Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.06.2009

LSG Berlin und Brandenburg: fortsetzung des mietverhältnisses, heizung, wohnung, zuschuss, vermieter, verfahrenskosten, berufsausbildung, link, erlass, vollstreckung

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 05.06.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 124 AS 6421/09 ER
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 14 AS 748/09 B ER
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2009 aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, 1.516,73 Euro rückständiger Miete sowie
die in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Neukölln zum Geschäftszeichen bereits entstandenen Verfahrenskosten
als Darlehen für die Antragstellerin unmittelbar an deren Vermieter, die Vg GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer
C P R, zu zahlen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten. Der Antrag
auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Landessozialgericht wird abgelehnt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Der Beschluss des Sozialgerichts, das abgelehnt hat, den Antragsgegner im
Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme von Mietschulden zu verpflichten, erweist sich als unzutreffend.
Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustanden in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine
solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 5 des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch (SGB II). Nach dieser
Vorschrift können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen
werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist; sie sollen übernommen werden, wenn dies
gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.
Die Antragstellerin ist so zu behandeln, als würden an sie Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht. Sie hat bei
dem Antragsgegner am 4. Dezember 2008 die Gewährung eines Zuschusses zu ihren ungedeckten angemessenen
Kosten der Unterkunft und Heizung für Auszubildende entsprechend § 22 Abs. 7 SGB II beantragt, und die
Voraussetzungen für die Gewährung eines solchen Zuschusses sind – jedenfalls im Rahmen einer summarischen
Prüfung – gegeben. Die Antragstellerin ist Auszubildende (entsprechend dem Berufsausbildungsvertrag vom 3.
September 2007 für den Ausbildungsberuf einer Kosmetikerin), die – auch gegenwärtig noch -
Berufsausbildungsbeihilfe gemäß den §§ 59ff des Sozialgesetzbuchs, Drittes Buch (SGB III) erhält. Dem Senat liegt
mittlerweile – anders als noch dem Sozialgericht – der Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18.
März 2009 über Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2010 in Höhe von
monatlich 231,- Euro vor.
Der Antragstellerin entstehen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 312,98 Euro monatlich (255,98
Euro Miete und 57,- Euro monatliche Vorauszahlung an die GASAG - die Wohnung ist mit einer Gasetagenheizung
ausgestattet), die in vollem Umfang als angemessen anzusehen sind. Diese Aufwendungen sind teilweise ungedeckt.
Für die Berechnung eines Zuschusses gemäß § 22 Abs. 7 SGB II ist nach der Rechtsprechung des erkennenden
Senats auf die den Bedarf eines Auszubildenden regelnde Vorschrift des § 65 SGB III zurückzugreifen, die ihrerseits
auf § 13 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) verweist (Beschluss vom 22. Juni 2007 – L 14 B 633/07
- ; Beschluss vom 7. Februar 2008 – L 14 B 133/08 AS ER - ; anderer Ansicht insoweit aber LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 3. Juni 2008 – L 28 B 819/08 AS ER - ; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 123,
die jeweils auf den nach dem SGB II bestehenden Bedarf zurückgreifen wollen). Die monatlichen Einnahmen der
Antragstellerin aus Berufsausbildungsbeihilfe (231,- Euro), Ausbildungsentgelt (315,- Euro) und Unterhaltszahlungen
der Mutter (107,85 Euro) reichen nur aus, um ihren nach § 65 SGB III bestehenden Bedarf abzudecken. Das ergibt
sich aus der Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe vom 18. März 2009. Nach § 13 Abs. 2 und 3 BAföG werden
Aufwendungen der Auszubildenden für eine Unterkunft aber lediglich in Höhe von bis zu 218,- Euro als Bedarf
berücksichtigt. Um die verbleibende Lücke zwischen diesem im Rahmen von § 65 SGB III bereits berücksichtigen
Betrag und den höheren tatsächlichen, aber angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von
312,98 Euro zu schließen, hat die Antragstellerin Anspruch auf einen Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II, der vom
Antragsgegner bereits (zutreffend) in Höhe von 94,98 Euro monatlich (gerundet: 95,- Euro) berechnet worden ist (vgl.
Bl. 296 VA).
Besteht somit Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, ist die in § 22 Abs. 5 SGB II für die Übernahme von
Mietschulden geforderte Voraussetzung, dass Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, erfüllt (SG
Berlin, Beschluss v. 23. März 2007 – S 37 AS 2804/07 - ; VG Bremen, Beschluss v. 14. Dezember 2997 – S8 V
3445/07 - ; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 123). Ausweislich der Überschrift des § 22
SGB II zählt der Gesetzgeber auch die Leistungen nach § 22 Abs. 7 SGB II zu den Leistungen für Unterkunft und
Heizung. Soweit in § 19 Satz 2 SGB II ausdrücklich bestimmt ist, dass der Zuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II nicht
als Arbeitslosengeld II gilt, sollte damit nur verhindert werden, dass Berechtigte wegen des Zuschusses als
sozialversicherungspflichtig angesehen werden (BT-Drucks 16/1410 S. 23). Wenn der Gesetzgeber es für richtig
gehalten hat, ergänzende Leistungen für Unterkunft und Heizung an Auszubildende, die Berufsausbildungsbeihilfe
erhalten, nach Maßgabe des SGB II zu gewähren, erscheint es nur konsequent, dass für diesen Personenkreis dann
ebenso die Vorschriften des SGB II über eine Übernahme von Mietschulden angewandt werden. Ausreichend muss
bereits der Anspruch auf ergänzende Leistungen sein, wenn alle Voraussetzungen für eine Bewilligung vorliegen.
Denn ansonsten würden von den Leistungsträgern zu verantwortende Verzögerungen der Bearbeitung zu Lasten der
Hilfebedürftigen gehen.
Der Antragstellerin droht der Verlust ihrer bisherigen Wohnung. Ihr Vermieter hat bereits Räumungsklage erhoben, die
erfolgversprechend erscheint, weil die Antragstellerin mit mehr als zwei Monatsmieten in Verzug ist, was nach § 543
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches zur fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses berechtigt. Der
Verlust der Wohnung kann durch die Zahlung der ausstehenden Miete sowie der Übernahme der in dem Verfahren vor
dem Amtsgericht Neukölln zum Geschäftszeichen bereits entstandenen Verfahrenskosten verhindert werden, weil der
Vermieter sich für diesen Fall zur Fortsetzung des Mietverhältnisses bereit erklärt hat. Die derzeit offenen
Mietschulden sind von der Antragstellerin mit 1.516,37 Euro beziffert worden.
Die Übernahme der Mietschulden erscheint weiter gerechtfertigt. Denn der Antragsgegner hat versäumt, die
Antragstellerin zeitnah nach Aufnahme ihrer Berufsausbildung auf die Möglichkeit hinzuweisen, einen Zuschuss zu
den ungedeckten angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für Auszubildende entsprechend § 22 Abs. 7
SGB II zu erhalten. Ein solcher Hinweis hätte nahe gelegen, nachdem der Antragsgegner erfahren hatte, dass die
bisher bei ihm im Leistungsbezug stehende Antragstellerin ab dem 3. September 2007 eine Berufsausbildung
aufgenommen hatte. Dem Antragsgegner war nämlich bereits seit Oktober 2007 bekannt, dass die Antragstellerin
beginnend mit dem Monat September 2007 Leistungen der Berufsausbildungsbeihilfe bezog und damit für sie die
Möglichkeit bestand, noch weiter Leistungen entsprechend der mit Wirkung vom 1. Januar 2007 an eingeführten
Vorschrift des § 22 Abs. 7 SGB II zu erhalten. Statt auf diese Möglichkeit hinzuweisen und die Stellung eines
entsprechenden Antrags anzuregen, hat der Antragsgegner durch Bescheide vom 6. November 2007 lediglich die
bisherige Bewilligung mit Wirkung ab dem 3. September 2007 aufgehoben und einen Antrag auf Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II angelehnt. Mit Anhörungsschreiben vom 6. November 2007 hat er
dann ausgeführt, dass kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II mehr bestehe und die für die Zeit vom 3.
September bis 31. Oktober 2007 gewährten Leistungen in voller Höhe als zu Unrecht bezogen bezeichnet. Die
Antragstellerin ist lediglich darauf hingewiesen worden, dass sie sich nunmehr selbst um ihre Krankenversicherung
kümmern müsse. Dieses Versäumnis hat dazu beigetragen, dass die Antragstellerin keinerlei Leistungen mehr erhielt,
obgleich ihre Einkünfte hinter dem Bedarf zurückblieben. Es ist davon auszugehen, dass die zutreffend informierte
Antragstellerin ergänzende Leistungen beantragt und die Voraussetzungen für eine Gewährung auch erfüllt hätte.
Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, welche Ermessenserwägungen einer Übernahme der Mietschulden
entgegenstehen könnten.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich daraus, dass bei weiterem Zuwarten der Erlass eines Räumungsurteils droht,
dessen Vollstreckung vollendete Tatsachen schaffen würde, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
Ausreichend für die Sicherung der Wohnung ist die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung eines
Darlehens, was im Übrigen der gesetzlichen Vorgabe in § 22 Abs. 5 Satz 4 SGB II entspricht.
Nach alledem musste die Beschwerde Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG, sie erledigt den Antrag auf Gewährung von
Prozesskostenhilfe, derer die Antragstellerin nicht mehr bedarf, nachdem der Antragsgegner ihre Kosten zu erstatten
hat.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).