Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 30.11.2006

LSG Berlin und Brandenburg: ddr, fernsehen, rundfunk, produktion, zugehörigkeit, industrie, bevölkerung, daten, verwaltungsakt, direktor

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 30.11.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 1 RA 305/01
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 8 RA 93/03
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. September 2003 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung von Daten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Der
Kläger ist 1937 geboren worden. Mit Urkunde der Technischen Universität D vom 27. November 1967 wurde ihm der
akademische Grad des Diplom-Ingenieurs verliehen. Seit 1. Januar 1966 war der Kläger als technischer Instrukteur,
seit 1. Januar 1968 als Leiter technischer Dienst, seit 1. Januar 1974 als Direktor für Dienstleistung und seit 1. Januar
1977 bis 30. Juni 1990 als Direktor für Technik beim VEB Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen L,
Bezirksdirektion B, (ab 1. Januar 1978 VEB RFT Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen B) tätig. Eine
Versorgungszusage für ein Zusatzversorgungssystem hatte der Kläger zu DDR-Zeiten nicht erhalten. Ab 1. November
1977 trat er der freiwilligen Zusatzrentenversicherung der Sozialversicherung der DDR bei. Im Juli 1999 stellte der
Kläger einen "Antrag auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften" und machte geltend, vom 1. Januar
1968 bis zum 30. Juni 1990 der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) angehört zu
haben. Durch Bescheid vom 26. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember
2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab, wobei sie von einem geltend gemachten Beginn der Zugehörigkeit zu einer
Zusatzversorgung am 1. November 1967 ausging. Dem Kläger sei zu DDR-Zeiten keine positive Versorgungszusage
erteilt worden. Er könne aber auch nicht die fiktive Einbeziehung in die AVItech beanspruchen, weil dies nach der
Versorgungsordnung unter anderem die Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem
gleichgestellten Betrieb voraussetze. Der VEB Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen B sei kein Betrieb gewesen,
welcher diesen Anforderungen entspreche. Mit seiner Klage hat der Kläger noch die Feststellung von Daten für die
Zeit vom 1. März 1971 bis zum 31. Oktober 1977 geltend gemacht. Wie bereits im Widerspruchsverfahren hat er
vorgetragen, dass es sich bei dem Beschäftigungsbetrieb um einen Produktionsbetrieb gehandelt habe. Entgegen der
Auffassung der Beklagten seien nicht vorrangig Kundendienst- und Serviceaufgaben sowie Wartungs- und
Reparaturaufgaben erfüllt worden. Vielmehr hätten Produktionsaufgaben im Vordergrund gestanden. Der VEB RFT
Industrievertrieb B sei integraler Bestandteil eines Industriekombinats gewesen und dem Ministeriumsbereich
Elektronik/Elektrotechnik zugeordnet gewesen, seine Leistungen seien als "industrielle Warenproduktion" abgerechnet
worden. Er sei 1965 mit dem Ziel gegründet worden, wesentliche bis dahin in der Verantwortung der Herstellerbetriebe
liegende Aufgaben mit dem Schwerpunkt Kundendienst und Service für alle Erzeugnisse der Unterhaltungselektronik
in einem zentralen Betrieb durchzuführen. Mehrere Mitarbeiter hätten zu DDR-Zeiten Versorgungszusagen erhalten,
woraus sich ergebe, dass die Versorgungsordnung der AVItech auch tatsächlich angewendet worden sei. Der
Gleichbehandlungsgrundsatz fordere, dass dann auch er unabhängig von der staatlichen Zuteilungspraxis als
Angehöriger der AVItech gelten müsse. Zum Beleg seiner Angaben hat der Kläger ein Schreiben des
Geschäftsführers der S Immobilienverwertungs- und Produktionsgesellschaft mbH, H M, vom 13. Februar 2001 sowie
ein Urteil des Sozialgerichts Freiburg (Breisgau) vom 15. Mai 2003 (Aktenzeichen S 2 RA 2570/00) eingereicht. Die
Beklagte hat eine Ablichtung aus dem Register der volkseigenen Wirtschaft des Bezirks M betreffend den VEB
Kombinat Rundfunk und Fernsehen eingereicht. Das Sozialgericht hat die Akten des VEB Industrievertriebs Rundfunk
und Fernsehen B vom Amtsgericht B-C beigezogen und in Kopie zu den Akten genommen. Es hat ferner Auskünfte
der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben vom 21. Januar 2003 und der TLG Gewerbepark S GmbH
vom 26. März und 18. Juni 2003 eingeholt. Durch Gerichtsbescheid vom 10. September 2003 hat das Sozialgericht
die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine fiktive Einbeziehung in die AVItech. Es könne
dahingestellt bleiben, ob er in dem Beschäftigungsbetrieb eine seiner Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit
ausgeübt habe. Jedenfalls habe er nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens
gearbeitet. Der Hauptzweck des Betriebes habe, wie sich aus der Gründungsanweisung des VEB RFT
Industrievertrieb B vom 30. November 1977 ergebe, in der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung unter
anderem auf dem Gebiet der Dienstleistungen, des Kundendienstes und der Ersatzteilversorgung gelegen. Eine
originäre Sachgüterproduktion habe nicht stattgefunden. Zwar seien auch produktionsähnliche Arbeitsbereiche
übernommen worden wie die Regeneration von Bildröhren. Die Produktionsaufgaben hätten dem Betrieb aber nicht das
Gepräge gegeben. Gegenüber den Produktionsbetrieben des übergeordneten Kombinats sei der Beschäftigungsbetrieb
des Klägers eigenständig gewesen. Die Art der Rechnungsführung habe ebenso wenig Bedeutung wie die
Unterstellung des Betriebs unter eines der Industrieministerien. Abzustellen sei ausschließlich auf die tatsächliche
industrielle Sachgüterproduktion und nicht auf die wirtschaftsrechtliche Gleichstellung mit Produktionsbetrieben.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Das Sozialgericht habe den Begriff des industriellen
Produktionsbetriebes nicht zutreffend ausgelegt und verkannt, dass der Beschäftigungsbetrieb zu einem wesentlichen
Teil Produktionsaufgaben gehabt habe. Neben der Herstellung von Mess- und Prüfmitteln sei er mit
Regenerierungsprozessen von elektronischen, elektrischen und mechanischen Bauelementen und Baugruppen für die
Herstellerbetriebe des Industriezweiges Rundfunk und Fernsehen befasst gewesen.
Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin und den Bescheid der Beklagten vom 26.
September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, die Zeit vom 1. März 1971 bis zum 31. Oktober 1977 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung
der technischen Intelligenz und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Sie hat den Bericht über die Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz
zum 1. Juli 1990 der RFT radio-television Handels- und Servicegesellschaft mit beschränkter Haftung B des Dipl.-
Volkswirts H E, Kelheim/Taunus, vom 28. Dezember 1990 eingereicht.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen
Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung in der Sache
entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, kann der Kläger die begehrten Feststellungen nicht beanspruchen.
Er fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG. Denn er hatte bei In-Kraft-Treten dieses
Gesetzes am 1. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger und auch keine
Versorgungsanwartschaft. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG zum 1. August 1991
hätte der Kläger nur gehabt, wenn sie einzelvertraglich vereinbart gewesen wäre oder ein nach Art. 19 Satz 1
Einigungsvertrag (EV) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder eine
Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder ein Verwaltungsakt eines
Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen
Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgung ("Status-Feststellung", siehe dazu etwa BSG,
Urteil vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 50/02 R –, zitiert nach Juris) vorliegen würde. Keine dieser Alternativen ist erfüllt.
Der Kläger hatte aber auch am 1. August 1991 keinen Anspruch darauf, fiktiv so behandelt zu werden, als sei ihm
eine Versorgungszusage erteilt worden. Dieser Anspruch hat seine Grundlage in einer verfassungskonformen
erweiterten Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG. Die Vorschrift ist auch auf diejenigen zu erstrecken, die am 30. Juni
1990 (dem Tag vor der Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR) zwar nicht in ein
Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990
gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 1. August 1991 einen "Anspruch auf eine
Versorgungszusage" im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der
Versorgungssysteme gehabt hätten. Anders als der Kläger offenbar meint, muss deshalb auf die Sachlage am 30.
Juni 1990 abgestellt werden, obwohl er lediglich die fiktive Einbeziehung für die Zeit vom 1. März 1971 bis zum 31.
Oktober 1977 begehrt. Denn hätte am 30. Juni 1990 ein "Anspruch auf eine Versorgungszusage" nicht bestanden,
wäre das AAÜG auf den Kläger nicht anwendbar, und es könnten auch keine vor diesem Datum liegenden Zeiten als
Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem (§ 5 AAÜG) anerkannt werden. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG führt
zu keinem anderen Ergebnis. Auf Grund dieser Vorschrift ist das AAÜG nur dann anwendbar, wenn eine
Rechtsposition (einzelvertragliche Vereinbarung, Versorgungszusage durch eine staatliche Stelle der DDR) tatsächlich
bestand, die der Begünstigte vor dem 30. Juni 1990 verloren hatte (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und 3; BSG, Urteil
vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 16/04 R –, zitiert nach Juris). Zur rechtlichen Beurteilung des "Anspruchs auf
Versorgungszusage" kommt es in erster Linie auf das Bundesrecht des AAÜG sowie nachrangig und lückenfüllend
kraft bundesrechtlichen Anwendungsbefehls (Art. 9. Abs. 2 EV) auch auf die nach Maßgabe des Bundesrechts
auszulegenden Versorgungsregeln im EV an, der in Bundesrecht transformiert worden ist (ständige Rechtsprechung
des BSG, s. etwa in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 4-8570 § 1 Nr. 6 und in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, 3
und 8). Ein Anspruch auf eine Versorgungszusage aus dem vom Kläger begehrten und für ihn auch allein in Betracht
kommenden Versorgungssystem der AVItech (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) kommt nur in Betracht, wenn die in § 1 der
Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen
gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech; vom 17. August 1950, DDR-GBl. I S. 844) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz
1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB; vom 24. Mai 1951, DDR-GBl. S. 487) genannten drei Voraussetzungen
erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss eine bestimmte Berufsbezeichnung führen (persönliche
Voraussetzung), eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und
die Tätigkeit bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem
gleichgestellten Betrieb oder einer gleichgestellten Einrichtung verrichtet haben (betriebliche Voraussetzung; ständige
Rechtsprechung des BSG, siehe stellvertretend BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 und 8 und BSG SozR 4-8570 § 5 Nr. 6).
Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt wird, dass er sowohl die persönliche wie auch die sachliche
Voraussetzung für die Einbeziehung erfüllt, war er kein obligatorisch Versorgungsberechtigter, da er am Stichtag 30.
Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesen (ausführlich zu diesem
Begriff BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6) gearbeitet und damit die betriebliche Voraussetzung nicht erfüllt hat. Materiell-
rechtlich kommt es allein darauf an, ob der vom arbeitgebenden VEB am Stichtag tatsächlich verfolgte Hauptzweck
auf die industrielle Fertigung (Fabrikation, Herstellung, Produktion) von Sachgütern ausgerichtet war. Die Frage, was
der tatsächliche Hauptzweck eines bestimmten VEB war, ist folglich keine Rechtsfrage. Welche Aufgabe dem VEB
faktisch das Gepräge gegeben hat, kann allein auf Grund der konkreten tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen VEB
beurteilt werden (s. dazu stellvertretend BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 – B 4 RA 44/03 R -, zitiert nach Juris, betreffend
den VEB RFT Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen Karl-Marx-Stadt). Der vom VEB RFT Industrievertrieb
Rundfunk und Fernsehen B verfolgte Hauptzweck bestand jedenfalls am 30. Juni 1990 nicht in der industriellen
Fertigung von Sachgütern, sondern im Vertrieb der Produkte des VE Industriekombinats Rundfunk und Fernsehen,
dem er angehörte; der Vertrieb der Waren, Kundendienst und Service gaben ihm tatsächlich sein Gepräge. Er war ein
Dienstleistungsbetrieb, der allenfalls nebengeordnet produktionstechnische Aufgaben erfüllt hat (so bereits
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Mai 2006 – L 1 RA 69/03). Für die Annahme eines
Produktionsbetriebes kann allenfalls sprechen, dass der VEB einem Industrieministerium unterstand und nach den
Angaben des Klägers im Rahmen der Planwirtschaft der Produktion zugerechnet wurde. Diese Indizien (auf die sich
das Sozialgericht Freiburg in der vom Kläger eingereichten Entscheidung bezüglich des VEB RFT Industrievertrieb
Erfurt ausschließlich gestützt hat) wiegen die gegen einen Produktionsbetrieb sprechenden Umstände jedoch nicht
auf. Nach § 8 der Gründungsanweisung vom 30. November 1977 war der VEB "für die bedarfsgerechte Versorgung
der Bevölkerung der Hauptstadt der DDR – Berlin – auf dem Gebiet der Dienstleistungen, des Kundendienstes und der
Ersatzteilbereitstellung von elektronischen Konsumgütern entsprechend Versorgungsplan" zuständig. Dass im
Rahmen der wahrgenommenen Aufgaben auch Reparaturmethoden selbst entwickelt und angewendet wurden, Mess-
und Prüfgeräte entwickelt und hergestellt wurden und den Herstellungsbetrieben des übergeordneten Kombinats durch
Mitwirkung bei der Erzeugnisentwicklung und Qualitätssicherung zugearbeitet wurde, gibt der Tätigkeit noch nicht das
Gepräge eines Produktionsbetriebes. Vielmehr handelte es sich teils um Kleinserienproduktion wenn nicht gar
Einzelfertigung, teils um Dienstleistungen. Auch die Angaben in den Registern sprechen gegen die Annahme, dass
der VEB RFT Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen B seinem Hauptzweck nach ein Produktionsbetrieb gewesen
ist: Von den im Registereintrag des VEB Kombinat Rundfunk und Fernsehen (Registernummer 101-07-1106 des
Registers der volksei¬genen Wirtschaft des Bezirks M) aufgeführten insgesamt 30 Betrieben weisen 10 die
Bezeichnung VEB RFT Industrievertrieb Rundfunk und Fernsehen mit Zusatz von Ortsnamen, die neben B neun
Bezirkshauptstädten der DDR entsprechen. Wie sich nicht zuletzt aus der Gründungsanweisung für den B Betrieb
ableiten lässt, war die Aufgabenstellung der Industrievertriebe prinzipiell auf bestimmte Gebiete beschränkt. Dass ein
nur regional zuständiger VEB selbst Produkte im größeren Umfange hergestellt hat, ist unwahrscheinlich. Über den
Geschäftsbetrieb zum maßgeblichen Stichtag 30. Juni 1990 gibt schließlich der Bericht über die Prüfung der DM-
Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990 des Rechtsnachfolgers des Betriebes Aufschluss. Dort ist als Gegenstand des
Unternehmens im Hinblick auf Produktion lediglich die Projektierung und Errichtung von elektroakustischen Anlagen
der Telekommunikation angegeben, ein Geschäftsbereich, der neu bestimmt wurde. Mit Telefonanlagen hatte sich der
bisherige VEB nach Aktenlage nie beschäftigt. Ansonsten wird als Gegenstand des Unternehmens der Vertrieb und
der Handel einschließlich des Services benannt. Nach dem Bericht war der Betrieb auch nicht mit Räumlichkeiten
ausgestattet, die eine Produktionstätigkeit in industriellem Maßstab annehmen ließen: Sie verfügte über insgesamt 29
Mietobjekte mit Grundflächen zwischen 65 m2 und 975 m2, in denen Werkstätten und Ladengeschäfte unterhalten
wurden. Zusätzlich gab es ein Lager und Büro mit 3140 m2. Unter "wirtschaftlichen Grundlagen" kennzeichnet das
Prüfgutachten – immer bezogen auf den Zustand am Stichtag 30. Juni 1990 – den Betrieb als einen Facheinzelhandel
für Unterhaltungselektronik mit umfangreichem Servicebereich. In der Vergangenheit habe der Umsatzschwerpunkt im
Servicebereich gelegen. Schließlich spricht auch die vom Kläger selbst vorgetragene Entstehungsgeschichte der
Industrievertriebe dagegen, dass sie – wenn überhaupt – in größerem Umfang Produktionsaufgaben wahrgenommen
haben. Denn sie sollten angesichts der immer größer werden Zahl an Herstellerbetrieben wesentliche bis dahin in
deren Verantwortung liegende Aufgaben mit dem Schwerpunkt Kundendienst und Service für alle Erzeugnisse der
Unterhaltungselektronik in einem zentralen Betrieb durchführen. Der Kläger war auch nicht in einem "gleichgestellten"
Betrieb im Sinne der 2. DB tätig, weil Industrievertriebe dort nicht genannt werden. Da der Bundesgesetzgeber
angesichts des im Einigungsvertrag festgelegten Verbots der Neueinbeziehung in die Versorgungssysteme nur an den
vorgefundenen Bestand des DDR-Rechts angeknüpft hat, kommt eine Auslegung, die einer Fortentwicklung des DDR-
Rechts gleichkäme, nicht in Betracht. Durch diese Auslegung des § 1 AAÜG und der ergänzend heranzuziehenden
DDR-Vorschriften über die AVItech wird nicht gegen Verfassungsrecht, im Besonderen nicht gegen den
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen. Die vom Kläger – vor allem mit Blick auf
bereits zu DDR-Zeiten vereinzelt erteilte Versorgungszusagen – gerügte Ungleichbehandlung ist bereits in den
Versorgungsordnungen der DDR angelegt. So sah § 1 Abs. 3 der 2. DB die Einbeziehung in die AVItech durch
Einzelvertrag unabhängig von den Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 2. DB vor. Auf eine nachträgliche
Einbeziehung durch Einzelentscheidung besteht aber kein Anspruch. Denn alle Regelungen der Versorgungssysteme,
die eine Einzelentscheidung einer Stelle oder Person innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Struktur der DDR
vorsahen, sind von vornherein nicht zu Bundesrecht geworden, weil derartige Entscheidungen nur auf der Grundlage
des ideologischen Systems der DDR getroffen werden konnten (s. etwa BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und 7). Der
Gesetzgeber des Einigungsvertrags war von Verfassungs wegen nicht gehalten, die im DDR-Recht angelegte
Ungleichbehandlung nachträglich zu korrigieren; auch der Stichtag 30. Juni 1990 ist nicht zu beanstanden, da er an
den Tag des In-Kraft-Tretens des Verbots der Neueinbeziehung in die Versorgungssysteme der DDR und damit an
einen in der geschriebenen Rechtsordnung verankerten Zeitpunkt anknüpft (siehe die Nichtannahmebeschlüsse des
Bundesverfassungsgerichts in SozR 4-8570 § 5 Nr. 4 und vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –, zitiert nach
www.bundesverfassungsgericht.de).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.