Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.12.2006

LSG Berlin-Brandenburg: schmerzensgeld, rechtshängigkeit, öffentlich, klageänderung, unmöglichkeit, auflage, sammlung, gerichtsverfassungsgesetz, verzug, bedürfnis

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
16. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 16 R 403/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 280 BGB, § 823 BGB, § 839
BGB, Art 34 GG
Rechtsweg für Schadensersatzansprüche aus dem
Sozialrechtsverhältnis
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember
2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe
von 26.957,35 € nebst Zinsen ab „Rechtshängigkeit“.
Die 1935 geborene Klägerin, die seit September 1997 als deutsche Staatsangehörige in
C lebt, bezieht von der Beklagten seit 01. Februar 1995 Altersrente (AR) für Frauen.
Nach der Übersiedlung nach C kam es zu Unstimmigkeiten zwischen der Klägerin und
der Beklagten bezüglich Zahlungsart und -weg der Rentenzahlung, in deren Folge die
Beklagte die von der Klägerin begehrte Zahlung der AR auf ein Konto ihres Bruders mit
Bescheid vom 05. März 2002 ablehnte.
Mit ihrer bei dem Sozialgericht (SG) Berlin eingelegten Klage hat die Klägerin zunächst
die Zahlung der Rente durch auf € lautende Schecks geltend gemacht. Nach der
Einrichtung eines Zahlungsweges für €-Schecks durch den Rentenservice der Deutschen
Post und einer entsprechenden Änderung der Zahlungsart durch die Beklagte hat die
Klägerin die Klage „insoweit“ in der Hauptsache für erledigt erklärt und begehrt nunmehr
die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 26.957,35 € nebst
Zinsen „gemäß § 288 BGB ab Rechtshängigkeit“, und zwar auf der Grundlage einer
positiven Forderungsverletzung (pFV) des Versicherungsvertrages bzw. einer
unerlaubten Handlung der Beklagten (Schriftsatz vom 16. Mai 2004). Das SG hat diese
Klage mit Urteil vom 05. Dezember 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt:
Die im Wege der Klageänderung nach § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige
Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Schadensersatz
wegen einer Pflichtverletzung der Beklagten im Rahmen des Sozialrechtsverhältnisses.
Eine pFV sei zwar grundsätzlich auch im öffentlichen Recht möglich, Voraussetzung
hierfür sei jedoch ein besonders enges Verhältnis zwischen der öffentlich-rechtlichen
Körperschaft und dem Betroffenen. Ein derartiges Verhältnis sei vorliegend nicht
ersichtlich. Es handele sich vielmehr um einen öffentlich-rechtliches
Zwangsversicherungsverhältnis mit den sich aus dem Gesetz ergebenden Rechten und
Pflichten. Daher würden allein Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung
gemäß den §§ 823, 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. mit Artikel 34 Grundgesetz
(GG) in Betracht kommen. Über einen Amtshaftungsanspruch könne das Gericht jedoch
nicht entscheiden, da hierfür der Zivilrechtsweg gegeben sei. Da die Klägerin jedoch eine
sozialrechtliche Anspruchsgrundlage geltend gemacht habe, sei eine Verweisung an das
Zivilgericht aufgrund der geltend gemachten Amtspflichtverletzungen nicht möglich. Die
Kostenentscheidung folge aus § 193 SGG und berücksichtige, dass auch die zunächst
erhobene Klage nicht zulässig gewesen sei, und zwar schon deshalb nicht, weil die
Beklagte nicht durch Verwaltungsakt über den von der Klägerin begehrten Zahlungsweg
entschieden habe.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Das SG habe
verkannt, dass sie auch einen sozialrechtlichen „Wiedergutmachungsanspruch“ geltend
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verkannt, dass sie auch einen sozialrechtlichen „Wiedergutmachungsanspruch“ geltend
mache. Dieser habe Vorrang vor einem Anspruch aus Amtspflichtverletzung im Übrigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Dezember 2006 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, an sie 26.957,35 € nebst Zinsen „gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2
Bürgerliches Gesetzbuch ab Rechtshängigkeit“ zu zahlen, hilfsweise, den Rechtsstreit an
das Landgericht zu verweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Rentenakten der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und
sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss
zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligen sind hierzu
vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).
Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich im Wege der vom SG
zugelassenen und damit für das Berufungsgericht bindenden (§ 99 Abs. 4 SGG; vgl.
BSG, Beschluss vom 04. Mai 1999 – B 2 U 89/98 B – veröffentlicht in juris)
Klageänderung erhobene Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld
nebst Zinsen weiter verfolgt, ist nicht begründet.
Eine sozialrechtliche Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten
Schadensersatz bzw. das Schmerzensgeld – nur hierüber hat das SG entschieden – ist
nicht ersichtlich, und zwar weder als Ausfluss einer pFV noch im Rahmen eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist ein von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut, das an die Verletzung behördlicher
Auskunfts-, Beratungs- und Betreuungspflichten im Sozialrechtsverhältnis anknüpft. Da
dieser Anspruch nur eine Lücke im Schadensersatzrecht schließen soll (vgl. BSG SozR
2200 § 1303 Nr. 27), kann er aber von vornherein nicht auf die Gewährung von
Schadensersatz im Sinne einer Kompensationsleistung in Geld gerichtet sein, sondern
nur auf Naturalrestitution, d.h. auf Vornahme einer Amtshandlung (vgl. BSG, Urteil vom
27. Januar 2000 – B 12 KR 10/99 R = SozR 3-2400 § 28h Nr. 11 m. w. N.). Die Klägerin
macht vorliegend aber ausschließlich eine Forderung auf Schadensersatz in Geld bzw.
Schmerzensgeld geltend. Insofern kommen allenfalls Schadensersatzansprüche nach
den §§ 823 ff, 839 BGB i.V. mit Artikel 34 GG in Betracht. Für derartige
Schadensersatzansprüche sind nicht die Gerichte der Sozialgerichts-barkeit, sondern die
Zivilgerichte zuständig (vgl. BSG a.a.O.). Der Senat hatte daher nicht darüber zu
befinden, ob wegen des Verhaltens der Beklagten ein derartiger Amtshaftungsanspruch
gegeben sein könnte. Denn die Entscheidung hierüber fällt ausschließlich in die
Zuständigkeit der Zivilgerichte (Artikel 34 Satz 3 GG, § 17 Abs. 2 Satz 2
Gerichtsverfassungsgesetz – GVG -). Daran ändert auch nichts die Regelung des § 202
SGG i. V. mit § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtsweges
den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten entscheidet (vgl.
BSG, Urteil vom 15. Dezember 1999 – B 9 V 12/99 R = SozR 3-1200 § 14 Nr. 28). Der
hilfsweise von der Klägerin geltend gemachten Verweisung des Rechtsstreits an das
Landgericht war somit nicht zu entsprechen (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage,
§ 51 Rz. 41 m.w.N.).
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergibt sich auch nicht aus einer pFV der
Beklagten. Unter dieses gewohnheitsrechtlich anerkannte und nunmehr in § 280 BGB
kodifizierte Rechtsinstitut fallen alle Pflichtverletzungen im Rahmen eines vertraglichen
oder gesetzlichen Schuldverhältnisses, die nicht zur Unmöglichkeit oder zum Verzug der
Leistung führen und deren Folgen nicht von den gesetzlichen
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Leistung führen und deren Folgen nicht von den gesetzlichen
Gewährleistungsvorschriften erfasst werden. Die vom Schuldner zu vertretene
Verletzung derartiger Nebenpflichten begründet für den anderen Partner des
Schuldverhältnisses einen Schadensersatzanspruch. Diese Grundsätze der pFV gelten
zwar sinngemäß auch für öffentlich-rechtliche Sonderbeziehungen, sofern diese
privatrechtlichen Schuldverhältnissen vergleichbare Leistungs- und Obhutsbeziehungen
zum Gegenstand haben (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2000 – B 12 KR 10/99 R -).
Voraussetzung hierfür ist aber ein „besonders enges Verhältnis“ des Einzelnen zur
Verwaltung, bei dem mangels gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis nach einer
angemessenen Verteilung der Verantwortung innerhalb des öffentlichen Rechts vorliegt
(vgl. BSG a.a.O.). Ein solches enges Verhältnis liegt aber dann nicht vor, wenn – wie hier
– sich die Rechte und Pflichten aus dem Sozialrechtsverhältnis unmittelbar aus dem
Gesetz ergeben. Es liegt keine vertragsähnliche Sonderbeziehung zwischen der Klägerin
und der Beklagten vor, sondern ein gesetzliches Rentenversicherungsverhältnis nach
Maßgabe der Vorschriften des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung –
(SGB VI).
Ungeachtet dessen, ob eine Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt, kann diese
jedenfalls im Sozialrechtsweg der vorliegenden Schadensersatz- bzw.
Schmerzensgeldklage nicht zum Erfolg verhelfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht
vor.
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