Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 08.12.2008

LSG Berlin-Brandenburg: behinderung, klinik, aufschiebende wirkung, dumping, anfechtungsklage, erlass, komplikationen, operation, gesundheitszustand, zukunft

1
2
3
4
5
6
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 11 SB 8/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 48 Abs 1 SGB 10, § 69 Abs 1
SGB 9, § 69 Abs 3 SGB 9, § 54
Abs 1 S 1 Alt 1 SGG
Schwerbehindertenrecht; Herabsetzung des GdB; isolierte
Anfechtungsklage; maßgeblicher Prüfungszeitpunkt
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 8. Dezember
2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das
Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des zu seinen Gunsten festgestellten
Grades der Behinderung (GdB) von 80 auf 30.
Der Kläger ist im Jahre 1942 geboren. Nachdem bei ihm im April 2000 ein
Magenkarzinom festgestellt worden war, musste er sich in der Folgezeit zunächst einer
neoadjuvanten Chemotherapie sowie im August 2000 einer Unterleibsoperation
unterziehen. Bei dieser Operation wurden ihm der Magen und die Milz sowie mehrere
Lymphknoten entfernt; überdies wurde aus Teilen des Dünndarms ein Ersatzmagen
gebildet.
Auf den vom Kläger bereits im Juni 2000 gestellten Antrag kam der Beklagte nach
Auswertung der von ihm beigezogenen ärztlichen Unterlagen zu dem Ergebnis, dass der
Kläger wegen einer Erkrankung des Magens im Stadium der Heilungsbewährung
behindert sei, und stellte mit seinem Bescheid vom 28. August 2000 wegen der
genannten Behinderung einen GdB von 80 fest. Zugleich wies er den Kläger darauf hin,
dass er im 2. Halbjahr 2005 von Amts wegen prüfen werde, ob sich die für seine
Feststellung maßgebenden Voraussetzungen geändert hätten.
Im Zuge des von ihm Ende Juni 2005 eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens holte der
Beklagte eine ärztliche Auskunft der den Kläger behandelnden Internistin Dipl.-Med. B
vom 12. August 2005 ein, in der die Ärztin u. a. darauf hinwies, dass bei dem Kläger
nunmehr auch eine psychovegetative Erschöpfung, eine von Durchfällen begleitete
Pankreasinsuffizienz sowie eine Neigung zur Extrasystolie bestehe. Der ärztlichen
Auskunft beigefügt war eine Epikrise des H-Klinikums B (R Klinik) vom 14. Juni 2005, in
der es u. a. heißt, dass sich eine Tumormanifestation nicht nachweisen lasse.
Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme von Dr. K vom 16. September 2005
teilte der Beklagte dem Kläger mit, es sei beabsichtigt, den GdB für die Zukunft von 80
auf 30 herabzusetzen, weil hinsichtlich der festgestellten Behinderung eine
Heilungsbewährung eingetreten sei. Hierzu teilte der Kläger mit seinem Schreiben vom
31. Oktober 2005 mit: Entgegen der Auffassung des Beklagten habe sich sein
Gesundheitszustand nicht wesentlich verbessert. Sein Immunsystem sei nach wie vor
erheblich geschwächt, so dass insbesondere immer wieder fieberhafte Infekte aufträten.
Er müsse bis zu zehn kleine Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen und leide an Durchfällen
sowie einem Vitamin B 12-Mangel. Darüber hinaus habe er Angst vor einer
Wiedererkrankung und sei vor diesem Hintergrund auch in psychischer Hinsicht stark
belastet.
Der Beklagte zog den Entlassungsbericht der Reha-Klinik O vom 11. Oktober 2002 über
den dortigen Aufenthalt des Klägers vom 20. August bis zum 17. September 2002 sowie
eine weitere Epikrise der R Klinik vom 2. November 2005 über die dortige Vorstellung des
Klägers vom 30. August 2005 bei, wonach für eine Tumormanifestation weiterhin kein
7
8
9
10
11
Klägers vom 30. August 2005 bei, wonach für eine Tumormanifestation weiterhin kein
Anhalt bestehe.
Nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme von Dr. W vom 6. März 2003 setzte
der Beklagte den festgestellten GdB mit seinem am 7. März 2006 abgesandten
Bescheid vom 13. März 2006 für die Zeit ab Bescheiddatum auf 30 herab und führte zur
Begründung aus: Der Kläger sei wegen Verlusts des Magens behindert. Da die
Heilungsbewährung ohne Auftreten einer Rezidiverkrankung abgelaufen sei und auch
keine Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes bestehe, könne dem
Kläger ein GdB nur noch in der nunmehr festgestellten Höhe zuerkannt werden. Den
hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte nach Einholung einer
erneuten gutachtlichen Stellungnahme von Dr. W vom 15. Mai 2006 mit seinem
Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2006 als unbegründet zurück.
Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger auf sein Schreiben vom 31. Oktober
2005 Bezug genommen und ergänzend darauf hingewiesen, dass die von ihm bereits
geschilderten Angstzustände weiter zunähmen, eine Behandlung jedoch nicht stattfinde;
als späte Folge der Chemotherapie seien im Übrigen erhebliche Schäden am Gebiss
aufgetreten.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der R Klinik vom 7. Februar 2007 sowie der
Internistin Dipl.-Med. B vom 28. Februar 2007 eingeholt, denen weitere Epikrisen der R
Klinik vom 31. März 2006 und 11. August 2006 über die dortigen Vorstellungen des
Klägers vom 6. März 2006 und 8. August 2006 beigefügt waren. In diesen Epikrisen wird
ausgeführt, dass eine tumorspezifische Symptomatik weiterhin nicht bestehe. Nach
Durchführung eines Erörterungstermins hat das Sozialgericht ergänzend einen
Befundbericht der Zahnärztin Dipl.-Stom. S vom 2. November 2007 eingeholt und
sodann den Praktischen Arzt M mit der Erstattung eines medizinischen
Sachverständigengutachtens beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten
vom26. Februar 2008 eine weitere Epikrise der R Klinik vom 6. Dezember 2007 über die
dortige Vorstellung des Klägers vom 9. August 2007 sowie eine Epikrise der F Klinik vom
6. Februar 2008 über den dortigen stationären Aufenthalt des Klägers vom 1. bis 6.
Februar 2008 berücksichtigt und im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei wegen
Verlusts des Magens und der Milz mit Komplikationen (Dumping-Syndrom,
Polyneuropathie der Füße) sowie wegen Bluthochdrucks und Herzrhythmusstörungen
behindert. Die erste Behinderung sei mit einem Einzel-GdB von maximal 40, die zweite
Behinderung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bemessen. Der Gesamt-GdB, der allein
auf der ersten Behinderung beruhe, betrage seit September 2005 (Ablauf der
Heilungsbewährung) 40. Hierbei sei nach der glaubhaften Beschwerdeschilderung des
Klägers sowie den Befunden der Internistin Dipl.-Med. B davon auszugehen, dass das
erstmals in der Epikrise der R Klinik vom 6. Dezember 2007 beschriebene Dumping-
Syndrom bereits 2005 bestanden habe, zumal das Auftreten eines Dumping-Syndroms
erst 7 Jahre nach der Operation schulmedizinisch äußerst unwahrscheinlich sei. Die
zweite Behinderung sei jedoch erst ab Februar 2008 zu berücksichtigen. Sie ziehe eine
Erhöhung des Gesamt-GdB nicht nach sich. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom
10. Juni 2008 hat der Sachverständige seine Ausführungen nochmals bekräftigt.
Mit seinem Urteil vom 8. Dezember 2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid sei
rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage für ihn sei § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB X). Dessen Voraussetzungen lägen vor. Bezogen auf den
insoweit maßgeblichen Prüfungszeitpunkt (Erlass des Widerspruchsbescheides vom 13.
Juli 2006) sei eine wesentliche – rechtserhebliche – Änderung im Gesundheitszustand
des Klägers eingetreten. Wie sich aus dem Gutachten des Sachverständigen M ergebe,
sei der Kläger damals wegen des Verlusts des Magens und der Milz und wegen
Bluthochdrucks und Herzrhythmusstörungen behindert gewesen. Der Zahnverlust sei
nicht von Bedeutung, weil Anhaltspunkte dafür, dass eine prothetische Versorgung über
längere Zeit nicht möglich gewesen sei, nicht bestünden. Des Weiteren bestünden keine
Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung von Relevanz. Die zuerst genannte
Behinderung sei zum maßgeblichen Prüfungszeitpunkt nach Ablauf der
Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten gewesen. Denn das von
dem Sachverständigen M festgestellte Dumping-Syndrom könne als Komplikation erst
ab Dezember 2007 berücksichtigt werden und die Polyneuropathie der Füße sei nicht
von Bedeutung gewesen. Die zweite Behinderung habe einen Einzel-GdB von 10 nach
sich gezogen, weil sie nur leicht gewesen sei. Der Gesamt-GdB habe nur noch 30
betragen.
Gegen dieses ihm am 18. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung
des Klägers, mit der er seine bisherigen Ausführungen weiter vertieft hat. Auf Nachfrage
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
des Klägers, mit der er seine bisherigen Ausführungen weiter vertieft hat. Auf Nachfrage
des Senats hat er erklärt, dass ihm der Bescheid des Beklagten vom 13. März 2006 am
20. März 2006 bekannt gegeben worden sei.
In der mündlichen Verhandlung des Senats hat der Beklagte den Bescheid vom 13. März
2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2006 aufgehoben, soweit
damit der GdB bereits für Zeiten vor dem 20. März 2006 auf 30 abgesenkt worden ist.
Der Kläger hat das in dieser Erklärung liegende Teilanerkenntnis angenommen und im
Übrigen beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 8. Dezember 2008 zu ändern und den
Bescheid des Beklagten vom 13. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 13. Juli 2006 in der Fassung der Erklärung des Beklagten vom 18. Februar 2010
aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte,
insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Verwaltungsvorgang des
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, mit der sich der Kläger nach der Annahme des vom Beklagten in der
mündlichen Verhandlung des Senats abgegebenen Teilanerkenntnisses nur noch gegen
die Herabsetzung des GdB von 80 auf 30 für die Zeit ab dem 20. März 2006 wendet, ist
zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist im angegriffenen Umfang
zutreffend.
Wie das Sozialgericht mit Recht entschieden hat, ist die der Berufung zugrunde liegende
Klage zulässig. Richtige Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage im Sinne des § 54
Abs. 1 Satz 1 1. Alt. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie betrifft den Bescheid des
Beklagten vom 13. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli
2006, der durch die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Senats
abgegebene Erklärung neu gefasst worden ist. Da sich dieser Bescheid in der
(teilweisen) Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung (hier des Bescheides
vom 28. August 2000) – nunmehr – für die Zeit ab dem 20. Juni 2006 erschöpft, kann der
Kläger mit der isolierten Anfechtungsklage sein in der Aufrechterhaltung des GdB von 80
liegendes Klageziel erreichen. Denn würde der angefochtene Bescheid aufgehoben,
lebte der ursprüngliche Feststellungsbescheid vom 28. August 2000, mit dem der
Beklagte zugunsten des Klägers einen GdB von 80 festgestellt hatte, wieder auf.
Die Anfechtungsklage, die auch im Übrigen zulässig ist, ist jedoch unbegründet. Denn
der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist maßgeblicher Prüfungszeitpunkt
insoweit der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier also der
Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2006 erlassen
hat. Dass der Beklagte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs, der Klage und der
Berufung sowie die Regelung des § 116 Abs. 1 2. Halbsatz des Neunten Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB IX) beachtet hat, wonach die besonderen Regelungen für
schwerbehinderte Menschen noch bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Eintritt der
Unanfechtbarkeit des die Herabsetzung des GdB feststellenden Bescheides anzuwenden
sind, ändert hieran nichts (vgl. hierzu z. B. Bundessozialgericht, Urteil vom 11.
November 1996 – 9 RVs 5/95 –, zitiert nach juris).
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid, gegen den formelle Bedenken nicht
bestehen, ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein – wie hier von Anfang an rechtmäßiger –
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Wege einer gebundenen Entscheidung mit Wirkung
für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Letzteres ist
hier der Fall. Denn entgegen der Auffassung des Klägers hat sich sein
Gesundheitszustand bezogen auf den hier maßgeblichen Prüfungszeitpunkt dergestalt
verbessert, dass nunmehr nur noch ein GdB von 30 festzustellen war.
24
25
26
27
28
Maßgebliche Bestimmung für die Feststellung des GdB ist § 69 des Sozialgesetzbuches
Neuntes Buch (SGB IX). Nach Abs. 1 Satz 1 der genannten Bestimmung stellen die für
die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das
Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob
diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Gesundheit
und Soziale Sicherung) herausgegebenen AHP in ihrer jeweils geltenden Fassung zu
beachten, wobei es hier entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auf die zum
maßgeblichen Prüfungszeitpunkt geltende Ausgabe 2005 (AHP 2005) ankommt. Die
AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen
Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer
medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten
Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen
niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das
Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch
geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche
anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z.
B. Bundessozialgericht – BSG –, BSGE 91, 205), weshalb sich auch der Senat im
vorliegenden Fall auf die genannten AHP stützt.
Einzel-GdB sind entsprechend diesen Grundsätzen als Grad der Behinderung in
Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für
die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind
nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit
unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln,
wobei sich nach Teil A Nr. 19 der hier einschlägigen AHP 2005 die Anwendung jeglicher
Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der
einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche
im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen
der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel
von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt
und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der
weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte
hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die
einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die
nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des
Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit
einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche
Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4
AHP 2005, Seite 24 ff.).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der GdB im Fall des Klägers zum hier
maßgeblichen Prüfungszeitpunkt im Sommer 2006 nur noch 30 betragen, was sich für
den Senat aus einer Gesamtschau der vorhandenen ärztlichen Unterlagen,
insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen M in seinem Gutachten vom
26. Februar 2008 nebst ergänzender Stellungnahme vom 10. Juli 2008 sowie den
Epikrisen der R Klinik vom 2. November 2005, 31. März 2006, 11. August 2006 und 6.
Dezember 2007 ergibt.
Danach ist zunächst das bei dem Kläger als Totalentfernung des Magens zu
berücksichtigende Magenleiden nach Teil A Nr. 26.10 AHP 2005, Seite 78, mit einem
Einzel-GdB von 30 zu bemessen. Denn es ist insoweit davon auszugehen, dass die im
Fall des Klägers nach der Entfernung des Magentumors im August 2000 abzuwartende
Heilungsbewährung von fünf Jahren seit dem Spätsommer 2005 abgelaufen ist, ohne
dass sich ein Anhalt für eine Tumormanifestation ergeben hätte. Auch eine
Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands des Klägers lässt sich nicht
feststellen, was sich vor allem aus den oben genannten Epikrisen der R Klinik über die
dortigen Vorstellungen des Klägers am 30. August 2005, 6. März 2006, 8. August 2006
und 9. August 2007 ergibt. Danach hat das Gewicht des Klägers bei einer Körpergröße
von etwa 190 cm weitgehend konstant bei etwa 94 kg gelegen, wobei zugleich von
einem guten Appetit die Rede gewesen ist.
Komplikationen, die nach Teil A Nr. 26.10 AHP 2005, Seite 78, einen höheren Einzel-GdB
als 30 nach sich ziehen könnten, sind im Fall des Klägers nicht zu berücksichtigen. Denn
sie sind frühestens im Herbst 2006 und damit erst nach Erlass des
Widerspruchsbescheides aufgetreten. Dies gilt insbesondere für das von dem
Sachverständigen M in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gerückte Dumping-
29
30
31
32
33
Sachverständigen M in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen gerückte Dumping-
Syndrom mit Übelkeit und Völlegefühl nach dem Essen, weil dieses Syndrom erstmals in
der Epikrise der R Klinik vom 6. Dezember 2007 über die dortige Vorstellung des Klägers
vom 9. August 2007 beschrieben worden ist. Dass es bereits früher vorgelegen haben
könnte, ist nicht nachgewiesen. Der Sachverständige M hat insoweit zwar dargelegt,
dass das Syndrom nach der glaubhaften Beschwerdeschilderung des Klägers sowie den
Befunden von Dipl.-Med. B bereits 2005 bestanden haben müsse, zumal das Auftreten
einer derartigen Komplikation erst 7 Jahre nach der Operation schulmedizinisch äußerst
unwahrscheinlich sei. Diesen Darlegungen ist jedoch nicht zu folgen. Denn sie werden
durch die der Begutachtung vorausgegangenen Untersuchungsergebnisse der R Klinik
nicht gestützt und finden auch in dem Befundbericht dieser Klinik vom 7. Februar 2007
keine Grundlage. Ob das Dumping-Syndrom nach den AHP zwingend zu einem Einzel-
GdB von 40 führen müsste, wie das Sozialgericht für die Zeit ab Erstellung der Epikrise
der R Klinik im Dezember 2007 gemeint hat, oder ob es für die Feststellung eines Einzel-
GdB von 40 maßgeblich auf die hiervon ausgehenden Störungen ankommt, an deren
Relevanz mit Blick auf das Fehlen einer Resorptionsstörung und das Fehlen einer Anämie
im Fall des Klägers Zweifel bestehen könnten, kann damit dahinstehen.
Entgegen der Auffassung des Sachverständigen M kann auch die von ihm festgestellte
Polyneuropathie der Füße nicht als Komplikation des Magenleidens berücksichtigt
werden und zu einem Einzel-GdB von 40 führen. Denn abgesehen davon, dass der
Sachverständige die in Rede stehende Polyneuropathie nur als leicht beschrieben und
hieraus resultierende Funktionsbeeinträchtigungen nicht aufgezeigt hat, fehlt es
jedenfalls an dem erforderlichen Nachweis dafür, dass sie bereits zum hier
maßgeblichen Prüfungszeitpunkt im Sommer 2006 vorgelegen haben könnte.
Auch der bei dem Kläger unstreitig vorliegende Verlust der Milz ist entgegen der
Auffassung des Sachverständigen M nicht als Komplikation der Magenerkrankung zu
berücksichtigen. Vielmehr handelt es sich insoweit nach Teil A Nr. 26.16 AHP 2005, Seite
102, um eine eigenständige Gesundheitsstörung, die mit einem separaten Einzel-GdB
zu bemessen ist und sich lediglich auf die Bildung des Gesamt-GdB auswirken kann. Auf
das Bestehen dieser Gesundheitsstörung ist der Beklagte nach Lage der Akten erstmals
auf der Grundlage der von ihm in den Rechtsstreit eingeführten versorgungsärztlichen
Stellungnahmen vom 10. April 2008 und 1./5. August 2008 aufmerksam geworden. Wie
die Versorgungsärztin Dr. H darin zutreffend ausgeführt hat, ist diese
Gesundheitsstörung nach Teil A Nr. 26.16 AHP 2005, Seite 102, mit einem Einzel-GdB
von 10 zu bemessen, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem
Gutachten vom 26. Februar 2008 keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass insoweit
Komplikationen aufgetreten sein könnten.
Auf die von dem Sachverständigen M des Weiteren festgestellten
Herzrhythmusstörungen sowie den Bluthochdruck kommt es für die Entscheidung des
vorliegenden Falles nicht an. Denn diese Gesundheitsstörungen haben zwar bereits in
dem Entlassungsbericht der Reha-Klinik O vom 11. Oktober 2002 Erwähnung gefunden.
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen haben sie ein relevantes
Ausmaß aber erst nach 2006 erlangt. Im Übrigen könnten sie nach Teil A Nr. 26.09 AHP
2005, Seite 71, ohnehin nur mit einem Einzel-GdB von 10 bemessen werden, weil
wesentliche Leistungsbeeinträchtigungen insoweit nicht feststellbar sind, und würden
sich im Ergebnis jedenfalls auf die Bildung des Gesamt-GdB nicht auswirken.
Weitere Behinderungen sind im Fall des Klägers nicht zu berücksichtigen. Bezogen auf
den maßgeblichen Prüfungszeitpunkt im Sommer 2006 hat insbesondere eine
psychische Erkrankung beachtlichen Ausmaßes nicht vorgelegen. Denn nach seinen
eigenen Angaben ist der Kläger zu keiner Zeit in nervenärztlicher/psychiatrischer
Behandlung gewesen und hat nach Auffassung des Sachverständigen M in seinem
Gutachten vom 26. Februar 2008, dem insoweit Aussagekraft auch für die
Vergangenheit zukommt, seine schwere Grunderkrankung sogar „exzellent bewältigt“.
Des Weiteren bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Sommer 2006 eine
relevante Erkrankung der Mundhöhle bestanden haben könnte. Vor allem lässt sich nach
dem Befundbericht der behandelnden Zahnärztin Dipl.-Stom. S vom 2. November 2007
nicht feststellen, dass der Kläger an einem Zahnverlust gelitten haben könnte, der – wie
es Teil A Nr. 26.07 AHP 2005, Seite 63, verlangt – über ein halbes Jahr prothetisch nicht
mehr hätte ausreichend versorgt werden können.
Für die Bildung des Gesamt-GdB sind nach den vorstehenden Ausführungen lediglich die
Totalentfernung des Magens (nach Ablauf einer Heilungsbewährung) sowie der Verlust
der Milz von Bedeutung. Die für diese Behinderungen zu berücksichtigenden Einzel-GdB
von 30 und 10 sind nach Teil A Nr. 19 AHP 2005, Seite 24 ff., zu einem Gesamt-GdB von
30 zusammenzufassen, weil sich aus der zweiten Behinderung angesichts ihrer nur
34
35
36
30 zusammenzufassen, weil sich aus der zweiten Behinderung angesichts ihrer nur
mäßigen Ausprägung eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung
insgesamt nicht herleiten lässt.
Der Beklagte ist damit verpflichtet gewesen, den bislang festgestellten GdB von 80 auf
30 herabzusetzen. Da der Herabsetzungsbescheid vom 13. März 2006 dem Kläger nach
seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 20. März 2006 bekannt gegeben
worden ist, bestehen gegen die Absenkung des GdB ab diesem Tag keine Bedenken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache
selbst. Dem Umstand, dass der Beklagte in der mündlichen Verhandlung des Senats ein
Teilanerkenntnis abgegeben hat, kommt in kostenrechtlicher Hinsicht keine Bedeutung
zu, weil sich dieses Teilanerkenntnis lediglich auf sieben Tage bezieht.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG
nicht vorliegt.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum