Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 31.07.2006

LSG Berlin-Brandenburg: aufschiebende wirkung, beitragsbemessung, daten, vollziehung, härte, rentner, lfg, zukunft, auffordern, sammlung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 9 B 360/06 KR ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 1 SGB 4, § 237 S 1
SGB 5, § 86b Abs 1 S 1 Nr 2
SGG, § 86a SGG
Beitragsbemessung versicherungspflichtiger Rentner in der
Kranken- und Pflegeversicherung
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
31. Juli 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
13. Februar 2006 sowie die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den
Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2006 werden angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten für das
gesamte Verfahren zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
31. Juli 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig
und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den am 30. Juni 2006 bei Gericht
eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes abgelehnt.
Bei diesem Antrag, mit dem der Antragsteller bei sachdienlicher Auslegung seiner
Schriftsätze erreichen will, dass die Antragsgegnerin die von ihr erlassenen
Beitragsbescheide vom 12. Oktober 2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13. Februar 2006) und vom 11. Januar 2006 vorläufig nicht vollzieht, handelt es sich
entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht um einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG. Vielmehr liegt ein Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller bereits erhobenen Klage
gegen den ersten sowie des von ihm darüber hinaus bereits eingelegten Widerspruchs
gegen den zweiten Bescheid im Sinne des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG vor, weil die
vorgenannten Bescheide nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG kraft Gesetzes sofort vollziehbar
sind und der Antragsteller gegen sie in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage
vorgehen müsste.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller gegen die
vorgenannten Bescheide eingelegten Rechtsbehelfe ist zulässig und begründet. Hierbei
ergibt sich der Maßstab für die Begründetheitsprüfung aus § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG.
Hiernach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die
Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch
überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel
an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen hierbei dann,
wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
gebotenen summarischen Prüfung wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.
Letzteres ist hier der Fall. Denn abgesehen davon, dass sich die Bescheide vom 12.
Oktober 2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006) und
vom 11. Januar 2006 schon insoweit als rechtswidrig erweisen, als nicht die nach § 46
Abs. 1 und 2 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) hierfür allein
zuständige Pflegekasse, sondern die Antragsgegnerin auch über die Heranziehung des
Antragstellers zu Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung entschieden hat, spricht
nach Lage der Akten bei summarischer Prüfung alles dafür, dass die Antragsgegnerin
die der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden Einnahmen fehlerhaft ermittelt hat.
Zutreffend ist die Antragsgegnerin im vorstehenden Zusammenhang zwar davon
ausgegangen, dass bei versicherungspflichtigen Rentnern, zu denen der Antragsteller
angesichts der Höhe der von ihm bezogenen Renten gehören dürfte, nach § 237 Satz 1
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angesichts der Höhe der von ihm bezogenen Renten gehören dürfte, nach § 237 Satz 1
des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) sowie § 57 Abs. 1 SGB XI der
Beitragsbemessung nicht nur der Zahlbetrag der gesetzlichen Rente, sondern –
abgesehen von weiteren Einnahmen – auch das Arbeitseinkommen zugrunde zu legen
ist. Dieses Arbeitseinkommen, bei dem es sich nach der in § 15 Abs. 1 des Vierten
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) enthaltenen Legaldefinition um den nach den
allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten
Gewinn aus selbständiger Tätigkeit handelt, hat die Antragsgegnerin jedoch nicht richtig
festgestellt. Denn wie sich den Akten entnehmen lässt, hat sie insoweit allein auf den
jeweils letzten Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen und die Beiträge
ausschließlich auf der Grundlage der darin ausgewiesenen Gewinne festgesetzt. Mit
dieser Verfahrensweise hat sie sich zwar an der Vorschrift des § 15 Abs. 1 SGB IV
orientiert, mit der der Gesetzgeber zumindest in materiell-rechtlicher Hinsicht eine
Anbindung des Beitragsrechts an das Steuerrecht geregelt hat, um auf diese Weise das
Verfahren der Beitragserhebung zu vereinfachen und zu erleichtern sowie die
Bearbeitungsdauer zu verkürzen (vgl. BT-Drs. 12/5700 S. 92). Bei der von ihr gewählten
Verfahrensweise hätte es die Antragsgegnerin jedoch nicht belassen dürfen. Da die
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts an das jeweils vergangene
Kalenderjahr anknüpfen, die geschuldeten Beiträge mit Blick auf die Fälligkeitsvorschrift
des § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV i. V. m. der Satzung der Antragsgegnerin aber
zeitbezogen festgesetzt werden müssen, hätte die Antragsgegnerin vielmehr den
Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit zukunftsgerichtet schätzen müssen (vgl. z. B.
Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Erg.- Lfg. 7/06, § 226 RdNr. 8 b m. w. Nachw.; Renner in
Rühling/Renner, Die Krankenversicherung der Rentner, 19. Lfg. VI/04, § 226 SGB V, RdNr.
28 m. w. Nachw.). Hierbei hätte sie zwar auf die Daten aus dem jeweils letzten
Einkommensteuerbescheid zurückgreifen dürfen. Im Hinblick darauf, dass das
Arbeitseinkommen des Antragstellers bereits seit Jahren stärkeren Schwankungen
unterliegt, hätte sie diese Daten jedoch nicht einfach fortschreiben dürfen, sondern den
Antragsteller dazu auffordern müssen, sein aktuelles Arbeitseinkommen anzugeben und
durch geeignete Nachweise, wie z. B. durch Auskünfte des zuständigen Finanzamtes
oder seines Steuerberaters, zu belegen. Eine solche Aufforderung lässt sich den Akten
indes nicht entnehmen. Insbesondere reicht insoweit der von der Antragsgegnerin
entwickelte Fragebogen B 5121 KVdR Anf. nicht aus, weil der betroffene Versicherte ihm
angesichts der darin zugleich ausgesprochenen Bitte, den letzten
Einkommensteuerbescheid beizufügen, nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen
kann, dass er sein aktuelles Arbeitseinkommen anzugeben hat. Hinzu kommt, dass
auch die Antragsgegnerin selbst mit diesem Fragebogen nicht die aktuelle
Einkommenssituation des Antragstellers hat abfragen wollen, sondern gemeint hat, sie
sei an die Daten des letzten Einkommensteuerbescheides gebunden, was sich aus
ihrem Schreiben vom 05. Dezember 2005 ergibt. Mit diesem Schreiben hat sie nämlich
den ihr durch den Steuerberater des Antragstellers im November 2005 zugesandten
Jahresabschluss für 2004 mit dem Bemerken zurückgereicht, sie könne eine
Beitragsumstufung erst nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2004
vornehmen. Eine ordnungsgemäße Schätzung des Arbeitseinkommens liegt den
Beitragsbescheiden vom 12. Oktober 2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13. Februar 2006) und vom 11. Januar 2006 damit bei summarischer Prüfung nicht
zugrunde.
Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass der zuerst genannte Bescheid
nach Lage der Akten bei summarischer Prüfung auch insoweit rechtswidrig ist, als die
Antragsgegnerin den Antragsteller hiermit nicht erst ab dem Monat nach Ermittlung des
Arbeitseinkommens, d. h. ab dem 1. November 2005, sondern rückwirkend bereits ab
dem 01. September 2005 zur Zahlung von Beiträgen herangezogen hat. Denn setzt
eine ordnungsgemäße Ermittlung der der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden
Einnahmen eine in die Zukunft gerichtete Schätzung voraus, darf auch die
Beitragsbemessung selbst nur für die Zukunft vorgenommen werden.
Nach allem kommt es auf die Frage, ob die Vollziehung der genannten Bescheide für
den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen
gebotene Härte zur Folge hat, nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in analoger Anwendung und folgt dem
Ausgang des Verfahrens selbst.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
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