Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 17.04.2009

LSG Berlin-Brandenburg: darlehen, dringlichkeit, wohnung, rechtsschutz, kündigung, vermieter, hauptsache, umzug, sammlung, rechtshängigkeit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
34. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 34 AS 815/09 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 86b Abs 2 SGG
Versagung von einstweiligem Rechtsschutz wegen inzwischen
fehlender Dringlichkeit
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin
vom 17. April 2009 aufgehoben. Der Antrag der Antragstellerinnen auf Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
17. April 2009 ist gemäß §§ 172 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und
begründet. Der Antrag der Antragstellerinnen auf Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes war abzulehnen.
Der Erlass der von den Antragstellerinnen begehrten Regelungsanordnung nach § 86b
Abs. 2 Satz 2 SGG setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die
begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Anordnung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Dabei sind der
Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs.
2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, in dem das
Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt
der Beschwerdeentscheidung (Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
Verwaltungsgerichtsordnung , 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rn. 165,
166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Denn die
prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund
des Artikels 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven
Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich
vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und
unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher
Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre
(Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 - NJW 2003,
1236 und vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Dies bedeutet aber
zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die
Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit
im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, hier also im Zeitpunkt der Entscheidung
des Senats, nicht (mehr) vorliegt. Insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den
Zeitablauf überholt; das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache
über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel
zumutbar.
So aber liegt der Fall hier. Die Antragstellerin zu 1) ist nach ihrem Vorbringen am 24.
April 2009, also noch vor Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses am 2. Mai 2005,
in ihre neue Wohnung umgezogen. Diesen Umzug hat sie mit Hilfe einer „Bekannten“
durchgeführt, die über einen „großen Wagen“ verfügt. Kosten sind ihr dadurch nicht
entstanden. Die Antragstellerin konnte den Umzug mithin im Wege der Selbsthilfe (vgl. §
2 SGB II) durchführen, so dass sie insoweit auf gerichtlichen Rechtsschutz weder
angewiesen war noch derzeit ist. Die Antragstellerin zu 1) selbst hat insoweit
vorgetragen, dass sich „das Darlehen für die Umzugskosten dadurch erledigt“ habe.
Entsprechendes gilt für ihr Begehren, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr „ein Darlehen in Höhe von 980,40 Euro für
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einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr „ein Darlehen in Höhe von 980,40 Euro für
die Mietkaution“ zu gewähren. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Antragstellerin zu 1)
insoweit Schuldnerin der Forderung des Vermieters ist und auf welcher Grundlage diese
ggf. beruht. Denn der Antragsgegner hat insoweit zu Recht vorgetragen, dass Mieter der
von den Antragstellerinnen bewohnten Wohnung ausweislich des Mietvertrages der
Großvater der Antragstellerin zu 1) ist. Denn er hat den Mietvertrag unterschrieben und
der Vermieter hat die Zahlungserinnerung vom 8. Mai 2009 auch folgerichtig nicht an die
Antragstellerinnen, sondern an den Mieter der Wohnung, den genannten Großvater
gerichtet.
Jedenfalls aber hat die Antragstellerin zu 1) die Kautionsforderung bereits am 17. April
2009 in Höhe von 326,40 Euro erfüllt. Sie hat hierzu vorgetragen, dass sie sich „das Geld
von (ihrem) Vater geliehen“ habe und „er das Geld so schnell wie möglich wieder haben“
wolle. Abgesehen davon, dass Mittel für die Begleichung eingegangener
Schuldverpflichtungen nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung zugesprochen
werden können, weil die mit der Eingehung der Schuldverpflichtung verbundenen
Nachteile bereits eingetreten sind und deshalb nicht mehr abgewendet werden können,
was Voraussetzung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b SGG ist, hat
der Vater der Antragstellerin zu 1) den Fälligkeitstermin für die Rückzahlung des
Darlehens auf den (unbestimmten) Zeitpunkt festgelegt. Denn er hat bestimmt, dass
die Antragstellerin zu 1) erst leisten muss, wenn es ihr „möglich“ ist, also ggf. auch erst
nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Vor diesem Hintergrund ist insoweit eine
besondere Dringlichkeit im vorgenannten Sinne nicht erkennbar.
Insbesondere aber ist nicht erkennbar, dass durch die Nichtzahlung der verbleibenden
654,00 Euro der geschuldeten Mietkaution eine Schuldenlage eingetreten ist, die den
Vermieter zur Kündigung der Wohnung nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a) oder b) in
Verbindung mit § 569 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigen würde. Der Senat
muss vor diesem Hintergrund nicht die von den Senaten des Landessozialgerichts
Berlin-Brandenburg uneinheitlich beurteilte Frage entscheiden, ob schon das Vorliegen
einer Kündigungslage nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB, erst der Ausspruch einer solchen
Kündigung, die Rechtshängigkeit einer Räumungsklage (mit der letzten Möglichkeit der
Abwendung der Kündigung in der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) oder gar erst das
Vorliegen eines Räumungstitels einen Anordnungsgrund im Hinblick auf Mietschulden
darstellen kann.
Die Antragstellerin zu 1) hat im Übrigen im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass sie
ein ihr gewährtes Darlehen „selbstverständlich monatlich immer pünktlich abzahlen“
werde. Soweit die Antragstellerin sich tatsächlich in der Lage sieht, ein Darlehen durch
monatliche Ratenzahlungen zu tilgen, sollte sie sich mit dem Vermieter in Verbindung
setzten, um insoweit eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Die Antragstellerinnen müssen sich daher auf das Hauptsacheverfahren verweisen
lassen.
Der Antrag des Antraggegners nach § 175 SGG hat sich mit diesem Beschluss erledigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht
angefochten werden (§ 177 SGG).
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