen dürfen. Gleiches gilt für seine Auffassung, das Schreiben vom 16. Januar 1995
habe für ihn einen der Einziehung entgegenstehenden, an Treu und Glauben orientierten
Vertrauensschutz begründet. Denn durch das rechtskräftige Urteil des
Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 19. Juli 2001 steht zwischen den
Beteiligte rechtskräftig fest, dass der Rückforderungsbescheid rechtmäßig ist und den
Kläger nicht in seinen Rechten verletzt ist. Der Kläger kann nicht durch einen
Erlassantrag die erneute Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheides (§ 77 SGG)
verlangen, gegen den er - erfolglos - den Rechtsweg erschöpft hat. Die materielle
Rechtskraft bindet die am gerichtlichen Verfahren Beteiligten im Interesse der
Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Sie ist insbesondere auch zu beachten, wenn
das rechtskräftige Urteil falsch ist oder von einem Beteiligten dafür gehalten wird (vgl.
Keller, in: Meyer-Ladewig u. a., SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 141 Rn. 3).
Darüber hinaus liegen weitere, für die Beurteilung der Forderungseinziehung relevante
Gründe, die zu einer sachlichen Unbilligkeit führen könnten, nicht vor.
Insoweit ist - wie bei allen Ermessensentscheidungen - auf den Zeitpunkt der letzten
Verwaltungsentscheidung, also den Widerspruchsbescheid vom 12. März 2004,
abzustellen. Es handelt sich bei der Beurteilung der sachlichen Unbilligkeit zwar um eine
tatbestandliche Voraussetzung der Norm. Durch den unbestimmten Rechtsbegriff der
Unbilligkeit und dem hierdurch eröffneten Beurteilungsspielraum des
Versicherungsträgers kann eine Bewertung des Einzelfalles aber nicht losgelöst von dem
auf der Rechtsfolgenseite der Norm eröffneten Ermessen gewürdigt werden. Vielmehr
muss eine einheitliche Ermessensentscheidung getroffen werden (vgl. LSG Baden-
Württemberg, a. a. O.).
Die im Hinblick auf den durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001 (BGBl. I
3443) in das SGB III eingeführten § 118a geänderte Rechtslage zum 01. Januar 2002
kann eine sachliche Unbilligkeit nicht begründen.
Diese Vorschrift ist mit Wirkung zum 01. Januar 2002 in Kraft getreten und zum 01.
Januar 2005 durch den inhaltsgleichen § 119 Abs. 2 SGB III aufgrund des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003
(BGBl. I S. 2848) ersetzt worden. Die Regelung bestimmte bzw. bestimmt, dass eine
ehrenamtliche Tätigkeit Arbeitslosigkeit nicht ausschließt, wenn dadurch die berufliche
Eingliederung des Arbeitslosen nicht beeinträchtigt wird.
§ 118a SGB III bzw. § 119 Abs. 2 SGB III ist zum einen nicht direkt anwendbar auf die
Entscheidung der Beklagten durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07.
Oktober 1996, mit der Erstattungsansprüche für den Zeitraum zwischen 1994 und 1995
geltend gemacht wurden. Denn der Gesetzgeber hat der Vorschrift keine Rückwirkung
beigemessen. Ebenso wenig enthält die Vorschrift eine gesetzliche Wertung, der der
Forderungseinzug zuwiderlaufe würde.
Zum einen hätte der Kläger auch unter Geltung des neu eingeführten § 118a SGB III
bzw. § 119 Abs. 2 SGB III keinen Anspruch auf die Bewilligung von Alg gehabt.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich die Rechtslage durch die Einführung des §
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Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich die Rechtslage durch die Einführung des §
118a SGB III tatsächlich nicht geändert hat. Denn die Vorschrift stellt lediglich klar, dass
Arbeitslosigkeit allein wegen des Ausübens einer ehrenamtlichen Tätigkeit nicht
ausgeschlossen ist. Nicht dagegen wird bestimmt, dass es dem Arbeitslosen generell
ohne Verlust seines Leistungsanspruches erlaubt sei, eine ehrenamtliche Tätigkeit auch
in einem Umfang von 15 und mehr Wochenstunden auszuüben. Denn wenn es sich bei
der über 15-stündigen ehrenamtlichen Tätigkeit um eine versicherungspflichtige
Beschäftigung nach §§ 24 ff. SGB III i. V. m. §§ 7, 8 SGB IV handeln würde, wäre
entsprechend § 118 Abs. 2 SGB III gerade dadurch die Arbeitslosigkeit ausgeschlossen.
Dass eine Tätigkeit keine versicherungspflichtige Tätigkeit sei, wenn sie ehrenamtlich
ausgeübt werde, ist nicht im Gesetz geregelt worden (Wissing, SGb 2002, S. 367).
Im Gegensatz zu den versicherungspflichtigen Tätigkeiten sind ehrenamtliche
Tätigkeiten i. S. d. § 118a SGB III bzw. § 119 Abs. 2 SGB III freiwillige und uneigennützige
Betätigungen im sozialen, kulturellen, karitativen oder sportlichen Bereich, die dem
Gemeinwohl dienen und bei einer Organisation erfolgen, die ohne
Gewinnerzielungsabsicht öffentliche oder gemeinnützige Aufgaben ausführt (Valgolio, in:
Hauck/Noftz, SGB III, Kommentar, § 119 Rn. 45). Die Abgrenzung hat danach zu
erfolgen, ob es sich um ein öffentlich-rechtliches Sonderverhältnis handelt, dem
aufgrund von Zielsetzung und Ausgestaltung das - ein sozialrechtliches
Beschäftigungsverhältnis kennzeichnende - Austauschverhältnis fehlt, oder ob die
betreffenden Personen über ihre Repräsentationsfunktionen hinaus dem allgemeinen
Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Im Übrigen ist eine
versicherungspflichtige Tätigkeit gekennzeichnet durch eine Weisungsgebundenheit des
Beschäftigten und dessen Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger keine klassische ehrenamtliche
Tätigkeit im Rechtssinne ausgeübt, sondern vielmehr eine unentgeltliche Mehrarbeit für
den Verein, die in untrennbaren Zusammenhang mit dem bestehenden
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat. Die unentgeltliche
Tätigkeit des Klägers beschränkte sich nicht auf die reine Repräsentation des Vereins,
sondern umfasste im Wesentlichen die Fortführung der entlohnten Arbeit. Deren
Versicherungspflichtigkeit folgt nicht zuletzt aus dem wirtschaftlichen Wert, den die
Tätigkeit des Klägers für den Verein hatte. Denn sowohl die Betreuung der Jugendklubs
als auch deren entsprechende Organisation ist eine Tätigkeit, die dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zuzurechnen ist. Darüber hinaus war der Kläger auch dem Direktionsrecht
des Vereins unterworfen. Ausweislich seiner Berufungsbegründung vom 06. Dezember
2005 durfte er nur nach vorheriger Absprache mit dem Verein zusätzliche Angebote in
den Jugendklubs erbringen. Der Kläger hätte angesichts des zeitlichen Umfangs seiner
Tätigkeit also auch unter Geltung der neuen Regelung keinen Anspruch auf Alg gehabt.
Eine sachliche Unbilligkeit anzunehmen, würde dazu führen, dem Kläger eine Leistung zu
belassen, auf die er zu keiner Zeit einen Anspruch gehabt hat. Dies hieße den Kläger im
Vergleich zu der übrigen Versichertengemeinschaft - die bei gleichen Voraussetzungen
ebenfalls keinen Leistungsanspruch hätten - zu privilegieren.
Zum anderen würde auch die Anerkennung der Tätigkeit des Klägers als ehrenamtlich
im Rechtssinne zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn auch in dem Fall könnte
hieraus im Hinblick auf die neue gesetzliche Regelung keine sachliche Unbilligkeit
hergeleitet werden. Es handelt sich bei der gesetzgeberischen Entscheidung gegen die
Beimessung einer Rückwirkung um einen Umstand, dessen sich der Gesetzgeber
bewusst war. Denn der Gesetzgeber selbst war nicht der Meinung, dass ehrenamtliche
Tätigkeiten nach der alten Rechtslage die Arbeitslosigkeit ohne weiteres ausschließen
würden. Er glaubte jedoch, die Möglichkeit ausschließen zu müssen, dass das
Bundessozialgericht in Anwendung der Gleichzeitigkeitsthese so entscheiden könnte.
Nach dieser These stünde ein ehrenamtlich tätiger Arbeitsloser schon deswegen der
Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung, weil er ehrenamtlich tätig ist und
deswegen nicht gleichzeitig auch Eingliederungsvorschlägen des Arbeitsamtes Folge
leisten könne. Der Gesetzgeber wollte derartige Entscheidungen, die zu einem
rechtspolitisch unerwünschten Ergebnis führen würden, verhindern (Wissing, SGb 2002,
S. 369). Er wollte insoweit für die Zukunft die ehrenamtliche Tätigkeit im Hinblick auf den
Leistungsanspruch des Arbeitslosen absichern. Nicht aber wollte er in die
Rechtsverhältnisse der Vergangenheit eingreifen.
Nach alledem erweist sich die Berufung als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und
45 2 SGG nicht vorliegt.
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