Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.10.2000

LSG Berlin und Brandenburg: belastungsgrenze, diabetes mellitus, befreiung, krankheit, dauerbehandlung, krankenversicherung, krankenkasse, betrug, entlastung, solidarität

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 19.10.2000 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 75 KR 377/99-1
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 45/00
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die an Diabetes mellitus und einem Zustand nach Nierentransplantation leidende Klägerin begehrt die Übernahme von
Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln nach § 62 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) für die Jahre
1997 und 1998.
Unter Beifügung verschiedener Quittungshefte beantragte sie bei der Beklagten die Übernahme der von ihr geleisteten
Zuzahlungen in Höhe von 663,31 DM im Jahre 1997 und 713,20 DM im Jahre 1998.
Die Beklagte ermittelte, dass die 1954 geborene Klägerin als frühpensionierte Beamtin Versorgungsbezüge in Höhe
von 37.740,36 DM im Jahre 1997 und 38.257,20 DM im Jahre 1998 bezogen hatte und errechnete daraus eine
Belastungsgrenze von 754,81,00 DM bzw. 765,14 DM.
Mit den Bescheiden vom 02. September 1998 und 06. Januar 1999 lehnte die Beklagte die Übernahme der
Zuzahlungen ab, da die Belastungsgrenze von 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt durch die
Zuzahlungen nicht erreicht worden sei. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch blieb mit zurückweisenden
Widerspruchsbescheid vom 27. April 1999 der Erfolg versagt.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 04. Februar 2000 abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, dass die Beklagte § 62 SGB V zutreffend angewandt habe. Nach Satz 2 der Vorschrift in der
mit Wirkung vom 01. Juli 1997 geltenden Neufassung durch Artikel 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung von
Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Neuordnungsgesetz -NOG-
vom 23. Juni 1997, BGBl. I 1518) betrage die Belastungsgrenze 2 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum
Lebensunterhalt. Für Versicherte, die wegen derselben Krankheit in Dauerbehandlung seien und ein Jahr lang
Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze aufgebracht hätten, betrage sie nach Ablauf eines Jahres 1 v.H. der jährlichen
Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt für die weitere Dauer der Behandlung. Da die Belastungsgrenze von 2 v.H.
weder für das Jahr 1997 noch das Jahr 1998 erreicht worden sei, käme eine Übernahme von Zuzahlungen nicht in
Betracht. Soweit die Klägerin eine vollständige Befreiung von der Zuzahlung der Medikamente begehre, fehle es
hierfür an einer Rechtsgrundlage. Die Neufassung der einschlägigen Vorschrift durch das Gesetz zur Stärkung der
Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz-GKV-SolG- vom 19. Dezember
1998), wonach für Versicherte, die wegen derselben Krankheit in Dauerbehandlung seien und ein Jahr lang
Zuzahlungen von mindestens 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt geleistet hätten, die
Zuzahlungen nach Ablauf des 1. Jahres für die weitere Dauer der Behandlung vollständig entfielen, gelte erst ab dem
01. Januar 1999.
Gegen das ihr am 16. März 2000 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung vom 17. April 2000. Zur
Begründung trägt sie vor, dass in ihrem Fall die 1 v.H.-Klausel anwendbar sei. Ihre Belastungsgrenze sei seit Jahren
erreicht. Auch die Beklagte habe in ihren Bescheiden bestätigt, dass sie Zuzahlungen in Höhe von über 1 v.H. ihrer
jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt geleistet habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 04. Februar 2000 und die Bescheide der Beklagten vom 02. September 1998
und 06. Januar 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1999 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, von ihr erbrachte Zuzahlungen für die Jahre 1997 und 1998 in Höhe von insgesamt 1.376,51 DM zu
erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt ihrer Bescheide und hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der
Beklagten, betreffend die Zuzahlungen, Bezug genommen. Diese haben dem Senat bei der Entscheidung vorgelegen.
Der Senat hat die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG - einstimmig durch Beschluss
zurückgewiesen, weil sie unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten hatten
Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zutreffend hat es ausgeführt, dass die Krankenkasse die dem
Versicherten während eines Kalenderjahres entstehenden Zuzahlungen zu Arznei-, Verband- und Heilmitteln zu
übernehmen hat, soweit sie die Belastungsgrenze übersteigen. Wie es bereits ausgeführt hat, sieht Satz 2 der
Vorschrift in der ab dem 01. Juli 1997 geltenden Fassung eine Belastungsgrenze von 2 v.H. der jährlichen
Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt vor, die mit den von der Klägerin geleisteten Zuzahlungen nicht erreicht wird,
so dass eine Erstattung der Zuzahlungen, „soweit sie die Belastungsgrenze übersteigen“, nicht in Betracht kommt.
Ebenso zutreffend hat es ausgeführt, dass die Fassung des § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V, nach der lediglich
Zuzahlungen in Höhe von 1 v.H. der jährlichen Bruttoeinnahmen geleistet werden müssen und die Zuzahlungen nach
Ablauf des 1. Jahres für die weitere Behandlung vollständig entfallen, erst mit Wirkung vom 01. Januar 1999 in Kraft
getreten ist. Der Senat sieht nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe insoweit ab, da die Berufung aus den bereits im Urteil des Sozialgerichts dargelegten Gründen
keinen Erfolg haben kann.
Die Voraussetzungen für eine vollständige Befreiung von Zuzahlungen nach § 61 SGB V liegen offensichtlich nicht
vor, da die Klägerin über Bruttoeinnahmen von über 40 v.H. der monatlichen Bezugsgröße nach § 18
Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (1997: 4.270,00 DM monatlich, davon 40 v.H. = 1.708,00 DM; 1998: 4.340,00 DM,
davon 40 v.H. = 1.736,00 DM) verfügte.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass mit dem GKV-NOG ab dem 01. Juli 1997 eine
Rechtsänderung zu Ihren Lasten eingetreten sei. Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der bis zum 01. Juli 1997
geltenden Fassung des Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. S. 2477 ff) betrug die Belastungsgrenze bei
jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt bis zur Höhe der Jahresarbeitsentgeltgrenze 2 v.H., bei höheren
Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt 4 v.H. dieser Einnahmen. Eine Entlastung für chronisch Kranke war bis zum
01. Juli 1997 noch nicht einmal vorgesehen.
Die Berufung musste deshalb erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht
vorlagen.